Konzertimpressionen und -rezensionen

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    gypsy-tail-wind
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    Wochenend-Festival 7.–10. November 2019
     
    Zürich, Opernhaus, Studiobühne – 08.11.2019

    Helmut Lachenmann – Gesprächskonzert

    Ensemble Opera Nova
    Hans-Peter Achberger
    Leitung
    Helmut Lachenmann Klavier
    Lev Sivkov Violoncello
    Yuko Kakuta Sopran
    Yukiko Sugawara Klavier

    Claus Spahn Gesprächsleitung

    ANTON WEBERN/JOHANN SEBASTIAN BACH „Ricercar a 6“ aus dem „Musikalischen Opfer“ BWV 1079
    HELMUT LACHENMANN „Kinderspiel“ für Klavier
    LUIGI NONO „Polifonica – Monodia – Ritmica“
    HELMUT LACHENMANN „Pression“ für einen Cellisten

    ANTON WEBERN Fünf Stücke für Orchester Op. 10
    HELMUT LACHENMANN „Got Lost“ für Sopran und Klavier
    ANTON WEBERN Fünf Stücke für Orchester Op. 10

    Hinter mir liegt ein Samstag voller Musik, doch los ging es schon am Freitagabend, 19 Uhr. Dann war ein Gesprächskonzert mit Helmut Lachenmann angesagt, dessen „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ hier gerade mit grossem Erfolg aufgeführt wird (ich schrieb hier schon ein paar Zeilen). Das Konzert begann früh, es gab eine Pause, geplant war das Ende für 21:15, doch es wurde fast 22 Uhr – ohne dass mir dabei je die Zeit lang geworden wäre, im Gegenteil: gerne hätte ich Lachenmann länger zugehört und auch mehr Musik gehört! Ich ergatterte dabei eher zufällig einen Platz in der ersten Reihe direkt vor den zwei Stühlen, auf die Lachenmann und sein Gesprächspartner Claus Spahn (Chefdramaturg am Opernhaus) sich für ihr Gespräch jeweils setzten.

    Los ging es mit dem Ensemble Opera Nova – es besteht aus MusikerInnen des Orchesters des Opernhauses, das sich seit einigen Jahren Philharmonia Zürich nennt – unter der Leitung von Hans-Peter Achberger (er ist auch Schlagzeuger des Orchesters) und Weberns Zerlegung von Bachs Ricercar a 6 aus dem Musikalischen Opfer. Das ist ein Stück, in dem Lachenmanns Unterscheidung zwischen „hinhören“ und „zuhören“ virulent wird, denn wie Webern damit umspringt, wird die Materialität des Werks hörbar, die Instrumente in ihren Kombinationen, das Material, aus dem das Werk erst konkret entsteht. Ein faszinierender und sehr stimmiger Auftakt.

    Nach einem ersten Gesprächsblock setzte Lachenmann sich selbst an den Flügel und spielte sein „Kinderspiel“, sieben Stücke, die teils auf vertrautem Material beruhen, vor allem aber die Arbeit fortsetzen, die Webern begann: das „philharmonische“ Instrument wird dabei in ein Gerät verwandelt (er erwähnte in diesem Kontext, auch in Bezug auf „Pression“ noch einmal, Morton Feldmans „The Viola in My Life“, das ich leider noch immer nicht kenne). Es wird quasi nicht ein Werk auf dem Klavier gespielt sondern Klavier auf dem Werk. Dabei wird das Möbel abgeklopft, es wird gewissermassen untersucht auf seine klanglichen Möglichkeiten hin. Ich glaube es ist das fünfte Stück mit dem Titel „Filterschaukel“, in dem dabei Cluster so intensiv gehämmert werden, bis sich Klänge einzustellen beginnen, die gar nicht gespielt werden – sondern aus den Schwingungen, den Obertönen usw. erst entstehen. Es gibt „Hänschen klein“, es gibt aber auch einen Tarantella-Rhythmus – Versatzstücke, Trümmer, die zu etwas Neuem werden (und dabei das Prinzip von Weberns Bach-Bearbeitung fortsetzen – der Abend war wirklich enorm stimmig programmiert).

    Als nächstes folgte dann Nonos Klassiker, einst von Hermann Scherchen uraufgeführt, der damals in Winterthur tätig war – und der das Werk seines Schülers kürzte (was er auch in anderen ähnlichen gelagerten Fällen tat). Wie es scheint wird dabei bis heute meist diese gekürzte Fassung gespielt, doch für einmal erklang hier die komplette – und ich wunderte mich, wie man da auf die Idee kommen konnte, etwas wegzustreichen. Ein faszinierendes Stück, das natürlich im Gespräch das Feld öffnete, was Lachenmanns Beziehung zu seinem Lehrer anbelangte, eben Nono. Diesen beschreibt Lachenmann als einen Desperado, einer, der eigentlich gar kein Musiker war, der darum von Boulez und anderen auch geringgeschätzt wurde. Doch der Respekt – der dann nach ein paar Jahren der Funkstille auch ein gegenseitiger auf Augenhöhe wurde – ist Lachenmann anzumerken. Er selbst musste, im Gegensatz zum „Dilettanten“ Nono erst die bürgerlichen Trümmer wegräumen, bevor er etwas schaffen konnte – und diese ungleiche Ausgangslage ist wohl ein zentraler Punkt, wenn es um die beiden geht. Man müsse seinen Lehrer umbringen, um ihm (nach)folgen zu können, um nicht bloss ein Satellit in seinem Orbit zu werden. (Passend dazu ein anderes Bild in der Diskussion über Webern – ich bin nicht sicher, ob es von Lachenmann stammt oder ob er es bloss referiert hat: Webern, der Adler, sei in die allerhöchsten Höhen aufgestiegen – und da habe sich plötzlich ein kleiner Vogel unter seinem Flügel gelöst, Schönberg, und sei in noch grössere Höhen vorgestossen.)

    Den Abschluss des ersten Teiles machte Lachenmanns wohl ziemlich zentrales Werk „Pression“, in dem das Cello noch radikaler auf seine Materialität hin „abgeklopft“ wird (ein einziges Mal haut denn der Cellist auch mit voller Wucht auf den Steg – zum Glück da, wo er beginnt und ordentlich verstärkt ist). Holz, Stahl, Pferdehaar und was da noch so alles ist, alle Arten von Kollisionen und eben: Pressionen. Dass Lev Sivkov, einer der Solocellisten der Philharmonia, dabei einen Frack trug und die eine oder andere grosse Geste einstreute, verstärkte den Effekt – nichts in Komische, würde Lachenmann sagen, sondern ins Heitere, das er wiederum – gerade wie das Lächerliche, das ja auch phonetisch mit ihm verwandt ist – sehr ernst nehme. Sivkov zog aber auch den einen Schuh aus, um ohne störende Geräusche das Fusspedal zum Blättern der Noten auf dem Tablett betätigen zu können – oder bloss, um noch eine weitere Brechung einzubauen? Lachenmann erzählte davor von seiner Faszination für die Werke von Pierre Schaeffer und Pierre Henry – doch wollte er nicht die Membran eines Lautsprechers hören, aus der die Klangcollagen der beiden berühmten Vertrerter der Musique concrète erklangen: er wollte eine „musique concrète instrumental“ schaffen, in der Instrumente gespielt, der Klang vor den Augen des Publikums produziert wurde. Dabei kommt in „Pression“ die ganze Skala zwischen Gewalt und Zartheit zum Vorschein – eine sehr emotionale Haltung, die auch der seriellen, für Lachenmanns Verständnis viel zu mathematischen und toten Musik entgegengesetzt wird. Lachenmann erwähnte auch – „there’s method in my madness“ meinte er schmunzelnd, als ob wir daran jemals gezweifelt hätten–, das Mahler-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ („ein Lied, das alle kennen sollten!“), sein Vorgehen beim Komponieren, quasi einen Raum einzurichten im Finsteren, diesen Raum abzutasten wie ein Blinder. Dass „Pression“ in der Struktur auf das Mahler-Lied Bezug nimmt bzw. diese abbildet, erwähnte am nächsten Tag dann Jörn Peter Hiekel in seinem Referat im Rahmen des Symposiums über Lachenmann.

    Nach der Pause bildeten zwei Aufführung von Weberns fünf Stücken für Orchester Op. 10 eine Klammer um Lachenmanns „Got Lost“. Die Idee war dabei, das Werk von Webern nach dem Gespräch und nach dem Werk Lachenmanns mit anderen Ohren noch einmal zu hören – eine gute Sache natürlich (wäre es meines Erachtens auch ohne Gespräch, gerade bei so kurzen Werken könnte das auch öfter mal so gehalten werden). Weberns Stück nun wurde gemäss Achberger (so erzählte es Spahn) 1926 in Zürich unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt (scheint korrekt: klick) – aller Wahrscheinlichkeit nach mit Mitgliedern des damaligen Theaterorchesters (also vor der Trennung des Tonhalle- und des Opernorchesters, die 1985 erfolgte), das auch an diesem Abend aufspielte.

    In „Got Lost“ wiederum stellt Lachenmann sich einem seiner Traumata („alle diese Stücke sind eigentlich die Beschäftigung mit einem Trauma“), nämlich dem vor der menschlichen Stimme. Willi Baumeister, der Stuttgarter Mahler, Grafiker, Bühnenbildner, Leher (etc.) sagte, so Lachenmann, einst, er sei „Leerer“. Alle seien schon so voll, dass sie erst mal geleert werden müssen. Und so hat Lachenmann quasi in „Pression“ das Cello, im „Kinderspiel“ das Klavier geleert. In „Got Lost“ (Spahn kalauerte natürlich auch gleich etwas von „Gott“, es erfolgte selbstredend kein Widerspruch) schafft aus Texten von Nietzsche (ein paar höchst pathetische Zeilen aus der „Fröhlichen Wissenschaft“), einem Gedicht von Pessoa („Todas as cartas de amor são / Ridículas“ – da ist die Lächerlichkeit) und einem Zettel über den abhanden gekommenen Wäschekorb („Today my laundry basket got lost“) ein faszinierendes Werk, in dem alles noch einmal abgerufen wird, dann neu zusammengesetzt und dabei natürlich eine ganz eigene Beleuchtung erhält. Phonetische Landschaften öffnen sich und da kommt eben die Heiterkeit zum Vorschein, von der Lachenmann so gerne spricht: Er nimmt das Lächerliche („Since it is pretty difficult to carry the laundry without it I’d be most happy to get it back“) ernst, dekonstruiert das Pathos, stellt ihm eine heiter-ironische Welt entgegen. Die Aufführung des Stückes durch Kakuta und Sugawara war überwältigend – und sie macht, wie auch die Aufführung des „Mädchens“, deutlich, wie eng der Komponist mit seinen Werken und deren InterpretInnen verbandelt ist. Ein Privileg, das hautnah – der Mensch hört ja über die Haut, wie ich gestern beim Symposium erfahren konnte (und da ist, die Erfahrung, das Erfahren, schon der nächste Schlüsselbegriff – der Hörsinn entwickelt sich beim Fötus erst allmählich aus dem Tastsinn heraus, und bekanntlich steht unser Gleichgewichtssinn im Ohr) – erleben zu dürfen.
     

     
    Zum Symposium „Resonanzen…“, das ich gestern besuchte, gibt es hier mehr zu lesen:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/neue-musik/#post-10923981
     

     

     
    Zürich, Zürcher Hochschule der Künste/ZHdK – 08.11.2019

    arc en ciel
    Vokalensemble der ZHdK

    Ensemble für zeitgenössische Musik der ZHdK
    Markus Utz
    (Feldman)/Michael Wendeberg (Lachenmann) Leitung

    MORTON FELDMAN „Rothko Chapel“ für Sopran, Alt, gemischten Chor und Instrumente (1971)

    HELMUT LACHENMANN „Mouvement (– vor der Erstarrung)“ für Kammerensemble (1983/84)

    Zum Ausklang des gestrigen Symposiums folgte nach zwei Stunden Pause um 19:30 an der ZHdK noch ein Konzert – ich wollte danach direkt weiter in den Jazzclub, ganz in der Nähe, wo es jeweils um 20:30 losgeht, doch weil Feldman zuerst aufgeführt wurde und danach eine 20minütige Umbaupause nötig war, dauerte das alles etwas länger als gedacht. Aber es war klar, dass ich Lachenmanns Stück hören wollte. Er war denn auch wieder anwesend und der grosse Schlussapplaus mag nicht nur den Aufführenden gegolten haben (deren Angehörige und Freunde zahlreich im Publikum vertreten waren) sondern, so bilde ich es mir ein, auch als Dank an Helmut Lachenmann, der so viel über sich und sein Schaffen preiszugeben bereit war an diesem langen Tag. Ich verdrückte mich dann aber schnell, um nicht zuviel vom Maria Grand Trio zu verpassen.

    In der ersten Hälfte wurde also Morton Feldmans „Rothko Chapel“ aufgeführt, ein Stück, das ich ab CD kenne, aber schon eine Weile nicht mehr angehört habe (zuletzt wohl 2015, als bei ECM die Aufnahme mit Kim Kashkashian an der Viola erschien, mir liegt zudem eine etwas ältere Einspielung vor – muss die beiden hervorkramen). Gesungen war das super, was Chor und Solistinnen des Chors angeht, schwer irritiert hat mich aber die voller Vibrato im Gestus geradezu romantisch gespielte Bratsche. Vielleicht war das Programm? Mich hinterliess es eher ratlos (und auch diesbezüglich möchte ich die Aufnahmen wieder einmal anhören).

    Nach der Pause erschien dann in grösserer Besetzung – zwei Flöten, drei Klarinetten, zwei Trompeten, zwei Bratschen, ein Cello, ein Kontrabass, eine Musikerin an Klingelspielen, drei Schlagzeuger – das Ensemble arc en ciel auf der Bühne, das Hausensemble für neue Musik der ZHdK. Im Werk geht Lachenmann einmal mehr mit der Herausforderung um, die Tradition fortzuspinnen – was ja nur mit durch den Bruch mit ihr möglich ist, wie im Rahmen des Gesprächskonzertes und noch mehr des Symposiums deutlich wurde. Im ersten Teil erklingen Phrasen, sinnentleerte Kürzel, über rhythmischen Impulsen, im zweiten taucht das Lied „O du lieber Augustin“ auf, verklausuliert natürlich, das schon Schönberg in sein zweites Streichquartett eingearbeitet hatte. Gerade daran wird das Dilemma im Umgang mit der Tradition verdeutlicht. Das Stück verdichtet sich zum Ende hin mit fortlaufenden Rhythmen und Repetitionen zu einem unerbittlichen Ganzen – mit Bezug auf Lachenmanns eigene Worte ist im Kommentar zum Konzert nachzulesen, dass das Werk den Versuch darstelle, „Tabula rasa zu machen und von Grund auf einen musikalischen Organismus zu entwickeln“. Jedenfalls einmal mehr ein Werk, das zu ganz neuem Hören, Zuhören, führt.
     
    Die Nachbereitung der ganzen Wissensfragmente, die gestern über mir zusammengebrochen sind, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Auf jeden Fall werde ich einige Aufnahmen (neu) anhören und wohl noch ein paar weitere Anschaffen.
     

     
    PS: Das „Wochenend-Festival“ ging am 7.11. mit einem Konzert los, in dem auch in der ZHdK und von Studierenden Kammermusikwerke von Lachenmann gespielt wurden – da ging ich leider nicht hin, es war schon so an der Grenze des Machbaren. Abgerundet wird es heute nachmittag mit dem Besuch der bereits zweitletzten von neun ausverkauften Aufführungen vom „Mädchen“ (zu der ich nicht gehe – ich hätte es mir wohl rechtzeitig, also vor über einem Monat schon, bevor ich die Aufführung sah, anders überlegen sollen, denn sehr gerne hätte ich die Aufführung ein zweites Mal erfahren). Auf eine Wiederaufnahme ist zu hoffen, auch wenn sie – ebenso wie bei Holligers „Lunea“, das ich wohl noch lieber (auch angesichts der Abwesenheit einer Aufnahme) wieder sehen würde – unwahrscheinlich ist … aber gut, das „Mädchen“ wurde hier ja zum Ballett, dass Ballett hat nordkoreanische Zustimmungsraten (Auslastung von deutlich über 90% Prozent) – vielleicht kommt es ja doch noch zu einer Wiederaufnahme (doch auch: Lachenmann wird in einigen Tagen 84 – und er ist eigentlich der einzige denkbare Sprecher für den Leonardo-Part).

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    yaiza

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    HOMMAGE AN GIDON KREMER (18.-27.10.2019) im Konzerthaus Berlin

    Sa, 26.10.19
    Chronicle of Current Events I Werner-Otto-Saal
    KREMERATA BALTICA
    Weinberg: Concertino für Violine und Streichorchester op.42 (Leitung und Violine: Gidon Kremer)
    Schostakowitsch: Antiformalistischer Rayok (Bearb. v. Andrei Pushkarev für Bass und Streichorchester, Bass: Alexei Mochalov)

    Beim Reservieren der Karten für die Vorstellungen war mir intuitiv klar, dass die letzten beiden Abende das Herzstück dieser Hommage bilden würden und ich habe die Karten ohne weiteres Wissen dazu gekauft. Lange wurde kein Programm dazu veröffentlicht; immer wieder Änderungen und N.N. über N.N., so dass ich das dann gar nicht weiterverfolgte. Im Juni gab es dann die Premiere zu „Chronicle of Current Events“ in Amsterdam. Hierbei handelte es sich um ein Co-Produktion der Kremerata Baltica mit Holland Festival, Alte Oper Frankfurt, Gewandhaus Leipzig und Konzerthaus Berlin. Im Publikumsgespräch am Mittwoch, empfahl Kremer auch nochmal beide Abende am WE. So fanden sich kurz vor 22.00 Uhr ca. 250 Zuhörer vor dem in Black-Box-Stil gehaltenen und für diesen Abend ausverkauften Saal ein. Aus den verschlossenen Türen zum 2. Rang dröhnte die 5. Sinfonie von Schostakowitsch. Im kleineren Saal gegenüber nahmen die Musiker der Kremerata und Gidon Kremer ihre Plätze ein (er spielte bis ca. eine 3/4h vorher noch das Violinkonzert von Weinberg im Großen Saal) und begannen mit Weinbergs Concertino. Das Concertino führt zunächst auf die Fährte von fast schon fröhlicher Frühlings- oder Sommermusik, im 2. Satz wird es nachdenklicher, der 3. Sitz ist aber sehr gruselig und hinterlässt eher ein Schaudern. Nach Beendigung des Concertinos begrüßte Kremer das Publikum und sprach noch einige Worte dazu und leitete in eine Erklärung und Einordnung in das, wie er es nannte, Katastrophenjahr 1948 über. Die Rede war von einer von Shdanow geführten Kulturpolitik, in der individuelle Entfaltung unterdrückt wurde und Kremer jeweils ein Werk zweier Künstler vorstellen wollte, die sich in ihnen damit auseinandergesetzt hatten.

    Bei Schostakowitsch sagte er gleich dazu, dass die Kantate “ Der Antiformalistische Rayok“ in der Schublade landete. Im Hintergrund wurde das Bild einer Versammlung eingeblendet, Kremer nahm im Publikum Platz und Alexei Mochalov und Andrei Pushkarev (Schlagwerker der Kremerata) betraten die Bühne. Auf dem Programmzettel war zu lesen, dass Pushkarev die Schostakowitsch-Kantate für Bass und Streichorchester bearbeitete und Alexei Mochalov ein versierter Sänger ist, der schon mit Spivakov, Roshdestvensky und Penderecki zusammengearbeitet hatte und Solist am Moskauer Staatl. Kammermusiktheater ist. Los ging’s. – Man merkte sofort, dass da ein toller Sänger vor uns stand. Er sang verschiedene Rollen und schnell war klar, dass dies eine Persiflage auf die Versammlung, deren Bild vorher eingeblendet wurde, ist. Die Kremerata spielte ausgezeichnet und die Musiker übernahmen zusätzlich noch den Chor (der Deligierten). Auf der Leinwand wurden die Untertitel auf deutsch eingeblendet. Der Text stammt von Lev Lebedinsky, einem Musikwissenschaftler. Musikalisch gesehen ist es ein vergnügliches Stück mit volkstümlichen Anleihen und Schostakowitsch machte sich musikalisch über alles mögliche lustig… bis hin zum übertriebenen Gesang, die falsche Betonung bei Rimski-Korsakow und auch „Kalinka“ blieb nicht verschont. Es ist so dieses Lachen, das irgendwann gefriert, wenn man die Umstände, unter der das Stück geschrieben wurde, bedenkt. Für den Moment lieferten aber alle Künstler 1A Leistungen ab und das galt es auch zu genießen. Radio Russkij Berlin war u.a. auch Medienpartner der Hommage und die vielen russischsprachigen Zuschauer genossen das sichtlich und hörbar. Ihr Lachen war immer schon einige Sekunden vorher zu hören. Durch verschüttete Sprachkenntnisse konnte ich mir das ein bisschen aufteilen und mich auch von den Untertiteln lösen und Mochalov zuschauen. Wirklich ein Vergnügen. Auch die Musiker beobachteten sowohl Mochalov als auch das Publikum und es entstand eine ganz schöne Stimmung. Mochalov merkte natürlich, dass er gut ankam und zeigte zum Schluss noch einen angedeuteten Kasatschok — auch wiederholt als Zugabe. Damit endete die Aufführung, aber das Publikum wollte nach langem Applaus erst gar nicht gehen. Schnell formten sich kleine „Gesprächskreise“. Ich unterhielt mich noch mit einem russischen Pärchen, die bisher nur viel über diese Persiflage hörten, sie aber noch nie in einer Aufführung erlebt hatten. Es schien, als müssten sich wirklich erstmal viele darüber austauschen.

    Es war schon spät, aber ich war neugierig genug, um wenigstens zu Hause noch etwas dazu zu lesen. Es gibt Videos von Aufführungen (meist 4 Bässe und Orchester), die ich mir vielleicht mal später anschauen werde. Zunächst behalte ich die erlebte in mir drin. Der Text interessierte mich auf jeden Fall und war schnell zu finden. Mittlerweile habe ich innerlich nachgegeben und mir eine CD mit dem Rayok bestellt. Anfänglich gab es sogar per E-Mail Absagen (Titel ist nicht mehr im Lager auffindbar), schlussendlich stieß ich auf eine CD von Capriccio, auf der auch die Version mit 1 Bass, Chor und Orchester zu finden war – und dann noch mit Alexei Mochalov, super (!) Das ist natürlich für das Nachhören sehr schön und eine tolle Erinnerung an den Abend.

    Es gibt einen interessanten ZEIT-Artikel vom 17.2.1989, der über die Erstaufführung dieser satirischen Kantate im Jan. 1989 in Washington unter Leitung von Mstislaw Rostropowitsch, der zu diesem Zeitpunkt auch die Partitur besaß, berichtete. Im Booklet der CD wird auch die Versammlung von Feb. 1948 angesprochen, aus deren Folge „Schostakowitsch, Prokofjew, Chatschaturjan u.a. als ‚formalistisch‘ und ‚volksfeindlich‘ gebrandmarkt und aus ihren akademischen Positionen entfernt wurden“. Den Text schrieb Bernd Feuchtner, der auch Bücher zu Schostakowitsch verfasst hat.

    Was bleibt von diesem Abend:
    – definitiv noch mehr Neugier
    – über „satirische“ Verarbeitung hatte ich zu Schostakowitsch schon auch gelesen, aber diese Kantate entblättert noch mal mehr
    – der Verfasser des Textes Lev Lebedinsky erscheint interessant
    – und der Text an sich sowieso – da steckt sehr viel drin. Schostakowitsch gab ihm als vollen Titel: Rayok – Praktisches Handbuch für den Kampf für den Realismus in der Musik und gegen den Formalismus in der Musik
    Als Rollen: Vorsitzender der Versammlung, Stalin (charakterisiert durch sein Lieblingslied „Suliko“, Shdanow (produziert sich als Sänger, hatte wohl eine Gesangsausbildung), Tschepilow (Nachfolger von Shdanow) und die Funktionäre als Chor
    Schostakowitsch soll laut Feuchtner auch ein umfangreiches „kritisches“ Vorwort im Stil offizieller Texte verfasst haben. Auch der ZEIT-Artikel schreibt vom Kulturfunktionären Pawel Apostolow, der die Reden der drei Politiker lobpreisen lässt.

    Dieser Abend war wie ein „Geschenk“ oder besser Wink mit dem Zaunpfahl, um sich nochmal mit der Kulturpolitik dieser Zeit auseinanderzusetzen… und ja, dafür bin ich Gidon Kremer dankbar. Ich hätte nicht gedacht, so direkt mit diesem Thema konfrontiert zu werden… Es ist ein Unterschied, ob jemand darüber erzählt oder Werke aufführt und sprechen lässt. Er hat den Bezug zur Gegenwart nicht ausgesprochen, viele Zuschauer hatten diesen aber sofort im Kopf, was sich in den Gesprächen danach schnell zeigte.

    Die Kremerata hat das Stück auch so gut aufgeführt, dass ich mir fast wünschen würde, eine Einspielung auf CD zu hören. Vielleicht spielen sie zu Schostakowitsch noch etwas ein. Nebenbei lief neben der schon erwähnten CD von Vladimir Spivakov und den Moscow Virtuosi (2004) auch eine Kremerata-CD mit Orchestrierungen der Schostakowitsch-Sonaten für Violine und Viola (2006; zum „100. von D.Sch) Und siehe da, nach so einer Woche lesen sich die Booklets und Auflistungen ganz anders. Beim Arr. der Violinsonate hat neben Michail Zinman auch Andrei Pushkarev für das Schlagwerk mitgewirkt…

    zuletzt geändert von yaiza

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    yaiza

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    HOMMAGE AN GIDON KREMER (18.-27.10.2019) im Konzerthaus Berlin

    So, 27.10.19
    Chronicle of Current Events II Werner-Otto-Saal
    KREMERATA BALTICA
    Werke von Mieczyslaw Weinberg
    Gidon Kremer (Leitung und Violine), Georgijs Osokins (Klavier), Ieva Parsa (Sopran)
    Projektkurator: Kirill Serebrennikow
    Videos: Artem Firsanov, Aleksey Venzos, Valeriy Pecheykin

    Nun also der Sonntag, als letzter Tag der Hommage. Ich stand am Sonntag noch voll unter dem Eindruck des Vortages (und wie sich zeigen sollte noch viele Tage danach), aber an diesem Abend sollte es um die Musik von Weinberg gehen. Gidon Kremer hatte hierfür unterschiedliche Stücke von Weinberg als eine Art Score zusammengestellt und an einer Visualisierung dazu gearbeitet. Er erklärte im Gespräch am Mittwoch, dass er gern Serebrennikow für die Umsetzung in Videos gesehen hätte, dieser aber aufgrund des auferlegten Hausarrests nicht zur Verfügung stand. Stattdessen übernahm er die Rolle des Kurators und gab Empfehlungen, während von ihm empfohlene Künstler die Umsetzung in ein Video übernahmen.

    Und wieder standen, diesmal schon um 19.00 Uhr, ca. 250 Zuschauer vor dem Saal ggü. den Türen zum 2. Rang des Großen Saales. Da dort das Konzert um 16.00 Uhr begann, hörten wir den verklingenden Schluss der 5. Der Einlass erfolgte diesmal in einen abgedunkelten Raum. Gidon Kremer und der Pianist Georgijs Osokins (wie Lucas Debargue auch ein Permanent Guest Artist der Kremerata) saßen bereits mit Augenbinden fast unbeweglich auf ihren Plätzen. Nach und nach kamen die anderen Musiker einzeln hinein und setzten sich mit geschlossenen Augen. So langsam wurde auch das Publikum ruhiger. Es entwickelte sich eine wirkliche Ruhe und Konzentration im Raum, die auch die ganze Zeit anhielt. Kremer und Osokins nahmen ihre Augenbinden ab und die Aufführung begann.

    Entstanden ist in Co-Produktion mit den im vorhergehenden Post genannten Spielstätten ein ca. 50-minütiger Kunstfilm, der Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft verbindet. Die Kremerata und Gidon Kremer spielten dazu die von ihm ausgesuchten Stücke. Ich gehe schwer von aus, dass dieser Film auch als DVD erscheinen wird, vielleicht auch als Live-Version mit Video im Hintergrund und werde dazu noch nicht allzu viel sagen. Die von Kremer ausgesuchten Stücke wurden zu Frühling-Sommer-Herbst und Winter-Teilen/Suiten zusammengefasst. Hierbei war wirklich ganz viel vertreten: Sätze aus den Konzerten und Streichquartetten, einzelne Preludes aus op. 100, auch Stücke aus dem Vokalwerk. Es wird sich lohnen, das nochmal anzuschauen oder (evtl. auf CD) auch anzuhören. Es gibt einen sehr guten Blick auf das Lebenswerk von Weinberg. Live waren das natürlich erst einmal viele Eindrücke. Ich hatte mich auch entschieden, mehr den Musikern zu folgen und mit einem Auge der Visualisierung. Das ging auch gut, da diese zum Glück zwar tief geht, aber nicht überfrachtet war. Beim „Winter“ hatte ich auch das Gefühl, dass die Kühlung angeworfen wurde, mir war sehr kalt.

    Nachdem die Musiker ihr Spiel beendet hatten, ging leider sofort der Applaus los. Ich hätte mir gewünscht, die Schnellapplaudierer hätten wenigstens noch den Abspann abgewartet. Gidon Kremer hatte sich auch die ganze Zeit noch nicht zum Publikum gedreht, sondern zum Abspann geschaut, der dann mit einem Foto von Mieczyslaw Weinberg und seinen Lebensdaten endete. Erst dann wandten sich die Musiker dem Publikum zu. Trotz des Applauses schwebte eine Ernsthaftigkeit durch den Raum… und es ist im Nachhinein schön, dass wir nicht in dieser Stimmung den Saal verließen.

    Am Mittwoch sprach Kremer bereits an, dass er sich überhaupt auch für Filmkunst interessiert und am Sonntag zeigte er noch als Abschluss eine ca. 4-minütige Animation, an der er u.a. beteiligt war. Sie fing mit einem überselbstbewussten Putin à la oberkörperfrei auf dem Pferd an. Nach und nach kamen mehr Figuren durch das Bild. Im Hintergrund sah man die Riege von Diktatoren, die sich auf dem Lenin-Mausoleum postierten und die Parade abnahmen. Jede Figur trug das Putin-Gesicht und auch hier gefror das Lachen irgendwann. Nach verschiedensten Karikaturen folgten auch die Schwachen, Alten, Kriegsversehrten… viele viele Bilder, wie man sie aus der russischen Malerei kennt. Im Abspann war dann neben Gidon Kremer auch der Name von Sandro Kancheli, Sohn seines im Sommer verstorbenen Freundes Giya Kancheli, zu lesen. Sandro Kancheli saß auch in einer hinteren Reihe und wurde lange gebeten, sich zu zeigen und nach vorn zu kommen. Er war sehr sehr gerührt und nahm zusammen mit allen Beteiligten den Applaus entgegen. Sie wurden lange nicht von der Bühne gelassen, aber irgendwann musste dann auch der Schluss der Hommage eingeläutet werden.

    In Berlin waren die Informationen zu „Chronicle of Current Events“ nur sehr dürftig, aber vor allem das Holland Festival hat noch eine interessante Seite dazu. Hier ist ach die Abfolge der gespielten Stücke enthalten. In Frankfurt gab es im Sep. auch einen Abend mit interessantem Rahmenprogramm. In Leipzig wird der Film im Februar 2020 gezeigt.

    zuletzt geändert von yaiza

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    #10924291  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ein Lachenmann-Nachtrag: in „Got Lost“ drehte sich die Sängerin mehrfach und sang in den geöffneten Flügel hinein, so dass ein Nachhall entstand, sowohl rein räumlicher Art, aber teils auch die Saiten des Flügels durch die Stimme zu vibrieren begannen.

    Dieses Stück, wie auch sein Stück für acht Hörner und ein paar weitere, werden in diesem sehr lesenswerten Interview auch angesprochen:
    https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/der-komponist-helmut-lachenmann-im-gespraech-15626192.html?printPagedArticle=true#pageIndex_4

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 12.11.2019 – Neue Konzertreihe Zürich

    Kammerorchester Basel
    Daniel Bard
    Leitung und Violine
    Gabriela Montero Klavier

    WOLFGANG AMADEUS MOZART Ouvertüre zu „Lucio Silla“ D-Dur KV 135
    WOLFGANG AMADEUS MOZART Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466
    GABRIELA MONTERO Improvisationen über „La Donna e mobile“ (Verdi, Rigoletto), „Lueget, vo Berg und Tal“ (Ferdinand Huber/Josef Anton Henne) und die Ouvetüre von „Guillaume Tell“ (Rossini)

    GABRIEL FAURÉ „Masques et Bergamasques“ op. 112
    DARIUS MILHAUD „Le bœuf sur le toit“ op. 58

    Gestern ging es übermüdet nach der Arbeit ins Konzert … ich habe inzwischen zum dritten Mal ein Abo für die Neue Konzertreihe Zürich, obwohl ich die Konzerte an Montagen und Dienstagen schon etwas schwierig finde. Andererseits ist auch dieses Jahr wieder genug dabei, was ich hören will und worauf ich dann doch neugierig bin. In die erste Kategorie fällt das Collegium Vocale Gent (wobei ich es etwas schade finde, dass die Teile IV und V weggelassen werden), vor allem aber Grigory Sokolov und Cecilia Bartoli. In die zweite Kategorie fallen András Schiff (der gehört vielleicht auch in die erste, aber sooo ein Fan bin ich da bisher nicht), Gabriela Montero und auch Sergei Nakariakov (wobei ich auch in einem NKZ-Konzert die Cappella Gabetta schon einmal hörte und nicht gerade begeistert war).

    Los ging es also gestern mit Gabriela Montero, von der ich bloss eine CD-Einspielung kenne (die Cellosonaten von Rach und Prok – ziemlich gut!), aber natürlich von ihren „Improvisations-Sessions“ gehört habe, bei denen sie spontan über Themen improvisiert, die sie sich vom Publikum vorsingen lässt. Gestern spielte sie mit dem Kammerorchester Basel, das ich bekanntlich ziemlich gut finde, aber so ganz ohne Zwiespalt war der Auftritt gestern nicht. Den Auftakt machte, als Aufwärmübung, die Ouvertüre von Mozarts „Lucio Silla“. Das Orchester schien sich erst noch ein wenig finden zu müssen – ein Kaltstart ohne Leitung (dass das bei Bard steht, ist masslos übertrieben, er spielte einfach am ersten Pult und gab ab und zu zu Beginn das Tempo vor, aber auch das machten oft andere, die halt den ersten Einsatz hatten). Das Zusammenspiel schien mir also etwas holprig, die Besetzung auch etwas gross dafür, dass sie ohne Dirigent auftraten (die Streicher: 5-5-4-4-2, dazu einige Bläser, später noch Schlagzeug und Harfe und noch mehr Bläser).

    Als Montero dann von KV 466 auf die Bühne kam, wirkte vieles entspannter, hier gelang das kammermusikalische Miteinander recht gut. Es ging eher langsam los, fast etwas verhalten, doch umso mehr erhielten die bezaubernden Melodien von Mozart ihren Raum. Montero spielte das gradlinig und schnörkellos (auf dem grossen Steinway), was mir sehr entgegenkam. Danach folgte die angekündigte „Improvisations-Session“. Nach einem Hin und Her schmetterte ein Herr hinten im Saal den Anfang der Arie „La Donna e mobile“ aus Verdis „Rigoletto“. Montero spielte das Thema ein paar Mal auf dem Flügel, dachte ein wenig nach – und legte dann los mit einer ziemlich beeindruckenden Improvisation, die wohl einen ungefähren Eindruck vermittelte, wie ein Chopin oder ein Liszt in den Salons den 19. Jahrhunderts aufspielten. Grosse Geste, allmählicher Aufbau, Verdichtung, harmonische Verwandlungen – alles drin, und durchaus mit Formbewusstsein. Das Publikum war begeistert, und dabei war das erst der Anfang. Als zweites sang jemand vom Balkon das Schweizer Volkslied „Lueget, vo Berg und Tal“ (luege=schauen) – und auf die Frage, ob das denn auch wirklich alle im Saal kannten, sang das Publikum gleich das ganze Lied. Diese Idee – dass das Ausgangsmaterial allen Anwesenden bekannt ist – steht am Ausgang von Monteros Konzept der Improvisation. Sie will damit Schwellen abbauen, aufzeigen, dass klassische Musik gar nicht so verdammt kompliziert ist sondern durchaus auf kleinen Melodien oder Fetzen, Motiven baut. Wenn sie das nun spontan vorexerziert, an Material, das alle kennen, so ihre Vorstellung, wird das quasi erfahrbar für das Publikum im Saal. Mit dem Volkslied trieb sie allerlei Schabernack, natürlich ist so eine Darbietung auch ein Schaulauf (war es bei Liszt ja bestimmt auch). Los ging es im Stil von Bach, strenge Rhythmik, Kontrapunkt, dann wurde das aufgelockert, schrammte am Ragtime vorbei, die Bässe begannen zu „jumpen“, aber das wurde immer gleich wieder gebrochen mit kleinen Verschiebungen … verdammt virtuos eben, aber schon ziemlich toll. Als drittes kam die Ouvertüre von Rossinis „Guillaume Tell“ zum Zug. Los ging es mit einer irrwitzigen Mischung aus Tango und Walzer, die dann in eine ausgereifte (moderne) Jazz-Improvisation mündete, das nervtötende Motiv wurde zum Glück mehrfach gebrochen, erklang vor allem in Moll statt in Dur, wurde auch wie schon zu Beginn anders rhythmisiert. Das Publikum war begeistert, eine Zugabe braucht es da aber nicht auch noch, das Konzert war inzwischen schon fast eineinhalb Stunden lang.

    In der Pause wurde der Flügel in Windeseile abmontiert und verräumt (ich hatte schon mal erlebt, wie schnell das geht und war beeindruckt: linker Fuss weg, kippen, andere zwei Füsse und Pedalaufhängung weg, dicke Schutzdecke zusammengezurrt und weggerollt mit dem Ungetüm). Das KOB spielte noch zwei Stücke der ganz anderen Art, wie ich sie auch mit diesem Orchester noch nicht gehört habe. Aber ich dachte auch öfter wieder, dass ein Dirigent eben doch gut getan hätte, um das Ganze zusammenzuhalten. Bei Fauré ging das besser, dafür fehlte mir hier teils die musikalische Ausgestaltung ein wenig, manches war wohl etwas undeutlich, etwas zu wenig pointiert (beim Mozartkonzert davor hatte das besser gepasst, da wurde zum Beispiel die Dynamik auch ausgekostet). Der wilde Ritt von Milhaud zum Schluss war dann wieder besser, auch wenn der Anfang rhythmisch ziemlich holprig wirkte. Mit der Zeit fand das Ensemble immer besser zusammen, die Bläser glänzten, die Streicher traten oft im einzelnen Register auf, besonders die Celli waren toll. Aber gerade das ist doch auch wieder ein Werk, bei dem eine lenkende Hand, ein klar umgesetztes Konzept wichtig wäre. Die Rallentandi und anderes gelangen zwar auch ohne Dirigent gut, aber es schien halt doch etwas mehr Unschärfen zu geben, als bei so launischer, wechselhafter Musik gut war.

    Vom Ablauf her wurde ich etwas an ein anderes Konzert der Neuen Konzertreihe erinnert: letzte Saison spielte das KOB da mit Mikhail Pletnev. Das war insgesamt vom Orchester her besser – auch da hatte es, wie diesmal mit Milhaud – sein Schaulaufen, aber die „Pulcinella“-Suite (die mir wohl weniger zusagt als das Rindvieh, das gar nicht auf dem Dach war) gelang vom Zusammespiel, vom Zusammenhalt her, einiges besser. So war das ein etwas gemischter Abend mit einer tollen Pianistin und einem Orchester, das sein Potential nur teils entfalten konnte.

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    yaiza

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    gypsy-tail-wind Zürich, Tonhalle-Maag – 12.11.2019 – Neue Konzertreihe Zürich Kammerorchester Basel Daniel Bard Leitung und Violine Gabriela Montero

    …aber natürlich von ihren „Improvisations-Sessions“ gehört habe, bei denen sie spontan über Themen improvisiert, die sie sich vom Publikum vorsingen lässt.  … Als zweites sang jemand vom Balkon das Schweizer Volkslied „Lueget, vo Berg und Tal“ (luege=schauen) – und auf die Frage, ob das denn auch wirklich alle im Saal kannten, sang das Publikum gleich das ganze Lied. Diese Idee – dass das Ausgangsmaterial allen Anwesenden bekannt ist – steht am Ausgang von Monteros Konzept der Improvisation. Sie will damit Schwellen abbauen, aufzeigen, dass klassische Musik gar nicht so verdammt kompliziert ist sondern durchaus auf kleinen Melodien oder Fetzen, Motiven baut.

    Der wilde Ritt von Milhaud zum Schluss war dann wieder besser, auch wenn der Anfang rhythmisch ziemlich holprig wirkte. Mit der Zeit fand das Ensemble immer besser zusammen, die Bläser glänzten, die Streicher traten oft im einzelnen Register auf, besonders die Celli waren toll. Aber gerade das ist doch auch wieder ein Werk, bei dem eine lenkende Hand, ein klar umgesetztes Konzept wichtig wäre.

    klingt auf jeden Fall nach einem interessanten Abend. Das mit der Improvisation find ich interessant; schön, auch, wie sie sich erstmal beim Publikum versicherte, dass das Lied auch wirklich bekannt ist :D

    Habe bisher „Le boeuf sur le toit“ 3x im Konzert gehört, zuletzt im Sommer vom Slowak. Jugendorchester, und es war bisher bei allen dreien so, dass sie da erstmal reinkommen müssen und dann wie so einen „Flow“ erwischen, da gibt’s soviele Spuren… Die jungen Slowaken hatten es dann auch toll hinbekommen…

     

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    gypsy-tail-wind
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    @yaiza Danke für die Rückmeldung – und ja, bei Milhaud war’s schon so, dass das KOB am Ende ziemlich mittendrin steckte … aber ohne direkte Vergleiche im Kopf zu haben (ich weiss noch nicht mal, ob ich von dem Stück eine Aufnahme habe) empfand ich es halt dennoch so, dass das ein Werk ist, das vom ersten Ton an richtig knallen müsste. Und dazu wäre ein klarer Plan und disziplinierte Probenarbeit nötig, wie ich sie mir ohne Dirigenten, der halt wirklich an jedem nicht exakt genauen Einsatz krittelt und feilt, bis es passt, praktisch unmöglich vor (allein schon, weil keiner da ist, der den Gesamtüberblick hat).

    Die NZZ berichtet heute erfreulicherweise über das Konzert (hatte ich nicht erwartet, die NKZ kommt nicht regelmässig zum Handkuss) – und stupst mein Gedächtnis auch nochmal an, klar: die Kadenz im ersten Satz von KV 466 war natürlich auch bereits improvisiert – es gab da auch ein paar nicht grad Fehlgriffe, aber ein oder zweimal gesellte sich ein wenig passender Ton dazu – doch wie es bei erfahrenen ImprovisatorInnen halt so geht, fing Montero das sofort gekonnt auf und spann den Faden so weiter, dass der „Fehler“ im Nachhinein fast schon beabsichtig klang – aus dem Jazzclub bzw. vom Jazzhören kenne ich das natürlich bestens, aber im Konzertsaal kriegt man so etwas kaum geboten.

    Also, hier die Rezension, die auch in der heutigen Printausgabe der NZZ nachzulesen ist:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/hier-singt-das-publikum-der-pianistin-gemeinsam-ein-thema-vor-ld.1521701

    Zu Deinen Kremer-Festspielen @yaiza wollte ich auch gerne noch einmal etwas schreiben, komme aber nicht wirklich dazu und möchte mich daher vor allem einfach nochmal bedanken, denn gelesen habe ich das natürlich längst alles! Der Film klingt interessant, so klar war mir Kremers politisches Engagement bisher nicht, aber eine Überraschung ist das natürlich nicht. Solltest Du – oder sonst jemand, der hier mitliest – zufällig mal sehen, dass der Film auf arte läuft, wäre ich um einen rechtzeitigen Hinweis natürlich froh!

    Bei mir geht es heute mit Dohnányi am Pult des Tonhalle-Orchesters (für mich die Premiere, 2016 oder 2017, als ich schon eine Karte hatte, musste er absagen) weiter, es gibt Schubert „Grosse“ C-Dur. Davor spielt – statt des angekündigten Frank Peter Zimmermann, der krankheitshalber ausfällt – Alina Ibragimova das Violinkonzert von Mendelssohn. Zimmermann hörte ich bereits zweimal mit einem Konzert (aber leider noch nie im kammermusikalischen Rahmen), Ibragimova hingegen noch nie (dafür einmal mit dem Chiaroscuro Quartet, was ich aber als etwas unbefriedigend empfand) – entsprechend für mich eine Besetzungsänderung, die nicht negativ ist!
    Freitag gehe ich in den durchgefallenen „Belshazzar“ von Händel (hatte schon eine Karte, aber die Vorfreude hält sich für einmal sehr in Grenzen), am Sonntag gibt es dann das Rezital von Ivo Pogorelich, nächste Woche einen kurzen Ausflug an die Scala (Strauss, „Die ägyptische Helena“, die Rezensionen sind sehr positiv, klick, klick).

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    Vergangenen Samstag sah, hörte und erlebte ich Manon Lescaut in Frankfurt. Die Inszenierung ist die erste „moderne“, die in der Jetztzeit spielt, die nicht aufgepfropft, sondern absolut wahrhaftig wirkt! Dazu ein Gesangsensemble, bei dem ich mich frage, woher diese unglaubliche gesangsdarstellerische Leistung so plötzlich kommt. Alle so um die dreißig, Dirigent einbezogen! Asmik Grigorian als erste unter gleichen bricht einem ab der ersten Szene in ihrer naturalistischen Unmittelbarkeit das Herz! Mir schossen augenblicklich die Tränen in die Augen. Das hörte bis zur letzten Szene auch nicht mehr auf. Die Salome in Salzburg ist kein Zufall, diese Künstlerin ist in jeder Hinsicht einzigartig. Die letzte restlos glaubwürdige Manon war dafür nie auf der Bühne, sondern im einzigartigen Rollenportrait nur auf Schallplatte: Maria Callas 1957

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 14.11.2019

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Christoph von Dohnányi
    Leitung
    Alina Ibragimova Violine

    Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll op. 64

    Franz Schubert Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944

    Am Donnerstag ging es diese Woche gleich noch ein zweites Mal (und morgen ein drittes!) in die Tonhalle-Maag. Christoph von Dohnányi war angekündigt, der vor ein paar Jahren, noch in der alten Tonhalle kurz vor Beginn des Umbaus hätte auftreten sollen. Damals sprang dann Pablo Heras-Casado ein – und wurde umgehend als möglicher Nachfolger für den unglücklichen Lionel Bringuier gehandelt (er war wohl damals, als die Wahl auf diesen fiel, auch schon mit im Rennen). Dieses Mal klappte es nun mit Dohnanyi, doch der Solist, Frank Peter Zimmermann, fiel aus. Das ist schade, denn gerade das Mendelssohn-Konzert „fehlt“ mir mit ihm noch, während ich die anderen beiden grossen sinfonischen Violinkonzerte mit Zimmermann in der Tonhalle gehört habe: vor ein paar Jahren Brahms unter Zinman, im Juni 2018 Beethoven unter Manfred Honeck (der den damals erkrankten Haitink ersetzte). Aber gut, als Ersatz war seit Anfang der Woche Alina Ibragimova angekündigt und das weckte meine Neugier umso stärker, als ich sie mit dem Chiaroscuro Quartet im Konzert gehört hatte und irritiert, ja fast etwas verärgert zurückgeblieben war … andererseits schätze ich ihre neue Aufnahme der Violinsonaten von Brahms sehr und hörte auch Gutes über ihre Einspielung des Mendelssohn-Konzertes, kenne selber aber bisher keine Konzert-Einspielungen von ihr.

    Und das Ergebnis? Es beeindruckte enorm, um das gleich vorwegzunehmen! Ibragimova hatte anscheinend noch nie mit Dohnanyi gespielt, die beiden Aufführungen (ich war bei der zweiten) waren auch zugleich ihr Debut in der Tonhalle – und was für eines! Ihre eigenwillige Interpretation, zupackend, sehr dynamisch, stellenweise von einer berührenden Zartheit und mit leistesten Pianissimo-Passagen, aber auch mit einer Verve, die zu ein paar Unsauberkeiten führten, die aber überhaupt nicht störten sondern im Gegenteil das pralle Leben in dieser Musik umso erlebbarer machten. Die sehr bewusste Tongestaltung, die Attacke, die Bogenführung, der fliessende Wechsel von schneidender Schärfe im Ton – der so ohne je laut zu werden durch das Orchester hindurch hörbar blieb –, der gekonnte Einsatz von Vibrato, überhaupt die Ausgestaltung jedes Details dieses Werkes zeigte die grosse Könnerschaft und das wache Ohr der jungen Geigerin. Da war wohl im Vorfeld schon einiges an Koordination nötig, zudem ein Dirigent, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein ebenso waches Orchester – und beim Konzert dann von allen Seiten Nerven aus Stahl. Das alles war gegeben, Dohnanyi blickte immer wieder lächelnd zur Solistin, fast machte es den Eindruck, als sei er auch bei der zweiten Aufführung noch verwundert und überrascht von dem, was da passierte – und was natürlich auch dank ihm so möglich wurde. Schlichtweg umwerfend!

    Ähnlich ging es nach der Pause weiter, die grosse C-Dur-Symphonie von Schubert stand auf dem Programm, ein harter Brocken, der sich nach einer anstrengenden Arbeitswoche auch für mich etwas zog – doch es lohnte, dranzubleiben, denn Dohnanyi navigierte gekonnt durch die grossen Bögen und gab dabei auch stets acht auf die Details. Perfekt zwischen Detailtreue und dem grossen Ganzen die Balance haltend, steuerte er das Orchester sehr aktiv, hielt einen stetigen, zügigen Puls aufrecht, der aus der Symphonie einen irren Tanz machte, nach dem nur noch ein erschöpftes aber restlos glückliches Niedersinken blieb. Ein wunderbares Konzert!

    EDIT:

    Hier noch die Rezension aus der heutigen NZZ nachgereicht:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/tonhalle-diese-geigerin-springt-gleich-zweimal-ins-kalte-wasser-ld.1522230
    Und auch der Tagesanzeiger hat gestern berichtet:
    https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/der-herzschlag-der-musik/story/11698445

    Ergänzend noch: bei Mendelssohn musste ich natürlich an die Aufführung mit Klaidi Sahatçi, dem einen Konzertmeister des TOZ denken, der bei den Konzerten mit Ibragimova am ersten Pult sass (als Konzertmeister figurierte Andreas Jahnke) – das war eine no-nonsense Lesart, als solche auch sehr in Ordnung, aber die von Ibragimova war schon ein ganz anderes Kaliber.

    Zudem hatte Dohnanyi bei Schubert zwar die Partitur vor sich, aber er rührte sie nicht an. Bei Mendelssohn bin ich mir nicht sicher, hatte mich nicht drauf geachtet.

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    yaiza

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    gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 01.11.2019 Tonhalle-Orchester Zürich Paavo Järvi Leitung Pekka Kussisto Violine Erkki-Sven Tüür „Sow the Wind…“ für Orchester …    Los ging es mit einem ca. zwanzigminütigen, hübsch anzuhörenden aber am Ende eher belanglosen Orchesterstück von Tüür, der dann auch noch rasch auf die Bühne kam. Ein allmählicher Aufbau, eine Art erzählende Musik, die immer dichter wird, bis auf dem Höhepunkt ein lauter, straffer Rock-Beat vom Schlagzeug einsetzt … das überalterte Publikum fand es super und hielt sich dann auch noch für besonders offen und neugierig (dazu sage ich ironisch: super … Trivia: Tüür und Järvi spielten wohl einst zusammen in einer Rockband, Järvi am Schlagzeug, und ja, das Ding von Tüür ist wohl sowas wie Prog-Klassik).

    schöne Beschreibung von „Sow the Wind“  ;D   ich bekam ganz unerwartet auch die Gelegenheit das Stück zu hören, in einem Mitschnitt vom Festival Pärnu, Konzert vom 21.7.19 mit dem Estnischen Festivalorchester unter der Leitung von Paavo Järvi. Ich nehme meist munter und „querbeet“ auf und höre mir dann die Sommerfestivals so nach und nach an… Tüür riss mich jetzt auch nicht vom Hocker, dafür waren dann die folgenden „Lieder und Tänze des Todes“ von Mussorgsky – der Tod, gesungen vom Bass Ain Anger eindrucksvoll… hier dann stürmischer Applaus in Pärnu. Tschaikowsky (Arie aus „Eugen Onegin“ und Sinfonie 2) höre ich dann mal später…

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    #10927863  | PERMALINK

    yaiza

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    gypsy-tail-wind   Zürich, Tonhalle-Maag – 14.11.2019 Tonhalle-Orchester Zürich Christoph von Dohnányi Leitung  — Franz Schubert Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944  …     die grosse C-Dur-Symphonie von Schubert stand auf dem Programm, ein harter Brocken, der sich nach einer anstrengenden Arbeitswoche auch für mich etwas zog – doch es lohnte, dranzubleiben, denn Dohnanyi navigierte gekonnt durch die grossen Bögen und gab dabei auch stets acht auf die Details. Perfekt zwischen Detailtreue und dem grossen Ganzen die Balance haltend, steuerte er das Orchester sehr aktiv, hielt einen stetigen, zügigen Puls aufrecht, der aus der Symphonie einen irren Tanz machte, nach dem nur noch ein erschöpftes aber restlos glückliches Niedersinken blieb. ….  Zudem hatte Dohnanyi bei Schubert zwar die Partitur vor sich, aber er rührte sie nicht an.

    Ich hatte diese Sinfonie vor ca. einem Monat nach dem Offertorium (Gubaidulina) gehört. Der „sinfonische Schubert“ hat sich mir noch nicht erschlossen, aber das Konzerthausorchester unter Leitung von David Zinman hatte das auch gut hinbekommen (Zinman ebenfalls ohne Blick in die Partitur).

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    #10928051  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die Schubert/Gubaidulina-Kombi hatte ich in Basel mit Holliger und dem Kammerorchester Basel, passte für mich sehr gut (Leier mit Kopatchinskaja und Nr. 4/6) und der mit Holliger/KOB entstehende Schubert-Zyklus (zwei CDs sind schon bei Sony erschienen) lässt sich super an. Die Gesamteinspielung von Roy Goodman und der Hanover Band wäre ein anderer Tipp (second hand, andernfalls CD-R-Gefahr). Funktioniert für mich jedenfalls in kleiner Besetzung oder in HIP meist besser, wobei die Unvollendete und die Grosse natürlich bestens in grosser Besetzung gehen … aber Nr. 1-6 eben eher nicht.

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 17.11.2019

    Ivo Pogorelich Klavier

    Johann Sebastian Bach „Englische Suite“ Nr. 3 g-Moll BWV 808
    Ludwig van Beethoven Klaviersonate Nr. 11 B-Dur op. 22

    Frédéric Chopin Barcarolle Fis-Dur op. 60
    Frédéric Chopin Prélude op. 45
    Maurice Ravel „Gaspard de la nuit“

    Gestern also zum Rezital von Ivo Pogorelich – und um es gleich vorwegzunehmen: Ich fand das alles andere als unproblematisch. Es handelte sich wohl mehr als bei jedem Rezital, das ich bisher gehört habe, um ein klassisches Virtuosenkonzert, ein Schaulaufen der Extraklasse (die Pianisten, die ich bisher im Konzert gehört habe, von Maurizio Pollini über Grigory Sokolov, Krystian Zimerman. Arcadi Volodos und Maria João Pires bis hin zu Igor Levit oder Lucas Debargue gestalten ihre Programme wenigstens dann, wenn ich sie hörte, schon ziemlich anders).

    Los ging es mit Bach, die dritte Englische Suite. Ich hatte sie überhaupt nicht im Ohr, war in den ersten Minuten überrascht von der Klarheit, mit der Pogorelich die Linien herausarbeitete, von der knackicken Phrasierung, die die Entwicklungen des Kontrapunktes aufs Schönste herausstrichen. Doch dann gab es immer mehr Pedal, immer grössere pianistische Gesten, immer mehr rhythmische Verdrehungen – kurze Verzögerungen, Be- und Entschleunigungen – und die Musik wurde hochromantisch, fiel rhythmisch auseinander. Letzteres geschah natürlich nicht, denn Pogorelich war ja allein auf der Bühne und es machte schon den Anschein, dass er wusste, was er tat – bloss verstand ich es nicht ansatzweise. Gegen Ende liess er dann die Twists wieder, die kehrte Klarheit kehrte noch einmal zurück – doch nein, das zog er nicht bis ganz zum Schluss durch sondern wiederholte sein Spiel: von der Klarheit zur alles verwischenden grossen Geste.

    Weiter ging es mit Beethoven, schon die erste Phrase spielte Pogorelich anders als ich sie je gehört habe (in wohl über 20 angehörten Zyklen auf Tonträgern), verhuscht irgendwie, aber auch da wieder ins Ganze eingebettet, in sein Ganzes. Ich hatte mich nach dem Bach auf diese Fortsetzung gefreut, denn Pogorelichs Ansatz – und besonders auch seine Tongestaltung – schien mir zu Beethoven besser zu passen. Der Ton, den er dem Flügel entlockte, war äusserst reich an Farben, aber auch sehr dick. Das sollte sich – von den fast ohne Pedal gespielten erwähnten Bach-Passagen abgesehen – durch das ganze Konzert ziehen. Nach dem Bach, der im Kern schon wie Liszt klang, gab es nun also Beethoven à la Liszt – aber gut, das war ziemlich interessant, die rhythmischen Verschiebungen leuchteten mir wenigstens teilweise deutlich mehr ein als davor bei Bach.

    Nach der Pause folgte mit Chopins Barcarolle mein Highlight des Abends. Hier passte Pogorelichs Ansatz nun wirklich. Der üppige Ton, die grosse Geste in der Gestaltung, der Klangreichtum – das war ziemlich überwältigend. In der leiser angegangenen Prélude Op. 45 nahm Pogorelich sich dann für einmal zurück – doch hier wurde mir noch einmal (bei Beethoven war mir das noch nicht klar geworden bzw. wurde es erst jetzt, im Rückblick, klarer) eine Schwäche deutlich: in langsamen Passagen, in leiseren Passagen, konnte keine Spannung erzeugt werden – es geschah gerade nicht, dass man den Atem anhielt und gebannt lauschte, eher schien es mir, als plätschere die Musik dahin, als warte man bloss auf das nächste Aufbäumen des nur halbwegs gezähmten Wildfangs, den Pogorelich da unter seinen Pranken bändigte. Das war schade, fand ich, aber wohl auch nicht anders geplant bzw. angelegt in der Art und Weise, in der er auftritt.

    Auf das letzte Werk – aus dem Nachmittag war inzwischen Abend geworden, inklusive Pause dauerte das ganze bis dahin schon zwei Stunden – hatte ich noch einmal Hoffnung gesetzt. Doch die sollte leider wieder enttäuscht werden. Ravels Gaspard erfordert Präzision, ja Schneid. Hier störte mich wieder der enorm farbenreiche Klang – wenn quasi permanent die ganze Palette zum Einsatz kommt, fehlen Differenzierungen. Nicht dass die nötigen Bereiche des Spektrums nicht dabeigewesen wären – aber alle anderen waren eben auch permanent da, es fehlten Heraushebungen, Fokussierungen. Und so klang auch der Ravel am Ende wie durch die Lupe von Liszt gespielt (der späte Liszt wäre wohl von den harmonischen Entscheidungen Ravels nicht sonderlich überrascht gewesen, aber um den so fahlen und gerade in der Fokussierung so faszinierenden späten Liszt geht es hier ja nicht, sondern um den Tastenlöwen in den Salons, den herumreisenden Superstar, der überall eine Sensation war, wo er auftauchte). So wuchtete sich Pogorelich also durch Ravels Stück – und da fiel eine weitere Schwäche auf: leise ging schon (ohne Spannung, wie gesagt), laut ging sowieso – aber auch da, die Zwischentöne fehlten oft. Im ganzen Abend kippte die Dynamik gerne innert zwei, drei Sekunden oder noch schneller vom Piano ins Fortissimo, die Standardlautstärke (ein paar Male „zersägte“ er auch verklingende Töne, sehr unschön – und ein oder zweimal fand ich den Flügel tatsächlich so laut, dass es fast schmerzte).

    Das Publikum focht all das nicht an – eine derart postwendende Standing Ovation (es dauerte wohl auch nur 2 oder 3 Sekunden, bis die Ersten aufstanden) erlebte ich in Zürich noch nie, das ist eigentlich bei dem zurückhaltenden Publikum hier gar nicht möglich. In der einen Rezension zu Ibragimova stand etwas von Standing Ovation schon vor der Pause – die gab es am zweiten Abend nicht, auch nicht am Ende, obwohl sie beide Male viel verdienter gewesen wäre als bei Pogorelich. Doch warum sich das so verhielt, ist wiederum auch klar. Der Tastenlöwe, der sich auf der Bühne aber sehr zurückhaltend gibt – die Idiosynkrasien beschränken sich inzwischen fast auf die Musik, die aussermusikalischen beschränkten sich darauf, wie er die Noten hinter dem Flügel auf den Boden schmeisst und den Notenblätterer dann anweist, sie an den richtigen Ort zu legen – wohl von ihm aus in den toten Winkel) … der grosse Tastenlöwe kriegt den Publikumszuspruch, diejenigen, die sich ganz der Musik hingeben, bringen die Leute halt nicht zum Brüllen. Und das ist ja eigentlich auch gut so.

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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 17.11.2019 Ivo Pogorelich Klavier Johann Sebastian Bach „Englische Suite“ Nr. 3 g-Moll BWV 808 Ludwig van Beethoven Klaviersonate Nr. 11 B-Dur op. 22 — Frédéric Chopin Barcarolle Fis-Dur op. 60 Frédéric Chopin Prélude op. 45 Maurice Ravel „Gaspard de la nuit“ Gestern also zum Rezital von Ivo Pogorelich – und um es gleich vorwegzunehmen: Ich fand das alles andere als unproblematisch. Es handelte sich wohl mehr als bei jedem Rezital, das ich bisher gehört habe, um ein klassisches Virtuosenkonzert, ein Schaulaufen der Extraklasse (die Pianisten, die ich bisher im Konzert gehört habe, von Maurizio Pollini über Grigory Sokolov, Krystian Zimerman. Arcadi Volodos und Maria João Pires bis hin zu Igor Levit oder Lucas Debargue gestalten ihre Programme wenigstens dann, wenn ich sie hörte, schon ziemlich anders). Los ging es mit Bach, die dritte Englische Suite. Ich hatte sie überhaupt nicht im Ohr, war in den ersten Minuten überrascht von der Klarheit, mit der Pogorelich die Linien herausarbeitete, von der knackicken Phrasierung, die die Entwicklungen des Kontrapunktes aufs Schönste herausstrichen. Doch dann gab es immer mehr Pedal, immer grössere pianistische Gesten, immer mehr rhythmische Verdrehungen – kurze Verzögerungen, Be- und Entschleunigungen – und die Musik wurde hochromantisch, fiel rhythmisch auseinander. Letzteres geschah natürlich nicht, denn Pogorelich war ja allein auf der Bühne und es machte schon den Anschein, dass er wusste, was er tat – bloss verstand ich es nicht ansatzweise. Gegen Ende liess er dann die Twists wieder, die kehrte Klarheit kehrte noch einmal zurück – doch nein, das zog er nicht bis ganz zum Schluss durch sondern wiederholte sein Spiel: von der Klarheit zur alles verwischenden grossen Geste. Weiter ging es mit Beethoven, schon die erste Phrase spielte Pogorelich anders als ich sie je gehört habe (in wohl über 20 angehörten Zyklen auf Tonträgern), verhuscht irgendwie, aber auch da wieder ins Ganze eingebettet, in sein Ganzes. Ich hatte mich nach dem Bach auf diese Fortsetzung gefreut, denn Pogorelichs Ansatz – und besonders auch seine Tongestaltung – schien mir zu Beethoven besser zu passen. Der Ton, den er dem Flügel entlockte, war äusserst reich an Farben, aber auch sehr dick. Das sollte sich – von den fast ohne Pedal gespielten erwähnten Bach-Passagen abgesehen – durch das ganze Konzert ziehen. Nach dem Bach, der im Kern schon wie Liszt klang, gab es nun also Beethoven à la Liszt – aber gut, das war ziemlich interessant, die rhythmischen Verschiebungen leuchteten mir wenigstens teilweise deutlich mehr ein als davor bei Bach. Nach der Pause folgte mit Chopins Barcarolle mein Highlight des Abends. Hier passte Pogorelichs Ansatz nun wirklich. Der üppige Ton, die grosse Geste in der Gestaltung, der Klangreichtum – das war ziemlich überwältigend. In der leiser angegangenen Prélude Op. 45 nahm Pogorelich sich dann für einmal zurück – doch hier wurde mir noch einmal (bei Beethoven war mir das noch nicht klar geworden bzw. wurde es erst jetzt, im Rückblick, klarer) eine Schwäche deutlich: in langsamen Passagen, in leiseren Passagen, konnte keine Spannung erzeugt werden – es geschah gerade nicht, dass man den Atem anhielt und gebannt lauschte, eher schien es mir, als plätschere die Musik dahin, als warte man bloss auf das nächste Aufbäumen des nur halbwegs gezähmten Wildfangs, den Pogorelich da unter seinen Pranken bändigte. Das war schade, fand ich, aber wohl auch nicht anders geplant bzw. angelegt in der Art und Weise, in der er auftritt. Auf das letzte Werk – aus dem Nachmittag war inzwischen Abend geworden, inklusive Pause dauerte das ganze bis dahin schon zwei Stunden – hatte ich noch einmal Hoffnung gesetzt. Doch die sollte leider wieder enttäuscht werden. Ravels Gaspard erfordert Präzision, ja Schneid. Hier störte mich wieder der enorm farbenreiche Klang – wenn quasi permanent die ganze Palette zum Einsatz kommt, fehlen Differenzierungen. Nicht dass die nötigen Bereiche des Spektrums nicht dabeigewesen wären – aber alle anderen waren eben auch permanent da, es fehlten Heraushebungen, Fokussierungen. Und so klang auch der Ravel am Ende wie durch die Lupe von Liszt gespielt (der späte Liszt wäre wohl von den harmonischen Entscheidungen Ravels nicht sonderlich überrascht gewesen, aber um den so fahlen und gerade in der Fokussierung so faszinierenden späten Liszt geht es hier ja nicht, sondern um den Tastenlöwen in den Salons, den herumreisenden Superstar, der überall eine Sensation war, wo er auftauchte). So wuchtete sich Pogorelich also durch Ravels Stück – und da fiel eine weitere Schwäche auf: leise ging schon (ohne Spannung, wie gesagt), laut ging sowieso – aber auch da, die Zwischentöne fehlten oft. Im ganzen Abend kippte die Dynamik gerne innert zwei, drei Sekunden oder noch schneller vom Piano ins Fortissimo, die Standardlautstärke (ein paar Male „zersägte“ er auch verklingende Töne, sehr unschön – und ein oder zweimal fand ich den Flügel tatsächlich so laut, dass es fast schmerzte). Das Publikum focht all das nicht an – eine derart postwendende Standing Ovation (es dauerte wohl auch nur 2 oder 3 Sekunden, bis die Ersten aufstanden) erlebte ich in Zürich noch nie, das ist eigentlich bei dem zurückhaltenden Publikum hier gar nicht möglich. In der einen Rezension zu Ibragimova stand etwas von Standing Ovation schon vor der Pause – die gab es am zweiten Abend nicht, auch nicht am Ende, obwohl sie beide Male viel verdienter gewesen wäre als bei Pogorelich. Doch warum sich das so verhielt, ist wiederum auch klar. Der Tastenlöwe, der sich auf der Bühne aber sehr zurückhaltend gibt – die Idiosynkrasien beschränken sich inzwischen fast auf die Musik, die aussermusikalischen beschränkten sich darauf, wie er die Noten hinter dem Flügel auf den Boden schmeisst und den Notenblätterer dann anweist, sie an den richtigen Ort zu legen – wohl von ihm aus in den toten Winkel) … der grosse Tastenlöwe kriegt den Publikumszuspruch, diejenigen, die sich ganz der Musik hingeben, bringen die Leute halt nicht zum Brüllen. Und das ist ja eigentlich auch gut so.

    Pogorelich ähnlich wie Afanassiev in einer sehr eigenen Welt, in welche man eintauchen (ver)mag oder nicht …. da ist für mich Nichts richtig oder falsch, sondern wie das Betrachten von einem Gemälde …. so gesehen sind Referenzinterpretationen hier nicht möglich bzw erwartbar …. habe Pogorelich seit den frühen 80ern mehrmals gesehen , er hat mich jedes mal zumindest nicht gelangweilt (was dem einen oder anderen Weltklassepianisten durchaus gelang) …. aber wie gesagt, Bilder einer Ausstellung  ….

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    gypsy-tail-wind
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    Ja, da hast Du wohl recht – aber es gibt Welten, die sich nicht nachvollziehen lassen bzw. immer mehr ins Sonderliche abdriften, und den Verdacht habe ich bei Pogorelich ein wenig. Dass man da im Konzert quasi Zuschauer bleibt (Bilder … ja, passt schon) ist halt auch eine Erfahrung, die ich wenig erfreulich fand. Aber es mag ja sein, dass es auch anders geht, also dass man involviert wird und nicht durch den Zaun blicken muss? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen … aber es ist ja selbsterklärend, dass die obige Sichtweise meine persönliche ist :-)

    Was mich aber eben auch etwas störte ist auch der Aufbau des ganzen Rezitals, eben ein Repertoire-Schaulaufen von Barock bis ins Zwanzigste – aber wenn dann alles doch durch die grosse, schwere, verwischende, Konturen abbauende und letztlich gleichtönenmachende Brille der Romantik betrachtet wird, finde ich das schon etwas irritierend.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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