Konzertimpressionen und -rezensionen

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  • #12041297  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaizaIm letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit bei einem Workshop des RSB mit den Akademisten zum Thema ‚Musik & Politik‘ zuzuhören. Es wurde kurz darauf eingegangen, dass Schostakowitsch einzelne Passagen der #4 in die nächsten nachfolgenden Sinfonien einbaute. Das fand ich ziemlich interessant.

    Danke, war mir nicht bewusst ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
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    #12041307  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    LAC, Lugano – 13.04.2023

    Orchestra Mozart
    Daniele Gatti
    Leitung

    RICHARD WAGNER: Idillio di Sigfrido, per orchestra da camera
    JOHANNES BRAHMS: Variazioni su un tema di Haydn, op. 56a

    JOHANNES BRAHMS: Sinfonia n. 4 in minore, op. 98

    Den Ausklang meines musikalisch enorm reichhaltigen Urlaubs im Tessin machte letzten Donnerstag noch ein Konzert im wunderbaren grossen Saal das LAC – der leider ziemlich leer blieb. Man hätte sich ins Parkett umplatzieren lassen können, aber ich hatte erstmals eine Karte nicht für eine der seitlichen Logen (für Kammermusik oder ein Konzert mit einem Solisten oder einer Solistin sind die linken Logen super, näher dran und doch weit genug, um von der wunderbaren Akustik des Saales was zu haben) und wollte das einfach ausprobieren – und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Klang da oben, auf den billigen Plätzen quasi – viel besser war als unten und weiter vorn (oder gar unterm Balkon) im Parkett.

    Was die Musik angeht, ich habe ja den Tick, über Wagner immer etwas spotten zu müssen – das dient auch dazu, die Distanz zu wahren, die ich gegenüber Wagners Musik für den Rest meiner Tage wahren werde. Es gab zum Einstieg eines Brahms-Programmes also den „Fidi-Vogelsang“ vom Sigi für Cosis Geburtstag, erstmals in Triebschen im Treppenhaus mit etwas mehr als einem Dutzend Musiker aufgeführt als Morgenständchen (um 8:30, glaub ich gelesen zu haben?). Das ist ja schon ein wundersames Stück Musik, in dem viele Elemente der Wagner’schen Musik präsent sind – aber irgendwie ohne dieses suggestive Grundmurmeln, das seinen Bühnenwerken innewohnt. Jedenfalls eine schöne Interpretation mit etwas reduzierter Besetzung (aber „orchestra da camera“ weiss ich jetzt nicht, wenn 50 Leute noch darunter fallen, dann schon). Gatti dirigierte auch in der Folge alles ohne Noten, mal sehr engagiert, mit grosser Geste (und sehr langem Stab), ein wenig wie ein Torero anmutend mit Bewegungen nach vorn und wieder zurück, dann ganz entspannt und locker. Diesen Gegensatz hörte ich aber vor allem auch in der Musik: eine faszinierende Mischung aus zupackender, ja fast hemdsärmliger Spielweise, sehr direkt, vor lauter Lebendigkeit nicht immer mit der grössten Präzision – was jedoch keineswegs störte, ganz im Gegenteil. Bei Pianisten bemüht man gerne mal das Wörtchen „improvisatorisch“ (bei Kempff etwa), und daran dachte ich immer wieder beim Orchestra Mozart. So seltsam das klingen mag, denn organisierte Orchestermusik kann ja nicht im Moment spontan entstehen. Doch genau das war der Eindruck, den Gatti und das Orchestra Mozart immer wieder erzeugten. Das zog sich durch die Variationen von Brahms und dann auch durch den Höhepunkt des Konzertes nach der Pause, die vierte Symphonie. Die andere Seite der Musik war eine wahnsinnig feine Geste, immer wieder ein überirdisch zartes Pianissimo – das dann in vollendeter Präzision ausgeführt wurde. Und eben in diesem Spannungsfeld entwickelte sich das ganze Konzert. Und dafür war das Stück von Wagner der perfekte Einstieg.
     

    Zürich, Opernhaus – 15.04.2023

    Léo Delibes (1836-1891):
    Lakmé – Oper in drei Akten
    Libretto von Edmond Gondinet und Philippe Gille nach dem Roman «Rarahu ou Le Mariage de Loti» von Pierre Loti
    Konzertante Aufführung

    Musikalische Leitung Alexander Joel
    Szenische Einrichtung Natascha Ursuliak
    Choreinstudierung Janko Kastelic

    Gérald, englischer Offizier Edgardo Rocha
    Frédéric, englischer Offizier Björn Bürger
    Nilakantha, Brahmanenpriester Philippe Sly
    Lakmé, seine Tochter Sabine Devieilhe
    Mallika, deren Begleiterin Siena Licht Miller
    Hadji, Diener Nilakanthas Saveliy Andreev
    Ellen, Geralds Verlobte Sandra Hamaoui
    Rose, ihre Cousine Bożena Bujnicka
    Mistress Benson, deren Erzieherin Irène Friedli
    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich

    Mein Urlaub endete dann am Freitag, weil ich nicht am gleichen Tag heim fahren und abends in die Oper gehen mochte. Der Termin am Samstag war schon sehr lange gesetzt: die letzte von drei konzertanten Aufführungen von Delibes‘ „Lakmé“ (eine Verballhornung von „Lakshmi“, dem Namen der indischen Gottheit). Das ist Parfüm im Überfluss, kein Orientalismus, der sich wirklich für Quellen interessiert sondern alles aus zweiter Hand bezog, wie ein guter Aufsatz im Programmheft darlegte (den Text übernahm man mit freundlicher Erlaubnis dem Programm der Deutschen Oper Berlin, wo „Lakmé“ letzten Herbst konzertant aufgeführt wurde, das Programmheft von dort steht noch im Netz). Dramatische Entwicklung, eigentliches Theater, sucht man in Delibes‘ Stück vergebens. Dabei ist es wirklich so, dass es keinen Moment gibt, in dem nicht wahnsinnig schön gesungen und gespielt wurde. Also ein eigenartiges Ding zwischen gescheitertem Bühnenwerk und irrsinnig schöner Musik, eine Parfümorgie, in der dennoch die Musik immer die Obhut behält. Das erst seit ein paar Jahrzehnten berühmte „Blumenduett“ erklingt bereits früh im ersten Akt, die damals unmittelbar berühmt gewordene „Glockenarie“ („Où va la jeune Hindoue“), die die vom Vater geknechtete Lakmé als List singen muss, um den verbrecherischen Verehrer aus der Deckung zu Locken muss, folgt dann im zweiten Akt. Beide hat Devieilhe für ihr Album „Mirages“ mustergültig aufgenommen (das Duett mit Marianne Crebassa, kann man auch in der Tube nachschauen, ich verlinke das immer wieder mal gerne).

    Für meine Ohren ist sie, Sabine Devieilhe, wirklich die überragende Koloratursopranistin unserer Tage. Eine unfassbare Stimme, die auch im Pianissimo noch den ganzen Saal füllt, die ganzen Oktavsprünge mit einer Natürlichkeit gesungen, dass das unfassbar leicht wirkt – was natürlich ein grosser Trugschluss ist. Nach der Glockenarie gab es minutenlangen Applaus, doch auch die Männer – allen voran Edgardo Rocha und Philippe Sly – kriegten immer wieder verdienten Szenenapplaus. Dieses Trio – Devieilhe, Rocha und Sly – trug das Stück zusammen mit dem Orchester, das von Alexander Joel mit grosser (operntypischer) Geste geleitet wurde. Die kleinen Rollen waren alle durchweg stark, nicht zuletzt Saveliy Andreev als Sklave des Priesters und (so halb, ist eben alles nicht so richtig ausgearbeitet in diesem Stück) Verbündeter Lakmés. Und Sienna Licht Miller war Devieilhe im Blumenduett eine würdige Partnerin.

    Unterm Strich einmal mehr eine perfekte Wahl für eine konzertante Aufführung – denn mit Bühnenbild und üppigeren Kostümen usw. hätte das Stück zumindest als Bühnenwerk ziemlich gewiss enttäuscht. Und das zweite Mal eine umwerfende Performance von Devieilhe in so einem Rahmen in Zürich (als „fille du régiment“ mit Speranza Scapucci war sie allerdings noch besser, was aber viel mit dem Werk zu tun hat). Ich freue mich jetzt riesig auf ihren Liederabend im Juni.

    Hier das Blumenduett („Viens, Malika“) in der Version von „Mirages“ (Warner Classics, 2017), Sabine Devieilhe & Marianne Crebassa, Les Siècles/François-Xavier Roth:


     

    Zürich, Kleine Tonhalle – 16.04.2023 – Kosmos Kammermusik

    Emmanuel Pahud Flöte
    Sabine Poyé Morel Flöte
    Simon Fuchs Oboe
    Kaspar Zimmermann Oboe
    Michael Reid Klarinette
    Diego Baroni Klarinette
    Michael von Schönermark Fagott
    Hans Agreda Fagott
    Ivo Gass Horn
    Karl Fässler Horn
    Hendrik Heilmann Klavier

    FRANK MARTIN: Ballade für Flöte und Klavier
    NIKOLAIJ RIMSKIJ-KORSAKOW: Quintett B-Dur für Flöte, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier
    JOACHIM RAFF: Sinfonietta F-Dur op. 188 für doppeltes Bläserquintett

    Gestern ging es dann am verregneten späten Nachmittag ins Kammermusikkonzert in der kleinen Tonhalle – erneut mit Emmanuel Pahud, der zusammen mit zehn Musiker*innen des Tonhalle Orchesters (uff, eine einzige Frau – bei den Bläsern ist die Verteilung in der Tonhalle echt nicht gut, wie den Fotos oben zu entnehmen ist, macht das Philharmonia Orchestra das zumindest beim Holz perfekt). Los ging es mit der recht kurzen Ballade für Flöte und Klavier von Frank Martin, einem Stück, das 1939 als Auftragswerk für den Concours de Genève entstand und das „alle Qualitäten der Flötisten, die an diesem Wettbewerb teilnahmen, zeigen sollte, insbesondere die technischen Aspekte der Flöte“ (so wird im Programmheft Martins dritte Ehefrau Maria zitiert). So wirkte es denn auch: ein Bravourstück, in dem die Technik manchmal fast zu überborden schien, das Musizieren selbst ein wenig ins Hintertreffen geriet. Natürlich spielte Pahud das mit bestechender Leichtigkeit, aber eben auch ohne die Materialität der Musik vergessen zu machen (das gefällt mir bei ihm sehr gut, er wirkt irgendwie geerdet, die Flöte als „Werkzeug“, eben als „Instrument“, ist stets zu spüren, da wird nicht einfach in der Luft herumgirlandiert wie ich es manchmal bei anderen Virtuosen des Instruments empfinde).

    Mein Highlight war dann das folgende Quintett von Rimsky-Korsakov für Klavier und Bläser. Hendrik Heilmann, den neuen Mann an den Tasten, kriegt man in Orchesterkonzerten naturgemäss nur selten zu hören – als ich zum letzten Mal bei einem Orchesterkonzert mit Tasteninstrument auf der Bühne war, war ausgerechnet ein Einspringer dabei (die Besetzung pro Programm gibt das Tonhalle-Orchester leider nicht bekannt). Aber neulich bei der „Literatur und Kunst“-Matinée mit Hosokawa/Bouvier war er ja auch schon dabei. Ich fand ihn beide Male exzellent, im Stück von Rimsky-Korsakov fand ich auch die Balance zwischen Klavier und Bläsern hervorragend. Entstanden ist es 1876 und anscheinend am spielerischen Unvermögen der Erstaufführenden gescheitert (die Uraufführung sei nicht einmal zu Ende gespielt worden, das Stück erschien erst posthum, wurde von der Revolution dann nochmal gecancelt etc.). Den langsamen Mittelsatz fand ich enorm faszinierende, da entsteht eine fast minimalistische Stimmung und das entwickelt einen grossen Sog. Als drittes gab es dann Raffs Sinfonietta für doppeltes Bläserquintett – Raff (1822-1882) war wie Martin ein Autodidakt, wirkte als Assistent von Liszt und wird hier (er wuchs am anderen Ende des Zürichsees auf, dem „Obersee“) seit ein paar Jahren eifrig wiederentdeckt. Rimsky-Korsakovs Stück war zwar das längste, aber Raffs mit vier Sätzen das satzreichste. Ich fand hier die beiden Mittelsätze am schönsten, zuerst der charmante zweite mit seinem Widerspiel („Ein bissiger Marsch über einen persistenten Rhythmus wird … durch ein liebliches Trio mit Alphorn-Anhklängen konterkariert“) und dann den seltsamen, aber sehr innigen langsamen dritten Satz. (Leider hatte in Kind ganz in meiner Nähe ausgerechnet im langsamen Satz einen meltdown und schluchzte/heulte/japste bis zum Ende durch – dass der Vater nicht rausing, kann ich verstehen, das hätte bei der sehr engen Bestuhlung noch viel mehr gestört. Und ja: Flötensolisten ziehen stets Eltern mit Kindern an, immer … auch süsse Fans leicht fortgeschritteneren Alters, aber die tauchen bei Pianist*innen und Geiger*innen ja auch auf – die Kinder aber eher bei Bläsern, dünkt mich.)

    Das ist alles andere als „home turf“ für mich – und wohl mit ein Grund, dass ich die Musik nicht zu meinem Beruf machen mochte: ich konnte mit klassischer Bläsermusik auch damals nicht viel anfangen, als ich noch Klarinette spielte … aber ich arbeite mich allmählich heran bzw. unternehme hie und da wieder einen Anlauf, und es bleibt schon ein klein wenig etwas davon hängen. Und natürlich schätze ich es, solches soweit ich es beurteilen kann selten aufgeführtes Repertoire in der Güte hören zu können. Mir waren alle drei Werke unvertraut, nur das von Martin müsste ich irgendwo auf CD haben. Und dass die kleine Tonhalle mit ihren immerhin 600 Plätzen fast ausverkauft war, war natürlich auch erfreulich (die „Lakmé“ war’s restlos, aber da hab ich’s auch erwartet – dennoch bleiben weiterhin auffällig viele Plätze leer).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12041313  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „gypsy“ : wie immer verbindlichen Dank für Deine detailierten und opulenten Konzertberichte …. es ist fast so als wäre man selbst dabei gewesen ….

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    #12041387  | PERMALINK

    Anonym
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    yaizaIm letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit bei einem Workshop des RSB mit den Akademisten zum Thema ‚Musik & Politik‘ zuzuhören. Es wurde kurz darauf eingegangen, dass Schostakowitsch einzelne Passagen der #4 in die nächsten nachfolgenden Sinfonien einbaute. Das fand ich ziemlich interessant.

    In der Tat interessant. Mir kommt die 4te selber auch irgendwie unfertig vor. Da rummst es ja immer wieder ordentlich rein, aber das immer etwas unvermittelt, als ob die Übergänge zwischen den lauten und leisen Teilen noch nicht ganz zuende ausgearbeitet worden wären.

    Mit der 4ten muss ich mich noch ausgieber auseinandersetzen…

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    #12045085  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle – 18.04.2023 – Neue Konzertreihe Zürich

    Kammerorchester Basel
    Umberto Benedetti Michelangeli
    Leitung
    Regula Mühlemann Sopran

    GABRIEL FAURÉ: «Masques et Bergamasques» op. 112, Suite für Orchester (1919)
    WOLFGANG AMADEUS MOZART: «Giunse alfin il momento – Deh vieni, non tardar», Rezitativ und Arie der Susanna aus «Le nozze di Figaro» KV 492 (1786)
    MOZART: «L’amerò, sarò costante», Arie der Aminta aus «Il re pastore» KV 208 (1775)
    FAURÉ: Pavane fis-Moll op. 50 für Orchester (1887)
    MOZART: «Martern aller Arten», Arie der Konstanze aus «Die Entführung aus dem Serail» KV 384 (1782)

    MOZART: «Ach ich fühl’s, es ist verschwunden!», Arie der Pamina aus «Die Zauberflöte» KV 620 (1791)
    MOZART: «Ruhe sanft, mein holdes Leben», Arie der Zaïde aus «Zaïde» KV 344 (1781, UA 1866)
    MAURICE RAVEL: «Le tombeau de Couperin», Suite d’Orchestre (1914-17, UA 1919)
    MOZART: «Schon lacht der holde Frühling», Arie für Sopran und Orchester KV 580 (Einlegearie zu Giovanni Paisellos «Il Barbiere di Siviglia») (1789)

    Zugaben:
    MOZART: «Un moto di gioia», Ersatzarie aus Le nozze di Figaro (Susanna), KV 579 (1789)
    JOHANN STRAUSS II: Frühlingsstimmen (1883), Konzertwalzer

    Ein paar kleine Änderungen gab es bei diesem wirklich umwerfenden Konzert – das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich mir hätte wünschen können jedenfalls. Statt Konstanzes Arie aus dem Serail war vorgängig im Programm angekündigt gewesen „In un istante – Parto, m’affretto“, Rezitativ und Arie der Celia aus «Lucio Silla» KV 135. Und kurzfristig wurden die beiden Stücke von Fauré im ersten Teil getauscht, d.h. es ging mit einem längeren Orchesterstück los, bevor Mühlemann ihren ersten Auftritt hatte. Vor ein paar Jahren habe ich genau dieselbe Konstellation, aber statt mit Fauré/Ravel mit ein paar Symphonien von Mozart im KKL in Luzern gehört. Damals fand ich das zwar schön, aber im Vergleich zu den CDs (v.a. der ersten, „Mozart Arias“ von 2016, 2020 folgte „Mozart Arias II“) vielleicht leise enttäuschend, v.a. die Symphonien etwas langfädig. Da kreise ich ja eh weiterhin – neulich mit Fazil Say gab es ja ebenfalls zwei Mozart-Symphonien mit dem Kammerorchester Basel (ohne Dirigent), und auch da gefiel mir die eine nicht wirklich. Das war an diesem Abend in der Tonhalle aber ganz anders. Zum einen sass ich ganz vorn (mein Aboplatz für die Neue Konzertreihe), zum anderen ist die Tonhalle aber wohl auch von weit hinten oder oben der bessere Raum für diese Konstellation denn das grosse KKL, in dem kleinere Formationen gerne ein wenig untergehen.

    Jedenfalls überzeugten sowohl die Orchester- wie die gesungenen Teile des Konzertes. Ravels „Le Tombeau de Couperin“ hatte ich schon im September beim ersten Abokonzert des KOB der Saison gehört, als Trevor Pinnock am Pult stand. Dieses Mal gefiel es mir erheblich besser – überhaupt fand ich die Zusammenarbeit von Umberto Benedetti Michelangeli und dem KOB an diesem Abend ganz hervorragend, packender als beim erwähnten Konzert vor einigen Jahren in Luzern. Faszinierend fand ich auch, wie hier wirklich kammermusikalisch herangegangen wurde, und wie das auf der Bühne eben auch da sichtbar wurde, wo das Orchester sonst im Graben sitzt: wie die Bälle zwischen den Bläsern und der Sängerin oder auch mal zwischen der ersten Geige (Daniel Bard) und Mühlemann hin und her gingen – das war wunderbar zu erleben.

    Mühlemann scheint mir mit den Jahren nochmal besser geworden zu sein. Wie sie Arien sang, mit einer enormen Dynamik, auch im leisesten Pianissimo raumfüllend, das war wirklich wunderschön. Sie singt die Vokale sehr offen, was vielleicht manchmal – gerade bei den in diesen Arien zahlreichen Koloraturen – ein wenig auf Kosten der Textverständlichkeit gehen mag, doch ihre Stimme klingt stets natürlich, kein einziger gepresster Ton, einfach nur ein Fluss an völlig reinen Tönen, eine unglaubliche Leichtigkeit – hinter der natürlich immense Anstrengungen und viel Arbeit verborgen liegen. Die Jahre auf der Opernbühne merkte man Mühlemann auch an: manche Arien wurden allein durch die Mimik zu Mini-Dramen, bei anderen kam die Gestik dazu, in der umwerfenden zweiten Zugabe dann das komödiantische Spiel mit dem Echo der Solo-Flöte.

    Am meisten berührt hat mich Mühlemann wohl mit den beiden Arien direkt nach der Pause, „Ach ich fühl’s“ und „Ruhe sanft“. Unglaublich schön gesungen, perfekt gestaltet – und dabei stets im Dienst der Musik, keine Glasapfel-Gezierheiten, sondern irgendwie total „down to earth“, als gäbe es nichts Normaleres. Die erste Zugabe musste ich dann erstmal suchen, hatte sie nicht erkannt (sie ist wie die meisten Arien auf „Mozart Arias II“ zu hören, „Schon lacht der holde Frühling“ ist der Opener der ersten, „Martern“ und natürlich den Strauss gibt es auf den CDs nicht) – und dann eine Interpretation von Bartoli auf Youtube gesehen. Das sind zwei völlig andere Arten zu singen – und Bartoli berührt mich insgesamt sehr viel mehr. Doch im Repertoire des Abends war Mühlemann für meine Ohren schlicht perfekt.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12045093  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „gypsy“ : danke für Deinen Bericht, die Impressionen von/mit Regula Mühlemann gut vorstellbar ….

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    #12051681  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 21.04.2023

    Viva la mamma
    Le convenienze ed inconvenienze teatrali

    Dramma giocoso in einem Akt von Gaetano Donizetti (1797-1848)
    Libretto von Domenico Gilardoni, Neueinrichtung des Librettos und Textfassung von Stephan Teuwissen
    Mit einer Ouvertüre von Sebastian Androne-Nakanishi (*1989)

    Musikalische Leitung Adrian Kelly
    Inszenierung Mélanie Huber
    Bühnenbild Nora Johanna Gromer
    Kostüme Lena Hiebel
    Lichtgestaltung Hans-Rudolf Kunz
    Dramaturgie Fabio Dietsche

    Daria, die Primadonna Anna Aglatova
    Procolo, ihr Ehemann Pietro Spagnoli
    Mamma Agata, Luigias Mutter Ambrogio Maestri
    Luigia Deniz Uzun
    Guglielmo Andrew Owens
    La musica Adriana Bignagni Lesca
    Il maestro Aksel Daveyan
    Il poeta Stanislav Vorobyov
    Il direttore Amin Ahangaran
    Gaetano Fritz Fenne

    Musikkollegium Winterthur

    Vor einer Woche war ich auch noch in der Wiederaufnahme von „Viva La Mamma“, der vom Musikkollegium Winterthur und dem Opernhaus Zürich. Die Première in Winterthur war im Mai 2021, gegen Ende der Saison 2020/21, die Wiederaufnahme findet glaub ich in der Regel die folgende Saison in Zürich statt – mit dem Musikkollegium im Graben. Nach Winterthur bin ich für so eine Produktion noch nie, aber die Wiederaufnahmen in Zürich habe ich schon mehrfach gehört und genossen. Der relevante Unterschied scheint zu sein, dass für diese Produktionen der Chor nicht zum Einsatz kommt (das Musikkollegium verfügt über keinen) und dass es tendenziell ein etwas höherer Anteil an junge Sänger*innen – das waren diesmal aber nur Daveyan und Ahangaran. Rollendebuts gab es zahlreiche: ausser den zwei grad genannten (die allerdings 2020/21 soweit ich den Fotos im Programmheft, die von damals stammen, entnehmen kann, nicht dabei waren – vielleicht hat man da beim Druck auch einfach das entsprechende Symbol neben den Namen vergessen) und Fritz Fenne, der ebenfalls schon bei der Erstaufführung dieser Einrichtung den Gaetano (Donizetti) gab, waren alles Rollendebuts (und bei Aglatova, Lesca und Fenne auch Hausdebüts).

    Die Oper trägt eigentlich den Titel „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“ – Sitten und Unsitten des Theaters könne man übersetzen. Es dreht um eine Theaterprobe, Eitelkeiten, Pannen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Das Ziel: eine Oper aufzuführen. Doch der Poet hat das Libretto nicht fertig, der Maestro die Musik nicht bereit – natürlich geben sie sich gegenseitig die Schuld. Die Primadonna und ihr stets präsenter Ehemann üben sich in Eitelkeit, die zweite Dame möchte endlich proben, der Tenor will ein Duett, aber die Primadonna ist sich dafür natürlich zu fein … und dann ist da noch die „Theatermutter“, die alles über den Haufen wirft, sich nicht um die Konventionen am Theater schert.

    Die Idee für die Zürcher Neueinrichtung basiert u.a. auf dem Plan Donizettis aus dem Jahr 1845, die Oper neu einzurichten – als er schon schwer krank war (man geht von Syphilis aus). Stephan Teuwissens Bearbeitung fügt also die Figur des Gaetano hinzu, der hier den Part des Komponisten, der die Arbeit nicht abgeschlossen hat, übernimmt – und der gegen den Tod bzw. den Teufel ankämpft, um die Oper doch noch fertigzustellen. Mamma Agata – eine Rolle für einen Bariton, von Ambrogio Maestri genial verkörpert – wird so also zum Teufel, der sich in Absprache mit Gaetano ins Geschehen einmischt, dabei auch vorgibt, die Mutter von Luigia zu sein – und alles ziemlich aufmischt. Das ist nicht völlig beliebig, denn im Libretto gibt es mehrere Hinweise auf den „teuflischen“ Charakter der Figur (sie wird als „Teufelsmutter“ beschimpft und der Poet meint einmal, „der Teufel“ habe sich in die Proben eingeschlichen. Dialoge und Rezitative wurden gestrichen und durch neuen, deutsch gesprochenen Text ersetzt. Dazu wurden ein paar Arien ergänzt, u.a. für die Muse „Musica“ (die dritte Frau, im Original als Musico stumm als Parodie auf die aussterbende Gattung des Kastraten gedacht), die auch in dieser Wiederaufnahme von einer Sängerin of color gesungen wurde (2021 war’s Katia Ledoux). Diese Ebene des Jenseits, der Krankheit, der drohenden Höllenfahrt des Gaetano, gibt dem sonst gern als Klamauk wieder aufgegriffenen Stück eine abgründige Dimension, die auch da durchschimmert, wo Mamma Agata gegen Ende dei Desdemona-Arie aus Rossinis „Otello“ mit völlig anderem Text singt. Das Stück kann und darf natürlich auch als Kommentar auf die Diskussionen um Machtstrukturen und -gefälle an Theatern gelesen werden.

    Und wie war es denn musikalisch gesehen? Ein grosses Vergnügen aus einem Guss (ca. 1:45 Stunden lang ohne Pause), das nach der bewusst etwas überzeichneten, fast comicartigen Ouvertüre von Sebastian Androne-Nakanishi ein wenig brauchte, um in Fahrt zu kommen. Dadurch, dass immer wieder parodiert wurde, dass das Scheitern des Unterfangens thematisiert wird, gibt es zahlreiche Arien, die irgendwann im Nichts enden oder entgleisen – es muss also auch „hässlich“ gesungen werden. Das fiel Spagnoli sicherlich am leichtesten, der seine Rolle wirklich exzellent verkörperte. Jede der Figuren – auch das eine Eigenschaft der Stücke, die das Musikkollegium co-produziert, dünkt mich – hat ihren Auftritt, das ist Ensembletheater, in dem auch die Primadonna nichts zu dominieren hat – ihr Mann allerdings kriegt eine der grösseren Arien, ein gesungener Wutausbruch, in dem er die Ehre seiner Gattin zu verteidigen sucht. Der Tenor wiederum wird als ziemlich lächerliche, eitle und sich überschätzende Figur gezeigt – der abreist, bevor das Ensemble sich am Ende ganz aus dem Staub macht. Mamma Agata verspottet ihn: „Ah, rapa! Ah, stridua trombetta! Bestiaccia col calzone“ (Ah, Holzkopf! Ah, du kreischende Trompete! Du Rindvieh in Hosen!“). So geht es ziemlich derb zu und her – und doch gibt es immer wieder wahsinnig berührende, schöne Musik zu hören. Den Effekt verstärken die Einlegearien aus anderen Werken Donizettis noch. Es sind: „Mesci, mesci“, Brindisi aus „Il Campanello“; „Ah, tu mi vuoi“, Arie des Guglielmo aus „Le convenienze teatralzi“, „Per sua madre“, Arie des Pierotto aus „Linda di Chamonix“; und „Son leggero d’amore“, Arie des Gondi aus „Maria di Rohan“ – letztere, von der Musica gesungen, hält Gaetano für eine Arie des grossen Konkurrenten Rossini, den er noch im Sterben bewundert und verspottet – eine sehr berührendes Szene in diesem tumultuösen Stück.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12051683  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „gypsy“ : thnx ….

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    #12057867  | PERMALINK

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    Zürich, Opernhaus – 04.05.2023

    Roméo et Juliette
    Drame-lyrique in 5 Akten von Charles Gounod (1818-1893), Libretto von Jules Barbier und Michel Carré nach der Tragödie von William Shakespeare

    Musikalische Leitung Roberto Forés Veses
    Inszenierung Ted Huffman
    Bühnenbild Andrew Lieberman
    Kostüme Annemarie Woods
    Lichtgestaltung Franck Evin
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
    Choreografie Pim Veulings
    Dramaturgie Fabio Dietsche

    Juliette Julie Fuchs
    Roméo Benjamin Bernheim
    Frère Laurent Brent Michael Smith
    Le Comte Capulet David Soar
    Mercutio Yuriy Hadzetskyy
    Stéphano Svetlina Stoyanova
    Tybalt Omer Kobiljak
    Gertrude Katia Ledoux
    Le Duc de Vérone Valeriy Murga
    Le Comte Paris Andrew Moore
    Gregorio Jungrae Noah Kim
    Benvolio Maximilian Lawrie

    Tänzerinnen und Tänzer Alison Duarte, Maarten Krielen, Davide Pillera, Roberto Tallarigo, Sina Friedli, Elena Paltracca, Alice White, Oriana Zeoli
    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Nach Regula Mühlemann und Sabine Devieilhe das nächste Gesangs-Highlight vorgestern in der Oper – mit dem Titelpaar Benjamin Bernheim und Julie Fuchs ins Gounods „Roméo et Juliette“. Ich möchte tatsächlich Bernheim an erster Stelle nennen, den ich nach einem gemeinsamen Liederabend mit Devieilhe im Jahr 2020 und im Juni 2022 in einer pandemischen Lucia di Lammermoor (auf die erste Gelegenheit, Lisette Oropesa live zu hören, warte ich weiter). Bernheim hat mich als Roméo wirklich umgehauen, seine Stimme biegsam und leicht, auch in den lauten Passagen ohne Härte – perfekt fürs französische Idiom, die wunderbare Musik von Gounod mit all ihren Bläsereinsätzen, den vielen Harfentupfern etc. Julie Fuchs ist in Zürich vielleicht neben Bartoli sein ein paar Jahren die beliebteste Sängerin. Mich hat sie nicht immer gleichermassen überzeugt (ich habe sie glaub ich zum sechsten Mal gehört, aber seit Dezember 2019 nicht mehr), doch an einem guten Abend ist auch sie umwerfend. Ihre Bühnenpräsenz ist beeindruckend, und ihr Gesang war es vorgestern ebenfalls: wie gesagt, ein perfektes Titelpaar.

    Die meisten anderen Rollen verblassten daneben ein wenig, den grossen Auftritt von Svetlina Stoyanova in der Hosenrolle des Stéphano fand ich allerdings umwerfend, und auch Katia Ledoux gefiel sehr. Dass die anderen Figuren etwas flach herauskamen, hatte aber auch viel mit der flachen Inszenierung zu tun (die Niederlande sind gebirgig im Vergleich). Die Idee dahinter war, dass Huffman das Stück als eine Art Cotillion inszenierte, auf leerer Bühne, mit durchaus schönen Einlagen der Tänzer*innen und stark auftretendem Chor – und nicht auseinanderhaltbaren Clans, was ich eine durchaus gute Idee finde. Allerdings wirkte das auf Dauer irgendwie alles ziemlich beliebig (ähnliche Kritik an der missglückten Figurenführung äusserte ich ja neulich auch bei Roberto Devereux, wo ich – weil letzter Teil einer bis dahin hervorragenden Trilogie – ziemlich enttäuscht war). Da liefen halt ein paar Leute durch den leeren, mal ganz tiefen, mal durch nach vorn geschobene Wände verkürzten Bühnenraum, und gingen dann halt auch wieder.

    Gesang und Orchester waren allerdings klasse – den Dirigenten kenne ich überhaupt nicht, aber er wusste eindeutig, was er tat. Und die Duette, aus denen die Oper – die ja eh keine richtige Handlungsentwicklung durchmacht – eigentlich erst entsteht, waren eins ums andere grossartig. Gerade bei dem so sprunghaften Handlungsablauf, hätte ich mir halt vorgestellt, dass auf der Bühne vielleicht richtig schöne Tableaux entstehen könnten … aber dafür reichte es (eben: ähnlich wie bei „Roberto Devereux“) nicht so wirklich. Schade, aber praktisch ausverkauft waren die vielen Vorstellungen dank Fuchs und Bernheim auch so (es gibt noch deren drei, sieben sind vorbei – und das sind um die 1-4 Aufführungen mehr als sonst üblich).

    Brugg, Zimmermannhaus Kunst & Musik – 05.05.2023

    Trio Rafale
    Maki Wiederkehr
    Klavier
    Daniel Meller Violine
    Flurin Cuonz Violoncello

    ROBERT SCHUMANN (1810–1856)
    Klaviertrio Nr. 1 d-Moll Op. 63
    Klaviertrio Nr. 2 F-Dur Op. 80
    Klaviertrio Nr. 3 g-Moll Op. 110

    Gestern ging’s dann nach Brugg (ca. 40 Minuten Zugfahrt mit der S-Bahn von Zürich aus), wo das mir bisher nicht bekannte Trio Rafale gleich alle drei Klaviertrios von Schumann aufführte. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, denn im Gegensatz Schubert, Mendelssohn, Ravel und ein paar weiteren scheinen die Trios von Schumann leider nur selten Eingang in die Konzertprogramme zu finden. Das war ein irrer Trip, diese drei in recht rascher Abfolge entstandenen und doch so unterschiedlichen Trios am Stück hören zu können (es gab auch nach dem ersten schon eine kleine Pause, aber ohne dass das Publikum den Saal verliess). Bei Nr. 1 hatte ich – logischerweise, da gibt es ja die meisten Einspielungen (auch von Cortot/Thibaud/Casals, Fischer/Schneiderhan/Mainardi), Rubinstein/Szeryng/Fournier, Gilels/Kogan/Rostropovich, dem Oistrach Trio etc., nicht bloss von Schumann-Spezialist*innen) – die grössten Wiedererkennungseffekt, merkte wie vertraut mir das gesamte Werk inzwischen ist. Bei Nr. 2 war ich dann besonders von den beiden langsamen Mittelsätzen hin und weg. Und Nr. 3 ist so ein krasses Werk, das mit einem seltsamen (teils wohl nachträglich eingebauten, aufgepropften) Humor seine dunkle Abgründigkeit nur notdürftig zu kaschieren sucht. Diese Linie vom einigermassen hellen Auftakt in die Düsterkeit des dritten Trios faszinierte mich enorm.

    Die Spielweise des Trio Rafale gefiel mir dabei ganz hervorragend. Vielleicht lag’s auch ein wenig am Bösendorfer – und am kleineren Raum sicherlich – dass das intimer und freier wirkte, als der umjubelte Auftritt des Oliver Schnyder Trio im März in der Tonhalle (damals gab’s Mendelssohn und Schubert, auf CD habe ich vom Schnyder Trio Beethoven und Schubert; vom Trio Rafale gibt es Schubert ebenfalls, aber da würde mich wohl eher mal eine der anderen Einspielungen interessieren). Auf jeden Fall fand ich das Zusammenspiel sehr überzeugend. Wenn es im einen Augenblick symbiotisch wirkte, so klang es im nächsten dialogisch, sich ergänzend – und wirkte dabei gerade in den stilleren Passagen immer wieder spontan, fast so, als würde die Musik just in diesem Augenblick überhaupt erst entstehen. Dazu musste nicht demonstrativ gemeinsam geatmet werden, sich angegrinst schon gar nicht: im Gegenteil, die Blicke der drei waren konzentriert, verrieten den enormen Fokus, den diese Stücke verlangen. Dass dabei auch die klangliche Gestaltung vor allem bei den Bläsern sehr breit ausfiel, auch brüchige oder knarzende Töne ihren Platz fanden, gefiel mir sehr. Umwerfend!

    PS: Die Location ist vielleicht noch erwähnenswert: ein stattliches Lager-, Geschäfts- und Wohnhaus, das ein Kaufmann und Baumwollfabrikant namens Johann Kaspar Zimmermann 1805 errichten liess. Es wurde vor einigen Jahrzehnten entkernt und beherbergt seit den Achtzigerjahren in den unteren Geschossen die Stadtbibliothek sowie Ausstellungsräume, die Konzerte finden im Dachstock statt, der für knapp hundert Leute Platz bietet.

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    soulpope
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    (Photographie : Dieter Nagl)

    https://www.wienerphilharmoniker.at/en/konzerte/9th-subscription-concert/10265/

    Die Geschichte des Konzertes in aller Kürze : Das Entre mit Janacek  gelungen .. das 3tte KK von Prokofiev bei mir doppelt belastet aka mein generelles Problem mit den Klavierkonzerten und meine Ambivalenz zu Daniil Trifonov – beide Problemstellungen bleiben für mich ungelöst, das Restpublikum war begeistert .. schliesslich eine famose Shostakovich 5, welche seitens Jakob Hrusa ungemein expressiv angelegt wurde und die Wiener Faserschmeichler dabei sowohl in den elegischen Teilen als auch im „realstaatlichen“ Bombast brillierten …. sehr beeindruckend ….

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    gypsy-tail-wind
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    Prokofiev 3 … hatte ich mit Yuja Wang und den Berlinern unter Petrenko ja mal in Luzern gehört – komme an Prokofiev so ganz allgemein eher schwer ran bisher (die Klaviermusik ist tatsächlich die Ausnahme, aber das ist halt auch ein Fach, das mir wirklich lieb ist). Von Trifonov habe ich lange nichts mehr angehört. Aber schön, dass die zweite Hälfte das dann rausgerissen hat!

    Hier heute Abend Sokolov – mit einem überraschend kurz gehaltenen Programm (für die erste Hälfte mit Purcell werden Programmheft 38 Minuten geschätzt, für KV 333 nach der Pause sind’s nochmal 30 Minuten. Die Zugaben werden jetzt wohl in die „Normaldauer“ (ca. 2 Stunden inkl. Pause) miteingeplant? Oder ist bekannt, dass er kürzer treten muss oder so? Hoffentlich nicht!

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    #12062879  | PERMALINK

    soulpope
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    gypsy-tail-wind … Hier heute Abend Sokolov – mit einem überraschend kurz gehaltenen Programm (für die erste Hälfte mit Purcell werden Programmheft 38 Minuten geschätzt, für KV 333 nach der Pause sind’s nochmal 30 Minuten. Die Zugaben werden jetzt wohl in die „Normaldauer“ (ca. 2 Stunden inkl. Pause) miteingeplant? Oder ist bekannt, dass er kürzer treten muss oder so? Hoffentlich nicht!

    Habe nix von gesundheitlichen Einschränkungen gehört …. aber man weiß nie, ergo carpe diem ….

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    #12062891  | PERMALINK

    gruenschnabel

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    gypsy-tail-wind
    Hier heute Abend Sokolov – mit einem überraschend kurz gehaltenen Programm (für die erste Hälfte mit Purcell werden Programmheft 38 Minuten geschätzt, für KV 333 nach der Pause sind’s nochmal 30 Minuten. Die Zugaben werden jetzt wohl in die „Normaldauer“ (ca. 2 Stunden inkl. Pause) miteingeplant? Oder ist bekannt, dass er kürzer treten muss oder so? Hoffentlich nicht!

    In Hamburg (28.04.) hat er vor der Pause laut Programmheft ca. 35 Minuten Purcell gespielt und nach der Pause nicht nur KV 333 (ca. 31 Min.), sondern auch noch das wunderbare h-Moll Adagio (ca. 13 Minuten), sodass es in etwa 80 Minuten Spielzeit gewesen sein müssen. Danach kamen allerdings noch 6 Zugaben. Ich meine mich zu erinnern, dass ich danach draußen vor der Halle auf die Uhr geschaut habe und es mit Pause ungefähr 2 Stunden gewesen sein müssen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es jetzt irgendwie zu kurz war. Und auch sonst sah oder hörte ich keinen Grund, über seine Verfassung nachzudenken. Er schlurfte zwischen Bühnentür und Flügel hin und her und spielte außerordentlich gut. :-)

    Wünsche dir einen tollen Konzertabend!

    zuletzt geändert von gruenschnabel

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    #12062921  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Kleine Tonhalle – 07.05.2023 – Kosmos Kammermusik

    Made In Berlin
    Ray Chen Violine
    Noah Bendix-Balgley Violine
    Amihai Grosz Viola
    Stephan Koncz Violoncello

    HUGO WOLF: «Italienische Serenade» G-Dur für Streichquartett
    WOLFGANG AMADEUS MOZART: Adagio und Fuge c-Moll KV 546
    EUGÈNE YSAÿE: 1. Satz aus der Sonate a-Moll für 2 Violinen op. post.
    JEAN FRANçAIX: Streichtrio
    MAURICE RAVEL: Streichquartett F-Dur

    Ein paar schnelle Zeilen nur … ich hatte schon erwähnt, dass das Kammermusikkonzert von Made in Berlin super war. Es dauerte am Ende – dank ein paar Ansagen von Chen und Bendix-Balgley sowie zwei Zugaben fast zwei Stunden ohne Pause. Nur vor Ravel blieben die Musiker einen Moment länger hinter der Bühne, um sich vor dem Abschluss nochmal zu sammeln. Bei Wolf, Mozart und Ysaÿe sass Chen am ersten Pult (bei Ysaÿe pausierten Grosz und Koncz natürlich), im Trio von Françaix fehlte er dann und bei Ravel spielte er wenn mich nicht alles täuscht die zweite Geige, in den beiden Zugaben dann wieder die erste. Da gab’s zwei Arrangements von Koncz, zuerst eins von Erik Saties bekanntesten Stücken (die erste Gymnopédie wohl, aber ich hab’s nicht nachgeprüft) und danach „Waltzing Matilda“, wozu Chen erwähnte, dass er in Australien aufgewachsen sei. Die beiden Geiger erzählten auch, wie sie sich beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel kennengelernt hätten – einerseits Konkurrenten aber bald auch Freunde geworden seien. Ich lese im Netz die Schlagzeile zu einer Rezension ein paar Tage später in Hamburg: „Die Stimmung war ungewöhnlich entspannt – mit Luft nach oben.“ Ersteres kann ich für Zürich bestätigen – doch hatte ich nie den Eindruck, dass deshalb die Konzentration, der Fokus gelitten hätte. Der Einstieg mit Wolf war wuchtig aber auch elegisch, das folgende Mozartstück haut mich in der Streiquartett-Version glaube ich noch mehr weg denn in der Streichorchester-Fassung: wie er die alte Form der Fuge aufgreift und dabei alles immer stärker chromatisch auffächert, darunter dieser fast stampfende Groove – wie gesagt: haut mich weg, dieses Stück! Mit Ysaÿe wurde es dann verdichtet, höchst konzentriert im Zwiegespräch – und ich fand es sehr bedauerlich, dass nur der erste Satz der Sonate erklang. Danach zog Chen sich erstmal zurück, das Françaix-Stück wenigstens so sanglich wie die Serenade von Wolf, ein verschmitztes Spiel mit einem altmodischen Touch, allerdings enorm charmant. Ravels Quartett bot danach eine Rückkehr zur Ernsthaftigkeit und einen durchaus krönenden Abschluss. Dass die vier nicht das eingespielteste Quartett unter der Sonne sind, ist ja selbstredend klar (Chen reist als Solist herum, die anderen drei sind Stimmführer bei den Berliner Philharmonikern, wenn diese verkürzte Beschreibung gestattet ist) – und dass vielleicht grad Ravel von einem anderen Streichquartett noch fokussierter gespielt werden kann: gekauft. Doch wurde mit Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit zusammen musiziert, Chen tat sich in keinem Moment (ausser in den Ansagen vielleicht) als der grosse Star hervor, das waren vier auf Augenhöhe, die ein feines Konzert gaben. Riesiger Applaus, zwei Zugaben, und auch diese ein Genuss. Chen sagte beide an und meinte, auf die Stuck-Zierfassaden der kleinen Tonhalle weisend, wo ein paar Komponisten verewigt sind, dass Koncz vielleicht dereinst auch dort landen könnte. Die Arrangements gefielen mir jedenfalls beide sehr, aber das war dann wieder eher die leichte Muse. Das Arrangement von Waltzing Matilda gibt’s auch auf der CD des Ensembles und von da in der Tube:

    Basel, Stadtcasino – 08.05.2023 – Geheimnis des Augenblicks

    Kammerorchester Basel
    Heinz Holliger
    Leitung
    Dmitry Smirnov Violine

    HENRI DUTILLEUX: Mystère de l’instant
    ÉDOUARD LALO: Konzert für Violine und Orchester Nr. 4 Op. 29 «Concerto Russe»

    ROBERT SCHUMANN: Sinfonie Nr. 2 in C-Dur Op. 61

    Am Montag ging es dann zum Abschluss der Hauptkonzertreihe des Kammerorchesters Basel ins dortige Stadtcasino, wo Dmitry Smirnov, 1994 in St. Petersburg geboren, mit Heinz Holliger das vierte Violinkonzert von Édouard Lalo spielte. Dass Holliger bei der Einführung über Smirnov und vor allem auch über Dutilleux, Lalo und seinen Seelenverwandten Schumann sprach, hatte ich erwähnt, auch dass zum Konzertbeginn bei der Begrüssung durch den Direktor des KOB inkl. kurzem Gespräch mit Smirnov, ein erboster Herr aus der dritten oder vierten Reihe aufstand und sich beschwerte, weil er Smirnovs Antworten in Englisch nicht verstehen konnte, sie sollen jetzt aufhören und endlich zu spielen anfangen. Smirnov hat nach den ersten Schritten in Petersburg seine Studien in Lausanne (Pavel Vernikov) und Basel (Rainer Schmidt) fortgesetzt und ist in der Schweiz wie es scheint schon länger recht aktiv (Haydn 2032 mit Antonini und dem KOB, mit Holliger bei den „Swiss Chamber Concerts“, bei Sol Gabettas SOLsberg Festival, seit 2018 auch als Leiter seiner „Camerata Rhein“ in Basel – aber mir sagte er nicht mal dem Namen nach etwas. Doch auf Holligers Geschmack ist wohl nach wie vor Verlass – er beschwerte sich auch laut darüber, dass Smirnov 2021 beim ARD Wettbewerb in München nur den zweiten Preis erhielt – und bezog sich auf ein ihm bekanntes Jury-Mitglied: es hätte da einen Bruch gegeben, die Mehrheit habe dann einen brav und korrekt spielenden Japaner statt des – er zögerte kurz, aber sprach es dann aus: – genialischen Smirnov den Hauptpreis gekriegt habe.

    Was an Smirnov so toll war, war wenig später zu erleben. Doch zuerst gab es Dutilleux‘ viertelstündiges „Mystère de l’instant“. Zeremonie, Magie, Annäherung an ein „Mysterium“ – solche Dinge stehen im Programmheft (teils als Dutilleux-Zitat), die Frage, welche von den unzähligen im Kopf herumschwirrenden Ideen am Ende aufs Papier fänden, warum es gerade jene seien? Und dann, dass Dutilleux dieses Warum nie endgültig ergründen wollte, dass er statt mit einem Plan eben mit einer Folge von Ideen gearbeitet habe, an denen etwas Rätselhaftes haften bleibe. Zehn solche Idee mit Überschriften wie „Rufe“, „Echos“, „Prismen“, „Litanien“ oder „Gemunkel“ finden sich in den „Mystères“, die er für Paul Sacher komponiert hat (der es 1989 mit dem KOB, das damals noch kein mehrheitlich selbsttragendes Orchester war: Sacher (1906-1999) hatte das KOB 1926 gegründet und bis 1986 geleitet, zwei Jahre später gründete er den Basler Kammerchor, 1933 die Schola Cantorum Basiliensis (die 1954 mit Musikschule und Konservatorium Basel zur Musik-Akademie der Stadt Basel vereinigt wurde, die Sacher bis 1969 leitete; 1941 gründete er zudem das Collegium Musicum Zürich (CMZ), das er ebenfalls bis 1992 leitet … daneben bzw. hauptsächlich, zumindest im Hinblick auf die Tatsache, dass er bei seinem Tod der reichste Schweizer war, stand er von den Dreissigern an über sechs Jahrzehnte an der Spitze des Pharma-Konzerns Hoffman-La Roche – seine Frau war eine Hoffmann, die Tochter des Firmengründers. Eine ambivalente Mixtur von Reichtum (den es nie ohne Opfer an anderer Stelle gibt, von der Überzeugung wird mich in diesem Leben niemand mehr abbringen), Mäzenatentum, Patronismus der alten Schule (die gerne so tut, als sei die besser – aber am Ende sind das einfach die Neureichen von vorvorgestern).

    Das tut aber alles wenig zur Sache, verdeutlicht aber – weil Sacher als Mäzen und Auftraggeber ganz vieler faszinierender Musikwerke bekannt ist – warum Basel in vielerlei Hinsicht ein kulturelles Zentrum ist, wie Zürich es nie wurde (da mögen die Standortvermarkter*innen noch so ein Gebrüll machen). Dass das Kammerorchester dieses Erbe aus vergangenen Zeiten weiter pflegt, kommt zumindest in Sachen Repertoire auch dem Publikum zu gute, im Januar stand ja auch das Doppelkonzert von Martinu auf dem Programm, das wohl ohne Sacher ebenfalls nicht existieren würde.

    Nach dem überaus faszinierenden Auftakt mit Dutilleux kam also Smirnov wieder nach vorn – immer noch in legeren Aufmachung wie zu Beginn. Lalos Konzert fand ich sowohl vom Werk wie von der Interpretation her umwerfend. Ein ziemlich grosses Ding (Konzertende 21:15 stand im Programmheft, was mir mit Beginn 19:30 schon etwas knapp berechnet schien, aber nach zwei Zugaben war um die Zeit erst Pause und ich kam – wegen technischer Probleme der Bahn – am Ende erst nach Mitternacht daheim an) mit vier Sätzen, in die Melodien russischer Volkslieder eingearbeitet sind. Die Anregung dazu kam von Pablo de Sarasate, dem Widmungsträger, der dann 1879 die Uraufführung aber nicht spielen sollte. Lalo war bereits über fünfzig und wenig an der Oper interessiert, jenem Genre, nachdem das Publikum in Paris gierte, als er 1875 mit der „Symphonie espagnole“ endlich einen grossen Erfolg verbuchen konnte – ein verkapptes Violinkonzert, das Sarasate gewidmet ist. Er bat Lalo folglich um mehr davon, regte an, dass die Pariser*innen mit exotischem Flair erneut gewonnen werden könnten. Lalo komponierte eine „Fantaisie norvégienne“ und eben das „Concerto russe“ von 1879. Dafür bediente er sich bei der von Rimsky-Korsakov zusammengetragenen und harmonisierten Sammlung von hundert russischen Volksliedern, fügte besonders zwei Hochzeitsgesänge ein, in den langsamen zweiten und in das Vivace im vierten Satz. Melancholisch und verschattet ist das Konzert, dann wieder fröhlich, markant synkopische Rhythmen erinnern an an Volkstänze, wuchtige Klangblöcke stehen neben ganz zarten Passagen. In einem Brief an Sarasate meinte Lalo kurz nach der Uraufführung im Herbst 1880, das Konzert verzaubere durch seine „Herbheit und Melancholie“. Das passt sehr gut – und wenn es von so kongenialen Partnern wie Smirnov, dem KOB (bei dem Smirnov vor ein paar Jahren, als schon Pandemie war, auch ein Orchesterpraktikum absolviert hatte) und dem grossen Heinz Holliger aufgeführt wird, ist das wirklich eine Sternstunde (die auch – zusammen mit Lalos erstem Violinkonzert, gerade beim Label Prospero auf CD erschienen ist … werde ich natürlich beim Vertrieb holen, wenn ich dort das nächste Mal vorbeischaue). Als erste Zugabe spielte Smirnov dann ein Stück von Holliger, und als das immer noch nicht genug war, kehrte er erneut zurück und legte ein hochvirtuoses zweites Stück nach, das wohl aus dem 20. Jahrhundert stammen dürfte – aber ich habe leider keine Idee, was es war.

    Dann nach fast 90 Minuten Pause – und danach Schumann. In der Einleitung hat Holliger seine Einspielungen erwähnt (WDR Sinfonierchester, audite) – und meinte, bei der Probearbeit mit dem KOB habe er gemerkt, wie anders diese Werke mit einer kleinen Besetzung, mit den knatternden Naturhörnern usw. klingen würde. Und in der Tat: das war eine unglaublich mitreissende Aufführung. Ein wahnsinnig tolles Konzert – dass die Heimreise danach fast zweieinhalb Stunden dauerte, war eigentlich gar nicht unwillkommen, denn das gab Zeit, das Gehörte einsickern zu lassen.

    Beim Konzert unten habe ich nicht zu photographieren versucht, drum hier nochmal Smirnov und Holliger mit dem Kammerorchester Basel:

    Zürich, Tonhalle – 11.05.2023

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Philippe Herreweghe
    Leitung
    Isabelle Faust Violine

    JOHANNES BRAHMS: Violinkonzert D-Dur op. 77

    LUDWIG VAN BEETHOVEN: Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

    Und gerade so genial war mein jüngstes Konzert beim Tonhalle-Orchester: Isabelle Faust spielte das Violinkonzert von Brahms, nach der Pause gab es die Siebte von Beethoven. Zwei grandiose Werke also, mit einer umwerfenden Solistin und einem Dirigenten, der das Orchester so richtig aus der Reserve lockte. Einfallsreich programmiert war das natürlich nicht, fast erstaunlich, dass beide Stücke seit 2019 nicht aufgeführt worden sind: Janine Jansen mit Zinman im Juni bzw. Zinman im September 2019 – beide Konzerte hörte ich nicht (ich glaube nicht, dass ich nochmal zu Zinman gehen werde, falls er wieder kommt; gerade musste er absagen, aber ich hatte vor ein paar Jahren – Herbst 2018 glaub ich? – schon den Eindruck, dass nicht mehr alles funktionierte, egal wie gern ihn das Orchester weiterhin hat). Herreweghe und Faust hörte ich im Herbst 2019 auch bereits mit dem Tonhalle-Orchester, damals gab’s das Violinkonzert von Beethoven und – die zweite Symphonie von Schumann. Also auch da schon komplett auf Standardrepetoire getrimmt. Davon gibt es mir in der Tonhalle ja eh eher zuviel, aber ich bin sehr froh, war ich am Donnerstag dort.

    Zum Einstieg gab es eine Stunde davor bei der Zusammen mit der Hochschule der Künste programmierten Reihe „Surprise“ in der kleinen Tonhalle eine Prätiose zu hören:

    IWAN KNORR: Ukrainische Liebeslieder für Vokalquartett und Klavierbegleitung op. 5

    mit: Anna Ginström, Sopran; Salome Cavegn, Alt; Yves Ehrsam, Tenor; Guilherme Roberto, Bass; Fidelia Jiang/Daniela Baumann, Klavier

    Ein Zyklus aus neun Liedern (nach dem fünften wechselten die Pianist*innen, die andere blätterte jeweils die Noten), bei dem der Tenor besonders viel zu tun hatte (der Bass dafür nur im Ensemble auftritt). Das ist nun nicht mein Fachgebiet, doch wenn mir Kenner der Materie erklären, dass die Komposition durchaus auf dem Niveau der „Liebeslieder-Walzer“ von Knorrs Förderer Brahms stünde, dann habe ich daran keine Zweifel. Iwan Knorr lebte von 1853 bis 1916, sein Vater war von Riga nach Leipzig übergesiedelt, der Sohn studierte dort u.a. bei Ignaz Moscheles und Carl Reinecke. 1874 wurde er Musiklehrer am Kaiserlichen Dameninstitut in Charkow – und das führte zur Aufführung in Zürich, denn in dieser Saison werden bei den „Surprises“ ausschliesslich Werke mit einem Bezug zur Ukraine aufgeführt (das hier war die letzte der Saison und die einzige, zu der ich es geschafft habe – hatte ja neulich drüben erzählt, dass die meist nicht an den Abenden stattfinden, an denen ich in die Tonhalle gehe, und Zutritt hat man eben nur mit einer Karte für den betreffenden Abend, nicht auch mit einer vom vorhergehenden oder folgenden). Die Aufführung ist insgesamt sicherlich gelungen, auch wenn die vier junge Sänger*innen noch etwas zu lernen haben. Der Tenor gab sich manchmal gar heldenhaft, sonnte sich in seiner jugendlichen Stimmpotenz – dabei glückte die Intonation nicht immer so gut, wie das möglich wäre. Der Zusammenklang der vier Stimmen war denn auch nicht perfekt (was aber keineswegs nur mit dem Tenor zu tun hatte, er hatte halt so viel solistische Passagen, dass er am exponiertesten war). Aber auf jeden Fall interessant und eine Entdeckung für mich!

    Danach etwas die Füsse in den Bauch stehen im Foyer und warten, bis es weiter geht … und wie! Wie Faust das Konzert von Brahms interpretierte, hat mich wirklich umgehauen und wahnsinnig berührt. Das war so intensiv, so wunderbar gespielt, so tief gefühlt – wirklich grossartig! Eine Zugabe brauchte es danach nicht, was ich völlig richtig fand – warum es keine stehende Ovation gab, weiss der Geier, die verdammte zwinglianische Zurückhaltung wohl. Das Orchester war mittelgross besetzt (die Streicher, wenn ich das richtig erkennen konnte: 10-10-6-6-5 – also vergleichsweise „bass heavy“), die Aufstellung natürlich wie in Basel auch immer mit den zweiten Geigen rechts vorn die Celli links-mittig, dahinter die Bässe, rechts-mittig die Bratschen (die Aufstellung der Bratschen, Celli und Bässe variiert in der Tonhalle wohl je nach Vorliebe des jeweiligen Dirigenten (Frauen sind leider nach wie vor extrem selten zu Gast, nur die umwerfende Alondra de la Parra fällt mir spontan ein – dafür fiel mir beim Betrachten der Fotos der Wiener Philharmoniker schon auf, wie dort das Geschlechterverhältnis nach wie vor total schief ist, das ist in Zürich wie in Basel längst ganz anders – mit Ausnahme von Kontrabässen, Hörnern, Blechbläsern und Schlagzeugern, da sind die Frauen auch noch sehr dünn gesägt bis nicht vorhanden).

    Mit Faust oder ohne Faust: das Orchester spielte mit einer Aufmerksamkeit und einer Konzentriertheit, die noch in der leisesten Passage zu einer immensen Spannung führte. Die übertrug sich auf das Publikum und schien den Saal förmlich dazu zu bringen, die Luft anzuhalten (es wurde tatsächlich bei Faust nicht, bei Beethoven nur ganz wenig gehustet). Auch in der Beethoven-Symphonie – was für ein geniales Ding sie doch ist, diese Siebte! – gab es eine immense Palette an Farben, die Dynamik wurde voll ausgeschöpft, es gab die leisesten Passagen, in denen die Luft zu flirren schien, aber eben auch die grossen Einsätze der Pauke, die schroffen Fortissimi. Sie gaben unter dem schrulligen Herreweghe am Pult wieder einmal alles, die Musiker*innen des Tonhalle-Orchesters. Und das ist wirklich nicht wenig! Auch das ein grossartiges Konzert!

    Und gleich geht es ins Rezital von Grigory Sokolov (Stücke von Purcell und KV 333) und damit beginnt ein Klavierschwerpunkt, der sich kommenden Samstag und Sonntag dann in Luzern mit Fred Hersch, Igor Levit, Johanna Summer und Anna Vinnitskaya fortsetzen wird. Dazwischen gibt es noch ein Marthaler/Gluck-Intermezzo – mit der Wiederaufnahme der 2021 ohne Publikum als Stream aufgeführten Inszenierung von „Orphée et Eurydice“ (weshalb ich nicht länger nach Luzern kann und Hersch im Trio sowie das Rezital von Igor Levit verpasse – diesen höre ich nur im Schlusskonzert mit einem seiner Schüler sowie Hersch und Summer).

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    gypsy-tail-wind
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    gypsy-tail-wind … Hier heute Abend Sokolov – mit einem überraschend kurz gehaltenen Programm (für die erste Hälfte mit Purcell werden Programmheft 38 Minuten geschätzt, für KV 333 nach der Pause sind’s nochmal 30 Minuten. Die Zugaben werden jetzt wohl in die „Normaldauer“ (ca. 2 Stunden inkl. Pause) miteingeplant? Oder ist bekannt, dass er kürzer treten muss oder so? Hoffentlich nicht!

    Habe nix von gesundheitlichen Einschränkungen gehört …. aber man weiß nie, ergo carpe diem ….

    Danke!

    gruenschnabel

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    Hier heute Abend Sokolov – mit einem überraschend kurz gehaltenen Programm (für die erste Hälfte mit Purcell werden Programmheft 38 Minuten geschätzt, für KV 333 nach der Pause sind’s nochmal 30 Minuten. Die Zugaben werden jetzt wohl in die „Normaldauer“ (ca. 2 Stunden inkl. Pause) miteingeplant? Oder ist bekannt, dass er kürzer treten muss oder so? Hoffentlich nicht!

    In Hamburg (28.04.) hat er vor der Pause laut Programmheft ca. 35 Minuten Purcell gespielt und nach der Pause nicht nur KV 333 (ca. 31 Min.), sondern auch noch das wunderbare h-Moll Adagio (ca. 13 Minuten), sodass es in etwa 80 Minuten Spielzeit gewesen sein müssen. Danach kamen allerdings noch 6 Zugaben. Ich meine mich zu erinnern, dass ich danach draußen vor der Halle auf die Uhr geschaut habe und es mit Pause ungefähr 2 Stunden gewesen sein müssen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es jetzt irgendwie zu kurz war. Und auch sonst sah oder hörte ich keinen Grund, über seine Verfassung nachzudenken. Er schlurfte zwischen Bühnentür und Flügel hin und her und spielte außerordentlich gut.
    Wünsche dir einen tollen Konzertabend!

    Danke! Und ja, die 5-6 Zugaben sind ja quasi das dritte Set und gehören bei ihm fix dazu … bloss dauerten die bisher gehörten Konzerte (vier, fünf?) eben jeweils eher zweieinhalb bis fast drei Stunden, inklusive die Zugaben (also 120 Minuten inkl. Pause aber ohne Zugabe). Und ja, das Adagio h-Moll KV 540 hatte ich unterschlagen/übersehen – aber das ist in den 30 Minuten schon eingerechnet, da ist wohl die Zeitangabe etwas zu optimistisch (eher für Gould als für Sokolov?). Mit Mozart höre ich ihn glaub ich schon zum dritten Mal heute? Muss mal zusammensuchen, was er bisher alles spielte (bei meinem ersten Konzert im Herbst 2012 in Luxembourg gab’s Rameau, KV 310 und die Hammerklavier, einmal gab’s Sonaten von Mozart und Beethoven, einmal Brahms zusammen mit … einmal Haydn mit … – eins der beiden Male Schubert, denke ich … oder war das noch ein Konzert mehrt? Zum Glück schreib ich hier fast immer was, dann kann ich das auch später wieder nachschauen ;-) )

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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