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atomHierbei ging es mir sehr ähnlich, der intensive Weg über Prestige hat meinen Blick auf die Folgejahre nochmal neu justiert. Schade nur, dass deine tollen Beobachtungen und Skizzen im Laufe der Zeit in diesem Thread nach unten durchrutschen.
ich will ja eigentlich nie was schreiben mir geht es aber auch so, dass ich hier ewig suche: was hat atom dazu nochmal geschrieben, und zu GIANT STEPS gab es ja einen längeren interessanten eintrag von @gypsy-tail-wind. vielleicht sollten wir einfach verabreden, ab jetzt im coltrane-thread zu schreiben? wir hören uns ja offenbar alle nochmal chronologisch durch das werk. und ich möchte wirklich wissen, was eure eindrücke sind.
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das habe ich noch nie als album gehört, nur in sessionform, wozu dann auch „naima“ gehörte und nicht der 10 monate später aufgenommene „village blues“. ich bleibe erstmal dabei, dass mir der sound bei atlantic viel besser gefällt als bei rudy für prestige. das ist hier keine hingestellte band, sondern hier wird intimität erzeugt, ein wohnzimmer konstruiert, in dem der star etwas aufführt. mit der knackigen kelly-chambers-cobb-band deutet sich schon das auseinanderfliegen auf der miles-tour an – sowas niedliches wie „little old lady“ kriegen sie mit dem richtigen schmiss hervorragend hin, aber sobald coltrane zu experimentieren anfängt, wird ihm mit formeln geantwortet: man hat hier zwei flirts mit nicht-westlichen tonalitäten, die kelly schlichtweg ignoriert und einfach blues spielt (ist ja auch nicht ganz sauber). dadurch ermüdet mich diese kompilation aus lauter preziosen, die kompositionen, die kaum ausgelotet werden, erscheinen angestrengt, wenn keiner mitmacht, sondern lieber selbstgenügsam sowas wie „some other blues“ herunterspielt.
und dann der auftritt von mccoy tyner und elvin jones, mit der simpelsten denkbaren vorgabe. plötzlich steht diese band nich mehr in new york und erst recht in keinem wohnzimmer mehr, sondern an einem sumpf – oder in der wüste. es fehlen nur noch zirpende insekten oder kreischende geier. im langweiligsten stück weht ein anderer wind.
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ein ewiges auf und ab bei mir. letztes mal ging es sehr gut, heute war es wieder, als funktionierte gar nichts. die erste seite ist echt hart, coltrane schwimmt hilflos in einem eigentlich völlig offenen feld, in dem er alles mögliche machen könnte („focus on sanity“). dann aber kommt „the blessing“, sopransax, es ist einfach ein schönes thema, das erkennt auch er. und monk dann die rettung. erstaunlich finde ich hier vor allem cherry, seine sicherheit und seinen witz, aber auch, wie strukturiert seine soli sind („the blessing“ – meisterwerk), auch im „bemsha swing“. cherry – haden – blackwell sind ein kurzgeschlossener organismus, es wundert einen heute, wie hermetisch das anderen vorgekommen sein muss – auch heath kann da nichts vernünftiges anbieten. wirklich merkwürdig.
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die erste seite ist klar top5 bei mir. das titelstück ist für mich schwer zu schlagen, die hypnotische wellenbewegung zwischen dur und moll, die verzierungen, die die struktur zum leuchten bringen, dieses unfassbare tyner-solo, in dem sich der neue pianist erstmal nur mit einem trance-rtigen verschieben von akkorden vorstellt… da ist so viel drin, was mich interessiert, der ganze impulse-spiritual-jazz ist vorbereitet, selbst the necks sind in tyners solo schon um die ecke. für mich kommt diese aufnahme so früh sehr unvorbereitet, wohingehend die beiden standards auf der zweiten seite schöne weiterentwicklungen der prestige-sachen (und auch nach der tour mit miles erklärbar) sind. die porter-schnulze, in der coltrane wieder nur seinen pianisten umrahmt, ist nochmal eine klasse für sich und bestimmt nicht das, was man sich ursprünglich bei atlantic erwartet hatte. bin gespannt, wo das ding hier am ende landet.
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das ausgangsmaterial ist wertkonservativ, die verpackung (früh 1960er, abstrakte malerei auf jazzcovern, hatten wir mehrfach, hier ist der künstler bob slutzky, obwohl der grafiker marty norman unterzeichnet hat) darf einen modernistischen kontext der musik andeuten.
das album hat coltrane nicht für mich gemacht, 6 mal blues hintereinander, da muss ich mich schön anstrengen, um auf die feinen unterschiede zu achten (z.b. im schlagzeugspiel, aber auch die arrangements heben sich mühe). tours de force, natürlich. lässige forschung. aber die idee dahinter, die schon auf den sessions da gewesen sein muss, warum sonst sollten sie so viel blues einspielen, leuchtet mir nicht ganz ein.--
Es läuft „Like Sonny“, eine CD von 1990 mit der Roulette-Session von Coltrane, immerhin die erste vom neuen Coltrane Quartett. Steve Kuhn war da schon wieder weg und McCoy Tyner sass am Klavier, aber am Schlagzeug ist noch nicht Elvin Jones sondern Billy Higgins zu hören – was am Aufnahmeort liegen mag (United Recorders in Los Angeles, 8. September 1960). Leider kam die Split-LP (mit einer Lee Morgan-Session) wohl erst 1963 heraus und was bis dahin längst überholt – ändert aber nichts dran, dass das eine tolle Session ist!
Los geht es mit „One and Four“, das im Oktober bei Atlantic als „Mr. Day“ eingespielt wurde und am Anfang von Seite B von „Coltrane Plays the Blues“ landete. Und das ist schon ein Statement. Coltrane spielt mit seinem schlanken aber doch sehr vollen Ton liegende Linien über einen Orgelpunkt von Tyner und Davis, während Higgins natürlich einen viel leichteren Swing anstimmt, weniger flächig spielt, spitzer als Jones, beweglicher, mit mehr auf und ab, dünkt mich. Das Stück – nur so als Gedankenspiel – hätte auch auf „My Favorite Things“ oder „Coltrane’s Sound“ vollkommen gepasst, Blues oder nicht spielt in den Soli natürlich eine gewisse Rolle, aber das ist jetzt wirklich keine klassische Coltrane-Bluesperformance. Tyner übernimmt, und während seine Akkorde davor schon etwas von der weichen Eleganz Garlands verraten, kommen im Solo auch das perkussive Element, das davor wohl bei Wynton Kelly am besten zu hören war, und etwas von der Klangwelt von Bill Evans zum Vorschein.
Doch das war erst der Auftakt – es wird noch besser! Zwei Takes von „Exotica“ folgen auf der CD, zunächst der Alternate. Die Atlantic-Version des Stückes erschien erst viel später auf „Coltrane Legacy“ (als „Untitled Original“). Hier ist Coltrane in einer exotischen Skala unterwegs, es gibt aber auch die rollenden Changes, wie sie seit „Countdown“ und „Giant Steps“ bekannt sind (und im Oktober 1960 auch bei „Central Park West“ und davor auch bei „Fifth House“ wieder auftauchten. Das ist eine wahnsinnig schöne Performance, der man mit etwas böser Absicht den Vorwurf machen könnte, das sei ein Star, der gebettet würde (was ich, wie drüben vorhin angetönt, auch bei „Coltrane Jazz“ nicht so empfinde) – aber das greift zu kurz. Der Mastertake ist noch besser, hier ist diese Klangwelt noch schöner zu hören, mit dem Orgelpunkt vom Bass, den impressionistischen Akkorden vom Klavier (das immer wieder aussetzt), dem tollen Groove von Higgins und darüber dem Meister, der noch die rasantesten Passagen mit grosser Klarheit phrasiert. Das ist total understated und zugleich ganz grosse Kunst. Tyner kostet in seinem Solo die Kippfigur mit dem Pedal Point und den Giant Steps-Changes aus, bringt beides wunderbar zusammen. Den Biss der grossen Aufnahmen hat das noch nicht, aber dennoch ist das hier ein neuer Coltrane, den wir auf den ersten Atlantic-Aufnahmen in Ansätzen schon hörten, der hier aber endlich das kongeniale Umfeld gefunden hat, das er brauchte.
Das letzte Stück der Roulette-Session ist dann „Like Sonny“ (aka „Simple Like“) – das ist das Motiv, das auf einer Phrase beruht, die Coltrane von Sonny Rollins abgeschaut habe und darauf gleich ein Thema schrieb. Higgins/Davis spielen einen tollen Latin-Groove zum Einstieg, Coltrane verdichtet sehr schnell, aber wieder ganz ohne den Rahmen zu durchbrechen. Auf halbem Weg wechselt die Rhythmusgruppe in einen straighten Swing, der auch bei Tyner weiterläuft, punktiert von Higgins‘ toller Snare. Und hier hat Tyner vielleicht sein schönstes Solo der Session, die perlenden Läufe, die schönen Voicings in der linken Hand – eigentlich ist alles schon da, einfach noch nicht mit der Wucht, die er ein paar Jahre später auch noch aufbauen konnte.
Für den Rest springt die CD dann zurück in den November 1958, als Coltrane beim Album „Tuba Jazz“ von Ray Draper mitwirkte – sein zweiter Sideman-Auftritt für den jungen Kollegen, der hier, dünkt mich, in etwas besserer Form ist als bei den früheren Prestige-Sessions. John Maher sorgt für ein frisches, knackiges Piano (das perkussive Element, das ich vorhin erwähnte, dominiert bei ihm), Spanky DeBrest (er gehörte zur 1957er-Version der Jazz Messengers und spielte u.a. auch mit J.J. Johnson) und Larry Ritchie (sein einer bekannter Auftritt ist 1960 auf dem Blue Note-Klassiker „The Connection“ von Freddie Redd) vervollständigen das Quintett – die damalige reguläre Rhythmusgruppe von Jackie McLean, mit dem Draper damals arbeitete, die es so auf Platte aber nicht gibt (auf „Jackie McLean Plays Fat Jazz“ sind Draper und Ritchie, auf „Strange Blues“ auch mal Draper, Mayers und Ritchie gemeinsam zu hören). Der Opener, „Essii’s Dance“, fügt sich quasi als Bindeglied zwischen die „exotischen“ Stücke mit Wilbur Harden und das gerade gehörte „Exotica“ sehr schön ein, ein gutes 6/8-Original aus Drapers Feder. Dann folgt zweimal Rollins mit „Doxy“ und „Oleo“ und auf der zweiten Seite dann drei Sandards: „I Talk to the Trees“, „Yesterdays“ und „Angel Eyes“. Das Unisono-Thema im entspannten „Doxy“ gelingt ganz gut, Coltrane hebt hier auch nicht wie im Opener gleich in den outer space ab, als sein Solo beginnt – doch das ist der Anfang seiner „sheets of sound“-Phase und die kommen natürlich auch hier zum Einsatz, aber recht wohldosiert, er kostet die eingängigen Changes von Rollins aus, streut mal eine Blues-Phrase ein, seine Läufe beschränken sich meist auf Sechzehntel, das Solo hat also ein Doubletime-Feel, an das Draper natürlich nicht ansetzen kann, doch sein erster Chorus ist für einmal ganz gut, rhythmisch wie immer nicht ganz auf den Punkt, aber schön. Beim zweiten versemmelt er dann erstmal den Einstieg und danach auch noch ein bisschen was.
In „Oleo“ haben wir dann wieder den „outer space“-Effekt. Draper kommt im Thema naturgemäss fast nicht mit, und bereits zum dritten Mal soliert Coltrane direkt aus dem Thema heraus. Hier ist er sofort weit fort, spielt kurze Phrasen, etwas atemlos aber faszinierend – und mit Draper muss man danach Mitleid haben, doch nach dem wackligen Einstieg schlägt er sich wieder gut, hat einige schöne melodische Ideen, versucht sich aber auch wieder einmal zu oft an den Glissandi, die später bei Howard Johnson oder Bob Stewart so geil (sorry) klingen (erinnert mich an das letzte Konzert der George Gruntz Concert Jazz Band, wo Johnson einen irren Tuba-Tanz aufgeführt hatte, ich hatte damals ein paar Zeilen geschrieben).
Die Standards-Hälfte öffnet mit „I Talk to the Trees“, das eigentlich ganz gut losgeht und wo Draper sich das erste Solo gönnt, sich darin aber ein wenig verliert – was auch klar wird: die Rhythmusgruppe hat zwar einen schönen dunklen Klang, besonders DeBrest ist stark – aber so richtig zusammen findet sie nicht, weder mit sich noch mit den zwei Bläsern. Bei Coltranes Einstieg setzt Mayers zunächst kurz aus – und wenn er wieder einsteigt, ist auch der Kontrast mit Tyner auf der anderen Session der CD wieder deutlich zu hören. Er spielt halt einfach ein paar Akkorde, die nichts besondere an sich haben, wirklich reine Begleitung. Sein Solo ist dann aber ganz schön, finde ich – aber was er hinter Coltrane machen könnte, wusste er wohl nicht.
Nach „Yesterdays“, das für Draper wieder etwas zu schnell ist, aber ein effektives Arrangement des Themas präsentiert – und natürlich guten Coltrane – ist der Closer „Angel Eyes“ dann nochmal ein Highlight. In „Yesterdays“ habe ich das übliche Draper-Phänomen: ich wünsche mir so sehr, dass er es hinkriegt, fiebere mit, und denke immer wieder mal: Shit, das hat hier leider nicht ganz geklappt. Aber eigentlich macht er es hier länger ganz okay, bis sein Solo einfach ausplempert. Er hat dann zwar nochmal eine Idee, Ritchie reagiert auch mal kurz – aber das geht dann halt wieder nirgendwo hin. Am Ende gibt es noch eine kurze Runde Fours mit Daper, Coltrane und Ritchie. In „Angel Eyes“ ist dann aber alles wieder besser – und es ist natürlich super, Coltrane über diesem innig geliebten Song hören zu können! Das Thema präsentiert allerdings Draper – und das ist klasse! Maher hat hier obendrein die richtigen Akkorde bereit. Coltrane übernimmt dann erstmal kurz, die Rhythmusgruppe findet hinter ihm den perfekten Balladen-Groove. Mit so einem Ausklang beende ich das Hören jedenfalls versöhnt
Der Pianist nennt sich wohl seither Jon Mayer und hat eine ganze Reihe von Alben herausgebracht, vornehmlich im Trio-Format – ich kenne da allerdings kein einziges:
https://en.wikipedia.org/wiki/Jon_MayerUnd auf der oben abgebildeten CD sind #8-10, also die zweite Hälfte des Draper-Albums, als Bonustracks markiert. Entweder gab es 1990 davon noch eine LP oder in der Zeit zwischen 1958 und mal eine Umverpackung auf Roulette, auf der die Coltrane-Session sowie die erste Hälfte des Draper-Albums zu finden sind. Keine Ahnung …
Eine schöne schwedische EP mit „Exotica“ und „One and Four“ gab es aber mal (und eine RSD-10-Inch mit allen vier Stücken der Coltrane-Session):
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
Beiträge: 56,505
Ich spiele die Scheibe aktuell nicht, filtere das Folgende quasi aus (m)einem DNA Abgleich ….
Zwei Tage nach der „Africa Brass“ Session trifft sich John Coltrane mit ein paar Haberern um noch eine Einheit aus der Atlantic Vertragsverpflichtung abzuarbeiten. Das grosse Thema ist der LP seitenlange (sein bis dato längster bei einer Studio Sitzung) titelgebende Track mit dem bezeichnenden Titel „Ole“. Was auf den ersten Blick wie eine Hommage an hispanische Musik anmutet, entpuppt sich bei näherer Anhörung als eine etwas andere Geschichte.
Während Miles Davis sich ein Jahr zuvor auf „Sketches Of Spain“ mit Abstand – quasi mit dem Blick „top down“ eines spanische Edelmannes – angefangen von „Concierto De Aranjuez“ bis grossen Gesten und elegischen Flügelschlägen der Thematik nähert, ist da bei Coltrane von Anfang eine andere Sicht auf „Spanien“ zu spüren. Das ist das durch einen engen Meereskanal abgetrennte Land von Afrika und die Weite, die Trockenheit, die Mystik, die Kargheit, die Armut der Menschen und doch auch eine Vision der Freiheit.
Genial von Anfang an hier natürlich die Doppelbassbesetzung mit Art Davis im Streichansatz – der für den nordafrikanisch/arabischen Stimmungsanteil sorgt – und Reggie Workman aus der de facto spanischen Flageolett Abteilung, welche gemeinsam über (oder eher unter) den gesamten Track einen verdichteten Klangteppich legen. Mit einem sich graduell entfesselnden Elvin Jones und weiträumig agierenden McCoy Tyner wird dann die Bühne bereitet für berührende Soli von Eric Dolphy auf der Flöte, energisches von Freddie Hubbard (sein unglaubliches Potential wieder mal überraschend) und eine veritable Himmelfahrt von John Coltrane am Sopransax – fast wie ein Sturm der sich langsam ankündigt, aufkommt, sich entlädt und wie schemenhaft verebbt – wahrlich zum Besten gegeben ….
Danach ist Stille, die beiden Track auf Seite B- trotz aller Güte – finden da (für mich) kaum mehr statt und auch andere Musik hat zeitnah hier keinen Anschluss zu bieten.
Nach dem ersten Hören niemals mehr vergessen. Ein Meisterwerk.
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)vielen dank, euch beiden. ich dachte halt, wenn ich mich in einem jazzforum nicht über MY FAVORITE THINGS unterhalten kann, dann wo sonst? mit OLÉ, das ich von seiner ganzen anlage her mögen muss, bin ich bisher nie klar gekommen. ich bin sehr gespannt auf den neuen versuch.
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Coltrane, Oktober 1960 also – ich höre wie üblich die Sessions, die Alben sind bei mir zwar im Hinterkopf, ich kannte und schätzte sie fast alles schon, als die Box erschien … aber für mich ist das ein klarer Fall von „the sum is greater than its parts“. Wenn ich das alles halbwegs chronologisch durchhöre, bleibt mir noch jedes Mal die Spucke weg und ich staune über den kreativen Ausbruch und Durchbruch, den Coltrane und seine Mitstreiter – McCoy Tyner (p), Steve Davis (b) und Elvin Jones (d) – hier zustande brachten.
Am 21. Oktober wurde der „Village Blues“ aufgenommen, zwei Takes, der erste auf „Coltrane Jazz“ (das Alternativcover oben stammt gemäss Dicogs auch Chile, 1965), der zweite erstmals in der Box. Und die veröffentlichte Version war wohl das erste, was das Publikum damals vom Coltrane Quartet zu hören kriegte. Für mich eine hypnotische Performance, über dem einfachen Bass-Lick baut Tyner versetzt die Akkorde auf, Coltrane stösst dazu, während Jones bereits für diesen in alle Richtungen auskragenden Swing sorgt. Über „My Favorite Things“, das zweite und auch bereits letzte Stück dieser Session müssen wir glaub ich nicht weiter reden. Gerade 10 Minuten gesucht in diesem Arme-Leute-Forum und den alten Post doch noch gefunden, ich zitiere ihn besser, denn die ersten Suchtreffer waren andere Links dorthin, die alle tot sind dank der superben Migration). Und siehe da, in Frankreich gab es noch Alternativcover (hier 1961, weiter unten 1972 – aus den frühen Siebzigern gab es in Frankreich auch für die anderen Alben hier ähnliche Cover, aber die sind jetzt nicht so super, dass ich sie hier alle einbetten wollte):
gypsy-tail-wind
Ich hab jetzt im Booklet der Atlantic Box nachgeschaut, da gibt’s eine Beschreibung (auch von Lewis Porter übrigens) von „My Favorite Things“, wie Coltrane es aufgesetzt hat, ich tippe das mal ab, das sollte dann auch technisch völlig unbedarften Hörern die Möglichkeit bieten, das zu verfolgen (das ist übrigens keineswegs abfällig gemeint! Ganz im Gegenteil! Ich bewundere Leute, die rein intuitiv all diese grosse und oft von aussen schwierig klingende Musik schätzen können!)The Song’s structure is A-A-B. Both of the A sections use the „raindrops and roses“ tune and emphasize happy things. The B part is the first mention of negative experiences — „When the dog bites“ — but its point is that the good things help us to overcome the bad. Coltrane plays the two A parts at the beginning of his version. Only at the very end of the performance does he play the B part. In the meantime, he stretches out the sense of time in several ways. he has the rhythm section begin with a vamp in E minor, and he comes in at his leisure. After the first A they switch to an E major vamp, and he solos briefly over this. Then it’s back to E minor for the second A. At the end of this one, the E minor vamp returns, and the solos begin. Each solo follows a plan: The soloist, Coltrane or Tyner, plays over the E minor vamp as long as he wants, and then moves on cue to the E major vamp. The cue is a return to the theme. You can hear Tyner return to the theme in the middle of his solo, which is his cue to the others, and then the vamp becomes major. Coltrane does the same during his solo. And during every live version of this piece each soloist, including Eric Dolphy, does the same. When the B section finally enters at the end, we feel that we have been through an entire world of music.
~ Lewis Porter, „The Atlantic Years“, liner notes to „John Coltrane – The Heavyweight Champion. The Complete Atlantic Recordings“, p. 19-20Also kurz die Solo-Routine:
– E Moll so lange, wie der Solist will
– Wechsel in E Dur, angezeigt dadurch, dass der Solist das Thema aufgreiftSowas mag nicht völlig neu gewesen sein, aber es ist doch eine komplett von der Norm abweichende Spielweise! Und auch etwas komplett anderes im Vergleich mit den Songs auf „Giant Steps“ (und „Coltrane Jazz“), die als abgewandelte (harmonisch komplexere, dichtere) Varianten der konventionellen Song-Formen zu verstehen sind. Die Entwicklung der Variation dieser Strukturen beginnt früh, im Bebop nahm sie wohl den grössten Entwicklungsschritt, als Parker, Gillespie etc. ihre eigenen Melodien über abgewandelte harmonische Strukturen von Standards (DER Klassiker war natürlich „I Got Rhythm“, aber auch andere wie „Embraceable You“ wurden genutzt – die Praxis findet man wohl auch schon früher). Die Bopper haben dann oft die Akkorde verdichtet und verändert (man kann Akkorde nach gewissen Regeln „umbauen“, reharmonisieren etc… das übersteigt im Detail dann auch meine Kenntnisse). Nur wenige (etwa Ellington, Monk, Mingus) haben völlig eigentständige Musik geschrieben, die nicht stark an Stücke aus dem Great American Songbook angelehnt war (Mingus‘ „Re-Incarnation of a Love-Bird“ ist ein besonders komplexes Beispiel, oder Monks „Criss-Cross“, wo auch die übliche Anzahl Takte aufgebrochen wird). Coltrane hat „seine“ Changes gefunden und auf „Giant Steps“ verewigt – noch einmal Lewis Porter:
These recordings [Giant Steps, Countdown, 26-2, Exotica, Fifth House, Satellite, Central Park West, But Not for Me] epitomize one major concern of Coltrane’s at this time, that of developing the ability to successfully negotiate the fastest moving chord progressions.
~ Lewis Porter, ibid, p. 14Ich wollte eigentlich nur ganz kurz Antwort geben… aber ich hoffe, diese Ausführungen helfen, zu verstehen, wovon ich schrieb!
Von hier: http://forum.rollingstone.de/foren/topic/chronological-coltrane/page/9/#post-7658437
Die Session am 24. Oktober beginnt dann mit dem bezaubernden „Central Park West“ (auf „Coltrane’s Sound“ erschienen), wo noch einmal eine Variante der „Giant Steps“-Changes zum Einsatz kommt, aber dieses Mal als Ballade bzw. eigentlich Walking-Ballade. Coltrane präsentiert am Sopransax das Thema zum Einstieg und zum Ausklang, dazwischen soliert Tyner kurz aber wunderschön, er findet genau die richtigen Töne in der Begleitung wie im Solo, Das Stück zählt jedenfalls zu meinen liebsten Coltrane-Balladen aus dieser Zeit – und eigene Balladen hat er ja eh nicht gerade viele geschrieben.
Dann betreten wir mit „Mr. Syms“ – wieder am Sopransax – das Blues-Territorium. Mir gefällt der Groove hier sehr gut, aber ich schätze ja bekanntlich diese ganzen Aufnahmen und hatte auch nie ein Problem mit „Plays the Blues“ (das ich dennoch als schwächstes der drei Alben höre). Es folgt die Atlantic-Version von „Exotica“, als „Untitled Original“ herausgebracht auf „The Coltrane Legacy“ in den Siebzigern – und auf den ersten Blick kaum als das Roulette-Stück zu erkennen. Der Orgelpunkt wird vom Bass noch schöner herausgestrichen, Davis bleibt auch fast durchgängig im halben Tempo. Das Trio kriegt das nun besser als echte Gruppenperformance hin. Tyner spielt ein weiteres tolles Solo, Läufe, Blockakkorde, Jones stompt durch, ist aber klanglich für meinen Geschmack (generell bei Atlantic) etwas zu leicht aufgenommen.
„Summertime“ (My Favorite Things) treibt dem Stück die Beschaulichkeit aus, die so vielen Versionen innewohnt, Coltrane spielt es zupackend, mit etwas gepresstem Ton, aber sein Solo wirkt fokussiert und konzentriert – worin ich einen Unterschied zu den Prestige-Aufnahmen und auch den Mitschnitten der Tour mit Davis höre, wo er viel ausschweifender „forscht“. Das hier hat Richtung und wird zielstrebig angegangen. Zudem kommt hier auch die Rhythmusgruppe wieder wunderbar zur Geltung. Was da dauernd alles passier, die Wechsel im Bass vom Orgelpunkt zum Walking, Jones‘ verschiedenste Akzente, das so enorm reiche und doch nie überwältigende Klavier von Tyner – brilliant! Dass direkt danach der nächste Standard angegangen wurde, „Body and Soul“ (Coltrane’s Sound) leuchtet ein – und dass Coltrane dieses Tenoristen-Meisterstück ganz anders angeht als seine Vorgänger, überrascht wenig. Recht schroff wirkt seine Version, und doch total schön. Coltrane hat die Changes angepasst, wie „Summertime“ ist das Stück auf den ersten Blick kaum zu erkennen, es ist ja sonst eins, das spätestens beim zweiten Klavierakkord des Intros klar ist (Trivia: Dexter Gordon verwendete später die Coltrane-Changes, z.B. auf „Homecoming“ zu hören). Faszinierend ist hier einmal mehr Tyner, der mit kleinen Verschiebungen in seinen Akkorden eine Art Anti-Solo spielt, bevor Coltrane einsteigt. Der etwas längere/langsamere Alternate Take erschien in den Siebzigern auf „Alternate Takes“ und ist weniger fokussiert, dünkt mich, dafür verspielter, offener. Und weil der Kontext ja derselbe wie bei „Summertime“ ist, würde es mich schon interessieren, wie das bei @vorgarten ankommt!
Danach geht es mit „Mr. Knight“ (Coltrane Plays the Blues) zurück ins Blues-Territorium. Wieder ein Orgelpunkt, der durch eine kurze Walking-Passage unterbrochen wird. Tyners Akkorde bestimmen den Charakter des Stückes, aber Coltrane spielt das „grosse“ Solo – und er tut dies wie in manchen der Blues-Stücke dieser Sessions gelöst und locker, ohne den Drang, in jedem Solo alles zu sagen, wie er ihn auf der Tour mit Davis im Frühling teils noch ins Extreme getrieben hatte. Das, dünkt mich, ist hier eine neue Qualität, die gerade in den Blues-Stücken schön zur Geltung kommt und eine neue Reife in Coltranes Spiel signalisiert – vielleicht vergleichbar dem Plateau, das er in seiner Zeit bein Monk erreichte, und dann wieder den Studio-Session von 1964.
Von „Blues to Elvin“ (Coltrane Plays the Blues) gibt es in der Box dann einen neuen Alternate Take, den ersten, der elf Minuten dauert und noch besser ist als der Master Take, finde ich. Hier kommt Jones‘ ganzes Gewicht (trotz der „leichten“ Aufnahme) wunderbar zur Geltung, Davis spielt jeweils nur einen Auftakt auf den ersten Schlag des Taktes, bloss in Takten 9 und 10 wechselt er jeweils in Viertel. Tyners Klavier klingt inzwischen vertraut, aber wie gut seine Akkorde passen, wie wichtig sie für da Bandgefüge sind, wird im Vergleich etwa mit dem eher generischen „comping“ von John Maher bei der Draper-Session deutlich, die ich vorhin hörte. Die Art von „diskursivem“ (vielleicht ist es auch nur ein Selbstgespräch) Blues, mag ich unglaublich gerne – und Coltrane beweist hier für mich seine Meisterschaft darin so sehr wie in „Equinox“, das er zwei Tage später aufnahm. Tyner soliert dann selber lange, Coltrane steigt wieder ein, den Ausklang macht dann das Trio … und werkt dabei ein wenig planlos. Für den Master Take (Take Nr. 4), der nicht ganz acht Minuten dauert, wir das Tempo deutlich verlangsamt – und das Klangbild auf der Studio-Aufnahme ist insgesamt weniger gut, finde ich, als auf dem „reference tape“, von dem der Alternate Take stammt. Dafür klingt Coltranes Tenorsaxophon präsenter, prägnanter. Sein Solo ist wohl noch besser, das Tempo ist jedenfalls toll und hindert Jones nicht dran, über weite Strecken ähnlich wuchtig aufzuspielen wie im Alternate Take. Ein gutes Wort möchte ich hier auch für Steve Davis einlegen, den abgesehen von diesen Aufnahmen ja mehr oder weniger unbekannten Bassisten. Tyners Solo – im gleichen Kanal wie dei Drums (der Bass ist anderen Kanal, wo auch Coltrane ist, wenn er spiel) – ist ebenfalls eine Art Kondensat, kurz aber sehr prägnant… und ich merke gerade, dass ich meine Meinung vielleicht revidieren muss, was die Güte angeht. Das hier ist jedenfalls umwerfend, aber vermutlich gefällt mir die Stimmung im Alternate Take einfach etwas besser (und ja, über die Produktion sagt das viel aus – ich habe kein grundsätzliches Problem damit, aber ich glaube eine wirklich umwerfend klingende Atlantic-Produktion habe ich nie gehört … viel umwerfende Musik in mehr oder minder sachdienlichem Sound, klar, das schon!). Auf der Bonus-CD in der Box ist der Rest der Takes zu hören, ein kurzer false start und dann noch ein Alternate Take, mit 6 Minuten der kürzeste.
Drei weitere Blues folgten, die alle auf „Coltrane Plays the Blues“ erschienen: „Mr. Day“, „Blues to You“ (in der Box auch dank dem aufgetauchten Session Reel in drei Takes, der letzte wurde zum Master) und „Blues to Bechet“. „Mr. Day“ baut auf einem Bass-Lick auf, Jones spielt dazu einen unregelmässig punktierten, raschen Swing, Coltrane präsentiert das Thema am Tenorsax, es kommen wohl wieder leicht angepasste Changes zum Einsatz, die Tyner wunderbar ausschmückt. Auch hier, im schnellen Tempo, bewegt sich Coltrane wie mir scheint mit einer Sicherheit, die er bei den Konzerten mit Davis im März/April noch nicht hatte. Er gestaltet zudem (das war ja v.a. in „Harmonique“ von „Coltrane Jazz“ deutlich zu hören) seinen Ton immer bewusster (in Nerdsprache hiesse das wohl: er setzt manchmal Mikrotöne ein, nutzt dazu auch hörbar alternative Fingersätze, was ja z.B. Cannonball Adderley auch gern tat, ebenfalls um nicht ganz reine Töne zu erzeugen). Das Schema ist das gleiche, Coltrane-Tyner-Coltrane, der Pianist steuert auch in der Begleitung diese typischen rollenden Akkorde bei, geschickt phrasiert und rhythmisiert, so dass ich mit dem Bass-Ostinato (das auch wieder kurzzeitig in 4-to-the-bar ausschert) und den Drums von Jones ein dicht gewobener Klangteppich ergibt. In „Blues to You“ und den beiden folgenden letzten Stücken der Session setzt Tyner aus – Vorboten von „Chasin‘ the Trane“, Coltrane setzt zu einem freien Fluss an, einem faszinierenden Monolog, in dem er die gleichmässige Phrasierung hie und da aufzubrechen beginnt. Das Klangbild ist in Takes 1 und 2 dann wieder viel angenehmer als durch die künstliche Separierung bei den späteren Stereo-Abmischungen (weshalb bei CD-Reissues fast nur auf Stereo-Versionen zurückgegriffen wird, begreife ich nicht … bzw. doch, ich begreife es angesichts des Fetisches, den leider viele Audiophile haben … ich kenne das allerdings eher aus der Klassik, dort gibt es ja tatsächlich Leute, die nichts aus der Mono-Ära überhaupt erst in Erwägung ziehen, weil mono einfach gar nicht geht – sinnvoller wird es dadurch aber überhaupt nicht). Und klar, die Möglichkeit, ein solches in der Anlage völlig offenes Stück bei seinem Entstehen zu verfolgen, finde ich faszinierend – auch wieder ein Fall, in dem ich die drei Takes mühelos am Stück hören kann – dieses dauert so einfach dreimal so lang. Und klar: inflections und dreckige Phrasierungen galore (besonders im zweiten Take) – mikrotonaler Jazz . Der Mastertake ist dann wohl tatsächlich der beste – und für mich einer der Höhepunkte der drei Sessions vom Oktober 1960 und das grosse Highlight von „Coltrane Plays the Blues“. Doch ein Blues folgt noch, „Mr. Bechet“, und auch dieses Stück mag ich total gerne, es ist natürlich eine Hommage an Sidney Bechet, den grossen Meister und den wichtigsten Vertreter des Sopransaxophons im Jazz, zumindest vor Steve Lacy. Wie sich Coltrane sich hier locker aber entschlussen durch die Blues-Changes schlängelt, ein über weite Strecken lineares Solo bläst (Lester Young lässt grössen), die Band dabei aber nie den Groove aus den Augen verliert – und dann ist einfach Schluss, wer braucht schon immer die Themenrekapitulation? Klasse!
„Satellite“ (Coltrane’s Sound) ist dann die letzte Nummer vom 24. Oktober 1960 – hier kommen wieder die „Giant Steps“-Akkorde zum Einsatz, doch in den Händen der neuen Band klingt das natürlich anders, Jones bricht den Beat auf, den Davis am Bass durchzieht – mit eingestreuten Orgelpunkt-Passagen. Das ist einmal mehr, dünkt mich, ein Vorbote von Dingen, die später kommen sollten, aber zugleich, durch die inzwischen vertrauten Changes, ein Blick zurück zu „Giant Steps“ – und damit in gewisser Hinsicht auch eine perfekte Verkörperung der kurzen aber bedeutsamen Atlantic-Phase.
Bei der letzten Session wurden sechs Stücke eingespielt, drei Standards und drei Originals von Coltrane. Los geht es überraschend mit einer Ballade, Coltranes wunderschönen Version von Cole Porters „Everytime We Say Goodbye“. Wie in „Central Park West“ umrahmt er mit dem Thema ein kurzes Solo von Tyner, der einmal mehr ein grossartiges Solo spielt, luftig und leicht, aber auch mit ein paar sich überschlagenden Kaskaden und am Ende ein paar heftigen Akkorden und Akzenten – ganz grosse Klasse! Das Stück bildete den Schluss der ersten Seite von „My Favorite Things“, nach dem Titelstück – und das passt natürlich wie die Faust aufs Auge, denn in Porters Lyrics gibt es auch diese Zeilen: „There’s no love song finer / But how strange the change from major to minor / Every time we say goodbye“ – Coltrane liefert also quasi noch die Bedienungsanleitung zu „My Favorite Things“ nach.
In „26-2“ (das zweite Stück vom 26. Oktober) kommen noch einmal die „Giant Steps“-Changes zum Einsatz – ich vermute, zum allerletzten Mal? Coltrane soliert wieder nur über Bass und Drums, und Jones greift hier wieder ordentlich zu – die späteren Duo-Passagen kann man sich hier schon ausmalen. Im Solo ist Coltrane aber nicht so inspiriert wie davor in „Blues to You“, scheint mir – kein Zufall, dass das hier ein Outtake war, auch wenn sich das Stück nicht zu verbergen braucht. Tyner spielt hier auch ein langes Solo, das zunächst nur mit ganz sparsamen Akzenten der linken Hand auskommt – als wolle er den Ideenfluss des Tenorsaxophons fortspinnen. Eine neue Variante (die es bei Coltrane auch später nur selten gab, glaub ich) ist dann, dass dieser nach dem Klaviersolo am Sopransaxophon wieder zurückkehrt und noch ein kurzes Solo spielt, bevor das Stück ohne Themenrekapitulation schliesst.
„But Not for Me“ fand sich nach „Summertime“ am Schluss von „My Favorite Things“. Auch hier verwendet Coltrane Changes, die das Stück fast unkenntlich machen. Was dahinter die Überlegung war, verstehe ich hie nicht so genau, bei „Body and Soul“ finde ich es irgendwie klar (er war halt Tenorsaxophonist, und jeder selbige mit Selbstrespekt hatte damals irgendwann „Body and Soul“ vorzulegen, nachdem Coleman Hawkins das Stück in den Dreissigern zur Messlatte gemacht hatte). Hier spielt Coltrane im Solo dann für kurze Momente auch wieder Sheets of Sound, und irgendwie klingen auch die Akzente von Tyner teils fast wie früher Red Garland – insofern kann ich hier einen Rückbezug auf die Prestige-Zeit viel eher erkennen.
Sind Stücke Nr. 2 und Nr. 3 von dieser Session nicht die grossen Highlights vom Oktober 1960, so ging es in der zweiten Hälfte aber nochmal ganz anders weiter. Die beiden Originals, „Liberia“ und „Equinox“, zählen zu Coltranes schönsten, der Standard, „The Night Has a Thousand Eyes“, reiht sich für meine Ohren unter die diesbezüglichen Grosstaten ein („I Want to Talk About You“ oder zwei Tage früher „Body and Soul“). Alle drei Stücke erschienen auf „Coltrane’s Sound“, der Platte mit dem seltsamen (viele sagen: hässlichen) Cover. „Liberia“ ist natürlich vom Titel her bereits ein Statement (es folgte ja bei Atlantic noch „Dahomey“ Dance“, während bei Impulse! parallel dazu schon „Africa“ in Arbeit war). Los geht es im Rubato, dann wird das Tempo hochgedreht. Coltrane ist sofort in der Zone, Tyner füttert ihn mit Akkorden. Dass der Groove bald in einen 4/4 fällt, macht nichts, natürlich wird dieser durch Orgelpunkte aufgebrochen, in denen Jones raffiniert seine Becken einsetzt, gerne in der Mitte geschlagen, wo sie wie Glocken klingen. Tyner blüht hier natürlich ebenfalls auf – es ist jedenfalls eine Freude, zu beobachten, wie nach getaner Arbeit (am 24. Oktober mit den ganzen Blues-Nummern und am 26. dann noch mit der letzten Ballade) das Quartett jetzt so richtig aufblüht. Ich habe das hier schon oft geschrieben, aber diese Musik klingt unglaublich frisch, sie ist zwar tief in der Tradition verwurzelt, aber präsentiert auch Musiker, die ihre eigenen Stimme gefunden haben und auszubilden beginnen (bei Coltranes Wiedereinstieg gibt es übrigens auch weider eine dieser Phrasen, in denen kein Ton wohltemperiert scheint, direkt bevor das Thema kurz rekapituliert wird). Das ist meisterhafte Musik, ohne Frage!
„The Night Has a Thousand Eyes“ wir über einen Stotterbass, der auf einem Ton verweilt vorgestellt. Jones spielt einen Latin-Beat, Tyner ist hier der Motor, dünkt mich, während Coltrane ziemlich herb und leicht säuerlich das Thema präsentiert. Das Schema mit dem Latin-Beat und dem 4/4-Swing taucht auch in den Soli wieder auf, was dem Stücke eine grosse Kohärenz verleiht. Coltrane wirkt wieder entschlossen, aber ohne jegliche Verbissenheit, er ist einfach nur saugut, um es mal etwas direkt auszudrücken, er frisst die Changes, hat tausend und eine Idee und es könnte auch hier schon, so dünkt es mich, eine Stunde lang weitergehen – bis Davis‘ Finger blutig werden oder Jones einen Krampf kriegt. Tyner steigt aus der Begleitung behutsam in sein Solo ein, bleibt nah am Material des Themas (das hier wohl nicht oder nur wenig reharmonisiert wurde, dünkt mich? Ist kein Stück, mit dem ich super vertraut bin bzw. ev. ist das hier immer meine „default“-Version gewesen d.h. ich erkenne das einfach nicht?). Wahnsinnig gut!
Und noch besser wird es zum Abschluss, mit einem Stück, das seit vielen Jahren zu meinen liebsten überhaupt gehört, „Equinox“. Nach dem Rumpel-Intro stellt das Quartett das Thema vor, eine leicht abgewandelte Bluesform mit einem eingängigen Ostinato, das auch wieder den Blick in eine endlose Ebene öffnet, auf der Coltrane ein überaus packendes Solo bläst. In gewisser Hinsicht scheint Coltrane hier quasi den Blues und die Offenheit von „Flamenco Sketches“ zusammenzubringen. An drei Tagen, dem 21., 24. und 26. Oktober 1960, hat er alles nochmal durchgespielt, Blues, Standards, die „Giant Step“-Changes, hat die Experimente in exotische Gefilde (wie er sie bei Savoy und Prestige besonders mit Harden unternahm, und eben auf „Flamenco Sketches“ mit Miles Davis davor unternahm) ausgeweitet, hat seine Band gefunden, den eigenen Groove, hat nochmal ein paar „Sheets of Sound“ gespielt, und sich zugleich die Tür in die weite Ebene geöffnet, in der er mit einer in sich ruhenden und daher nie hektisch klingenden Wucht die undenkbarsten Ausflüge unternehmen kann – dabei vorwegnehmenend, was er ein Jahr später im Village Vanguard für Impulse aufzeichnete. Drei Tage im Oktober 1960, die quasi als Summe von Coltranes bisherigem Schaffen, aber auch als Ausblick und Vorschau auf das, was in den kommenden Jahren folgen würde, gelten können. Und „Equinox“ ist dabei neben „My Favorite Things“ für mich wohl die perfekte Verkörperung all dessen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbahäßliches cover? gerade nachgesehen, marvin israel hat ziemlich viele und ziemlich viele gute atlantic-cover gestaltet, aber diese methode übermalter (?) fotos ist in der tat speziell (es gibt ähnliche für milt jackson,
ericcharles mingus und sonny stitt). die etwas düstere präsenz, die da durch die bunt verlaufenden farben zum ausdruck kommt, passt ganz gut zum album, das ja tatsächlich ein bisschen vom sonnigen filmsoundtrack von „my favorite things“ abweicht, härter ausfällt.ich mag das album wahnsinnig gerne, obwohl ich „central park west“ wohl eher auf das favorite-album gepackt hätte und obwohl ich mit einem stück hier echte probleme habe, @gypsy-tail-wind ahnte es wohl schon, es ist die „body & soul“-version, die für mich mit den neuen akkorden und dem nicht-balladen-tempo keinen rechten sinn macht. da finde ich die methode überkandidelt, auch oberflächlich, denn das stück ist ja keine leichte schnulze. ansonsten ist alles toll hier, das jubilierende von „the night has a thousand eyes“, der latin/swing-wechsel von „liberia“, der central park, in dem coltrane aus seinen komplizierten akkordwechseln einfach mal eine schnulze macht (und tyner hat mit beidem kein problem), das sich unglaublich, fast wüstenhaft ausdehnende „equinox“ und das für mich tollste stück am ende, „satellite“, das für mich immer noch wahnsinnig modern klingt – das dunkle umeinanderschleichen von bass, schlagzeug und sax, die befreiung von funktionsharmonien, das unglaubliche zusammenspiel von coltrane und jones – dabei bleibt es düster, fast schattenhaft, könnte so auch im arkestra-repertoire sein (der titel!), mit einem abstrakten gilmore-solo…
verstehe schon, dass das erst 4 jahre später auf den markt kam, es klingt einfach nicht nach 1960.
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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vorgarten häßliches cover? gerade nachgesehen, marvin israel hat ziemlich viele und ziemlich viele gute atlantic-cover gestaltet, aber diese methode übermalter (?) fotos ist in der tat speziell (es gibt ähnliche für milt jackson, eric mingus und sonny stitt) ….
Und …. :
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)soulpopeUnd …. :
charles mingus meinte ich natürlich, wie komme ich auf eric?
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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vorgarten
soulpopeUnd …. :
charles mingus meinte ich natürlich, wie komme ich auf eric?
Und ich habe Eric Mingus überlesen, hahaha …. naja das verminderte Augenlicht und die dunklen Nachmittage im November ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)Vielleicht weil das Album erst zur Geburt von Eric Mingus im Sommer ’64 veröffentlicht wurde?
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Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...vorgarten
verstehe schon, dass das erst 4 jahre später auf den markt kam, es klingt einfach nicht nach 1960.Na ja, der Markt klang halt falsch
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Ich hänge gleich noch die letzte Runde an, obwohl ich natürlich gerade Lust hätte, die ganzen „Africa/Brass“-Sessions einzuschieben, aber dafür reicht es heute nicht mehr, nach diesem Nachmittag (der natürlich nicht ohne einige Wiederholungen und Unterbrüche von sich ging, brauche ich dann auch noch was anderes am Abend). Mit „Olé“ sind wir im Territorium, das der ehemalige auf „Flamenco Sketches“ und „Sketches of Spain“ schon ausgelotet hat, aber bei Coltrane kriegt das nochmal eine andere Dimension, da flirrt alles, wir sitzen vor dem einstöckigen maurischen Bau und blicken in die weite Ebene, dahinter erahnen wir das Meer und auf der anderen Seite schroffe Felsengebirge. Die Luft flirrt, die Bässe lassen sie vibririeren, Tyner und Jones ruckeln durch den 6/8-Groove, präzise und doch völlig frei. Coltrane beschwört Schlangen und umrankt Tänzerinnen (oder ist er selbst eine?) und ein gewisser George Lane ist auch mit dabei, seine Flöte hebt als erste zu einem Soloflug an, gefolgt von Freddie Hubbards Tropmete, beide wirken leicht und schweifen weit aus, ohne den Faden aus der Hand zu geben – sonst wären sie auch auf der Stelle verloren, denn die Rhythmusgruppen-Karawane würde ohne sie weiterziehen, gnadenlos. Und gnadenlos gut!
Alles, was danach folgt, hat erstmal keinen leichten Stand. Aber durch die Reduktion und die erneuten leicht exotischen Einsprengsel wirkt der Blues „Dahomey’s Dance“ schon recht stark. Und stark ist Coltrane’s Einstieg ins erste Solo ebenfalls. Hubbard wirkt im Vergleich recht konventionell, aber auch noch sehr unverbraucht und locker. Dolphy spielt hier Altsax, sein Solo öffnet nach Hubbard nochmal ein paar Türen, wirkt stellenweise vom Duktus her fast wie gesprochen. Danach ist die Bahn denn auch frei für „Aisha“, das andere Tyner-Stück (nach „The Believer“), das Coltrane aufnahm. Und das ist natürlich sehr, sehr schön! Dolphys Solo finde ich hier neben dem Beitrag von Tyner -besonders toll.
Es folgt noch „To Her Ladyship“ von Billy Fazier, 1970 zwischen „26-2“ und dem „Untitled Original“ aka „Exotica“ auf Seite A von „The Coltrane Legacy“ erschienen). Falls das der passende Frazier ist, spielte er wohl ein Jahrzehnt früher mal kurz bei Dizzy Gillespie und schon in den Dreissigern bei Jimmy Dorsey. Hier trägt Dolphy an der Flöte die Melodie, dann übernimmt zunächst Coltrane am Sopran und später Hubbard an der Trompete. Das ist gleich nochmal ein sehr, sehr schönes Stück, aber um es auf dem Album noch unterzubringen, hätte es (oder „Aisha“) deutlich gekürzt werden müssen. In der Abfolge passt es nach „Aisha“ auch nicht so recht, denn dieses bildet schon einen perfekten Schlusspunkt (und ich bin, bevor ich das tippte, gerade hektisch zu Discogs rüber, und sehe erleichtert: der Produzent hatte nicht die Idee, die Ballade in die Mitte zu packen – zum guten Glück nicht!)
Weil wir es von ihm kürzlich auch wieder hatten: Donald Garrett (später Rafael Garrett) aus Chicago war es wohl, der Coltrane auf die Idee mit den zwei Bässen brachte, die er ja in den folgenden Jahren immer wieder mal umsetzte. Ellington hatte schon in den Dreissigern manchmal zwei Bassisten eingesetzt, aber sonst war das eine ziemlich neue Idee. Garrett hat gemäss den Liner Notes von Lewis Porter im Booklet der „Heavyweight“-Box Barbara Gardner folgende Erklärung geliefert: „We have been friends since 1955, and whenever he is in town, he comes over to my house, and we go over ideas. I had this tape where I was playing with another bass player. We were doing some things rhythmically and Coltrane became excited about the sound. We got the same kind of sound you get from the East Indian water drum. One bass remains in the lower register and is the stabilizing, pulsating thing, while the other bass is free to improvise, like the right hand would be on the drum. So Coltrane liked the idea.“ (S. 23 im Booklet).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: Free Jazz, Hard Bop, Jazz, John Coltrane
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