Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle – 18.04.2023 – Neue Konzertreihe Zürich

Kammerorchester Basel
Umberto Benedetti Michelangeli
Leitung
Regula Mühlemann Sopran

GABRIEL FAURÉ: «Masques et Bergamasques» op. 112, Suite für Orchester (1919)
WOLFGANG AMADEUS MOZART: «Giunse alfin il momento – Deh vieni, non tardar», Rezitativ und Arie der Susanna aus «Le nozze di Figaro» KV 492 (1786)
MOZART: «L’amerò, sarò costante», Arie der Aminta aus «Il re pastore» KV 208 (1775)
FAURÉ: Pavane fis-Moll op. 50 für Orchester (1887)
MOZART: «Martern aller Arten», Arie der Konstanze aus «Die Entführung aus dem Serail» KV 384 (1782)

MOZART: «Ach ich fühl’s, es ist verschwunden!», Arie der Pamina aus «Die Zauberflöte» KV 620 (1791)
MOZART: «Ruhe sanft, mein holdes Leben», Arie der Zaïde aus «Zaïde» KV 344 (1781, UA 1866)
MAURICE RAVEL: «Le tombeau de Couperin», Suite d’Orchestre (1914-17, UA 1919)
MOZART: «Schon lacht der holde Frühling», Arie für Sopran und Orchester KV 580 (Einlegearie zu Giovanni Paisellos «Il Barbiere di Siviglia») (1789)

Zugaben:
MOZART: «Un moto di gioia», Ersatzarie aus Le nozze di Figaro (Susanna), KV 579 (1789)
JOHANN STRAUSS II: Frühlingsstimmen (1883), Konzertwalzer

Ein paar kleine Änderungen gab es bei diesem wirklich umwerfenden Konzert – das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich mir hätte wünschen können jedenfalls. Statt Konstanzes Arie aus dem Serail war vorgängig im Programm angekündigt gewesen „In un istante – Parto, m’affretto“, Rezitativ und Arie der Celia aus «Lucio Silla» KV 135. Und kurzfristig wurden die beiden Stücke von Fauré im ersten Teil getauscht, d.h. es ging mit einem längeren Orchesterstück los, bevor Mühlemann ihren ersten Auftritt hatte. Vor ein paar Jahren habe ich genau dieselbe Konstellation, aber statt mit Fauré/Ravel mit ein paar Symphonien von Mozart im KKL in Luzern gehört. Damals fand ich das zwar schön, aber im Vergleich zu den CDs (v.a. der ersten, „Mozart Arias“ von 2016, 2020 folgte „Mozart Arias II“) vielleicht leise enttäuschend, v.a. die Symphonien etwas langfädig. Da kreise ich ja eh weiterhin – neulich mit Fazil Say gab es ja ebenfalls zwei Mozart-Symphonien mit dem Kammerorchester Basel (ohne Dirigent), und auch da gefiel mir die eine nicht wirklich. Das war an diesem Abend in der Tonhalle aber ganz anders. Zum einen sass ich ganz vorn (mein Aboplatz für die Neue Konzertreihe), zum anderen ist die Tonhalle aber wohl auch von weit hinten oder oben der bessere Raum für diese Konstellation denn das grosse KKL, in dem kleinere Formationen gerne ein wenig untergehen.

Jedenfalls überzeugten sowohl die Orchester- wie die gesungenen Teile des Konzertes. Ravels „Le Tombeau de Couperin“ hatte ich schon im September beim ersten Abokonzert des KOB der Saison gehört, als Trevor Pinnock am Pult stand. Dieses Mal gefiel es mir erheblich besser – überhaupt fand ich die Zusammenarbeit von Umberto Benedetti Michelangeli und dem KOB an diesem Abend ganz hervorragend, packender als beim erwähnten Konzert vor einigen Jahren in Luzern. Faszinierend fand ich auch, wie hier wirklich kammermusikalisch herangegangen wurde, und wie das auf der Bühne eben auch da sichtbar wurde, wo das Orchester sonst im Graben sitzt: wie die Bälle zwischen den Bläsern und der Sängerin oder auch mal zwischen der ersten Geige (Daniel Bard) und Mühlemann hin und her gingen – das war wunderbar zu erleben.

Mühlemann scheint mir mit den Jahren nochmal besser geworden zu sein. Wie sie Arien sang, mit einer enormen Dynamik, auch im leisesten Pianissimo raumfüllend, das war wirklich wunderschön. Sie singt die Vokale sehr offen, was vielleicht manchmal – gerade bei den in diesen Arien zahlreichen Koloraturen – ein wenig auf Kosten der Textverständlichkeit gehen mag, doch ihre Stimme klingt stets natürlich, kein einziger gepresster Ton, einfach nur ein Fluss an völlig reinen Tönen, eine unglaubliche Leichtigkeit – hinter der natürlich immense Anstrengungen und viel Arbeit verborgen liegen. Die Jahre auf der Opernbühne merkte man Mühlemann auch an: manche Arien wurden allein durch die Mimik zu Mini-Dramen, bei anderen kam die Gestik dazu, in der umwerfenden zweiten Zugabe dann das komödiantische Spiel mit dem Echo der Solo-Flöte.

Am meisten berührt hat mich Mühlemann wohl mit den beiden Arien direkt nach der Pause, „Ach ich fühl’s“ und „Ruhe sanft“. Unglaublich schön gesungen, perfekt gestaltet – und dabei stets im Dienst der Musik, keine Glasapfel-Gezierheiten, sondern irgendwie total „down to earth“, als gäbe es nichts Normaleres. Die erste Zugabe musste ich dann erstmal suchen, hatte sie nicht erkannt (sie ist wie die meisten Arien auf „Mozart Arias II“ zu hören, „Schon lacht der holde Frühling“ ist der Opener der ersten, „Martern“ und natürlich den Strauss gibt es auf den CDs nicht) – und dann eine Interpretation von Bartoli auf Youtube gesehen. Das sind zwei völlig andere Arten zu singen – und Bartoli berührt mich insgesamt sehr viel mehr. Doch im Repertoire des Abends war Mühlemann für meine Ohren schlicht perfekt.

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