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Zürich, Opernhaus – 04.05.2023
Roméo et Juliette
Drame-lyrique in 5 Akten von Charles Gounod (1818-1893), Libretto von Jules Barbier und Michel Carré nach der Tragödie von William Shakespeare
Musikalische Leitung Roberto Forés Veses
Inszenierung Ted Huffman
Bühnenbild Andrew Lieberman
Kostüme Annemarie Woods
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Choreografie Pim Veulings
Dramaturgie Fabio Dietsche
Juliette Julie Fuchs
Roméo Benjamin Bernheim
Frère Laurent Brent Michael Smith
Le Comte Capulet David Soar
Mercutio Yuriy Hadzetskyy
Stéphano Svetlina Stoyanova
Tybalt Omer Kobiljak
Gertrude Katia Ledoux
Le Duc de Vérone Valeriy Murga
Le Comte Paris Andrew Moore
Gregorio Jungrae Noah Kim
Benvolio Maximilian Lawrie
Tänzerinnen und Tänzer Alison Duarte, Maarten Krielen, Davide Pillera, Roberto Tallarigo, Sina Friedli, Elena Paltracca, Alice White, Oriana Zeoli
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Nach Regula Mühlemann und Sabine Devieilhe das nächste Gesangs-Highlight vorgestern in der Oper – mit dem Titelpaar Benjamin Bernheim und Julie Fuchs ins Gounods „Roméo et Juliette“. Ich möchte tatsächlich Bernheim an erster Stelle nennen, den ich nach einem gemeinsamen Liederabend mit Devieilhe im Jahr 2020 und im Juni 2022 in einer pandemischen Lucia di Lammermoor (auf die erste Gelegenheit, Lisette Oropesa live zu hören, warte ich weiter). Bernheim hat mich als Roméo wirklich umgehauen, seine Stimme biegsam und leicht, auch in den lauten Passagen ohne Härte – perfekt fürs französische Idiom, die wunderbare Musik von Gounod mit all ihren Bläsereinsätzen, den vielen Harfentupfern etc. Julie Fuchs ist in Zürich vielleicht neben Bartoli sein ein paar Jahren die beliebteste Sängerin. Mich hat sie nicht immer gleichermassen überzeugt (ich habe sie glaub ich zum sechsten Mal gehört, aber seit Dezember 2019 nicht mehr), doch an einem guten Abend ist auch sie umwerfend. Ihre Bühnenpräsenz ist beeindruckend, und ihr Gesang war es vorgestern ebenfalls: wie gesagt, ein perfektes Titelpaar.
Die meisten anderen Rollen verblassten daneben ein wenig, den grossen Auftritt von Svetlina Stoyanova in der Hosenrolle des Stéphano fand ich allerdings umwerfend, und auch Katia Ledoux gefiel sehr. Dass die anderen Figuren etwas flach herauskamen, hatte aber auch viel mit der flachen Inszenierung zu tun (die Niederlande sind gebirgig im Vergleich). Die Idee dahinter war, dass Huffman das Stück als eine Art Cotillion inszenierte, auf leerer Bühne, mit durchaus schönen Einlagen der Tänzer*innen und stark auftretendem Chor – und nicht auseinanderhaltbaren Clans, was ich eine durchaus gute Idee finde. Allerdings wirkte das auf Dauer irgendwie alles ziemlich beliebig (ähnliche Kritik an der missglückten Figurenführung äusserte ich ja neulich auch bei Roberto Devereux, wo ich – weil letzter Teil einer bis dahin hervorragenden Trilogie – ziemlich enttäuscht war). Da liefen halt ein paar Leute durch den leeren, mal ganz tiefen, mal durch nach vorn geschobene Wände verkürzten Bühnenraum, und gingen dann halt auch wieder.
Gesang und Orchester waren allerdings klasse – den Dirigenten kenne ich überhaupt nicht, aber er wusste eindeutig, was er tat. Und die Duette, aus denen die Oper – die ja eh keine richtige Handlungsentwicklung durchmacht – eigentlich erst entsteht, waren eins ums andere grossartig. Gerade bei dem so sprunghaften Handlungsablauf, hätte ich mir halt vorgestellt, dass auf der Bühne vielleicht richtig schöne Tableaux entstehen könnten … aber dafür reichte es (eben: ähnlich wie bei „Roberto Devereux“) nicht so wirklich. Schade, aber praktisch ausverkauft waren die vielen Vorstellungen dank Fuchs und Bernheim auch so (es gibt noch deren drei, sieben sind vorbei – und das sind um die 1-4 Aufführungen mehr als sonst üblich).
Brugg, Zimmermannhaus Kunst & Musik – 05.05.2023
Trio Rafale
Maki Wiederkehr Klavier
Daniel Meller Violine
Flurin Cuonz Violoncello
ROBERT SCHUMANN (1810–1856)
Klaviertrio Nr. 1 d-Moll Op. 63
Klaviertrio Nr. 2 F-Dur Op. 80
Klaviertrio Nr. 3 g-Moll Op. 110
Gestern ging’s dann nach Brugg (ca. 40 Minuten Zugfahrt mit der S-Bahn von Zürich aus), wo das mir bisher nicht bekannte Trio Rafale gleich alle drei Klaviertrios von Schumann aufführte. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, denn im Gegensatz Schubert, Mendelssohn, Ravel und ein paar weiteren scheinen die Trios von Schumann leider nur selten Eingang in die Konzertprogramme zu finden. Das war ein irrer Trip, diese drei in recht rascher Abfolge entstandenen und doch so unterschiedlichen Trios am Stück hören zu können (es gab auch nach dem ersten schon eine kleine Pause, aber ohne dass das Publikum den Saal verliess). Bei Nr. 1 hatte ich – logischerweise, da gibt es ja die meisten Einspielungen (auch von Cortot/Thibaud/Casals, Fischer/Schneiderhan/Mainardi), Rubinstein/Szeryng/Fournier, Gilels/Kogan/Rostropovich, dem Oistrach Trio etc., nicht bloss von Schumann-Spezialist*innen) – die grössten Wiedererkennungseffekt, merkte wie vertraut mir das gesamte Werk inzwischen ist. Bei Nr. 2 war ich dann besonders von den beiden langsamen Mittelsätzen hin und weg. Und Nr. 3 ist so ein krasses Werk, das mit einem seltsamen (teils wohl nachträglich eingebauten, aufgepropften) Humor seine dunkle Abgründigkeit nur notdürftig zu kaschieren sucht. Diese Linie vom einigermassen hellen Auftakt in die Düsterkeit des dritten Trios faszinierte mich enorm.
Die Spielweise des Trio Rafale gefiel mir dabei ganz hervorragend. Vielleicht lag’s auch ein wenig am Bösendorfer – und am kleineren Raum sicherlich – dass das intimer und freier wirkte, als der umjubelte Auftritt des Oliver Schnyder Trio im März in der Tonhalle (damals gab’s Mendelssohn und Schubert, auf CD habe ich vom Schnyder Trio Beethoven und Schubert; vom Trio Rafale gibt es Schubert ebenfalls, aber da würde mich wohl eher mal eine der anderen Einspielungen interessieren). Auf jeden Fall fand ich das Zusammenspiel sehr überzeugend. Wenn es im einen Augenblick symbiotisch wirkte, so klang es im nächsten dialogisch, sich ergänzend – und wirkte dabei gerade in den stilleren Passagen immer wieder spontan, fast so, als würde die Musik just in diesem Augenblick überhaupt erst entstehen. Dazu musste nicht demonstrativ gemeinsam geatmet werden, sich angegrinst schon gar nicht: im Gegenteil, die Blicke der drei waren konzentriert, verrieten den enormen Fokus, den diese Stücke verlangen. Dass dabei auch die klangliche Gestaltung vor allem bei den Bläsern sehr breit ausfiel, auch brüchige oder knarzende Töne ihren Platz fanden, gefiel mir sehr. Umwerfend!
PS: Die Location ist vielleicht noch erwähnenswert: ein stattliches Lager-, Geschäfts- und Wohnhaus, das ein Kaufmann und Baumwollfabrikant namens Johann Kaspar Zimmermann 1805 errichten liess. Es wurde vor einigen Jahrzehnten entkernt und beherbergt seit den Achtzigerjahren in den unteren Geschossen die Stadtbibliothek sowie Ausstellungsräume, die Konzerte finden im Dachstock statt, der für knapp hundert Leute Platz bietet.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba