Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Opernhaus – 21.04.2023

Viva la mamma
Le convenienze ed inconvenienze teatrali

Dramma giocoso in einem Akt von Gaetano Donizetti (1797-1848)
Libretto von Domenico Gilardoni, Neueinrichtung des Librettos und Textfassung von Stephan Teuwissen
Mit einer Ouvertüre von Sebastian Androne-Nakanishi (*1989)

Musikalische Leitung Adrian Kelly
Inszenierung Mélanie Huber
Bühnenbild Nora Johanna Gromer
Kostüme Lena Hiebel
Lichtgestaltung Hans-Rudolf Kunz
Dramaturgie Fabio Dietsche

Daria, die Primadonna Anna Aglatova
Procolo, ihr Ehemann Pietro Spagnoli
Mamma Agata, Luigias Mutter Ambrogio Maestri
Luigia Deniz Uzun
Guglielmo Andrew Owens
La musica Adriana Bignagni Lesca
Il maestro Aksel Daveyan
Il poeta Stanislav Vorobyov
Il direttore Amin Ahangaran
Gaetano Fritz Fenne

Musikkollegium Winterthur

Vor einer Woche war ich auch noch in der Wiederaufnahme von „Viva La Mamma“, der vom Musikkollegium Winterthur und dem Opernhaus Zürich. Die Première in Winterthur war im Mai 2021, gegen Ende der Saison 2020/21, die Wiederaufnahme findet glaub ich in der Regel die folgende Saison in Zürich statt – mit dem Musikkollegium im Graben. Nach Winterthur bin ich für so eine Produktion noch nie, aber die Wiederaufnahmen in Zürich habe ich schon mehrfach gehört und genossen. Der relevante Unterschied scheint zu sein, dass für diese Produktionen der Chor nicht zum Einsatz kommt (das Musikkollegium verfügt über keinen) und dass es tendenziell ein etwas höherer Anteil an junge Sänger*innen – das waren diesmal aber nur Daveyan und Ahangaran. Rollendebuts gab es zahlreiche: ausser den zwei grad genannten (die allerdings 2020/21 soweit ich den Fotos im Programmheft, die von damals stammen, entnehmen kann, nicht dabei waren – vielleicht hat man da beim Druck auch einfach das entsprechende Symbol neben den Namen vergessen) und Fritz Fenne, der ebenfalls schon bei der Erstaufführung dieser Einrichtung den Gaetano (Donizetti) gab, waren alles Rollendebuts (und bei Aglatova, Lesca und Fenne auch Hausdebüts).

Die Oper trägt eigentlich den Titel „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“ – Sitten und Unsitten des Theaters könne man übersetzen. Es dreht um eine Theaterprobe, Eitelkeiten, Pannen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Das Ziel: eine Oper aufzuführen. Doch der Poet hat das Libretto nicht fertig, der Maestro die Musik nicht bereit – natürlich geben sie sich gegenseitig die Schuld. Die Primadonna und ihr stets präsenter Ehemann üben sich in Eitelkeit, die zweite Dame möchte endlich proben, der Tenor will ein Duett, aber die Primadonna ist sich dafür natürlich zu fein … und dann ist da noch die „Theatermutter“, die alles über den Haufen wirft, sich nicht um die Konventionen am Theater schert.

Die Idee für die Zürcher Neueinrichtung basiert u.a. auf dem Plan Donizettis aus dem Jahr 1845, die Oper neu einzurichten – als er schon schwer krank war (man geht von Syphilis aus). Stephan Teuwissens Bearbeitung fügt also die Figur des Gaetano hinzu, der hier den Part des Komponisten, der die Arbeit nicht abgeschlossen hat, übernimmt – und der gegen den Tod bzw. den Teufel ankämpft, um die Oper doch noch fertigzustellen. Mamma Agata – eine Rolle für einen Bariton, von Ambrogio Maestri genial verkörpert – wird so also zum Teufel, der sich in Absprache mit Gaetano ins Geschehen einmischt, dabei auch vorgibt, die Mutter von Luigia zu sein – und alles ziemlich aufmischt. Das ist nicht völlig beliebig, denn im Libretto gibt es mehrere Hinweise auf den „teuflischen“ Charakter der Figur (sie wird als „Teufelsmutter“ beschimpft und der Poet meint einmal, „der Teufel“ habe sich in die Proben eingeschlichen. Dialoge und Rezitative wurden gestrichen und durch neuen, deutsch gesprochenen Text ersetzt. Dazu wurden ein paar Arien ergänzt, u.a. für die Muse „Musica“ (die dritte Frau, im Original als Musico stumm als Parodie auf die aussterbende Gattung des Kastraten gedacht), die auch in dieser Wiederaufnahme von einer Sängerin of color gesungen wurde (2021 war’s Katia Ledoux). Diese Ebene des Jenseits, der Krankheit, der drohenden Höllenfahrt des Gaetano, gibt dem sonst gern als Klamauk wieder aufgegriffenen Stück eine abgründige Dimension, die auch da durchschimmert, wo Mamma Agata gegen Ende dei Desdemona-Arie aus Rossinis „Otello“ mit völlig anderem Text singt. Das Stück kann und darf natürlich auch als Kommentar auf die Diskussionen um Machtstrukturen und -gefälle an Theatern gelesen werden.

Und wie war es denn musikalisch gesehen? Ein grosses Vergnügen aus einem Guss (ca. 1:45 Stunden lang ohne Pause), das nach der bewusst etwas überzeichneten, fast comicartigen Ouvertüre von Sebastian Androne-Nakanishi ein wenig brauchte, um in Fahrt zu kommen. Dadurch, dass immer wieder parodiert wurde, dass das Scheitern des Unterfangens thematisiert wird, gibt es zahlreiche Arien, die irgendwann im Nichts enden oder entgleisen – es muss also auch „hässlich“ gesungen werden. Das fiel Spagnoli sicherlich am leichtesten, der seine Rolle wirklich exzellent verkörperte. Jede der Figuren – auch das eine Eigenschaft der Stücke, die das Musikkollegium co-produziert, dünkt mich – hat ihren Auftritt, das ist Ensembletheater, in dem auch die Primadonna nichts zu dominieren hat – ihr Mann allerdings kriegt eine der grösseren Arien, ein gesungener Wutausbruch, in dem er die Ehre seiner Gattin zu verteidigen sucht. Der Tenor wiederum wird als ziemlich lächerliche, eitle und sich überschätzende Figur gezeigt – der abreist, bevor das Ensemble sich am Ende ganz aus dem Staub macht. Mamma Agata verspottet ihn: „Ah, rapa! Ah, stridua trombetta! Bestiaccia col calzone“ (Ah, Holzkopf! Ah, du kreischende Trompete! Du Rindvieh in Hosen!“). So geht es ziemlich derb zu und her – und doch gibt es immer wieder wahsinnig berührende, schöne Musik zu hören. Den Effekt verstärken die Einlegearien aus anderen Werken Donizettis noch. Es sind: „Mesci, mesci“, Brindisi aus „Il Campanello“; „Ah, tu mi vuoi“, Arie des Guglielmo aus „Le convenienze teatralzi“, „Per sua madre“, Arie des Pierotto aus „Linda di Chamonix“; und „Son leggero d’amore“, Arie des Gondi aus „Maria di Rohan“ – letztere, von der Musica gesungen, hält Gaetano für eine Arie des grossen Konkurrenten Rossini, den er noch im Sterben bewundert und verspottet – eine sehr berührendes Szene in diesem tumultuösen Stück.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba