Konzertimpressionen und -rezensionen

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  • #10929071  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

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    gypsy-tail-windJa, da hast Du wohl recht – aber es gibt Welten, die sich nicht nachvollziehen lassen bzw. immer mehr ins Sonderliche abdriften, und den Verdacht habe ich bei Pogorelich ein wenig. Dass man da im Konzert quasi Zuschauer bleibt (Bilder … ja, passt schon) ist halt auch eine Erfahrung, die ich wenig erfreulich fand. Aber es mag ja sein, dass es auch anders geht, also dass man involviert wird und nicht durch den Zaun blicken muss? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen … aber es ist ja selbsterklärend, dass die obige Sichtweise meine persönliche ist Was mich aber eben auch etwas störte ist auch der Aufbau des ganzen Rezitals, eben ein Repertoire-Schaulaufen von Barock bis ins Zwanzigste – aber wenn dann alles doch durch die grosse, schwere, verwischende, Konturen abbauende und letztlich gleichtönenmachende Brille der Romantik betrachtet wird, finde ich das schon etwas irritierend.

    Alles für mich nachvollziehbar :bye: …. Pogorelich sicher ein Pianist der Extreme …. um beim Bildervergleich zu bleiben sind seine „Bilder“ so stark, dass sie kaum Abgleich mit eigenen Erwartungen zulassen …..ist keine Qualität per se, aber hat schon was ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
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    #10929325  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

    Beiträge: 5,420

    gypsy, vielen Dank für Deine Eindrücke. Ich fand es sehr interessant zu lesen, auch die Kommentare von soulpope.

     

     

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    #10933045  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,433

    22.November 2019

    Konzerthaus Wien

    OBERT TREVINO Dirigent

    DENIS KOZHUKHIN Klavier

    WIENER SYMPHONIKER

     

    FRANZ LISZT Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Du

    GUSTAV MAHLER Symphonie Nr. 5 cis-moll

    Das 1ste Klavierkonzert von Liszt eher nur dezent von der Romantik geprägt und für mich kein „Bringer“ ….. Koszhukhin spielt gut, ändert für mich aber auch wenig …. dann Mahler 5, und hier eines jener Konzerte wo der Ansatz von der ersten Note passt …. die Symphoniker sitzen auf Nadeln und deren Solisten brauchen mittlerweile mit den städtischen Philharmonikern wahrlich nicht mehr zu scheuen …. Trevino ist immer auf  Antrieb unter gleichzeitigem minutiösen Ausloten der Details bedacht, und so fügen sich die vielen Einzelthemen der Sinfonie in dieser Lesung zu einem kompakten, trotzdem aufregenden Ganzen …. so muß Mahler …. dankescheen ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #10933123  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    Klingt gut @soulpope! Die Liszt-Konzerte berühren mich auch nicht wirklich – vielleicht mit Bolet ein wenig, mit Cziffra, jüngst mit Beatrice Berrut, die sich ihnen ein wenig anders zu nähern scheint (CD auf Aparte, 2017). Mahler habe ich noch viel zu wenig erkundschaftet, auch im Konzert nicht allzu oft, soo oft wird er hier nicht (wieder nicht mehr?) gespielt.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10934403  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

    Beiträge: 5,420

    @soulpope, vielen Dank für die Eindrücke!

    gypsy-tail-wind.. Mahler habe ich noch viel zu wenig erkundschaftet, auch im Konzert nicht allzu oft, soo oft wird er hier nicht (wieder nicht mehr?) gespielt.

    Im Sommer spielte das Euop. Jugendorchester auch Mahler 5 (Dir. Vasily Petrenko). Auf arte wurde die Aufführung im Livestream übertragen und ich bin dran geblieben; das fühlte sich wirklich wie mehrere Stücke in einem an… und ich war überrascht, dass die jungen Musiker, alles so gut zusammen fügten…

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    #10934771  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,162

    Ich habe schon ein paar sehr intensive Konzerterlebnisse mit Mahler hinter mir (Nr. 1 mit Blomstedt, Nr. 6 mit Zinman, beide mit dem Tonhalle-Orchester, und vor allem eine erschütternde Nr. 9 mit Rattle und dem LSO) und im Regal stehen eine Menge Aufnahmen (ich hab mir quasi seit 2010 meine eigene Bibliothek angelegt, die inzwischen wohl für ein ganzes Leben reichen würde, aber es gibt ja doch immer wieder Neues und neu-aufgelegtes Altes, das mich neugierig macht). Was also noch fehlt ist die eingehendere Beschäftigung im Sinn von: mal alle Symphonien hören, was drüber lesen, unterschiedliche Aufnahmen nacheinander hören usw.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10934913  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 24.11.2019

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Alondra de la Parra
    Leitung
    Pablo Sáinz Villegas Gitarre
    Miriam Albano Mezzosopran

    Joaquín Rodrigo „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester
    Zugabe: Francisco Tarrega Jota

    Manuel de Falla „El sombrero de tres picos“ (Der Dreispitz), Ballettmusik
    Zugabe: Arturo Márquez Danzón Nr. 2

    Gestern wieder zum Sonntagnachmittagskonzert (Beginn um 17 Uhr, Ende jeweils ca. 19:30), weil Alondra de la Parra vorbeischaute – mit einem Programm, das wohl etwas zu sehr die Nische bediente, in der sie sich vermutlich am besten vermarkten lässt, es gab denn auch nur noch Restkarten für diese zweite und letzte Aufführung des Programmes, das schon am Samstag erklang.

    Auf den ersten Konzertteil mit dem „Concierto de Aranjuez“ war ich einigermassen gespannt, weil ich natürlich davon bisher erst das Adagio kenne – in der wunderbaren Fassung von Miles Davis/Gil Evans. Der spanische Gitarrist Pablo Sáinz Villegas gab mit den beiden Konzerten seinen Einstand beim Tonhalle-Orchester, und den kann man wohl als vollumfänglich gelungen betrachten. Mit Alondra de la Parra hat er auch schon aufgenommen und ich vermute öfter mal Auftritte absolviert. Das Zusammenspiel mit dem klein besetzten Orchester funktionierte bestens, es kam immer wieder kammermusikalische Stimmung auf, doch manchmal schien mir die Gitarre dann etwas gar grob dreinzufahren. Mein Lieblingsinstrument wird sie ja eh nie und ich bin jedenfalls nicht traurig, dass sie in den Konzertsälen noch viel seltener auftaucht als im Jazzclub, denn es gab immer wieder Momente, in denen mir das Instrument vergleichsweise wenig nuanciert schien – und das mag ich Pablo Sáinz Villegas definitiv nicht ankreiden, denn er hat die ganze Bandbreite der Gitarre ausgenutzt, sein Spiel wirkte dabei alles andere als grobschlächtig. Als Zugabe – de la Parra überliess ihm die Bühne ganz und kehrte nach dem ersten oder zweiten Abgang gar nicht mehr mit ihm zurück – spielte er eine „Jota“ (vermutlich die „Gran Jota“) des Komponisten Francisco Tarrega, der wie der Gitarrist aus der Rioja-Gegend stammt (grosses Gelächter beim Säuferpublikum, als er das erwähnte, klar). Da fand ich mit der Zeit die Ausdrucksmittel auch ausgeschöpft, es gab nach immer schnelleren Läufen mit der Zeit gar viel Repetition, dann eine längere Passage mit den zwei obersten Saiten überkreuzt (die schepperten dann ein wenig und gaben keine herkömmlichen Töne mehr), schliesslich eine rein rhythmische Passage inkl. Geklopfe auf den Körper der Gitarre, bevor das Ding einem intensiven akkordischen Ende zusteuerte. Das Publikum war ganz aus dem Häuschen – und das passte am Ende schon.

    In der zweiten Hälfte folgte Fallas Ballettmusik zu „El sombrero de tres picos“, bei deren letzten Aufführung – noch in der alten Tonhalle – ich auch schon dabei war. Damals sprang Michael Tabachnik für Lionel Bringuier einsprang – v.a. der der Labèque-Schwestern in guter Erinnerung, was den „Dreispitz“ angeht, schlug ich ja vor, den Rhythmus einer Aufführung alle 24 Jahre oder so beizubehalten, alle zweieinhalb Jahre muss ich das Ding gewiss nicht hören. Aber gut, ich war ja wegen Alondra de la Parra dort, und sie fand ich schon bei Rodrigo faszinierend, es gab Passagen, in denen sie die Musik fast zu tanzen schien (erinnerte mich ein wenig an Krzysztof Urbanski, den ich im Mai sah), dann wieder griff sie zur grossen Geste, erdolchte mit dem Dirigierstab jemanden, dabei die Linke wie ein Torero in die Höhe gestreckt, die Finger verrenkt, aber stets einen Akzent markierend, eine Anweisung gebend. Bei Falla war sie dann – ganz der Musik entsprechend – noch temperamentvoller, schien manche lauten Passagen mitzufauchen oder zu schnauben, stampfte schon mal – passend mit der grossen Pauke, also unhörbar – mit dem Fuss auf das Podest. Das ist aber musikalisch alles Jahrmarkt, und trotz aller Bemühungen de la Parras um das präzise Musizieren, um die leisen Passagen zwischendurch, eine wuchtige Sache, die doch irgendwie wenig ergiebig bleibt. Vielleicht müsste man in der Zeitmaschine zurückreisen können, um das Ding in der Uraufführung zu erleben, als Ballett mit Kostümen von Picasso also. Da ist dann, so stelle ich mir vor, der Kurzauftritt der Sängerin – ich fand Miriam Albano etwas fahl – nicht mehr so undankbar, weil er zu einem Element unter vielen wird.

    Das Publikum war natürlich erneut begeister bzw. weggepustet, eine Zugabe lag bereit, und keine Petitesse sondern der etwa zehnminütige Danzón Nr. 2 von Alonda de la Parras Landsmann Arturo Márquez, in dem lateinamerikanische Rhythmen, elegant-elegische Solopassagen für diverse Stimmen (u.a. Klarinette, Trompete, Geige, Horn, Piccolo), das Orchester war natürlich längst in Fahrt, dass ob der Spielfreude und der schieren Kraft der Musik die Präzision da und dort ein klein wenig litt, war verschmerzbar. Am Ende gab es denn auch mal wieder eine Standing Ovation (die ich wieder mal einem anderen Konzert mehr gegönnt hätte, aber da ist halt wieder der Spassfaktor, der Wowfaktor, das Publikum …). Nichtsdestotrotz hat sich der Besuch gelohnt, aber ich würde de la Parra gerne das nächste Mal mit einem anderen Programm hören, das nicht so sehr die Erwartungen bedient, sondern in dem eher ihr Charakter bei der Interpretation von Werken zum Vorschein kommt, die man vielleicht ganz anders schon kennt. Ich glaube auch nicht, dass sie eine ist, die gerne laut und massig aufspielen lässt (mein Dudamel-Verdacht, auf dessen DG-CD mit dem Bolivarchestar hat er übrigens das Stück von Márquez aufgenommen).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10939305  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Focus Contemporary – Zürich, 27. Nov.-1. Dez. 2019
     
    Zwei der insgesamt fünf Konzerte der Veranstaltungsreihe „Focus Contemporary“ hatte ich für mein Tonhalle-Wahlabo ausgesucht. Neben dem Tonhalle-Orchester und dem Collegium Novum Zürich waren auch die Zürcher Hochschule der Künste, der Chor vocativ zürich, Urs Peter Schneider, das Zürcher Kammerorchester (nur als Gastgeber im ZKO-Haus, nicht spielend) und weitere beteiligt. Ich musste am Samstag Holliger und Kopatchinskaja hören und am Sonntag nochmal Werke von Holliger und die Sopranistin Sarah Maria Sun – das war mir schon klar, als ich die Konzerte im Frühling im Saison-Programm der Tonhalle entdeckt hatte.
     
    Zürich, Tonhalle-Maag – 29.11.2019

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Heinz Holliger
    Leitung
    Patricia Kopatchinskaja Violine
    Anita Leuzinger Violoncello
    Anton Kernjak Klavier

    Heinz Holliger Violinkonzert „Hommage à Louis Soutter“ (1993-95, rev. 2002)
    Zugabe: Heinz Holliger Das kleine Irgendwas, auf einen Text von Alice Kopatschinskaja (2013)

    Heinz Holliger Romancendres, für Violoncello und Klavier (2004)
    Bernd Alois Zimmermann Sinfonie in einem Satz (1952)

    Los ging es gestern um 18 Uhr mit einer „Prélude“, wie sie vor manchen Tonhalle-Konzerten stattfinden, also einem Künstlergespräch mit Heinz Holliger (Moderation: Tom Hellat) inklusive musikalischer Umrahmung. Dazu waren die Leute schon sehr zahlreich erschienen. Ich hörte letzte Saison eine Prélude mit Prélude mit Matthias Pintscher, da war der Andrang nur halb so gross; es gibt auch normale Konzerteinführungen – bei denen der Vortragende schon auch mal in die Tasten des Flügels greift oder wenigstens Klangbeispiele ab Konserve präsentiert –, und es gibt noch das dritte Format der „Surprise“, bei dem Studierende der ZHdK einen musikalischen Auftakt beisteuern, auch letzteres erlebte ich leider bisher bloss einmal, weil ich in der Regel nicht an jenen Abenden zum Konzert gehe, an denen solche Extras stattfinden – oder weil ich zu lange im Bureau hängen bleibe. Gestern klappte das aber zum Glück. Dass Heinz Holliger ein Mann der klaren, durchdachten Worte ist, ist ja bekannt. Die Veranstaltung war als eine Art Ehrung zum 80. (ein halbes Jahr verspätet) gedacht, er dirigierte, war natürlich auch als Komponist präsent, WeggefährtInnen führten Werke von ihm auf – eine runde Sache, die mich einmal mehr sehr einnahm.

    Das Gespräch davor, in dem viel Zeitkritik (Beschleunigung, Wachstums/Kapitalismuskritik, kein Sinn mehr für richtige Musik, usw.) geboten wurde, war interessant – aber zugleich empfand ich es als etwas schwierig, da umrahmt von ergrauten Leuten, die Damen teils mit reichlich Klunkern behangen, eine Kritik am Wachstumsglauben zu hören, die Menschheit müsse zu Zyklen zurückkehren, die Zeit für Erneuerung liessen (ein Modell, das Holliger in manchen seiner Werke zu applizieren sucht). Da sitzt also das Abzockerpublikum mit der fetten Karre und dem dicken Bankkonto und nickt eifrig, wenn vorne ein Querkopf, der selbst im gleichen System tätig ist, ihnen die Kappe wäscht. Vielleicht blieb ja da und dort eine Anregung hängen, zu wünschen wäre es jedenfalls (Nebenbemerkung: gestern war ich ca. 15 Minuten draussen unterwegs zum Einkaufen, Radius weniger als 1 Kilometer, ich sah vier Porsches – nur die Sportwagen gezählt, SUVs zu zählen ist in Zürich müssig, denn die sind Legion).

    Aber gut, Holliger erzählte auch einiges zu den Werken des Abends, also dem Louis Soutter gewidmeten Violinkonzert, den „Romancendres“, die auf ein von Clara Schumann vernichtetes Manuskript von Romanzen für Cello und Klavier von Robert Schumann anspielen, sowie über Zimmermanns (für Holliger der bedeutendste Komponist der Nachkriegszeit, noch vor Boulez, Stockhausen etc.) „Sinfonie in einem Satz“. Im Zusammenhang mit letzterer empfahl er sehr nachdrücklich die Biographie „con tutta forza“, die Tochter Bettina Zimmermann letztes Jahr vorlegte. Auch das Werk, das in der Prélude erklang, wurde kurz erläutert, die „Milleva-Lieder“. Holliger hatte damals zu Weihnachten ein selbstgemachtes Heft mit eingeklebten Zeichnungen und Gedichten erhalten, das die Tochter einer Freundin im Alter von 6 bis 10 Jahren erstellte, Abgeschriebenes, Abgehörtes, in einen kindlichen Worten Wiedergegebenes, wobei Holliger meinte, die späteren Texte (IV und V) klängen fast schon wie Texte von alte Mystikern. Ein paar Tage später, am 29. Dezember, sei er mit dem Komponieren bereits fertig gewesen. Dargeboten wurden die Lieder von zwei Masterstudentinnen der ZHdK, die das auch sehr gut brachten (sie treten damit gerade, wo ich das tippe, im Rahmen des fünften Konzertes, das wie schon das erste von Studierenden der ZHdK bestritten wird, erneut auf).

    Heinz Holliger Mileva-Lieder (1994)

    Kathrin Signer Sopran
    Shih-Yu Tang Klavier

    I Der Abend kommt
    II Mein Herz ist starr geworden
    III In die frühe Morgensonne
    IV Königsblau ist der Himmel
    V Möge sich dein Leben zu einem runden Kreise bilden

    Das Gespräch mit Holliger dauerte am Ende über eine Stunde (davon etwa 14 Minuten für die fünf Lieder, die nach einer halben Stunde am Stück dargeboten wurden), der Achtzigjährige hatte danach also weniger als eine halbe Stunde, um sich auf das Konzert einzustimmen. Doch Holliger wirkt so frisch und voller Energie, dass es nicht weiter verwundert, dass er bis zuletzt ganz entspannt – und doch konzentriert – da sass und erzählte. Musik hält eben nicht nur Keith Richards und ein paar Jazzer jung … wie schön!

    Im Saal – ich sass wie üblich in der ersten Reihe – gab es zum Auftakt das Violinkonzert von Holliger, gewidmet dem später eher als Maler bekannt gewordenen Louis Soutter (1871–1942), der aber als Geiger bei keinem geringeren als Eugène Ysaÿe gelehrt und später im neu gegründeten Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet gespielt hatte. Dieser warf man ihn – nachdem er ihn schon von den ersten Geigen ans letzte Pult der zweiten versetzt hatte, irgendwann heraus. Der Querkopf wurde dann sogar weggesperrt in Anstalten, blieb aber ein äusserst aufmerksamer Zeitgenosse, der einzigartige Gemälde schuf – und nie im medizinischen Sinn für verrückt erklärt wurde. Holliger ist überzeugt davon, dass Soutter der brillanteste Kopf ist, den das OSR je in seinen Reihen wusste, und als dieses zum Jubiläum ein Werk bei Holliger bestellte, legte er mit seiner Hommage an Soutter auch eine Art verspäteten Protest ein. Ich hörte das Konzert – auch schon mit Kopatchinskaja und dem Komponisten am Pult – vor gut zwei Jahren schon beim Lucerne Festival, damals aus der Vogelperspektive in der heiligen Halle (mein damaliger Bericht), dieses Mal sass ich ganz nah dran und war mit dem Stück – das Holliger mit Thomas Zehetmair bei ECM auch aufgenommen hat – auch schon etwas vertrauter, und umso beeindruckender fand ich sowohl das Stück wie auch die Darbietung von Kopatchinkaja. Ein enormer Trümmer ist das Ding, in dem die Violine nicht nur gelegentlich vom Konzertmeister sekundiert wird, sondern in einen Regen Dialog mit drei Ko-Solisten tritt, einer Harfe, einem Cymbalom und einer Marimba. Diese drei Instrumente fächern auch wieder das Bezugsnetz auf, das Holliger beim Komponieren im Sinn hatte, von Debussy bis zu Stravinsky – leider habe ich die konkreten Bezüge nicht notiert und schon wieder vergessen, aber für jedes der drei Instrumente hatte er ein Referenzwerk im Kopf (bei der Harfe eins von Debussy, aus dem dieser wohl zunächst ein Violinkonzert machen wollte, beim Cymbalom eins von Stravinsky, in dem dieser das Cymbalom als Continuo-Instrument nutzte? Bei der Marimba …?). In der Schreibweise versuchte Holliger hier, aus den Solo-Sonaten von Ysaÿe eine Art Violinschule zu machen, und mit der so erlernten Technik sei das Konzert dann zu spielen (anders geht es wohl kaum) – es wird also einiges an Vorarbeit vorausgesetzt, und dass diese – neben Zehetmair – auch von Kopatchinskaja geleistet wurde, ist nicht weiter verwunderlich, ist sie doch zweifellos die interessanteste Geigerin ihrer Generation.

    Als Zugabe spielte Kopatchinskaja ein kleines Stück, für das Holliger einen Text ihrer damals sechsjährigen Tochter Alice verwendete – ich hörte es vor fast genau einem Jahr schon, als ich Holliger und Kopatchinskaja in Basel mit Schubert und Gubaidulina hörte (klick). Eine charmante surrealistische Erzählung bildet den roten Faden, die Geige wird auf mannigfaltige Art bespielt, es wird geschabt, gefaucht … natürlich ein Heimspiel für Kopatchinskaja.

    Nach der Pause folgte dann Holligers Stück „Romancendres“, der Titel ein Zusammenzug zwischen „romances“ und „cendres“, Romanzen und Asche, ein Bezug auf das, was Clara Schumann mit Roberts Romanzen angestellt hat, und Holligers Hommage an Schumann, für dessen Werk er sich schon lange sehr einsetzt (z.B. auch mit einer feinen Gesamteinspielung der Orchesterwerke für audite, natürlich mit Kopatchinskaja als Violinsolistin). Hier hat Holliger – unhörbare – Spuren ausgelegt, C und eS, die Initialen Claras tauchen zu Beginn auf, später wird Roberts Sterbeort EnDEniCH zu Tönen verarbeitet. Allerdings ist das Werk, das ich zwar auf einer ECM-CD vorliegen habe, aber noch nie gehört habe, weit davon entfernt, oberflächlich eine Hommage darzustellen. Eher ist es eine innerliche, persönliche Auseinandersetzung Holligers mit dem Vorbild und mit der Trauer über die vorenthaltenen Werke, in der zwischen Musik und Geräusch, zwischen intensiven Klängen und ganz stillen Momenten alles drin ist. Die Tonhalle-Cellistin Anita Leuzinger und der Pianist Anton Kernjak haben das Stück übrigens für die ECM-CD „Aschenmusik“ (die ansonsten Musik von Robert Schumann enthält) vor ein paar Jahren auch eingespielt (davor gab es bereits eine Einspielung mit Christoph Richter/Dénes Várjon auf der CD „Romancendres“ mit Werken von Clara Schumann und Holliger).

    Nach der Pause folgte dann Zimmermanns Sinfonie, Holliger entpuppte sich als der wohl beste denkbare Advokat für dieses Werk, das 1952 nach mehreren Unterbrüchen beendet und im Jahr darauf noch einmal überarbeit wurde, wie Zimmermann in seinem Werkkommentar für die Aufführung in Darmstadt im Sommer 1956 schrieb: „Die Sinfonie entstand in der Nachkriegszeit, in einer Zeit der Niederbrüche, in einer Zeit, die wohl wie kaum eine andere geartet war. Es gab kein Entrinnen; Ungeborgenheit, Unsicherheit, Angst: Symptome, die nicht zu übersehen waren, all das drängte zur Darstellung, zur Aussage.“ Und er fährt im nächsten Absatz fort: „Stil war zwar nicht Nebensache, aber sekundäre. Die Sinfonie stellt einen Abschluss in meinem Schaffen dar. Der grosse Orchesterapparat, die Weiträumigkeit der Anlage, die simultane Verwendung von Reihentechnik und sogenannter ‚freier Atonalität‘, die dynamische Form und die zum Teil emanzipierte Klangfarbe, all das was einer ‚Behandlung‘ unterworfen, die ich seitdem nicht mehr angewendet habe.“ Ein beeindruckendes Werk, bei dem auf der Bühne fast nicht für alle Platz war (man stellte mir ein paar Tage vor dem Konzert eine neue Karte für Reihe 3 zu, da die ersten beiden Reihen ausgebaut werden mussten). Ich muss da wohl mal tiefer forschen, die wenigen vorliegenden Zimmermann-Aufnahmen mal anhören (von der Sinfonie habe ich eine mit Wand aus den Achtzigern, Wand war wie es scheint mit Zimmermann lange befreundet), auch die gerade wegen Zender erstandene Wergo-CD mit drei Werken, die 1972 erschienen sind.
     

     
    Zürich, Tonhalle-Maag – 30.11.2019

    Collegium Novum Zürich
    Clement Power
    Leitung
    Sarah Maria Sun Sopran
    João Carlos Pacheco Schlagzeug
    Marcus Weiss Saxophon

    Heinz Holliger „Ma’mounia“ (2002) für Schlagzeug und Ensemble
    Sergej Newski „Cansiòn“ (2019) nach „La Nuova Gioventù“ für Sopran, Saxophon und Ensemble, auf Worte von Pier Paolo Pasolini (Uraufführung)

    Isabel Mundry „Traces des moments“ für Klarinette, Akkordeon, Violine, Viola und Violoncello (2000)
    Heinz Holliger „À plume éperdue“ (2015) für Sopran, Altflöte, Englischhorn und Violoncello, auf Texte von Philippe Jaccottet und Heinz Holliger
    Mark Andre Drei Stücke für Ensemble (2019) (Schweizer Erstaufführung)

    Doch das war noch nicht alles. Während das Tonhalle-Orchester mit Holliger und Kopatchinskaja das Violinkonzert für Soutter sowie Werke von Haydn und Mozart im Rahmen eines Gastspiels im Kloster Muri aufführte, fand in der Tonhalle-Maag ein feines Konzert des Collegium Novum Zürich statt, bei dem auch Holliger wieder auf dem Programm stand, als einziger der vier vertretenen KomponistInnen mit gleich zwei Werken. Ich war schon zur Konzerteinführung dort, bei der der sehr junge neue künstlerische Leiter des CNZ, Johannes Knapp, das Programm vorstelle, Hewski und Mundry waren gleich selbst dabei, um mit ihm über ihre Stücke zu sprechen.

    Den Auftakt machte Holligers „Ma’mounia“ von 2002, ein Auftragswerk für den Concours de Genève, wobei Holliger kein Interesse an „schneller-höher-weiter“-Wettbewerbsstücklein hat (und drum auch ein Pferd und Hufgetrappel eingebaut habe, was ich im Konzert dann aber nicht wirklich hören konnte). Die Idee dazu kam ihm bei einem Treffen im Genfer Restaurant „Ma’mounia“. Ein faszinierender Auftakt, in dem mehr der Zusammenhang von Klang und Materialität sehr schön zum Vorschein kam, während natürlich durch den sehr virtuosen Solo-Part (der Schlagzeuger steht dennoch hinter dem Ensemble, von meinem Platz aus konnte ich wenig von seiner Performance nur wenig sehen) auch einiges an Spektakel enthalten ist, das aber mit musikalischen Mitteln durchaus wieder gebrochen wird.

    Als zweites und längstes Werk des Abends erklang dann eine Uraufführung, zugleich ein Auftragswerk für das CNZ, dem der 1972 geborene Sergej Newski eine eigene Textcollage aus späten Gedichten Pasolinis, im friulanischen (forlanischen) Dialekt seiner Mutter verfasst, zugrunde legte. „Ich habe bei der Arbeit an Cansión immer an die Idee einer fliessenden Synthax gedacht, eines permanenten Perspektivenwechsels, einer permanenten Verwandlung des Materials, in der die Materialhierarchien dekonstruiert, verlorengehen, wieder aufgegriffen und neu zusammengesetzt werden“ (aus Newskis Text im Programmheft). Im Zentrum steht dabei das Duo aus Stimme und Saxophon (Sopran und Bariton), das aber immer wieder ins Ensemble eingebunden wird, dessen verschiedenen Kombinationen „eine Art Parallelhandlung“ entwickeln (Newski). Marcus Weiss und Sarah Maria Sun habe er die Idee zum Werk zu verdanken, schreibt Newski, und die beiden waren denn auch beeindruckend in der Aufführung des Stückes, das eine Art konstanter Unterbrechung ist, die aber dennoch – wohl auch dank den Worten Pasolinis, die zugleich die Unterbrechungen durch ihre Collagierung ebenfalls stützen – einen Sog, einen Flow entwickeln. Das war ziemlich umwerfend, und dass danach eine Pause folgte, mochte das Publikum zuerst gar nicht recht begreifen (im Programmheft stand nichts, aber das Licht im Saal ging an und die Helfer, die sonst in Windeseile Stühle, Notenständer und Mikrophone (wäre schön, wenn einiges von dem Konzert tatsächlich auf CD erschiene) blieben aus …

    Nach der Pause folgte zunächst das Stück von Isabel Mundry (die Reihenfolge im Programmheft, wo zudem der Name des Schlagzeugsolisten fehlte – dass die Namen der Gäste an Cimbalom und Harfe beim Konzert vom Vortag, und der Name des Tonhalle-Schlagzeugers, die die Co-Solo-Parts bei Holliger übernahmen, ebenfalls nicht publiziert wurden, ist auch schade). Mundry versucht in ihren „Traces des moments“ den japanischen Gärten auf die Spur zu kommen, die wir alle von Fotos kennen, wie sie z.B. gerne in Einrichtungshäusern die Wand dekorieren. Mundry meinte, bei ihrer ersten Reise nach Japan, in deren Folge das Stück entstand, sei es ein Schock gewesen, zu begreifen, dass diese Bilder auch tatsächlich das seien, was die Gärten sind: Natur in Absenz der Natur, Natur, in der die Natur durch Abwesenheit dargestellt wird. Starre Gebilde, auf die von oben geblickt wird, wie durch einen Rahmen hindurch. Mundry sucht die „naturhaft unberechenbaren Momente und alles Geformte als Zeichen zu lesen, Resonanzphänomene in einem komplexen Netz gegenseitiger Bespiegelung“, wie sich eben die in den Kies geharkten Wellen in den Wellen spiegeln, die der Brunnen im Teich erzeugt. So wählte sie eine Besetzung, in der diese Bespiegelung ebenfalls doppelt und dreifach da ist – oder zyklisch, um den Bogen zu Holliger zu schlagen: die Klarinette spiegelt sich klanglich im Akkordeon, dieses hat dieselben harmonischen Möglichkeiten wie das Streichtrio, doch für sich spiegeln die Streicher wieder die Linearität der Klarinette. Ein faszinierendes und dabei auch verdammt schönes Stück – die Kombination der fünf Instrumente ist wirklich gelungen.

    Dann trat noch einmal die Sängerin Sarah Maria Sun auf, übrigens im knallgrünen Miederkleid. Holligers „A plume éperdue“ basiert auf Worten von Philippe Jaccottet, vom selben Jahrgang wie der Widmungsträger des Holliger’schen „feuillet d’album“, Pierre Boulez. Der Text öffnet mit „Poids des pierres, des pensées“. Das Gewicht der Steine und der Pierres ist halt schon immens. Holliger stellt den Jaccottet-Worten zwei Paraphrasen entgegen, in denen der Schalk blitzt, wenn diverse Begriffe und Zitate aus der Terminologie und dem Werkkatalog von Boulez auftauchen, die „plis“ etwa, und dann tritt auch auf „le peu de l’être […] sans le marteau du maître“. Der Titel des Stücke ist natürlich Mallarmés „Un coup de dès“ entliehen. Sun fand ich hier vielleicht noch etwas beeindruckender, das kleinere, konzentrierte Ensemble machte das Stück aber auch einfacher zu durchdringen, obwohl es in seiner Anlage wohl ebenso vielschichtig ist, wie das von Newski.

    Den Ausklang machten dann die drei Stücke von Mark André, für mich wie Newski ein völlig neuer Name. Auch er schreib fürs Programmheft selbst: „Es geht um die Musik des Entschwindens, des Verschwindens. Es betrifft alle Aktions-/Klang-/Zeittypologien einerseits und die formale Gestaltung andererseits. Die abwesende Präsenz und die anwesende Abwesenheit des Heiligen Geistes und des verschwundenen Auferstandenen werden u.a. im Johannes-Evangelium artikuliert. Das Stück bezieht sich dabei auf Joh. 3, 8: ‚Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.'“ – Die Zeilen scheinen mir für das Verständnis tatsächlich einigermassen erhellend zu sein, jedenfalls ist das Musik, der etwas Ätherisches innewohnt, die kommt und geht, die verweht wird, im Schweigen vergeht – das letzte Stück endet mit einer Pause, die noch mit einer Spielanweisung versehen ist, „leidenschaftlich“ oder sowas in der Art, Dirigent Clement Power stellte das sehr schön dar, wie er überhaupt bei allen Stücken einen glasklaren Blick zu haben schien (bei Holligers zweitem wirkte er nicht mit).

    Ein sehr anregender Konzertabend, der an den vorangegangenen zwar anschloss, aber auch viel weiter ging. Beides Abende, wie sie viel öfter geboten werden müssten, finde ich. Aber beim CNZ kommen wohl höchstens zweihundert Leute, die Tonhalle-Maag (Balkon/Galerie zu, freie Platzwahl) wirkt also recht dünn besetzt. Wenn Kopatchinskaja auftritt, zieht sie natürlich viele Leute an (der eine Platz neben mir blieb nach der Pause dann auch gleich leer, ist ja leider öfter so, wenn Solisten auftreten – umso mutiger finde ich, dürften die zweiten Teile sein, wobei es da bei Holligers Auswahl nichts zu kritteln gibt, bei viel zu vielen Konzerten aber schon: zuerst das grosse Virtuosenstück, danach Beethoven/Mozart/Schubert/Brahms-Tschüss).
     

     
    Nächste Woche geht es ähnlich dicht weiter – aber auf neue Musik im Konzertsaal muss ich eine ganze Weile warten. Morgen geht es zur Cappella Gabetta, die mit Sergei Nakariakov ein Barock-Programm bietet (Dell’Abaco, Vivaldi, Bach etc.), am Mittwoch dann ibidem mit den Berliner Barock Solisten (Konzertmeister ist Willi Zimmermann, der auch als Konzermeister des Zürcher Kammerorchesters amtet), Julia Fischer und Niels Mönkemeyer werden auch dabei sein (und zusammen kV 364 spielen – meine Konzertpremiere, da freue ich mich sehr darauf), am Freitag sind dann die Weilersteins zu Gast, Joshua dirigiert das Tonhalle-Orchester und Alisa Weilerstein spielt das Cellodigns von Britten (danach folgt Schostakowitschs Elfte), am Samstag höre ich dann das ZKO unter seinem Ehrendirigenten Rogers Norrington mit einem Haydn-Programm (die Symphonien 95 und 98 umrahmen das „Lerchenquartett“, wobei mir nicht klar ist, ob letzteres in einem Arrangement für Kammerorchester erklingt oder tatsächlich als Streichquartett).

    --

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    #10939371  | PERMALINK

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    Einmal mehr ein sehr schöner Konzert(e)bericht, vielen Dank, @gypsy-tail-wind. Du bist – in der SUV-Stadt, mir gehen die Dinger auch auf den Senkel – reichlich beschenkt! Das Violinkonzert in Erinnerung an Soutter höre ich jetzt auch (mit Zehetmair); das ist ein Brocken, so ähnlich wie das von Pettersson (die erste Fassung davon habe ich immer noch nicht hier). Die Violine eröffnete wohl im 20. Jahrhundert einiges, führte zu zerstöbernden Werken.

    Bernd Alois Zimmermann – ich schleiche immer noch um ihn herum. „Alle sagen, dass er …“ Allmählich sollte ich ihn genauer hören, die Sinfonie in einem Satz habe ich hier mit Michael Gielen (1987), eine CD-Beilage aus diesem Buch:

    (Ich hatte schon einmal davon berichtet, zukünftig also in der Lese-Ecke, gute Idee, @yaiza.)

    Gielen ist reichlich derselben Meinung wie Holliger, der persönliche Kontakt war nicht immer einfach, aber – wie die Briefausschnitte an Gielen zeigen – für Zimmermann eine Erleichterung, auch wenn, wie Gielen schreibt, „Zimmermanns Phantasie dem jeweiligen Standard der Aufführungspraxis immer ein ganzes Stück voraus war und er nicht recht einsehen konnte, daß eben deshalb wir Interpreten zur Uraufführung nur eine Approximation anbieten können.“ Aber: „Wir wissen, daß die sogenannten unspielbaren Stücke (seit Beethoven) mit der Zeit spielbar werden.“

    Jaccottet, ich habe nicht viel von ihm hier, und gar keine Übersetzung, außer die in der ECM-CD enthaltenen Gedichte („Zwiegespräche“, Holliger, Kurtág), obwohl ich ihn doch so gerne lese. Im Band „À la lumière d’hiver“ bei Gallimard sind große Zeilen: „Cette montagne à son double dans mon coeur.“ So beginnt man ein Gedicht, wenn es weiter gehen können soll. Jaccottet hat übrigens viel übersetzt, auch Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Da sind sehr schwierig aufzulösende Parallelen, aber sie haben sich für Jaccottet eingestellt.

    Danke noch einmal für Deine Berichte hier.

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    #10939783  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Danke für die Rückmeldung @clasjaz!

    Diesen Gielen-Band – inkl. CD, da muss man aber drauf achten bei den Angeboten! – habe ich gerade auch noch geordert. Danke für den Hinweis.

    Von Holligers Violinkonzert gibt es glaube ich bloss die eine Einspielung auf ECM. Da dürfte ruhig noch eine zweite mit Kopatchinskaja nachgereicht werden, finde ich, aber damit rechne ich nicht (machbar wäre es jetzt zwar und gleich mit dem TOZ, denn die sind ja jetzt wie Kopatchinskaja bei alpha gelandet oder haben wenigstens einen Draht dorthin (die Messiaen-CD unter Järvi erschien dort).

    Was Jaccottet angeht, bin ich auch noch schlecht aufgestellt. Ich habe neulich aber den Band gekauft, der in der Nagel & Kimche (hat der Verlag eigentlich überlebt oder ist er nur noch auf life support?) Kollektion erschien: eine von Jaccottet eingerichtete Auswahl von Lyrikern (anscheinend wurde nur gerade eine einzige Lyrikerin berücksichtigt) aus der Romandie, zweisprachig, und die Herausgeber haben auch noch Gedichte von ihm selbst untergebracht.
    https://www.perlentaucher.de/buch/philippe-jaccottet/die-lyrik-der-romandie.html
    Vielleicht gar kein schlechter Einstieg, da man quasi eine Einbettung frei Haus mitgeliefert bekommt – aber gelesen habe ich in dem Band noch nichts, leider.

    Hier auch noch eine kurze Rezension der NZZ (wohl dann morgen in der Print-Ausgabe):
    https://www.nzz.ch/feuilleton/heinz-holliger-im-brennpunkt-des-focus-contemporary-festivals-ld.1525604
    Wobei das mit den „ständig wechselnden Wellenbewegungen“ etwas unglücklich formuliert ist. Eher: ein stetiges aber gleichförmiges Nachwachsen ist das. Ich glaube nicht, dass die Bewegung im Wasser schon das „Stör“-Element der „echten“ Natur darstellt – aber das spielt am Ende natürlich keine Rolle, in der Musik ist das ja auch nicht so abbildbar, dass es beim Hören evident würde.

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    #10940247  | PERMALINK

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    @gypsy-tail-wind

    Als ich der Gielen-Band damals hier eintraf, war ich von der beigefügten CD sehr überrascht; ich wusste gar nichts davon. Kann natürlich sein, dass ein Gebrauchtbücherhändler – zumal privat – die CD vorher hinausnimmt. Der Band ist jedenfalls gut! Neben Zimmermann ist noch darauf:

    Michael Gielen: Rückblick. Serenade für drei Violoncelli (mit Schiff, Latzko und Weinmeister).

    Arnold Schönberg: Kol Nidre (Sprecher: James Johnson, Leitung: Gielen).

    Franz Schubert: Orchesterstücke aus der Musik zu Helmina von Chézys Schauspiel Rosamunde D 797 zusammen mit

    Anton Webern: Sechs Stücke für Orchester op. 6 (Leitung: Gielen). Ich glaube, Schubert und Webern sind auch auf einer Hänssler-CD, weiß aber gerade nicht, ob es dieselbe Einspielung ist.

    Alle Orchesterwerke mit dem damaligen SWR-Sinfonieorchester.

    Zu Nagel & Kimche weiß ich nichts. Interessant – neben den Romandiers (gibt’s das Wort?) – dürfte sein, dass Jaccottet ein bisschen dazu erzählt.

    Danke auch für die Links; wie das mit dem Wasser ist, das ist ja klar, dass da irgendein ständiger Wechsel im Wellenspiel ist. Aber sicher nicht das Entscheidende am Spektakel und schon gar nicht, wenn es in Musik gefasst ist, da scheint mir eine Stetigkeit auch eher das Richtige zu sein. Anfangen, Anwachsen, Aufhören. Aber wer weiß, es soll Leute geben, die sehr am Wasser hängen und alles Mögliche darin sehen.

    Das Violinkonzert von Holliger kommt heute noch einmal in die Ohren, bedrückend erfrischend. Oder umgekehrt.

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    #10941427  | PERMALINK

    yaiza

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    gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 14.11.2019 Tonhalle-Orchester Zürich Christoph von Dohnányi Leitung Alina Ibragimova Violine Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll op. 64 … Die sehr bewusste Tongestaltung, die Attacke, die Bogenführung, der fliessende Wechsel von schneidender Schärfe im Ton – der so ohne je laut zu werden durch das Orchester hindurch hörbar blieb –, der gekonnte Einsatz von Vibrato, überhaupt die Ausgestaltung jedes Details dieses Werkes zeigte die grosse Könnerschaft und das wache Ohr der jungen Geigerin. Da war wohl im Vorfeld schon einiges an Koordination nötig, zudem ein Dirigent, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein ebenso waches Orchester – und beim Konzert dann von allen Seiten Nerven aus Stahl. Das alles war gegeben, Dohnanyi blickte immer wieder lächelnd zur Solistin, fast machte es den Eindruck, als sei er auch bei der zweiten Aufführung noch verwundert und überrascht von dem, was da passierte – und was natürlich auch dank ihm so möglich wurde. Schlichtweg umwerfend!

    habe gerade nochmal Deine Eindrücke zu Alina Ibragimova nachgelesen… wirklich sehr schön beschrieben. Nach der Ravel-CD wäre sie auch eine Geigerin, die ich mir auch gern im Konzertsaal anhören möchte. Ich hatte schon mal geschaut, in Berlin gibt es nächstes Jahr 2 Gelegenheiten: mit Cédric Tiberghien (Mozart, Cage,Lekeu) und das Hartmann-Violinkonzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorch. und Dir. Vladimir Jurowski. Im Anschluss wird Schostakowitsch 8 gespielt – thematisch dichte Kombination.

    Nachtrag: Das letztgenannte Konzert findet am 7. Mai 2020 statt, ein Tag vor dem Gedenktag zu 75 Jahre Ende des 2. Weltkrieges. Das erklärt auch das Proramm.

    Das Hartmann-Violinkonzert ist auf dem Debüt von Fabiola Kim „1939“ (Konzerte von Walton, Hartmann, Bartók mit den Münchenern Symphonikern) zu hören. Ich war am Sonntag bei ihrem Konzert im Pianosalon (Sonaten von Copland, Walton, Hindemith und Prokofjew, alle entstanden zwischen 1939-47).

    zuletzt geändert von yaiza

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    #10941449  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    @yaiza: Die Meinungen zu Ibragimova bzw. v.a. zu Dohnanyi im ersten Konzertteil waren ja sehr geteilt, auf Seen and Heard International kommt er sehr schlecht weg für den Mendelssohn. Finde ich nicht nachvollziehbar, zumal der Rezensent auch wie ich beim zweiten Abend dort war … aber so ist das halt.

    Fabiola Kim sagt mir gar nichts, aber Patricia Kopatchinskaja hat das Concerto funebre auch gerade eingespielt, auf ihrer aktuellen CD „Time & Eternity“, die ich nach ein paar durchwachsenen Alben wieder hervorragend finde. Frank Martins „Polyptyque“ ist auch auf der CD, ansonsten Musik bis zurück zu Machaut, aber das ganze ist meiner Meinung nach äusserst stimmig. Hier eine deutsche Rezension:
    https://www.br-klassik.de/aktuell/br-klassik-empfiehlt/cd/album-der-woche-patricia-kopatchinskaja-time-and-eternity-102.html
    Die ältere Einspielung von Isabelle Faust auf ECM ist ebenfalls super.

    Aber gut, zu Ibragimova/Jurowski würde ich auf jeden Fall gehen, zum Sonatenprogramm mit Tiberghien wohl auch, wenn’s in meiner Stadt stattfände.

    @clasjaz: die heissen schlicht „Romands“ (aber das weisst Du bestimmt?) … in den Band habe ich gestern noch ganz kurz geschaut, die Dichter werden auf einer Seite oder so vorgestellt, von Jaccottet gibt es bloss zwei (oder sind es drei?) längere Gedichte, die Herausgeber bedauern aber eh, dass der Band wegen der Vorgabe durch die Reihe knapp gehalten werden musste („Kollektion Nagel & Kimche“ – dort ging letztes Jahr nach einem Besitzerwechsel der Verleger, der dort wohl sehr gute Arbeit geleistet hat, und so ein Abgang kann einen Verlag ja komplett umkrempeln, denn für die Autoren ist die Personalie ja oft wichtiger als der Rest). Was Jaccottet alles publiziert und in welcher Form das allenfalls greifbar wäre, dazu weiss ich leider auch nichts mehr … einer dieser Ziegel-Taschenbuchbände von Gallimard wäre z.B. schön, mit 2000 Seiten Lyrik drin – aber ich befürchte, das gibt es nicht. Aber die Edel-Variante gibt es tatsächlich, die müsste man sich wohl überlegen, wenn man da tiefer einsteigen wollte:
    http://www.la-pleiade.fr/Auteur/Philippe-Jaccottet

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    #10941489  | PERMALINK

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    gypsy-tail-wind die heissen schlicht „Romands“ (aber das weisst Du bestimmt?) … in den Band habe ich gestern noch ganz kurz geschaut, die Dichter werden auf einer Seite oder so vorgestellt, von Jaccottet gibt es bloss zwei (oder sind es drei?) längere Gedichte, die Herausgeber bedauern aber eh, dass der Band wegen der Vorgabe durch die Reihe knapp gehalten werden musste („Kollektion Nagel & Kimche“ – dort ging letztes Jahr nach einem Besitzerwechsel der Verleger, der dort wohl sehr gute Arbeit geleistet hat, und so ein Abgang kann einen Verlag ja komplett umkrempeln, denn für die Autoren ist die Personalie ja oft wichtiger als der Rest). Was Jaccottet alles publiziert und in welcher Form das allenfalls greifbar wäre, dazu weiss ich leider auch nichts mehr … einer dieser Ziegel-Taschenbuchbände von Gallimard wäre z.B. schön, mit 2000 Seiten Lyrik drin – aber ich befürchte, das gibt es nicht. Aber die Edel-Variante gibt es tatsächlich, die müsste man sich wohl überlegen, wenn man da tiefer einsteigen wollte: http://www.la-pleiade.fr/Auteur/Philippe-Jaccottet

    Ja – „Romandiers“, das war ein Scherz, ein wohl nicht sehr gelungener. In Anlehnung an die Buchstabenspiele, Romancendres, Romanciers … – Du meinst mit den Ziegelsteinen die Quarto-Ausgaben bei Gallimard? Die Suhrkamp dann nachgemacht hat? Ich habe daraus hier Prousts „Recherche“, diese Quarto-Reihe ist gut, die Pléiade-Ausgabe, wo vorhanden, fürs Volk. Bei Philosophie und Erzählendem habe ich da kein Problem; Lyrik habe ich lieber in Einzelbänden, von Jaccottet hole ich mir dann als Nächstes wohl den Band „L’encre serait de l’ombre“. Asche und Tinte, cendre et encre, da gehen die Spielereien der Wörter schon wieder los …

    So „funèbre“ finde ich das Hartmann-Violinkonzert gar nicht, da gibt es Düsteres von ihm, bei den Symphonien. Ich kenne das Konzert aber nur in dieser Ausgabe von apex (Zehetmair mit der Deutschen Kammerphilharmonie, März 1990), die zweite Box ist auch hier. Übrigens sehr gut gemacht, Texte sind auch abgedruckt, zu Dallapiccola und Carter. Engl., Frz., Ital., Dt. Die zu Berio haben sie wohl vergessen; gut, das ist auch ein Stimmengemisch nahe an der Grenze zur Sprachlosigkeit.

    (Dirigent bei Berg und Janácek: Heinz Holliger)

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    #10944273  | PERMALINK

    yaiza

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    Beiträge: 5,420

    ensemble unitedberlin    –   Weihnachtslieder des 21. Jahrhunderts

    7.12.2019, Konzerthaus Berlin, Werner-Otto-Saal

    Ich war bisher schon öfters mal bei Veranstaltungen des ensemble unitedberlin. Das Ensemble widmet sich mit großer Hingabe der Neuen Musik, zuletzt spielten sie das Fagottkonzert und ‚Concordanza‘ von Gubaidulina sowie ‚Melodien‘ von Ligeti. Für den gestrigen Abend waren moderne Weihnachtslieder angekündigt. Zu erleben war ein ganz wundervoller Abend mit

    Bariton: Dietrich Henschel

    Er hatte Aufträge an 12 Komponisten vergeben, die das Weihnachtsfest ganz unterschiedlich beleuchteten. Ob nun nostalgisch, kritisch, satirisch, sakral – für Abwechslung war gesorgt. Es begann ganz zart melodiös mit einer Violine à la Korngold, dann kamen immer mehr Instrumente dazu und wurde immer experimenteller, sehr schön aufgebaut… Dirigiert wurde das ganze von Vladimir Jurowski. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm und war eine tolle Überraschung, ihn in kleinerem Rahmen (ca. 200 Zuhörer) zu erleben und passiert wohl auch nicht mehr allzu oft. Das lag womöglich auch daran, dass es sich um die Uraufführung der Lieder handelte und er, wie ich erst im Nachhinein las, das Projekt zusammen mit Henschel konzipierte. Der Zyklus wird noch einmal unter anderer Leitung in der Tonhalle Düsseldorf aufgeführt.

    Komponiert wurden die Lieder von: Karim Al-Zand, Detlev Glanert, Vannessa Lann, Jobst Liebrecht, Jamie Man, Matan Porat, Olga Rayeva, Michèle Reverdy, José-Maria Sanchez-Verdú, Annette Schlünz, Manfred Trojahn und Arno Waschk

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