Konzertimpressionen und -rezensionen

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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    gypsy-tail-wind  (Foto: Carole Parodi, gtg.ch) Grand Théâtre Genève – 23.10.2022 Katia Kabanova (Káťa Kabanová) Opéra de Leoš Janáček Livret de Vincenc Červinka d’après L’Orage d’Alexandre Ostrovski (Création en 1921 au Théâtre de Brno) Direction musicale Tomáš Netopil Mise en scène Tatjana Gürbaca Scénographie Henrik Ahr Costumes Barbara Drosihn Lumières Stefan Bolliger Dramaturgie Bettina Auer Direction des chœurs Alan Woodbridge Katia Kabanova Corinne Winters Boris Grigorjevič Aleš Briscein Marfa Ignatěvna (Kabanicha) Elena Zhidkova Tichon Ivanyč Kabanov Magnus Vigilius Savël Prokofjevič Dikój Tómas Tómasson / Sami Luttinen Váňa Kudrjaš Sam Furness Varvara Ena Pongrac Chœur du Grand Théâtre de Genève Orchestre de la Suisse Romande Vorletzten Sonntag gab’s dann eine müde Exkursion nach Genf. Fünfeinhalb Stunden Zugfahrt für eineinhalb Stunden Oper – dankenswerterweise ohne Pause. Leider war ich tatsächlich ziemlich müde und meine Konzentration daher eher mässig. Aber dass Janáceks Oper grossartige Musik bietet, so viel habe ich schon mitgekriegt. In Genf gab’s auf dem Weg in die Oper, leider bei bedecktem Wetter, noch einen kleinen Spaziergang – ein paar Schnappschüsse drüben. Mit Netopil stand der richtige Mann am Pult des OSR (das ich zum ersten Mal in Aktion erlebte), mit Corinne Winters war dieselbe Sängerin in der Titelrolle zu hören, die die Rolle im Sommer auch in Salzburg sang, und sie als eine ihrer „signature roles“ betrachtet. Die Genfer Aufführung ist eine Ko-Produktion mit der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg. Gürbacas Regie konnte nicht auf ein paar derbe Bauerntölpel-Einfälle verzichtet – das fand ich etwas schade, aber kann nicht beurteilen, ob das im Stück bzw. der literarischen Vorlage so angelegt ist. Lacher, die den ganzen Saal (der leider recht leer blieb, 20. Jahrhundert halt ) füllen, brauche ich bei so einem intensiven, fesselnden Stück eigentlich nicht. Ich sass dieses Mal wieder ganz oben, im „amphithéâtre“, wie es in Genf heisst, auf dem obersten, sehr grossen Balkon, auf einem etwas zu teuren Platz in der ersten Reihe (ich hätte dort eine Messiaen-Oper sehen wollen, was Corona zum Opfer fiel, und löste meinen Gutschein ein – es geht dort oben aber auch ein Platz weiter hinten, die Tribüne ist steil und der Blick nach unten auch weiter hinten gut (beim obigen Link gibt es zwei Schnappschüsse aus dem Saal, von meinem Platz aus). Mit meiner eben nicht zum besten bestellten Konzentration liess ich mich die meiste Zeit von der Musik mittragen – und das war schon sehr, sehr toll! Ich verstehe leider von der Sprache kein Wort, aber wie Janácek diese rhythmisiert, wie er Worte und Musik immer wieder engführt, fasziniert mich sehr. Die Orchestrierung fand ich sehr reich an Klängen, die auf verschiedenste Weise kombiniert wurden. Wahnsinnig schön! Winters – die ich jetzt drei oder vier Jahre nicht mehr hörte, nachdem ich sie davor in relativ kurzer Zeit als Mélisande, als Violetta und als Solistin im Verdi-Requiem gehört hatte – in der Titelrolle geradezu perfekt. Das Ensemble auf der Bühne war ebenfalls gut, vielleicht eine Spur weniger ausgeglichen als in der Walküre? Wenn ich das richtig verstanden habe, sprang Sami Luttinen kurzfristig für den indisponierten Tómasson ein – aber auch das kein Grund zur Sorge. Nächste Mal gehe ich dann aber wohl mal in eine normale Abendvorstellung (d.h. dann mit Übernachtung) nach Genf. Ist für die laufende Saison aber nicht vorgesehen (dafür kaufe ich wohl noch eine Karte für Bolognes „Anonymen Liebhabe“ im Theater St. Gallen – diese Rarität möchte ich mir nicht entgehen lassen … mit „Barkouf“ in Zürich müsste ich wohl dasselbe tun, sehe aber gerade noch nicht, wie ich das schaffen sollte).

    Schön dass Du hier positive Eindrücke mitnehmen konntest ….

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    #11912447  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die Janácek-Opern sind so ein Projekt, das ich schon seit einer Ewigkeit pendent habe … von „Jenufa“ mal eine Aufführung gesehen, zu der ich gerade gar nichts mehr finde (nicht die von 2012 sondern so 10-15 Jahre früher), dann direkt vor der Pandemie „Die Sache Makropulos“, und jetzt „Katja Kabaonva“ (verzeih die Schreibweisen, muss sonst immer via Copy-Paste die korrekten Titel suchen/kopieren, die ganzen diakritischen Zeichen kriegen ja nur Smartphones hin, Computer nicht :wacko: ) – die Mackerras-Box mit allen fünfen steht schon lange im Regal, und auf Empfehlungen von Alexander Hawkins hin (der ein ganz grosser Fan der Opern Janáceks ist) habe ich dann mal noch ältere Supraphon-Einspielungen zu sammeln begonnen.

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    #11912473  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    gypsy-tail-wind Die Janácek-Opern sind so ein Projekt, das ich schon seit einer Ewigkeit pendent habe … von „Jenufa“ mal eine Aufführung gesehen, zu der ich gerade gar nichts mehr finde (nicht die von 2012 sondern so 10-15 Jahre früher), dann direkt vor der Pandemie „Die Sache Makropulos“, und jetzt „Katja Kabanova“ (verzeih die Schreibweisen, muss sonst immer via Copy-Paste die korrekten Titel suchen/kopieren, die ganzen diakritischen Zeichen kriegen ja nur Smartphones hin, Computer nicht ) – die Mackerras-Box mit allen fünfen steht schon lange im Regal, und auf Empfehlungen von Alexander Hawkins hin (der ein ganz grosser Fan der Opern Janáceks ist) habe ich dann mal noch ältere Supraphon-Einspielungen zu sammeln begonnen.

    Das Euvre von Janacek und dessen Aufnahmen ein kaum endendes Abenteuer ….

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    #11917015  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Tonhalle, Zürich – 28.10.2022

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Paavo Järvi
    Music Director
    Rudolf Buchbinder Klavier

    Arvo Pärt «Cantus in Memory of Benjamin Britten» für Streichorchester und Glocke
    Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58

    Anton Bruckner Sinfonie Nr. 6 A-Dur

    Drei Konzerte in der Tonhalle seit einer guten Woche … der Bruckner-Zyklus läuft, aber die beiden gerade gehören Symphonien sind echt keine Favoriten. Dass ich Nr. 6 schon einmal im Konzert gehört hatte – mit Juanjo Mena am Pult im Januar 2019 –, hatte ich im Vorfeld völlig vergessen, das Programmheft erinnerte mich daran, da es die bisher letzte Aufführung des Werks durch das Tonhalle-Orcheester war (in den Programmheften sind, soweit bekannt, stets die ersten und jüngsten Aufführungen erwähnt).

    Leider nahm ich auch dieses Mal keinen deutlich prägnanteren Eindruck mit. Drüben auf Twitter habe ich in einer kleinen Klassikrunde die Bezeichnung „grumpy Tony“ für Bruckner geprägt, worüber ich mich ein klein wenig freue (es gibt dort ein paar Verächter, die freuen sich noch mehr ;-) ), aber die Nr. 6 ist ja gerade der fröhliche Bruckner, der für einmal nicht über Jahre, ja Jahrzehnte mit einem Werk hadert, daran herumbastelt und so weiter. Es ist sicher nicht das, was es mir weniger nah macht, aber einen richtige Zugang habe ich dazu bisher noch nicht finden können.

    Besser – und mein dauermüdes Ich (kann eine Covid-19-Infektion wirklich nicht weiterempfehlen) auch aufmerksamer, wacher – fand ich die erste Konzerthälfte. Buchbinder spielte eine umwerfende, präzise Interpretation von Beethovens viertem Klavierkonzert, spielte mit viel Schalk eine Zugabe von Strauss – irgendwas mit „Wien“ im Titel, das wie ein lustiges Melodien-Medley klang (Johann II nehme ich an, aber ich hab’s leider nicht sofort notiert).

    Davor öffnete das Orchester mit dem kurzen Stück von Pärt – und das war mal wieder sehr faszinierend. Pärt-Einstiege habe ich mit Järvi schon ein oder zweimal gehört und fand das jedes Mal spannend: wie sich sie Zeit auflöst in den liegenden Tönen, wie die Musik trotz ihrer starren Form, ihrem trägen Fluss, wahnsinnig reichhaltig klingt, wie in diesem Nichts ein fortwährend Werden steckt. Und was mir auch bei den beiden Orchesterkonzerten mit dem Tonhalle-Orchester (es sind ja eigentlich bereits drei, fürs erste – mit Hosokawa und Bruckners Achter – gilt das ebenso) aufgefallen ist: die Akustik in der renovierten Halle ist wirklich phänomenal, das Orchester nach den pandemiebedingten Unterbrüchen in hervorragender Form. Bei Pärt und natürlich immer wieder bei Bruckner wird der Saal aufs letzte ausgereizt, es gab Passagen, die waren wahnsinnig laut – und dennoch nie übersteuert, nie verzerrt, nie ordinär. Da liegt eben schon sehr viel mehr drin als in der Tonhalle-Maag, der temporären Übergangshalle, die ich mir bei Kammermusik und besonders für Zeitgenössisches dennoch sehr zurückwünschte. Es wurde, so las ich neulich, bei der Renovation sogar darauf geachtet, dass die Farbe, mit denen die ganzen Stuck-Verzierungen neu bemalt wurden (originalgetreu eben, davor war ja vieles einfach grau übermalt worden) möglichst gut auf dei Akustik einwirke. Dass sowas – die Farbschicht, nicht das Material darunter – auch einen Einfluss haben kann, hatte ich mir noch gar nie überlegt. Jedenfalls unabhängig davon, ob ich einen unmittelbaren Zugang zur Musik finde, ein immenser Genuss, ein so gutes Orchester in diesem Saal hören zu können. Und ich hab ja – aufgrund der Preisstruktur – wieder von Reihe 1 auf die hinterste Reihe in der seitlichen Galerie gewechselt (wo ich schon vor dem Intermezzo in der Tonhalle-Maag jeweils sass bzw. stand). Ich bin momentan meist ca. in der Mitte der Länge des Saals, also keineswegs an einem Platz, den man sich als super vorstellen würde, ca. 5-6 Reihen vor der Bühnenkante (recht weite Teile der Galerie sind seitlich neben der Bühne, v.a. wenn diese wie bei Bruckner nötig erweitert wird und die ersten vier Stuhlreihen im Parkett ausgebaut werden). Dennoch: der Klang ist dort perfekt, er mischt sich im Saal so gut, dass ich sogar mit nach vorn (also rüber in die andere Galerie) ausgerichteten Kopf die Illusion haben kann, mit gradem Blick vor der Bühne zu sitzen. Das ist ein Glück, und das ist ganz anders als die „nah dran“-Plätze, die ich in der Maag jeweils hatte. Dafür bin ich halt wirklich recht weit weg, muss wie gesagt aufstehen, wenn ich etwas sehen will, was ja zuhinterst auch problemlos geht (sonst sehe ich zwischen den Köpfen hindurch nicht viel, da vor Reihe 6 ein breiterer Gang liegt und die zwei Reihen davor auf demselben Niveau liegen.

    Neue Konzertreihe Zürich – Tonhalle, Zürich – 31.10.2022

    Alexandra Dovgan Klavier

    Franz Schubert Klaviersonate A-Dur D 664
    Robert Schumann «Faschingsschwank aus Wien» op. 26, Fantasiebilder für Klavier

    Johannes Brahms Variationen und Fuge über ein Thema von Händel B-Dur op. 24 für Klavier
    Johannes Brahms Drei Intermezzi op. 117

    Sergei Rachmaninow Prélude gis-Moll op. 32/12
    Alexander Siloti Präludium h-Moll nach Johann Sebastian Bach

    Letzten Montag fand dann das Debut von Alexandra Dovgan statt, das zweimal verschoben wurde – oben der Steinway, den sie spielte. Im März 2021 war ein Solorezital (Bach, Schumann, Rachmaninov, Chopin – welche Werke weiss ich nicht mehr) geplant, doch da waren Veranstaltungen nicht gestattet. Im Herbst 2021 war dann Beethoven mit dem Kammerorchester Basel geplant, doch Dovgan war krank und wurde durch Marie-Ange Nguci ersetzt (die Beethovens Drittes in einer wahnsinnig tollen Interpretation spielte). Im Oktober 2022 hat es dann endlich geklappt, wieder für ein Rezital, was für das Debut natürlich auch passender ist.

    In der zweiten Konzerthälfte wurde das gedruckte Programm zum Glück umgedreht und die hypervirtuosen Händel-Variationen an den Beginn gestellt. Die Intermezzi Op. 117 waren vielleicht das Highlight, doch es wurde sehr klar, dass die 2007 geborene Dovgan eben nicht (mehr) nur Wunderkind sondern auch (schon) Künstlerin ist, Interpretin, die etwas zu sagen hat. Ihr Spiel wirkte dabei klar, fein gestaltet, aber auch mit gutem Gespür für das Gestalten grösserer Bögen und Melodielinien. Im Schumann und den Händel-Variationen wurde es mit den virtuosen Feuerwerken manchmal fast etwas zuviel – der Einstieg in den „Faschingsschwank“ wirkte für meine Ohren halsbrecherisch schnell, doch die Finger kamen immer mit und wie gesagt: das Musizieren selbst ging darob wirklich nie vergessen.

    Mit den Intermezzi fand dann einen ruhigen Schlusspunkt, der wirklich schön gestaltet war – auch wenn die Tiefe vorliegender Einspielungen (mir ist z.B. die Hyperion-CD von Stephen Hough, „The Final Piano Pieces“, mit Opp. 116-119, recht gut im Ohr) nicht erreicht wurde. Auch nicht die Tiefe von Sokolov, der die junge Pianistin wohl fördert (so genau weiss ich das nicht) – das Licht wurde nicht ganz so tief wie bei ihm heruntergedimmt, seine Strenge klingt in Dovgans Spiel teils wieder, aber die Aura, die er zu erzeugen vermag, ist natürlich einzigartig. Dass wie zwei „russische“ Zugaben spielte, vervollständigte quasi das Bild, denn auch der Schubert klang für meine Ohren phasenweise recht russisch, so solche Aussagen denn überhaupt sinnvoll sind. Und Siloti stammte natürlich, das hat ja heute leider alles nochmal eine andere Bedeutung, stammte aus Charkiw.

    Bei den Konzerten der „Neuen Konzertreihe Zürich“ habe ich weiterhin meinen Aboplatz in Reihe 1 – und bin damit übrigens auch weiterhin sehr zufrieden (er ist halt noch teurer geworden …), denn da sind nur selten Orchester zu hören, und wenn sind es meist kleiner besetzte wie das Kammerorchester Basel, die Cappella Andrea Barca, The English Concert, oder jüngst Herreweghe mit seinem Collegium Vocale Gent. Und demnächst wieder die Musiciens du Prince–Monaco mit Bartoli in einer konzertanten Aufführung von „La clemenza di Tito“ u.a. auch mit Mélissa Petit und Lea Desandre – und auch da werde ich sehr gerne nah dran sein, das ist bei Bartoli jedes Mal ein grosses Vergnügen).

    Zürich, Tonhalle – 05.11.2022

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Paavo Järvi
    Music Director
    Janine Jansen Violine

    Olivier Messiaen «L’Ascension», Quatre Méditations symphoniques
    Leonard Bernstein Serenade (nach Platons «Symposium») für Violine, Streicher, Harfe und Schlagzeug

    Anton Bruckner Sinfonie Nr. 3 d-Moll

    Gestern dann schon der dritte Bruckner-Abend in der Tonhalle – und der programmlich ambitionierteste. Nach den kürzeren Pandemie-Konzerten noch in der Tonhalle-Maag hiess es vorerst, das Tonhalle-Orchester wolle lieber etwas kürzere Programme, die ohne Pause gespielt würden, geben. Den Punkt „ohne Pause“ finde ich super – aber wenn es nur 60 oder 75 Minuten dauert, finde ich das auch etwas kurz (die Pandemiekonzerte waren eher 50-60 Minuten und auch deutlich günstiger, ich glaub teils gab es sogar einfach einen Einheitspreis, der dann für Billigkartenkäufer wie mich nicht sooo günstig war, dafür mal das Sitzen auf anderen Plätzen ermöglichte – ich hörte Lars Vogt nochmal in der Maag mit Järvi, für einmal statt ganz vorn von hinten auf dem Balkon).

    Davon ist man jetzt offensichtlich wieder weggekommen, auch wenn der Abend mit Hosokawas Flötenkozert und Bruckner 8 durchaus so hätte gestaltet werden können, wäre nicht die eh eine grosse Umbaupause nötig gewesen (Bruckner wird überdies mitgeschnitten, demnächst kommt wohl Mendelssohn bei alpha, im Anschluss dann Bruckner – ich bin auf beides gespannt, auf Mendelssohn aber noch mehr, da ich die Konzerte allesamt verpasste … bin gar nicht sicher, ob alle Symphonien aufgeführt wurden, oder ob die eine oder andere wegen Veranstaltungsverboten einfach nur aufgenommen wurde).

    Gestern war das dann ein echt ambitioniertes Programm. Ich war weniger müde als beim Abend mit Buchbinder und Nr. 6, habe zur Nr. 3 auch bereits viel besseren Zugang als zu Nr. 6 – obwohl sie mir nicht besser gefällt. Doch los ging es mit Messiaen, „L’ascension“, zuletzt im April 2019 in der Tonhalle-Maag aufgeführt, auch schon mit Järvi und dann auch bei alpha auf einer tollen Messiaen-CD erschienen (damals spielte dann Volodos eine ebenfalls wahnsinnig tolle Interpretation von Beethoven 3). Was mich gestern beim Auftakt wieder frappierte: ich mag eigentlich Messiaens Musik nicht besonders, sie spricht mich auf einer emotionalen Ebene kaum an – und doch hakt sie sich fest, faszinieren mich seine Klangwelten ungeheuer. Neben den früheren Konzerten des Tonhalle-Orchesters mit Järvi gab es für mich im Sommer 2019 auch noch ein tolles Konzert mit Rattle in Luzern. Auch gestern ging es mir so: wie das Orchester sich wandelt, wie Klänge geschichtet werden, massiv und dennoch von einer unglaubliche Finesse, wie das grosse Orchester über längere Zeit wie eine Orgel klingt … wahnsinnig toll! (Das Ausgehpublikum, das gestern auch vertreten war, war hingegen eher betreten.)

    Dann folgte eine Umbaupause, die Schlagzeuger rückten nach vorn (leider für mich im toten Winkel), die Bläser machten sich vom Acker … und dann Janine Jansen. Ich glaub, für den Rest meiner Tage werde ich jedes Konzert von ihr hören gehen, das ich hören kann. Was für eine umwerfende Musikerin! Vergesst die Geigenfräuleins, die blöden Cover, die Decca mit ihr macht – geht einfach ins Konzert, wenn sie spielt! In der Saison 2018/19, als Järvi auch schon regelmässiger Gast war, aber das Orchester offiziell ohne Chefdirigent, war Jansen „artist in residence“ und ich konnte sie mehrmals hören: Eliasson mit Blendulf, KV 219 mit Järvi, ein Rezital mit Alexander Gavrylyuk und zuletzt Brahms mit Blomstedt – und das war ein grosses Glück! In der Zwischenzeit hat Jansen auch länger pausiert, soweit ich mitgekriegt hatte. Und jetzt ist sie mit Bernstein zurück, der „Serenade“ bzw. dem „Symposium“, der Adaption von Platons Gastmahl. Dass sie und Järvi einen guten Draht haben, war schon bei Mozart eindrücklich zu hören, da wird gemeinsam musiziert, spontan und rücksichtsvoll, hellwach – auch das ausgedünnte Tonhalle-Orchester auf der Stuhlkante, nicht zuletzt der neue Stimmführer der Celli, der sehr junge Paul Handschke, ebenso wie der Konzertmeister des gestrigen Abends, Klaidi Sahatçi. Ich habe ein paar Aufnahmen davon da, nicht zuletzt von Isaac Stern, der das Stück unter Bernstein selbst uraufgeführt hat, und natürlich die von Hilary Hahn mit Järvis Vor-Vorgänger David Zinman (Baltimore SO) – aber gestern hat sich mir dieses Werk zum ersten Mal so richtig geöffnet.

    Nach der Pause dann wieder zurück zu Üppigkeit und Volumen, die Bläser wieder dabei und enorm gefordert in Bruckners Dritter. Diese wurde – bei dem Programm wohl das einzig sinnvolle – in der dritten Fassung von 1888/89 gespielt, die eine knappe Stunde dauert. Seit 2013 (Zinman) wurde sie vom Tonhalle-Orchester nicht mehr gespielt, aber wie im Programmheft anhand eines alten Zettels aus dem Archiv zu sehen war, haben u.a. Rosbaud, Haitink, Kubelik, Sawallisch, Dohnányi, Maazel und Masur sie schon mit dem Orchester aufgeführt. Und natürlich diverse Male zwischen 1903 (erst Aufführung) und 1950 der langjährige Chefdirigent Volkmar Andrae. Mir ist die Symphonie trotz einer inzwischen recht grossen Vertrautheit recht fremd geblieben. Die fast folkloristischen Passagen wirken für meine Ohren wie ein Bruch, aufgepappt irgendwie – aber das ist wohl eh das Problem, das ich mit Bruckner (eben auch in der Sechsten) immer wieder habe: neben grossen Bögen höre ich immer wieder harte Brüche, nicht als Anregung oder interessante Wendung sondern eher so, dass ich rausfalle und mich erstmal wieder sammeln muss, nachdem ich mich gefragt habe, was das da gerade eigentlich sollte. Unabhängig davon wie gesagt echt ein Erlebnis, das Orchester zurück in der Stammhalle zu hören – dass ich so begeistern sein würde davon, war nach der grossen Enttäuschung über das Scheitern der Projekte, die Tonhalle-Maag weiter zu nutzen, nicht so direkt absehbar und freut mich umso mehr.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11917029  | PERMALINK

    cloudy

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    @gypsy-tail-wind

    Las gerade Deine wirklich tollen Konzertimpressionen. Danke dafür! Sie stellen einen echten Gewinn für mich dar und einen Anstoß, auch mal in das eine oder andere mir unbekannte klassische Werk reinzuhören. Aber darüber hinaus sind sie auch schon allein deshalb inspirierend und motivierend, weil Du sogar solch lange Zugfahrten auf Dich nimmst, „nur“ um in einem Konzert oder in der Oper live dabei zu sein. Sollte ich mir vielleicht so auch mal vornehmen.

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    schnief schnief di schneuf
    #11917033  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „gypsy“ : natürlich schade, dass die Bruckner Sinfonien Dir nicht so „gepasst“ haben …. sowohl die 3tte als auch die 6 sind (für mich) schwíerig zu hören aber ich (hinter)frage  auch den Bruckner Bezug von Paavo Järvi ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11917045  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Nein, den hinterfrage ich nicht, ich finde es im Gegenteil sehr interessant, wie er das angeht! Ich denke, da wird dann in ein paar Jahren die CD-Box vertiefte Einblicke/Eindrücke gestatten.

    @cloudy Danke! Ich verbinde das ja an sich lieber mit Urlaubsreisen, aber das finde ich nach wie vor wegen der Pandemie ein schwieriges Thema. Und Energiekrise, Krieg usw. helfen auch nicht. Vom Klima ganz zu schweigen – obwohl ich ja stets mit dem Zug unterwegs bin. Genf ist halt echt zu weit für so einen Tagesausflug ohne Übernachtung, einen Museumbesuch hätte ich noch einrichten können, aber dann wäre ich in der Oper einfach weggedöst, drum liess ich das. Luzern, Basel und – demnächst zum ersten Mal, weil dort tatsächlich eine Oper von Bologne (Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges) aufgeführt wird – St. Gallen sind mit einer Stunde Fahrt kein Problem, auch wenn es unter der Woche schon mal etwas später wird, als mir lieb ist (was ich momentan auch noch zu vermeiden versuche, da ich weiterhin nicht ganz auf dem Damm bin, aber natürlich auf Arbeit das übliche erwartet wird und gerade eh zuviel los ist).

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    #11917099  | PERMALINK

    soulpope
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    gypsy-tail-wind Nein, den hinterfrage ich nicht, ich finde es im Gegenteil sehr interessant, wie er das angeht! Ich denke, da wird dann in ein paar Jahren die CD-Box vertiefte Einblicke/Eindrücke gestatten ….

    Kann hier natürlich nur von seinen Aufnahmen mit seinen Aufnahmen Bruckner 6,7 und 9 mit der hr Sinfonie Orchester ausgehen und hier war eine Nähe zu Pomp und (auch dadurch) manchmal fehlender Fluss ein Faktor …. na schau ma mal ….

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    #11917103  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich stecke da viel zu wenig tief drin … aber ich finde, das Orchester klingt phantastisch (wie das auf die Aufnahmen übertragbar ist, ist nochmal eine Frage für sich, denn die ungeheure Dynamik im Konzertsaal wäre daheim ja ungeniessbar) … bisschen Pomp mag sein, jedenfalls braust das ordentlich auf, aber ich nehme das schon als gradlinig musiziert wahr.

    Drehe allerdings z.B. noch um seinen Sibelius aus Paris … den manche schlechtreden, andere hochschätzen. Wie üblich halt. Eine hervorragende Aufnahme mit den Frankfurtern, die mir anderswo empfohlen wurde – kannte auch das Werk noch nicht – ist übrigens die hier mit der ersten Symphonie von Hans Rott:

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    #11917123  | PERMALINK

    soulpope
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    gypsy-tail-windIch stecke da viel zu wenig tief drin … aber ich finde, das Orchester klingt phantastisch (wie das auf die Aufnahmen übertragbar ist, ist nochmal eine Frage für sich, denn die ungeheure Dynamik im Konzertsaal wäre daheim ja ungeniessbar) … bisschen Pomp mag sein, jedenfalls braust das ordentlich auf, aber ich nehme das schon als gradlinig musiziert wahr. Drehe allerdings z.B. noch um seinen Sibelius aus Paris … den manche schlechtreden, andere hochschätzen. Wie üblich halt. Eine hervorragende Aufnahme mit den Frankfurtern, die mir anderswo empfohlen wurde – kannte auch das Werk noch nicht – ist übrigens die hier mit der ersten Symphonie von Hans Rott:

    Die Sibelius Aufnahmen aus Paris habe durchaus ihre Meriten, aufgrund meiner Sibelius Bestände hat sich hier aber keine Entscheidungsnot ergeben …. die Hans Rott 1 eine interessante Sichtweise, man muss halt das Werk schon eher mögen …

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    #11917253  | PERMALINK

    Anonym
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    Auch von mir herzlichen Dank für einen einmal mehr schönen Konzertbericht, @gypsy-tail-wind. Das ist großes Programm. Nur herausgreifen möchte ich Järvi mit Pärt. Deine Beschreibung kann ich sehr gut nachvollziehen; hier ist – sonst habe ich Pärt „nur“ mit den einschlägigen ECM-Veröffentlichungen – eine „The Very Best of Arvo Pärt“, darauf Järvi mit drei Werken, namentlich der „Cantus in memoriam Benjamin Britten“ trifft es für mich genau. Das, was Du geschrieben hast. Mit dem Estonian National Symphony Orchestra, im November 2000 in Tallinn aufgenommen.

    Zu Bruckner: Ich höre ja beinahe nur die Symphonien 7, 8, 9. Die Sechste kenne ich überhaupt nicht, 3 und 4 und 5 sind mir bisher nicht so nah. Das ist hier alles noch sehr Stückwerk mit Bruckner, manches nur auf Vinyl, wozu ich mir einen Plattenspieler wieder besorgen sollte. Dann kann ich, @soulpope, auch mal wieder die „Voces Intimae“ von Sibelius hören. – Macht Bruckner das nicht sehr oft: Brüche, als ob er sich selbst einen komponiertes „Moment mal“ vorsetzt, als könne es so nicht weitergehen? Also nochmal? Und dann wieder und wieder von Fassung zu Fassung?

    Interessant auch der Einfluss der Farbe auf den Klang, in diesem nicht skrjabinschen Sinn.

    Gestern Christian Spucks / Hans Zenders Auslotung der „Winterreise“ auf 3Sat. Aus Zürich. Hast Du das damals gesehen? Nie gleitenderen Tanz gesehen – und immer die Köpfe oben.

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    #11917271  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Oh, danke, das muss ich nachholen, weil ich die „Winterreise“ damals leider verpasst habe – hätte nur noch einen Hörplatz gekriegt, als ich guckte – die Rezensionen waren so gut und alle Vorstellungen fast völlig ausverkauft. Und Hörplatz macht bei Ballett jetzt nicht sooo Freude (im Konzert ist es mir recht egal).

    Bruckners letzte drei sind wohl auch das, was mich hauptsächlich anzieht. Aber Nr. 5 mit Blomstedt im Frühling war schon auch toll zu hören – das war meine erste Begegnung mit dem Werk und ich glaub auch tatsächlich das erste Konzert mit dem Tonhalle-Orchester im davor schon längst wieder bespielten renovierten Saal. Drum sind da auch meine Eindrücke – nach drei Konzerten in relativ kurzer Abfolge – so halb-euphorisch: ich höre erst gerade, wie wahnsinnig toll der neue alte Saal jetzt klingt!

    Und doch, das mit den Brüchen mag schon stimmen – mich irritierte das in der Nr. 3 aber mehr, als dass ich es anregend fand. Einen Vorwurf an Järvi sollte man daraus echt nicht konstruieren, auch wenn man das vielleicht anders ausgestalten kann. Aber ob es dann mehr im Sinn des Werks wäre, keine Ahnung. Da binn ich viel zu wenig tief drin.

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    #11917317  | PERMALINK

    yaiza

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    von mir auch vielen Dank an gypsy für die Konzertberichte. Ich habe erstmal einiges nachgelesen.
    Deine Freude, das Orchester wieder in der Tonhalle zu hören, kommt immer wieder zum Ausdruck.

    Alexandra Dovgan spielte 2019 bei den Young European Classics im Konzerthaus Berlin mit dem Jugendorchester von Tatarstan das Bach Klavierkonzert in d-Moll, BWV 1056. Ich hörte es mir am Radio an, fand jetzt gerade auch noch den Sendehinweis
    Der Schauspieler Devid Striesow war Pate des Abends und wurde später mit „Ich weiß ja, dass hier alle ganz jung sind, aber sooo jung (?)…“ zitiert :)

    Ich stelle auch noch einen Konzertbericht ein. An diesem Abend ging’s vorwiegend um Einflüsse auf-/zueinander und Bearbeitungen. Eine Anknüpfung an Janácek gibt es auch.

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    yaiza

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    Mi, 2. November 2022
    Konzerthaus Berlin, Großer Saal
    „The Kreutzer Project“
    The Knights, Ltg. Eric Jacobsen 
    Ray Chen, Violine
    Karen Ouzounian, Violoncello

    Besetzung The Knights:
    v1: 3 / v2: 3 / va: 2 / vc: 2 / cb: 1 / fl: 1 / ob: 1 / cl: 1 / fg: 1 / hrn: 2 / tp: 1 / dr: 1 / hrp: 1

    Auf den Internetseiten der Spielorte war folgende Kurzbeschreibung zu lesen:

    Ludwig van Beethoven komponiert eine Sonate und widmet sie einem berühmten Geiger, der sie niemals spielen wird. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi schreibt eine Novelle über einen Mann, der seine Ehefrau ermordet, weil sie den Klavierpart in Beethovens »Kreutzer-Sonate« zu leidenschaftlich interpretiert. Leoš Janáček komponiert ein aufwühlendes Streichquartett, das von Tolstois Novelle inspiriert ist. Und der amerikanische Violinist Colin Jacobsen schreibt eine Ouvertüre zu diesem Programm, in dem sich alle Fäden buchstäblich kreuzen und in der Person des französischen Violinvirtuosen Rodolphe Kreutzer ihren Ankerpunkt finden. Ein ungewöhnlich dicht gewobenes Programm, das so typisch ist für das von den Brüdern Jacobsen gegründete New Yorker Kammerorchester The Knights…

    Colin Jacobsen – „Kreutzings“
    Ludwig van Beethoven – Sonate für Klavier und Violine A-Dur op. 47 („Kreutzer-Sonate“), für Violine und Kammerorchester bearbeitet von Colin Jacobsen

    Pause

    Anna Clyne – „Shorthand“, für Solo-Violoncello und Streichquintett
    Leoš Janáček – Streichquartett Nr. 1 (nach Tolstois Novelle „Kreutzer-Sonate“), für Kammerorchester bearbeitet von Michael P. Atkinson und Eric Jacobsen
    Colin Jacobsen – „A Shadow Under Every Light“ für Violine und Kammerorchester (nach von Leoš Janáček gesammeln Volksliedern)

    Antrieb, in dieses Konzert zu gehen, war, mir mal „The Knights“ aus NYC anzuhören. Im Radio hörte ich mittlerweile Schubert Sinf. 5 und Violinkonzerte von Beethoven, Brahms sowie Prokofiev (2) – alle mit Gil Shaham. Die Brüder Eric und Colin Jacobsen gründeten dieses Ensemble 2007 und sind dessen künstlerische Leiter. 
    Der Abend wurde mit „Kreutzings“ von Colin Jacobs eröffnet, das sich auf die Kreutzer Etüde Nr. 2 bezieht (mir noch unbekannt), mit Anspielungen auf Beethoven und Janácek. Auf die für Violine und Kammerorchester arrangierte „Kreutzer-Sonate“ war ich gespannt. Das Ensemble (Besetzung s.o.) erschien mir vom Klang her zu klein. Das lag sicher auch an der Akustik im Großen Saal. Den Kleinen Saal hätten sie mit dieser Besetzung gut ausgefüllt (der lohnt sicher für eine Tournee nicht). Solist Ray Chen spielte seinen Part virtuos. Interessant fand ich, dass einige Stellen in dem Arr. wie in einem Vivaldi VK klangen. Als ich dann vor ein paar Tagen wieder diese Sonate für Violine und Klavier hörte, fielen mir diese wieder auf und ich freue mich jetzt schon auf die Beschäftigung damit. The Knights und Ray Chen sind im Okt./Nov. 22 auf Tour durch einige Konzertsäle in Deutschland und Dänemark und es hatte natürlich keiner etwas dagegen, dass der Solist „the hall with some Bach“ testet. Er stellte noch kurz die Stradivari, die er nun spielt, vor (1714 ‚Dolphin‘, spielte Heifetz von 1950-65) und setzte dann zum Präludium aus BWV 1006 an.

    Nach der Pause ging es mit „Shorthand“ (dt. Kurzschrift oder Stenographie) von Anna Clyne für Solo-Violoncello (gespielt vom Ensemblemitglied Karen Ouzounian) und Streichquintett weiter. „Shorthand“ leitete den Tolstoi-Teil des Kreutzer-Abends ein und Anna Clyne bezog sich im Titel und mit Ihrem Werk auf das Tolstoi-Zitat „Music is the shorthand of emotion“. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass Eric und Colin Jacobsen zwischen ihren Einsätzen am Dirigentenpult und 1. Violine sehr gekonnt kurze Einleitungen gaben.
    Das Arrangement des 1. Streichquartetts von Janácek überzeugte mich. Ich hörte schonmal eine Bearbeitung für Streichorchester von Richard Tognetti, im Arr. von Michael P. Atkinson (Hornist im Ensemble) und Colin Jacobsen sind neben Saiteninstrumenten auch Holz- u. Blechbläser sowie Schlagwerk zu hören. Dem Streichquartett wurde aber auch Raum gegeben, immer wieder gab es Passagen mit den jeweiligen Stimmführern des Ensembles. Gepaart mit den vielen ergänzenden Klängen hatte das live schon einen besonderen Reiz. Danach blieb es lange still bevor der Applaus regelrecht aufbrandete. 

    The Knights verweilten noch bei Janácek. Zunächst erklärte Colin Jacobsen einiges zu den Aufzeichnungen von Volksliedern mit Phonographen durch Janacék (ich fand nach dem Konzert diesen Artikel bei radio.cz) und stellte anschließend seine Komposition „A Shadow Under Every Light“ für Violine und Kammerorchester kurz vor. Er hatte Melodien aus 6 Liedern nach Vorbild von Bartóks „Rumänischen Volkstänzen“ zu einer Suite zusammengefasst. Solist war hier nochmals Ray Chen. Mittendrin wurde eine dieser Janácek-Aufnahmen (eine Frau sang ein Volkslied) eingespielt. Diese Überraschung fand ich sehr gelungen. 

    Für die Zugabe blieben The Knights und Ray Chen noch beim Volkslied und spielten ein Arr. von „Waltzing Matilda“. (Ray Chen wurde auf Taiwan geboren, zog mit seinen Eltern in früher Kindheit nach Australien)
    Alles in allem war das ein bunter und in vielerlei Hinsicht auch bereichernder Abend. Die zweite Hälfte gefiel mir sehr.

    Hamburger Abendblatt, Joachim Mischke, 26.10.2022
    https://www.abendblatt.de/kultur-live/kritiken/article236761515/the-knights-klassik-kann-auch-mal-ganz-anders-klingen-elbphilharmonie-hamburg.html

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    #11917335  | PERMALINK

    soulpope
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    clasjaz …. Zu Bruckner: Ich höre ja beinahe nur die Symphonien 7, 8, 9. Die Sechste kenne ich überhaupt nicht, 3 und 4 und 5 sind mir bisher nicht so nah. Das ist hier alles noch sehr Stückwerk mit Bruckner, manches nur auf Vinyl, wozu ich mir einen Plattenspieler wieder besorgen sollte. Dann kann ich, @soulpope, auch mal wieder die „Voces Intimae“ von Sibelius hören. – Macht Bruckner das nicht sehr oft: Brüche, als ob er sich selbst einen komponiertes „Moment mal“ vorsetzt, als könne es so nicht weitergehen? Also nochmal? Und dann wieder und wieder von Fassung zu Fassung? Interessant auch der Einfluss der Farbe auf den Klang, in diesem nicht skrjabinschen Sinn. Gestern Christian Spucks / Hans Zenders Auslotung der „Winterreise“ auf 3Sat. Aus Zürich. Hast Du das damals gesehen? Nie gleitenderen Tanz gesehen – und immer die Köpfe oben.

    Bruckners späte(re) Sinfonien sind eine Architektur der Brüche (bzw als solche platzierter Themen) …. schwierig dies in Darbietungen umzusetzten, dh nicht Bombast ist hier gefragt, sondern einfühlsames Ausleuchten im Gesamtkontext …. will aber hier keine Vorschreibungen machen denn jede Beschäftigung Bruckner ist wichtig …. und ja zu Spuck/Zender ….

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