Konzertimpressionen und -rezensionen

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  • #11871251  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Debussy/Rameau ist ja das Album, das mich sofort hatte! Dort hörte ich aber auch keine „Romantisierung“, die mich jetzt bei Mozart und den Zeitgenossen manchmal etwas störte (Agogik und so, der Gestus, auch das gelegentliche, nicht sonderlich heftige Steinwayflügeldonnern, das ich bei solchem Repertoire einfach nicht mag). Aber insgesamt war auch das ein tolles Konzert! (Die Bitte, nicht zu applaudieren, hat er nicht geäussert, obwohl er recht lange sprach; er steuerte das einfach mit seinen Gesten, dem konzentriert sitzen bleiben, Hände oben halten, bis das nächste Stück begann … und es klappte zum Glück.)

    Was die Konzerte ohne Pause angeht: bei dem mit dem ensemble recherche hätte ich eine Pause nach Lachenmann gut vertragen, das waren je 45+ Minuten (mit kleinen Umbau- und Stimm-Pausen), musikalisch hätte das gut geklappt. Bei Mishka Rushdie Momen und dem Mahler CO dauerten die Konzerte aber zwischen 70 und 80 Minuten, da geht das ohne Pause wirklich problemlos. Ólafsson – ich hab die Akzente im Text nicht jedes Mal übernommen, pardon – dauerte eher 100, weil er noch länger sprach und eine Zugabe spielte, die er leider nicht ankündete, das lag für mich aber gut drin … und beim Luzerner Sinfonieorchester brauchte es natürlich zwischen Strauss und Tschaikowsky einen Umbau – und die Pathétique ist heftig genug, als dass davor eine Pause taugt, auch wenn die erste Konzerthälte nur 30-35 Minuten dauerte. Ich mag beides, aber wenn es Pausen gibt, darf es gerne auch (insgesamt) 150 Minuten dauern, wie das bei Sorey in etwa war (das war von „Porgy & Bess“ abgesehen das längste der Konzerte – dass eine im Programm noch aufgeführte Schlagzeug-Solo-Improvisation als dritter Teil der ersten Hälfte gestrichen wurde, war zwar schade, aber verständlich).

    Ich mochte ob der Menge nicht allzu sehr auf einzelne Stücke eingehen (da taugt dann auch das Gedächtnis nach einer heftigen Arbeitswoche nicht mehr so gut) – aber das von Brett Dean fand ich richtig gut. Es war eine Variation über das Präludium/Fuge-Schema von Bach, aber durch spätere Augen und Ohren (ich dachte auch eher mal an die entsprechenden – dreiteiligen – Werke von César Franck, aber so opulent und ja, romantisch, war’s dann doch nicht).

    Und schön, dass du wieder mal auf deinem Abo-Platz warst @yaiza – das Gefühl bleibt ja etwas mulmig (ich bin weiterhin mit FFP2 unterwegs, aber das tun inzwischen nur noch ganz wenige Leute hier; die Zeiten, als noch in fast jeder Reihe ein paar mit Maske sassen, sind vorbei). Aber es ist halt schon eine unglaublich bereichernde Sache, Musik live erleben zu können.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #11871307  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaiza

    soulpope

    yaiza

    gypsy-tail-windPS: Keine Angst, Maria João Pires und das Kammerorchester Basel spielen heute in Locarno/Ascona (u.a. für meine Eltern) – ich hatte mich im Tag vertan, das Konzert in Basel, das ich besuche, ist erst morgen

    … Víkingur Ólafsson: an ihn und seine zusammengestellten Programme musste ich gestern denken (ich saß erstmals seit 2019 wieder auf meinem Abo-Platz*). Im Okt. 2019 stellte er sich im Konzerthaus als „Artist in Residence“ vor… und bevor er sich an den Flügel setzte, bat er das Publikum, zwischendrin nicht zu applaudieren. Und so spielte er ein Bach-Programm ohne Pause. Es war so still, alle hörten gespannt zu… diese Stimmung werde ich nie vergessen. Ebenso dann bei seinem späteren Debussy/Rameau-Programm. Das Programm zu Mozart und seinen Zeitgenossen kenne ich noch nicht… nachdem ich inzwischen Zugang zur Debussy/Rameau habe, könnte ich ja mal drüber nachdenken… genügend Zeit bis April 2023 ist auch :)

    Ich konnte mir seine Aufnahmen von Bach Transskriptionen aus 2019 bis dato nicht erschließen ….

    evtl. zuviel Moll-Bach in der Zusammenstellung oder zu „durcheinander“? ….

    Wie Du weisst höre ich viel Bach und die Nähe zu Interpretationen natürlich mit stark subjektivem Fundament …. es war nicht die Zusammenstellung sondern seine Interpretation …. sehr ruhig, aber ohne mich nachdenklich machender „Widerhacken“ und was man bei der Aufnahme positiv auch als „Flow“ empfinden könnte, war bei mir eher eine Durchreise ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11871359  | PERMALINK

    yaiza

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    soulpope, vielen Dank für Deine Antwort.

    --

    #11871365  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaiza soulpope, vielen Dank für Deine Antwort.

    :bye: ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11871367  | PERMALINK

    soulpope
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    Es war die „richtige“ Zeit für Mahler und seine 9te Sinfonie gespielt vom Philharmonia Orchestra unter Otto Klemperer (aufgenommen 1967) …. der Fluss und die unendliche Entdeckungsreise ….

    Edit : im falschen Thread gepostet …. my bad ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11871803  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Stadtcasino Basel – 3.9.2022

    Kammerorchester Basel
    Trevor Pinnnock
    Leitung
    Maria João Pires Klavier

    Seelenverwandt

    Maurice Ravel (1875–1937)
    Le Tombeau de Couperin
    Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
    Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur

    Charles Gounod (1818–1893)
    Symphonie Nr. 2 Es-Dur

    Am Nachmittag in der Kunsthalle schrecklich-schöne, stark nachwirkende Malerei von Michael Armitage gesehen, eine ebenfalls nachdenklich stimmende Installation von Beatrice Olmedo, sowie im Schweizerischen Architekturmuseum (unterm gleichen Dach) eine Ausstellung eines Architekt*innenkollektivs, das sich für eine nachhaltige Baupolitik (weniger abreissen, mehr Recycling, weniger Wohnraum beanspruchen usw.) stark macht. Das quasi als Einstieg in das abendliche Konzert, den Saisonauftakt des Kammerorchester Basels, für dessen Konzerte im Stadtcasino ich 2022/23 ein Abo gekauft habe – ein billiger Platz in der dritten/letzten Reihe der Gallerie ganz hinten (dahinter folgt noch der Balkon), neben einer Säule – Beine strecken und aufstehen ohne wem die Sicht zu verdecken ist beides möglich, ein Platz ganz nach meinem Geschmack (die Sicht ist auch sitzend mehr als ok, aber für Pires bin ich dann aufgestanden).

    Pinnock hat vor der zweiten Zugabe am Schluss ein paar Worte gesprochen: wie müde sie seien nach der Tour (Meran, Tannay, Warschau, Hamburg und Locarno – das Gepäck kam nur bis Hamburg mit) übermüdet aber zufrieden – und zufrieden können sie auch sein mit dem, was da geboten wurde! Das Stadtcasino war so voll, dass schon Tage im Voraus überall stand, dass es auch keine Restkarten an der Abendkasse mehr geben würde. Ein oder zwei Dutzend Plätze blieben dennoch leer, aber so ist das, wenn es einen hohen Anteil an Abonnenten gibt.

    Der Einstieg mit Ravel war nicht einfach, ein seltsames neo-klassizistisches Stück (passt zum Stravinsky, den ich neulich in Luzern hörte), zudem mit einem kriegspatriotischen Anstrich, musique française mit einem Geschmäckle, und dennoch voller Charme, voller Ironie. Vom Hocker haute mich das erstmal nicht, aber da will ich dem KOB oder Pinnock keinen Vorwurf machen – und interessant war es schon, dieses Stück mal im Konzert hören zu können.

    Dann der „main event“: Maria João Pires mit KV 488, einem meiner liebsten Mozart-Konzerte (ganz oben rangiert bei mir KV 491). Eins dieser so wohlklingenden, harmonischen, in sich vollkommen stimmigen Konzerte, denen dennoch diese mozart’sche Traurigkeit eingeschrieben ist. Pires spielte das alles auf den Punkt, wie bei ihr üblich irgendwie schlicht wirkend – diese Aussage (von Schnabel, oder?) dass nur Kinder oder Greise Mozart gut spielen könnten: mir kam es bei Pires immer schon so vor, als hätte sie das „wie ein Kind“ immer schon gekonnt – und längst kommt dazu die Weisheit des Alters, die tiefe Kenntnis der Musik, über die sie ganz locker zu verfügen scheint. Besonders beeindruckend fand ich das Adagio – das war buchstäblich atemberaubend: ich hielt immer wieder die Luft an, vergass beinah, zu atmen. Eine wundervolle Aufführung, in der auch der dialoghafte Charakter nie zu kurz kam, in der besonders die Bläser glänzten (u.a. Mathias Arter, einer der besten Oboisten im Land, Klarinettist Etele Dosa spielte wohl bein Bassethorn – das glaube ich sehr klar gehört zu haben, konnte es aber aus der Distanz nicht mit Sicherheit erkennen). Am ersten Pult sass übrigens Julia Schröder, die auf CDs gerne als Konzertmeisterin agiert, die ich aber bei den bisher gehörten Konzerte des KOB noch nicht oft sah. Es folgte eine Zugabe mit Orchester, die nach Bach-Arrangement klang, das gegen Ende hin etwas romantisch ausuferte – sehr hübsch, überhaupt finde ich es bei solchen Solistenauftritten ganz schön, wenn das Orchester bei der Zugabe auch mitwirken darf.

    Nach der Pause folgte dann – nicht erwartet, aber so halbwegs erhofft (ich hatte ja erwähnt, dass meine Eltern beim Konzert in Locarno am 2.9. waren, sie hatten mir knapp berichtet), der zweite „main event“: Gounods zweite Symphonie. Den französischen Ton traf das Orchester ganz hervorragend – wieder: die Bläser und Bläserinnen (zwei Frauen an den beiden Flöten, eine hervorragende erste Fagottistin und – bei den Franzosen jeweils zu viert – zwei Frauen am dritten und vierten Horn) machten den grossen Unterschied. Pinnock sprach in seiner erwähnten Ansage auch vom französischen Ton, dem sie sich in harter Arbeit angenähert hätten, der Leichtigkeit, die nötig sei, weil das ja keine Beethoven-Symphonie ist. Beethoven stand aber so sehr Pate wie Schumann und Mendelssohn, so der Eindruck: ein oft elegant fliessendes Werk voller singbarer Melodien, ein schönes Larghetto an zweiter Stelle, das Scherzo dann mitreissend, viel Arbeit für den Herrn an den Pauken, bis hin ins zugespitzte Finale. Ein tolles Stück, das mir zum Glück zum späteren Nachhören auch auf CD vorliegt (zusammen mit der ersten, Plasson, in der Gounod Edition von Warner, aus der ich noch keinen Ton gehört habe – das wird nachgeholt!).

    Und eben: es folgte auf die längere Ansage von Pinnock eine zweite Zugabe, Respighis Arrangement eines Stückes, das er gerne am „Clävssänn“ spiele: „La poule“ von Rameau – ein musikalischer Scherz, der für einige Erheiterung sorgte und einmal mehr mit viel Gusto und im passenden Ton dargeboten wurde.

    Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Konzert am 29.9., dann mit Beethoven (Prometheus-Ouvertüre, Klavierkonzert Nr. 3) und Eberl (Symphonie Es-Dur), Giovanni Antonini und Igor Levit. Das entschädigt dann auch ein wenig für die Haydn-Konzerte an der anderen Spielstätte, die ich nicht wieder besuchen werde – passte für mich aus unterschiedlichen Gründen (pandemiebedingte, örtlichkeitsbedingte …) nicht so wirklich im Don Bosco, der umgebauten Kirche, die dem Orchester auch als Probelokal dient.

    --

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    #11871819  | PERMALINK

    gruenschnabel

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    gypsy-tail-wind
    Stadtcasino Basel – 3.9.2022
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    Trevor Pinnnock
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    Maria João Pires Klavier
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    Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
    Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur

    Charles Gounod (1818–1893)
    Symphonie Nr. 2 Es-Dur
    Am Nachmittag in der Kunsthalle schrecklich-schöne, stark nachwirkende Malerei von Michael Armitage gesehen, eine ebenfalls nachdenklich stimmende Installation von Beatrice Olmedo, sowie im Schweizerischen Architekturmuseum (unterm gleichen Dach) eine Ausstellung eines Architekt*innenkollektivs, das sich für eine nachhaltige Baupolitik (weniger abreissen, mehr Recycling, weniger Wohnraum beanspruchen usw.) stark macht. Das quasi als Einstieg in das abendliche Konzert, den Saisonauftakt des Kammerorchester Basels, für dessen Konzerte im Stadtcasino ich 2022/23 ein Abo gekauft habe – ein billiger Platz in der dritten/letzten Reihe der Gallerie ganz hinten (dahinter folgt noch der Balkon), neben einer Säule – Beine strecken und aufstehen ohne wem die Sicht zu verdecken ist beides möglich, ein Platz ganz nach meinem Geschmack (die Sicht ist auch sitzend mehr als ok, aber für Pires bin ich dann aufgestanden).
    Pinnock hat vor der zweiten Zugabe am Schluss ein paar Worte gesprochen: wie müde sie seien nach der Tour (Meran, Tannay, Warschau, Hamburg und Locarno – das Gepäck kam nur bis Hamburg mit) übermüdet aber zufrieden – und zufrieden können sie auch sein mit dem, was da geboten wurde! Das Stadtcasino war so voll, dass schon Tage im Voraus überall stand, dass es auch keine Restkarten an der Abendkasse mehr geben würde. Ein oder zwei Dutzend Plätze blieben dennoch leer, aber so ist das, wenn es einen hohen Anteil an Abonnenten gibt.
    Der Einstieg mit Ravel war nicht einfach, ein seltsames neo-klassizistisches Stück (passt zum Stravinsky, den ich neulich in Luzern hörte), zudem mit einem kriegspatriotischen Anstrich, musique française mit einem Geschmäckle, und dennoch voller Charme, voller Ironie. Vom Hocker haute mich das erstmal nicht, aber da will ich dem KOB oder Pinnock keinen Vorwurf machen – und interessant war es schon, dieses Stück mal im Konzert hören zu können.
    Dann der „main event“: Maria João Pires mit KV 488, einem meiner liebsten Mozart-Konzerte (ganz oben rangiert bei mir KV 491). Eins dieser so wohlklingenden, harmonischen, in sich vollkommen stimmigen Konzerte, denen dennoch diese mozart’sche Traurigkeit eingeschrieben ist. Pires spielte das alles auf den Punkt, wie bei ihr üblich irgendwie schlicht wirkend – diese Aussage (von Schnabel, oder?) dass nur Kinder oder Greise Mozart gut spielen könnten: mir kam es bei Pires immer schon so vor, als hätte sie das „wie ein Kind“ immer schon gekonnt – und längst kommt dazu die Weisheit des Alters, die tiefe Kenntnis der Musik, über die sie ganz locker zu verfügen scheint. Besonders beeindruckend fand ich das Adagio – das war buchstäblich atemberaubend: ich hielt immer wieder die Luft an, vergass beinah, zu atmen. Eine wundervolle Aufführung, in der auch der dialoghafte Charakter nie zu kurz kam, in der besonders die Bläser glänzten (u.a. Mathias Arter, einer der besten Oboisten im Land, Klarinettist Etele Dosa spielte wohl bein Bassethorn – das glaube ich sehr klar gehört zu haben, konnte es aber aus der Distanz nicht mit Sicherheit erkennen). Am ersten Pult sass übrigens Julia Schröder, die auf CDs gerne als Konzertmeisterin agiert, die ich aber bei den bisher gehörten Konzerte des KOB noch nicht oft sah. Es folgte eine Zugabe mit Orchester, die nach Bach-Arrangement klang, das gegen Ende hin etwas romantisch ausuferte – sehr hübsch, überhaupt finde ich es bei solchen Solistenauftritten ganz schön, wenn das Orchester bei der Zugabe auch mitwirken darf.
    Nach der Pause folgte dann – nicht erwartet, aber so halbwegs erhofft (ich hatte ja erwähnt, dass meine Eltern beim Konzert in Locarno am 2.9. waren, sie hatten mir knapp berichtet), der zweite „main event“: Gounods zweite Symphonie. Den französischen Ton traf das Orchester ganz hervorragend – wieder: die Bläser und Bläserinnen (zwei Frauen an den beiden Flöten, eine hervorragende erste Fagottistin und – bei den Franzosen jeweils zu viert – zwei Frauen am dritten und vierten Horn) machten den grossen Unterschied. Pinnock sprach in seiner erwähnten Ansage auch vom französischen Ton, dem sie sich in harter Arbeit angenähert hätten, der Leichtigkeit, die nötig sei, weil das ja keine Beethoven-Symphonie ist. Beethoven stand aber so sehr Pate wie Schumann und Mendelssohn, so der Eindruck: ein oft elegant fliessendes Werk voller singbarer Melodien, ein schönes Larghetto an zweiter Stelle, das Scherzo dann mitreissend, viel Arbeit für den Herrn an den Pauken, bis hin ins zugespitzte Finale. Ein tolles Stück, das mir zum Glück zum späteren Nachhören auch auf CD vorliegt (zusammen mit der ersten, Plasson, in der Gounod Edition von Warner, aus der ich noch keinen Ton gehört habe – das wird nachgeholt!).
    Und eben: es folgte auf die längere Ansage von Pinnock eine zweite Zugabe, Respighis Arrangement eines Stückes, das er gerne am „Clävssänn“ spiele: „La poule“ von Rameau – ein musikalischer Scherz, der für einige Erheiterung sorgte und einmal mehr mit viel Gusto und im passenden Ton dargeboten wurde.
    Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Konzert am 29.9., dann mit Beethoven (Prometheus-Ouvertüre, Klavierkonzert Nr. 3) und Eberl (Symphonie Es-Dur), Giovanni Antonini und Igor Levit. Das entschädigt dann auch ein wenig für die Haydn-Konzerte an der anderen Spielstätte, die ich nicht wieder besuchen werde – passte für mich aus unterschiedlichen Gründen (pandemiebedingte, örtlichkeitsbedingte …) nicht so wirklich im Don Bosco, der umgebauten Kirche, die dem Orchester auch als Probelokal dient.

    Mal wieder schöne und interessante Zeilen von dir, danke. Was du über Pires schreibst, deckt sich mit meinen CD-Eindrücken und der vagen Erinnerung an ein Konzert von anno dazumal. Insbesondere wenn ich mal zu Solosonaten greife, drängelt sich Pires sehr schnell in mein Blickfeld. Das Wort „Natürlichkeit“ ist ja nicht ganz unproblematisch, wenn man Interpretationen beschreiben möchte, aber diese „kindliche“ Unverstelltheit ihres Spiels verbindet sich in meinen Ohren auf glänzende Weise mit ihrer zu äußerst sublimen Klangergebnissen führenden Sensibilität. Eine überragende Mozart-Interpretin in meinem kleinen Musikkosmos. Na ja, und das A-Dur-Konzert… das sind so diese „Wunder“, die das eigene Leben erhellen.

    zuletzt geändert von gruenschnabel

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    #11871869  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das ist alles recht paradox, glaube ich: eine Unverstelltheit, die nach dem Sammeln und Aufbauen eines grossen Wissens und tiefen Verständnisses wieder erstellt werden musste oder sowas in der Art.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11871875  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „gypsy“ : Dank für den persönlichen Bericht, schon die besuchten Ausstellungen hätte ich gerne selbst gesehen ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11871889  | PERMALINK

    gruenschnabel

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    gypsy-tail-windDas ist alles recht paradox, glaube ich: eine Unverstelltheit, die nach dem Sammeln und Aufbauen eines grossen Wissens und tiefen Verständnisses wieder erstellt werden musste oder sowas in der Art.

    Ja, darüber könnten Interpreten wohl ganze Bücher schreiben – das muss auch mental unfassbar anspruchsvoll und komplex sein. Im Moment der Aufführung muss dieses ganze aufgebaute Hinterland dann – so meine Vorstellung – zu einer Art Spielfeld werden, denn ein Interpret setzt da ja nicht wie ein Akrobat etwas mühsam Gelerntes zu einer technischen Performance zusammen, sondern im besten Falle spielt er im schönsten Sinne mit dem, was er in diesem Moment künstlerisch zur Verfügung hat, und schafft dadurch Glaubwürdigkeit, dass sein Vortrag ganz im unwiederholbaren Hier und Jetzt aufgeht bzw. dieses Hier und Jetzt ästhetisch „setzt“.
    Ich vermute, dass sich bei diesem Thema dann auch die Spreu vom Weizen trennt, denn es gibt ja eine riesige Anzahl sehr gut ausgebildeter Pianisten.

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    #11871935  | PERMALINK

    soulpope
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    Bei mir Maria Joao Pires noch auf der „zu entschlüsselnden“ Liste …. und ja, die Mozartschen KK’s sind Stoff für eine künstlerische Zäsur …. btw bei mir fiel heuer nachhaltig der Groschen zu Serkin/Abbado ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11876729  | PERMALINK

    yaiza

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    … kein Konzert, aber trotzdem ein paar Worte

    Musikfest Berlin 2022
    09.09.2022 Haus des Rundfunks, Großer Sendesaal
    Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Dirigent: Vladimir Jurowski

    Moderierte Probe zur 5. Sinfonie von Gustav Mahler
    (Das RSB spielt die Sinfonie am 13. Sep. in der Philharmonie Berlin)

    Vor der o.g. Veranstaltung wurde noch angeboten, dass man einem Gespräch der Stipendiaten der Orchesterakademie des RSB mit Vladimir Jurowski zum Thema „Musik und Politik“ als Gast zuhören konnte. Also machte ich mich etwas früher los. Das Gespräch fand in einem kleineren Saal statt und neben den Hauptbeteiligten hatten sich noch ein paar stille Zuhörer sowie auch Mentoren aus dem RSB eingefunden. Die Akademisten bereiten gerade ein Konzert mit u.a. Strauss: Metamorphosen (Urfassung für 7 Streicher, rekonstr. v. Rudolf Leopold) und Schostakowitsch: Zwei Stücke für Streichoktett op. 11 vor. Ausgehend von den beiden Komponisten entspann sich ein sehr interessantes Gespräch, aus dem ich für mich auf jeden Fall mitgenommen habe, nochmal was zur Beziehung von Richard Strauss und Stefan Zweig bei Zweig „Die Welt von Gestern“ nachzulesen.

    Danach ging’s in den Großen Sendesaal… und es strömten viele Besucher hinein. Vom Publikum her war zu beobachten, dass deutlich mehr jüngere Zuhörer dabei waren. Berlin hat ja einige Orchester und jedes bemüht sich, Publikum zu binden. Diese Veranstaltung somit auch ein Teil davon – im Rahmen des Musikfests Berlin bietet das RSB ab jetzt jedes Jahr eine moderierte Veranstaltung an, Eintritt frei. Vladimir Jurowski stellte dann in seiner Einleitung klar, dass er den Ablauf, anders als beim Medienpartner angegeben, umgestellt hat. Er hatte sich überlegt, zu jeder Abteilung separat einzuführen… das wird auf weit über zwei Stunden hinauslaufen. In lockerem Rahmen – Orchestermitglieder und Dirigent in Alltagskleidung sowie Betonung, dass es nicht störe, wenn man den Saal verließe, falls es zu lange dauerte, da im Vorfeld 90min angegeben wurden. Das nutzten tatsächlich nur einige wenige. Das Publikum lauschte ruhig und gespannt.
    Vladimir Jurowski erklärt sehr gut, (so mein Eindruck aus dem Radio) auch gern und niedrigschwellig; mit einfachen Worten und auch für Laien Abläufe im Orchester erklärend. Ich fand es toll die Sätze 1+2 ineinander übergehend gespielt zu hören. Für mich dann endlich erhellend bzgl. Benennung „Abteilung“. Sehr schön fand ich, dass er die Bezüge zu den verwendeten Liedern direkt am Klavier erklärte.
    Der Große Sendesaal ist für solch eine Veranstaltung bestens geeignet. Wer sich ein bisschen weiter auf die Anhöhe setzt, hat einen tollen Blick ins Orchester und vor allem auf die einzelnen „Terrassenstufen“, die höher sind als in anderen Berliner Sälen (wiki).

    Vor zwei Wochen gab es zufällig eine ähnliche Veranstaltung zum Tag der offenen Tür im Konzerthaus mit anderem Konzept — Sätze 1+3 und 4+5 in zwei kleineren Konzerten. (Christoph Eschenbach signalisierte nach dem 1. Satz, dass sie auch weitermachen könnten, aber die Moderatorin hatte dann doch Angst, die ganze Logistik durcheinanderzubringen.) Die Mitglieder der Horngruppe kamen bzgl. Satz 3 gut zu Wort und erklärten einige Effekte bei den Bläsern, wie offener Schalltrichter etc. Das konnte man im Sendesaal auch schön beobachten. Während im KH der Hornsolist aus der Gruppe trat und sich vor sie stellte; saß beim RSB der Solist die ganze Sinfonie über aus der Gruppe herausgelöst an ganz anderer Stelle (neben Klarinetten).
    Ansonsten lasse ich noch einiges sacken (und stelle vielleicht noch Nachfragen im Mahler-Thread).

    --

    #11876733  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    @ „yaiza“ : Ich denke dies sind überaus wertvolle Veranstaltungen denn anders als der reine Text von (auch gut geschriebenen) Programmbroschüren die Verbindung von Musik und (er)klärender Worte ungleich nahrhafter ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11876789  | PERMALINK

    yaiza

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    @ soulpope: ja, auf jeden Fall…

    bzgl. Programmhefte: noch wird eine gewisse Balance zwischen Papier/Internet gehalten; vielleicht aus dem Ritual heraus oder wg. Zusammensetzung des Publikums, aber das RSB hat eine Verschlankung der Hefte ab dieser Spielzeit angekündigt und bietet im Gegenzug Konzerteinführungen/Videos im Netz, Podcast-Folgen mit jungen Musikwissenschaftlern, digitale Programmhefte mit Hörbeispielen an. Im Konzerthaus ist’s ähnlich. Ich nutzte es bisher nicht.
    Auch nicht alle im Publikum werden an Podcasts o.ä. interessiert sein bzw. auch keinen Zugang zu Internet haben (gibt es ja auch).

    --

    #11876807  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaiza@ soulpope: ja, auf jeden Fall… bzgl. Programmhefte: noch wird eine gewisse Balance zwischen Papier/Internet gehalten; vielleicht aus dem Ritual heraus oder wg. Zusammensetzung des Publikums, aber das RSB hat eine Verschlankung der Hefte ab dieser Spielzeit angekündigt und bietet im Gegenzug Konzerteinführungen/Videos im Netz, Podcast-Folgen mit jungen Musikwissenschaftlern, digitale Programmhefte mit Hörbeispielen an. Im Konzerthaus ist’s ähnlich. Ich nutzte es bisher nicht. Auch nicht alle im Publikum werden an Podcasts o.ä. interessiert sein bzw. auch keinen Zugang zu Internet haben (gibt es ja auch).

    Ich stelle mir grad vor, dass zukünftig Konzertbesucher für Tickets bezahlen, um das Konzert online sehen zu dürfen …. wegen Kostenoptimierung …. sorry, couldn’t resist 😕🤓 ….

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