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MikkoWieso erhellend? Nail hat sich beschwert, der Artikel sei oberflächlich und erwecke falsche Eindrücke. Dem habe ich widersprochen, weil mein Eindruck ein anderer ist. Gleichzeitig habe ich ihm indirekt vorgeworfen, den großen Durchblicker zu markieren. Ich würde das sarkastisch nennen, Du nicht?
Nun, nail hat doch einige Ergänzungen hier aufgeführt und sich nicht nur beschwert. Ich fand die Kritik angemessen, eine Würdigung von WD im RS wäre wahrscheinlich befriedigender für mich ausgefallen.
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When I hear music, I fear no danger. I am invulnerable. I see no foe. I am related to the earliest time, and to the latest. Henry David Thoreau, Journals (1857)Highlights von Rolling-Stone.deROLLING-STONE-Helden: Thom Yorke – Manchmal biestig
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WerbungMikkoWieso erhellend? Nail hat sich beschwert, der Artikel sei oberflächlich und erwecke falsche Eindrücke. Dem habe ich widersprochen, weil mein Eindruck ein anderer ist. Gleichzeitig habe ich ihm indirekt vorgeworfen, den großen Durchblicker zu markieren. Ich würde das sarkastisch nennen, Du nicht?
Fassen wir zusammen: Ich kritisiere einen Artikel über einen Künstler, den ich seit vielen Jahren sehr gut kenne. Ich halte diesen Artikel für nicht gelungen. Du hast nicht die geringste Ahnung von diesem Künstler, magst aber den Artikel, weil Du es nicht besser weißt. Daraufhin wirfst Du mir vor, dass ich mehr weiß als Du. Da fallen mir wahrhaft andere Attribute zur Bezeichnung ein als „sarkastisch“.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.tolomoquinkolom Diese Argumentation kann ich durchaus nachvollziehen, teile sie aber nicht. Das Wesen eines Protestsongs ist Propaganda, ist Information, ist ein starker Bezug zu Vorgefallenem. Nicht ohne Grund nannte Phil Ochs seine Songs “topicals”. Er reagierte mit ihnen auf reale aktuelle Ereignisse. Abstraktionen machen hier keinen Sinn, denn der direkte Zusammenhang ginge verloren, sublimes würde in Beliebigkeit enden. Freie Interpretationen passen nicht zu Protestsongs, die im Grunde ja mit ihren Texten Sachverhalte zu erklären und nicht zu abstrahieren versuchen.
).Dieser direkte Zugang zu einem abgegrenzten Thema war ja z. B. auch das Problem der DDR-Kunst, besonders der Malerei. Oder die „Kunst“ des 3. Reiches. Je direkter oder explizit politisch ein Werk sein will, desto eher überschreitet es die Grenze von der Kunst zur Propaganda. Wenn sich Ochs als Klassenkämpfer sah, war er politisch motiviert, aber inwieweit war er dann noch Künstler. Die politischen Aussagen z. B. in White Boots… könnten auch auf einem Transparent stehen, das man bei einer Demo vor sich herträgt.
Nehmen wir nun Dylans Hard Rain’s gonna fall: Hier handelt es sich um ein Thema, das durchaus nicht zeitgebunden ist/war, sondern eines, das uns immer weiter begleitet. Ein John Lennon Song über Attica ist heute nicht mehr hörbar, da diese Sache total zeitgebunden war, Dylan gelingt es (auch im gegensatz zum frühen Ochs) seine Themen zu transzendieren, das heißt, die Inhalte zu „retten“, indem er sie so abfaßt, dass sie immer noch/immer wieder brisant sind. Und das halte ich keineswegs für Verwässerung bzw. denke nicht, dass sie das „unverbindlich“ macht: Ganz im Gegenteil, ihre Relevanz gewinnen sie unter anderem aus der Zeitlosigkeit.--
Include me out!@werner: Ich gebe Dir in Teilen Recht, aber man sollte bedenken, dass Phil Ochs wirklich kein dichtender Journalist war, während Dylan selbst damit kokettierte, Lieder über Nachrichten zu schreiben. Dylan hat auch Lieder geschrieben, die man nur im Zeitkontext verstehen kann, beispielsweise „Talking John Birch Paranoid Blues“ oder „Oxford Town“. Ich gebe Dir aber Recht, dass es gerade die abstrakteren Lieder sind, die man heute kennt, und zwar deshalb, weil sie weniger zeitgebunden wirken. Ochs hat zwar mehr Lieder geschrieben, die nur im Zeitkontext verständlich sind, aber daneben stehen auch die zeitlosen Lieder, die nicht so sehr auf konkrete politische Aktion fixiert sind. Das ist nicht nur ein Markenzeichen des späten Ochs, solche Lieder finden sich auch schon in seinem Frühwerk.
Ach ja, ich habe oben „Live In Vancouver“ in das Jahr 1970 versetzt, es wurde aber 1968 aufgenommen. Unbedingte Empfehlung, exzellentes Konzert.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.MistadobalinaNun, nail hat doch einige Ergänzungen hier aufgeführt und sich nicht nur beschwert. Ich fand die Kritik angemessen, eine Würdigung von WD im RS wäre wahrscheinlich befriedigender für mich ausgefallen.
Gegen einen Artikel von WD hätte ich auch nichts gehabt. Nails Kritik fand ich jedoch nicht angemessen, und ich habe das auch begründet.
Ob der Artikel Fakten unterschlagen hat, kann ich nicht beurteilen. Als Anregung zur Beschäftigung mit Phil Ochs fand ich ihn aber hilfreich.Und ob meine Bemerkung nun sarkastisch war oder nicht, nail, das ist eigentlich egal. Mir kam es jedenfalls so vor, als wolltest Du den Artikel schlechter machen, als er tatsächlich ist. Das hat mich gestört. Und nun ist es gut. So wichtig ist diese Auseinandersetzung auch wieder nicht.
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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!MikkoGegen einen Artikel von WD hätte ich auch nichts gehabt. Nails Kritik fand ich jedoch nicht angemessen, und ich habe das auch begründet.
Ob der Artikel Fakten unterschlagen hat, kann ich nicht beurteilen. Als Anregung zur Beschäftigung mit Phil Ochs fand ich ihn aber hilfreich.Und ob meine Bemerkung nun sarkastisch war oder nicht, nail, das ist eigentlich egal. Mir kam es jedenfalls so vor, als wolltest Du den Artikel schlechter machen, als er tatsächlich ist. Das hat mich gestört. Und nun ist es gut. So wichtig ist diese Auseinandersetzung auch wieder nicht.
Nein, ist sie nicht. Es ist ja begrüßenswert, wenn Du Dich aufgrund des Artikels mit Ochs beschäftigst. Meine Kritik ergab sich aber aus meiner Befürchtung, viele würden denken: „Das ist ja uninteressant“ und sich diese Beschäftigung sparen. Mich stört nicht, dass irgendwelche Fakten unterschlagen worden sind, sondern dass das Bild von Ochs, das der Artikel entwirft, seltsam unscharf ist.
Das war es jetzt dazu.--
Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.MikkoGegen einen Artikel von WD hätte ich auch nichts gehabt. Nails Kritik fand ich jedoch nicht angemessen, und ich habe das auch begründet.
Ob der Artikel Fakten unterschlagen hat, kann ich nicht beurteilen. Als Anregung zur Beschäftigung mit Phil Ochs fand ich ihn aber hilfreich.Und ob meine Bemerkung nun sarkastisch war oder nicht, nail, das ist eigentlich egal. Mir kam es jedenfalls so vor, als wolltest Du den Artikel schlechter machen, als er tatsächlich ist. Das hat mich gestört. Und nun ist es gut. So wichtig ist diese Auseinandersetzung auch wieder nicht.
Na, Mikko, so unwichtig finde ich das nicht. Für mich hat nail ergänzende Infos gepostet, die ich interessant fand. Du bezeichnest deine Bemerkung als sarkastisch und nun ist es aber eigentlich egal? Wenn Leser Infos posten, die über das hinaus gehen was im RS steht, dann finde ich das engagiert und positiv.
Und nun ist es gut? Na, wenn du meinst. (das war jetzt sarkastisch.)
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When I hear music, I fear no danger. I am invulnerable. I see no foe. I am related to the earliest time, and to the latest. Henry David Thoreau, Journals (1857)wobei mir das irgendwie schon die Hauptschwierigkeit zu sein scheint, wenn man über Ochs scheibt, die Musik ist prima und die Biografie gibt was her, aber es echt schwer zu vermeiden, dass er neben Dylan nicht aussieht wie jemand der „die Regierung ist böse, tralala“ singt… ich bestätige gern, dass letzteres irgendwie nicht die ganze Wahrheit ist, aber es ist wirklich nicht leicht, nicht in diese Falle zu tappen..
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.MistadobalinaNa, Mikko, so unwichtig finde ich das nicht. Für mich hat nail ergänzende Infos gepostet, die ich interessant fand. Du bezeichnest deine Bemerkung als sarkastisch und nun ist es aber eigentlich egal? Wenn Leser Infos posten, die über das hinaus gehen was im RS steht, dann finde ich das engagiert und positiv.
Ja, finde ich auch. Nails Kritik am Artikel war für mich aber keine Ergänzung, sondern eine zumindest teilweise übertriebene und falsche Kritik. Das habe ich oben auch begründet.
Offenbar verstehen wir den Artikel unterschiedlich. Da macht es wohl nicht viel Sinn, weiter über seine Bewertung zu streiten, oder?
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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!Ich kenne von Ochs nichts, konnte trotzdem Nails Kritik sehr gut nachvollziehen.
Sie war begründet und kam nicht mit dem üblichen Zeitzeugen Totschlagargument, das Du oder otis sehr gern und oft bemühst.
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nail75Natürlich ist es erfreulich, etwas über Phil Ochs im Rolling Stone zu lesen. Leider ist der Artikel sehr schwach. Zu keinem Zeitpunkt schaffen es die Autoren, etwas wirklich Fundiertes über Ochs zu vermitteln, ein Bild seiner Persönlichkeit, seiner Ziele oder seiner Musik zu entwerfen. Ochs erscheint als zielloser, unglücklicher und gescheiterter Musiker, der irgendetwas wollte, was aber nicht funktionierte und der deshalb heute vergessen ist. Teilweise ist das sicher der Kürze des Artikels geschuldet, aber er verschwendet auch seinen Platz, beispielsweise mit der missglückten Darstellung seines Verhältnisses zu Dylan. Es geschieht häufig, dass der Artikel Ideen aufgreift und sie dann im weiteren Verlauf vergisst. Man erfährt, dass er nach LA zog und für A&M Alben aufnahm. Dass er aber LA hasste und es in einem Lied karikierte, steht nirgendwo.
Bis hierher kann und will ich nicht widersprechen.
nail75Es wird auch nicht erwähnt, dass Ochs Songwriting mit Verlauf der 1960er persönlicher und abstrakter wurde, dass seine extrem deutlichen politischen Lieder in den Hintergrund traten. Dass er ein meisterhafter Lyriker war, ein genauer Beobachter und ein bissiger Satiriker.
Überhaupt der Humor: Wer den Artikel liest, könnte glauben, dass Ochs komplett verbissen gewesen sei. In Wirklichkeit war er humorvoll, einfühlsam und sensibel. Im Glauben, wirklich etwas bewegen zu können, bürdete er sich zu viel auf und zerbrach daran. Genau dieses Schicksal vermied Dylan. Diese Beziehung zu erkennen wäre besser gewesen, als die albernen Streitigkeiten nochmals aufzudröseln.Nur diesem Teil kann ich nicht recht folgen. Obwohl ich wie gesagt bisher nichts von Ochs kenne (außer vielleicht 2-3 Songs), hat mir der Artikel sehr wohl vermittelt, was Du hier ankreidest.
nail75Wer Phil Ochs heute hört, der findet in seiner Musik eine bemerkenswerte Leidenschaft, drängendes Engagement und enorm einprägsame Bilder. Ochs war ein Sänger mit einer kraftvollen, klaren Stimme und er sang mit absoluter Überzeugung. Wie er an der Welt verzweifelte, wie er den Glauben an sich, an die Politik und sein Land verlor und sich in Traurigkeit und Verzweiflung verlor, hätte eine bessere Behandlung verdient.
Auch hier will ich nicht widersprechen. Mir hat der Artikel aber zumindest genügend Anstoß geliefert, mich weiter mit Ochs zu beschäftigen.
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Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!redbeansandricewobei mir das irgendwie schon die Hauptschwierigkeit zu sein scheint, wenn man über Ochs scheibt, die Musik ist prima und die Biografie gibt was her, aber es echt schwer zu vermeiden, dass er neben Dylan nicht aussieht wie jemand der „die Regierung ist böse, tralala“ singt… ich bestätige gern, dass das letzteres irgendwie nicht die ganze Wahrheit ist, aber es ist wirklich nicht leicht, nicht in diese Falle zu tappen..
Eigentlich ist Ochs ein typischer amerikanischer Linker, vollkommen durchdrungen vom Glauben an sein Land. Was für ein Paradies auf Erden könnten die USA sein, wenn sie die Ideale von Freiheit und Gleichheit nur verwirklichen würden (Power And The Glory)!* Amerika wurde geboren aus einer Revolution, zu diesen Wurzeln muss es zurückkehren (Ringing Of Revolution). Die neuen Zeiten kündigen sich an (What’s That I Hear), die Menschen (und die Aktivisten) trauen sich, ihre Stimme zu erheben (I’m Going To Say It Now) und führen das Land zu einer neuen Blüte, wenn sie nur ihre Lethargie überwinden und sich engagieren (That’s What I Want To Hear). Kein Platz ist in dem neuen Amerika für halbgare Heuchler (Love Me, I’m A Liberal), Feiglinge (Draft Dodger Rag), kriegslüsterne Militaristen (We Seek No Wider War, One More Parade, I Ain’t Marching Any More) Mississippi (Here’s To The State Of Mississippi), südstaatlichen Rassismus (Too Many Martyrs) und nordstaatliche Diskriminierung von Afro-Amerikanern (In The Heat Of The Summer). Sein Hauptthema ist aber der Vietnamkrieg (White Boots Marching In A Yellow Land), der Amerika zerstört (The War Is Over). Nicht die Regierung ist das hauptsächliche Problem, es sind die Menschen, die aus Halbheit oder niedrigen Beweggründen verhindern, dass Amerika das werden, was sie sein könnten. Man muss sie aufklären, auf dass sie beim nächsten Mal richtig wählen.
*Das ist ein Thema, das man bei deutschen Linken eher nicht findet.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.@nail: danke, das war sehr erhellend! (auch wenn ich in der Sache bei meinem Post bleib, das mit der Regierung ist wohl quatsch…)
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Schön beschrieben. Und genau das ist es doch, was den für Ochs nicht sehr schmeichelhaften Vergleich mit Dylan provoziert. Denn von dieser linkspatriotisch holzschnittartigen und naiven Michael-Moore-Sicht auf die Welt hat sich Dylan schon früh entfernt.
Gleichwohl hat Dylan sich schon früh offensiv als amerikanischer Künstler stilisiert (mit US-Fahne als Bühnenhintergrund – ganz schön kühn in den 60ern für einen Helden der „Gegenkultur“ …). Die Beziehung zum kulturellen Wurzelgrund und zur Wertewelt der USA ist auch bei Dylan von Anfang ein großes Thema, nur eben vielschichtiger, vieldeutiger, widersprüchlicher, rätselhafter, ambivalenter und damit künstlerisch spannender als bei Ochs.
Wobei ich dazusage, dass ich von Ochs bloß die früheren, bekannten Sachen kenne.
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wernerDieser direkte Zugang zu einem abgegrenzten Thema war ja z. B. auch das Problem der DDR-Kunst, besonders der Malerei. Oder die „Kunst“ des 3. Reiches. Je direkter oder explizit politisch ein Werk sein will, desto eher überschreitet es die Grenze von der Kunst zur Propaganda. Wenn sich Ochs als Klassenkämpfer sah, war er politisch motiviert, aber inwieweit war er dann noch Künstler. Die politischen Aussagen z. B. in White Boots… könnten auch auf einem Transparent stehen, das man bei einer Demo vor sich herträgt.
Nehmen wir nun Dylans Hard Rain’s gonna fall: Hier handelt es sich um ein Thema, das durchaus nicht zeitgebunden ist/war, sondern eines, das uns immer weiter begleitet. Ein John Lennon Song über Attica ist heute nicht mehr hörbar, da diese Sache total zeitgebunden war, Dylan gelingt es (auch im Gegensatz zum frühen Ochs) seine Themen zu transzendieren, das heißt, die Inhalte zu „retten“, indem er sie so abfasst, dass sie immer noch/immer wieder brisant sind. Und das halte ich keineswegs für Verwässerung bzw. denke nicht, dass sie das „unverbindlich“ macht: Ganz im Gegenteil, ihre Relevanz gewinnen sie unter anderem aus der Zeitlosigkeit.
Bei DDR-Kunst wie auch bei der des Dritten Reiches muss ich passen. Deinem Gedankengang stimme ich jedoch insoweit zu, dass – um das Ganze wieder ins musikalische zu schieben – Protestsongs tatsächlich Grenzen überschreiten, was Pop- oder Rocksongs in der Regel nicht tun. Protestsongs entstehen in einer bestimmten Phase oder Situation, für eine begrenzte Aktion oder Bewegung. Sie sind keine ausschließliche Unterhaltung, sondern Teil eines auch noch auf andere Weise artikulierten Protests und durchaus Teil einer demokratischen Agitation. Und ja, griffige Texte aus Protestsongs eignen sich wunderbar für Transparente.
Phil Ochs sehe ich weniger als parteipolitisch motivierten Klassenkämpfer oder Revolutionär, sondern eher als einen Motivator und Idealisten, der sich sowohl für Bürgerrechte und Studenten, als auch gegen den Vietnamkrieg und rassistische Restriktionen engagierte. Ein vielleicht zu idealisiertes Amerika lag ihm am Herzen, zumindest bis zum Parteikongress der Demokraten 1968 in Chicago. Er war Teil einer (von nicht nur durch Marcuse inspirierten) Counterculture, Teil der neuen Linken; was jedoch seine Künstlerschaft nicht beeinträchtigt oder gar in Frage stellt. Und Ochs schrieb ja keineswegs ausschließlich Protestsongs.
Dylans A HARD RAIN’S A-GONNA FALL ist ohne Zweifel ein bedeutender Song, aber ist er auch ein ereignisbezogener Protestsong? Ja und Nein. Zum einen bezieht er sich direkt auf die Kubakrise und Amerika bedrohende, sowjetische Atomsprengköpfe, zum anderen hält Dylan seinen Text offen, interpretierbar, der auf diese Weise eher allgemein das Thema atomarer Wettrüstung aufgreift. Durch dosierten Substanzverlust erreicht er eine deutlich erhöhte Haltbarkeit seines Songs. Ich gebe dir recht: nach einem halben Jahrhundert wäre ein Song der sich ausschließlich mit Raketen auf Kuba befasst alles andere als zeitlos. Bei Dylans indirekter Herangehensweise bleibt eine mächtige, seherische Mahnung und Warnung vor einer erschreckenden Möglichkeit, die immer noch besteht. Er macht also in seinem Song genau das Gegenteil von Ochs (oder auch andere Protestsänger wie zum Beispiel Country Joe McDonald): das auslösende Ereignis ist ihm nicht ausschließliches Thema, sondern Inspirationsquelle, die er weiterdenkt. Das halte ich für durchaus legitim.
Der von dir erwähnte Song ATTICA STATE von John Lennon und Yoko Ono ist ein Statement zum Gefängnisaufstand in Attica von 1971 und steht fraglos in sehr engem Zusammenhang mit diesem Ereignis und den politischen Aktivitäten von Lennon und Ono. Im Prinzip geschieht hier das gleiche wie bei Phil Ochs. Sobald Missstände oder Ursachen die zur Entstehung eines derartigen Protestsongs führten behoben sind, ist der Song (bzw. sein Text) – außer für Nostalgiker – nicht mehr relevant, wird im besten Fall zu einem “normalen Rocksong” (allerdings mit zeitgeschichtlichem Inhalt). Phil Ochs’ Songs VIETNAM oder WHITE BOOTS MARCHING IN A YELLOW LAND haben ihren “Zweck” erfüllt, ihre Protest-Kraft verloren, weil dieser Krieg längst beendet ist.
Man kann also abschließend sagen, dass ein Protestsong solange Protestsong bleibt, solange sich der Zustand gegen den protestiert wird nicht ändert. Um mich nicht noch weiter zu verzetteln ein letztes Beispiel: Paul McCartneys agitatorischer Protestsong GIVE IRELAND BACK TO THE IRISH bleibt aktuell, solange eine solche Forderung unaufgelöst bleibt. Je schwieriger also eine Problemlösung ist, desto haltbarer wird auch ein Protestsong.
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Schlagwörter: DDR Rock Ranking, Morrissey = good guy, Neue Gründe für Abokündigung, Nirvana oder Oasis? U2, Pre-Release-Debatten, uralte Kulturtechniken im direkten Vergleich, Zwiebelfisch revisited
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