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Mi, 2. November 2022
Konzerthaus Berlin, Großer Saal
„The Kreutzer Project“
The Knights, Ltg. Eric Jacobsen
Ray Chen, Violine
Karen Ouzounian, Violoncello
Besetzung The Knights:
v1: 3 / v2: 3 / va: 2 / vc: 2 / cb: 1 / fl: 1 / ob: 1 / cl: 1 / fg: 1 / hrn: 2 / tp: 1 / dr: 1 / hrp: 1
Auf den Internetseiten der Spielorte war folgende Kurzbeschreibung zu lesen:
Ludwig van Beethoven komponiert eine Sonate und widmet sie einem berühmten Geiger, der sie niemals spielen wird. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi schreibt eine Novelle über einen Mann, der seine Ehefrau ermordet, weil sie den Klavierpart in Beethovens »Kreutzer-Sonate« zu leidenschaftlich interpretiert. Leoš Janáček komponiert ein aufwühlendes Streichquartett, das von Tolstois Novelle inspiriert ist. Und der amerikanische Violinist Colin Jacobsen schreibt eine Ouvertüre zu diesem Programm, in dem sich alle Fäden buchstäblich kreuzen und in der Person des französischen Violinvirtuosen Rodolphe Kreutzer ihren Ankerpunkt finden. Ein ungewöhnlich dicht gewobenes Programm, das so typisch ist für das von den Brüdern Jacobsen gegründete New Yorker Kammerorchester The Knights…
Colin Jacobsen – „Kreutzings“
Ludwig van Beethoven – Sonate für Klavier und Violine A-Dur op. 47 („Kreutzer-Sonate“), für Violine und Kammerorchester bearbeitet von Colin Jacobsen
Pause
Anna Clyne – „Shorthand“, für Solo-Violoncello und Streichquintett
Leoš Janáček – Streichquartett Nr. 1 (nach Tolstois Novelle „Kreutzer-Sonate“), für Kammerorchester bearbeitet von Michael P. Atkinson und Eric Jacobsen
Colin Jacobsen – „A Shadow Under Every Light“ für Violine und Kammerorchester (nach von Leoš Janáček gesammeln Volksliedern)
Antrieb, in dieses Konzert zu gehen, war, mir mal „The Knights“ aus NYC anzuhören. Im Radio hörte ich mittlerweile Schubert Sinf. 5 und Violinkonzerte von Beethoven, Brahms sowie Prokofiev (2) – alle mit Gil Shaham. Die Brüder Eric und Colin Jacobsen gründeten dieses Ensemble 2007 und sind dessen künstlerische Leiter.
Der Abend wurde mit „Kreutzings“ von Colin Jacobs eröffnet, das sich auf die Kreutzer Etüde Nr. 2 bezieht (mir noch unbekannt), mit Anspielungen auf Beethoven und Janácek. Auf die für Violine und Kammerorchester arrangierte „Kreutzer-Sonate“ war ich gespannt. Das Ensemble (Besetzung s.o.) erschien mir vom Klang her zu klein. Das lag sicher auch an der Akustik im Großen Saal. Den Kleinen Saal hätten sie mit dieser Besetzung gut ausgefüllt (der lohnt sicher für eine Tournee nicht). Solist Ray Chen spielte seinen Part virtuos. Interessant fand ich, dass einige Stellen in dem Arr. wie in einem Vivaldi VK klangen. Als ich dann vor ein paar Tagen wieder diese Sonate für Violine und Klavier hörte, fielen mir diese wieder auf und ich freue mich jetzt schon auf die Beschäftigung damit. The Knights und Ray Chen sind im Okt./Nov. 22 auf Tour durch einige Konzertsäle in Deutschland und Dänemark und es hatte natürlich keiner etwas dagegen, dass der Solist „the hall with some Bach“ testet. Er stellte noch kurz die Stradivari, die er nun spielt, vor (1714 ‚Dolphin‘, spielte Heifetz von 1950-65) und setzte dann zum Präludium aus BWV 1006 an.
Nach der Pause ging es mit „Shorthand“ (dt. Kurzschrift oder Stenographie) von Anna Clyne für Solo-Violoncello (gespielt vom Ensemblemitglied Karen Ouzounian) und Streichquintett weiter. „Shorthand“ leitete den Tolstoi-Teil des Kreutzer-Abends ein und Anna Clyne bezog sich im Titel und mit Ihrem Werk auf das Tolstoi-Zitat „Music is the shorthand of emotion“. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass Eric und Colin Jacobsen zwischen ihren Einsätzen am Dirigentenpult und 1. Violine sehr gekonnt kurze Einleitungen gaben.
Das Arrangement des 1. Streichquartetts von Janácek überzeugte mich. Ich hörte schonmal eine Bearbeitung für Streichorchester von Richard Tognetti, im Arr. von Michael P. Atkinson (Hornist im Ensemble) und Colin Jacobsen sind neben Saiteninstrumenten auch Holz- u. Blechbläser sowie Schlagwerk zu hören. Dem Streichquartett wurde aber auch Raum gegeben, immer wieder gab es Passagen mit den jeweiligen Stimmführern des Ensembles. Gepaart mit den vielen ergänzenden Klängen hatte das live schon einen besonderen Reiz. Danach blieb es lange still bevor der Applaus regelrecht aufbrandete.
The Knights verweilten noch bei Janácek. Zunächst erklärte Colin Jacobsen einiges zu den Aufzeichnungen von Volksliedern mit Phonographen durch Janacék (ich fand nach dem Konzert diesen Artikel bei radio.cz) und stellte anschließend seine Komposition „A Shadow Under Every Light“ für Violine und Kammerorchester kurz vor. Er hatte Melodien aus 6 Liedern nach Vorbild von Bartóks „Rumänischen Volkstänzen“ zu einer Suite zusammengefasst. Solist war hier nochmals Ray Chen. Mittendrin wurde eine dieser Janácek-Aufnahmen (eine Frau sang ein Volkslied) eingespielt. Diese Überraschung fand ich sehr gelungen.
Für die Zugabe blieben The Knights und Ray Chen noch beim Volkslied und spielten ein Arr. von „Waltzing Matilda“. (Ray Chen wurde auf Taiwan geboren, zog mit seinen Eltern in früher Kindheit nach Australien)
Alles in allem war das ein bunter und in vielerlei Hinsicht auch bereichernder Abend. Die zweite Hälfte gefiel mir sehr.
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Hamburger Abendblatt, Joachim Mischke, 26.10.2022
https://www.abendblatt.de/kultur-live/kritiken/article236761515/the-knights-klassik-kann-auch-mal-ganz-anders-klingen-elbphilharmonie-hamburg.html
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