Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle-Maag – 14.11.2019

Tonhalle-Orchester Zürich
Christoph von Dohnányi
Leitung
Alina Ibragimova Violine

Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll op. 64

Franz Schubert Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944

Am Donnerstag ging es diese Woche gleich noch ein zweites Mal (und morgen ein drittes!) in die Tonhalle-Maag. Christoph von Dohnányi war angekündigt, der vor ein paar Jahren, noch in der alten Tonhalle kurz vor Beginn des Umbaus hätte auftreten sollen. Damals sprang dann Pablo Heras-Casado ein – und wurde umgehend als möglicher Nachfolger für den unglücklichen Lionel Bringuier gehandelt (er war wohl damals, als die Wahl auf diesen fiel, auch schon mit im Rennen). Dieses Mal klappte es nun mit Dohnanyi, doch der Solist, Frank Peter Zimmermann, fiel aus. Das ist schade, denn gerade das Mendelssohn-Konzert „fehlt“ mir mit ihm noch, während ich die anderen beiden grossen sinfonischen Violinkonzerte mit Zimmermann in der Tonhalle gehört habe: vor ein paar Jahren Brahms unter Zinman, im Juni 2018 Beethoven unter Manfred Honeck (der den damals erkrankten Haitink ersetzte). Aber gut, als Ersatz war seit Anfang der Woche Alina Ibragimova angekündigt und das weckte meine Neugier umso stärker, als ich sie mit dem Chiaroscuro Quartet im Konzert gehört hatte und irritiert, ja fast etwas verärgert zurückgeblieben war … andererseits schätze ich ihre neue Aufnahme der Violinsonaten von Brahms sehr und hörte auch Gutes über ihre Einspielung des Mendelssohn-Konzertes, kenne selber aber bisher keine Konzert-Einspielungen von ihr.

Und das Ergebnis? Es beeindruckte enorm, um das gleich vorwegzunehmen! Ibragimova hatte anscheinend noch nie mit Dohnanyi gespielt, die beiden Aufführungen (ich war bei der zweiten) waren auch zugleich ihr Debut in der Tonhalle – und was für eines! Ihre eigenwillige Interpretation, zupackend, sehr dynamisch, stellenweise von einer berührenden Zartheit und mit leistesten Pianissimo-Passagen, aber auch mit einer Verve, die zu ein paar Unsauberkeiten führten, die aber überhaupt nicht störten sondern im Gegenteil das pralle Leben in dieser Musik umso erlebbarer machten. Die sehr bewusste Tongestaltung, die Attacke, die Bogenführung, der fliessende Wechsel von schneidender Schärfe im Ton – der so ohne je laut zu werden durch das Orchester hindurch hörbar blieb –, der gekonnte Einsatz von Vibrato, überhaupt die Ausgestaltung jedes Details dieses Werkes zeigte die grosse Könnerschaft und das wache Ohr der jungen Geigerin. Da war wohl im Vorfeld schon einiges an Koordination nötig, zudem ein Dirigent, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein ebenso waches Orchester – und beim Konzert dann von allen Seiten Nerven aus Stahl. Das alles war gegeben, Dohnanyi blickte immer wieder lächelnd zur Solistin, fast machte es den Eindruck, als sei er auch bei der zweiten Aufführung noch verwundert und überrascht von dem, was da passierte – und was natürlich auch dank ihm so möglich wurde. Schlichtweg umwerfend!

Ähnlich ging es nach der Pause weiter, die grosse C-Dur-Symphonie von Schubert stand auf dem Programm, ein harter Brocken, der sich nach einer anstrengenden Arbeitswoche auch für mich etwas zog – doch es lohnte, dranzubleiben, denn Dohnanyi navigierte gekonnt durch die grossen Bögen und gab dabei auch stets acht auf die Details. Perfekt zwischen Detailtreue und dem grossen Ganzen die Balance haltend, steuerte er das Orchester sehr aktiv, hielt einen stetigen, zügigen Puls aufrecht, der aus der Symphonie einen irren Tanz machte, nach dem nur noch ein erschöpftes aber restlos glückliches Niedersinken blieb. Ein wunderbares Konzert!

EDIT:

Hier noch die Rezension aus der heutigen NZZ nachgereicht:
https://www.nzz.ch/feuilleton/tonhalle-diese-geigerin-springt-gleich-zweimal-ins-kalte-wasser-ld.1522230
Und auch der Tagesanzeiger hat gestern berichtet:
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/der-herzschlag-der-musik/story/11698445

Ergänzend noch: bei Mendelssohn musste ich natürlich an die Aufführung mit Klaidi Sahatçi, dem einen Konzertmeister des TOZ denken, der bei den Konzerten mit Ibragimova am ersten Pult sass (als Konzertmeister figurierte Andreas Jahnke) – das war eine no-nonsense Lesart, als solche auch sehr in Ordnung, aber die von Ibragimova war schon ein ganz anderes Kaliber.

Zudem hatte Dohnanyi bei Schubert zwar die Partitur vor sich, aber er rührte sie nicht an. Bei Mendelssohn bin ich mir nicht sicher, hatte mich nicht drauf geachtet.

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