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Es läuft „Like Sonny“, eine CD von 1990 mit der Roulette-Session von Coltrane, immerhin die erste vom neuen Coltrane Quartett. Steve Kuhn war da schon wieder weg und McCoy Tyner sass am Klavier, aber am Schlagzeug ist noch nicht Elvin Jones sondern Billy Higgins zu hören – was am Aufnahmeort liegen mag (United Recorders in Los Angeles, 8. September 1960). Leider kam die Split-LP (mit einer Lee Morgan-Session) wohl erst 1963 heraus und was bis dahin längst überholt – ändert aber nichts dran, dass das eine tolle Session ist!
Los geht es mit „One and Four“, das im Oktober bei Atlantic als „Mr. Day“ eingespielt wurde und am Anfang von Seite B von „Coltrane Plays the Blues“ landete. Und das ist schon ein Statement. Coltrane spielt mit seinem schlanken aber doch sehr vollen Ton liegende Linien über einen Orgelpunkt von Tyner und Davis, während Higgins natürlich einen viel leichteren Swing anstimmt, weniger flächig spielt, spitzer als Jones, beweglicher, mit mehr auf und ab, dünkt mich. Das Stück – nur so als Gedankenspiel – hätte auch auf „My Favorite Things“ oder „Coltrane’s Sound“ vollkommen gepasst, Blues oder nicht spielt in den Soli natürlich eine gewisse Rolle, aber das ist jetzt wirklich keine klassische Coltrane-Bluesperformance. Tyner übernimmt, und während seine Akkorde davor schon etwas von der weichen Eleganz Garlands verraten, kommen im Solo auch das perkussive Element, das davor wohl bei Wynton Kelly am besten zu hören war, und etwas von der Klangwelt von Bill Evans zum Vorschein.
Doch das war erst der Auftakt – es wird noch besser! Zwei Takes von „Exotica“ folgen auf der CD, zunächst der Alternate. Die Atlantic-Version des Stückes erschien erst viel später auf „Coltrane Legacy“ (als „Untitled Original“). Hier ist Coltrane in einer exotischen Skala unterwegs, es gibt aber auch die rollenden Changes, wie sie seit „Countdown“ und „Giant Steps“ bekannt sind (und im Oktober 1960 auch bei „Central Park West“ und davor auch bei „Fifth House“ wieder auftauchten. Das ist eine wahnsinnig schöne Performance, der man mit etwas böser Absicht den Vorwurf machen könnte, das sei ein Star, der gebettet würde (was ich, wie drüben vorhin angetönt, auch bei „Coltrane Jazz“ nicht so empfinde) – aber das greift zu kurz. Der Mastertake ist noch besser, hier ist diese Klangwelt noch schöner zu hören, mit dem Orgelpunkt vom Bass, den impressionistischen Akkorden vom Klavier (das immer wieder aussetzt), dem tollen Groove von Higgins und darüber dem Meister, der noch die rasantesten Passagen mit grosser Klarheit phrasiert. Das ist total understated und zugleich ganz grosse Kunst. Tyner kostet in seinem Solo die Kippfigur mit dem Pedal Point und den Giant Steps-Changes aus, bringt beides wunderbar zusammen. Den Biss der grossen Aufnahmen hat das noch nicht, aber dennoch ist das hier ein neuer Coltrane, den wir auf den ersten Atlantic-Aufnahmen in Ansätzen schon hörten, der hier aber endlich das kongeniale Umfeld gefunden hat, das er brauchte.
Das letzte Stück der Roulette-Session ist dann „Like Sonny“ (aka „Simple Like“) – das ist das Motiv, das auf einer Phrase beruht, die Coltrane von Sonny Rollins abgeschaut habe und darauf gleich ein Thema schrieb. Higgins/Davis spielen einen tollen Latin-Groove zum Einstieg, Coltrane verdichtet sehr schnell, aber wieder ganz ohne den Rahmen zu durchbrechen. Auf halbem Weg wechselt die Rhythmusgruppe in einen straighten Swing, der auch bei Tyner weiterläuft, punktiert von Higgins‘ toller Snare. Und hier hat Tyner vielleicht sein schönstes Solo der Session, die perlenden Läufe, die schönen Voicings in der linken Hand – eigentlich ist alles schon da, einfach noch nicht mit der Wucht, die er ein paar Jahre später auch noch aufbauen konnte.
Für den Rest springt die CD dann zurück in den November 1958, als Coltrane beim Album „Tuba Jazz“ von Ray Draper mitwirkte – sein zweiter Sideman-Auftritt für den jungen Kollegen, der hier, dünkt mich, in etwas besserer Form ist als bei den früheren Prestige-Sessions. John Maher sorgt für ein frisches, knackiges Piano (das perkussive Element, das ich vorhin erwähnte, dominiert bei ihm), Spanky DeBrest (er gehörte zur 1957er-Version der Jazz Messengers und spielte u.a. auch mit J.J. Johnson) und Larry Ritchie (sein einer bekannter Auftritt ist 1960 auf dem Blue Note-Klassiker „The Connection“ von Freddie Redd) vervollständigen das Quintett – die damalige reguläre Rhythmusgruppe von Jackie McLean, mit dem Draper damals arbeitete, die es so auf Platte aber nicht gibt (auf „Jackie McLean Plays Fat Jazz“ sind Draper und Ritchie, auf „Strange Blues“ auch mal Draper, Mayers und Ritchie gemeinsam zu hören). Der Opener, „Essii’s Dance“, fügt sich quasi als Bindeglied zwischen die „exotischen“ Stücke mit Wilbur Harden und das gerade gehörte „Exotica“ sehr schön ein, ein gutes 6/8-Original aus Drapers Feder. Dann folgt zweimal Rollins mit „Doxy“ und „Oleo“ und auf der zweiten Seite dann drei Sandards: „I Talk to the Trees“, „Yesterdays“ und „Angel Eyes“. Das Unisono-Thema im entspannten „Doxy“ gelingt ganz gut, Coltrane hebt hier auch nicht wie im Opener gleich in den outer space ab, als sein Solo beginnt – doch das ist der Anfang seiner „sheets of sound“-Phase und die kommen natürlich auch hier zum Einsatz, aber recht wohldosiert, er kostet die eingängigen Changes von Rollins aus, streut mal eine Blues-Phrase ein, seine Läufe beschränken sich meist auf Sechzehntel, das Solo hat also ein Doubletime-Feel, an das Draper natürlich nicht ansetzen kann, doch sein erster Chorus ist für einmal ganz gut, rhythmisch wie immer nicht ganz auf den Punkt, aber schön. Beim zweiten versemmelt er dann erstmal den Einstieg und danach auch noch ein bisschen was.
In „Oleo“ haben wir dann wieder den „outer space“-Effekt. Draper kommt im Thema naturgemäss fast nicht mit, und bereits zum dritten Mal soliert Coltrane direkt aus dem Thema heraus. Hier ist er sofort weit fort, spielt kurze Phrasen, etwas atemlos aber faszinierend – und mit Draper muss man danach Mitleid haben, doch nach dem wackligen Einstieg schlägt er sich wieder gut, hat einige schöne melodische Ideen, versucht sich aber auch wieder einmal zu oft an den Glissandi, die später bei Howard Johnson oder Bob Stewart so geil (sorry) klingen (erinnert mich an das letzte Konzert der George Gruntz Concert Jazz Band, wo Johnson einen irren Tuba-Tanz aufgeführt hatte, ich hatte damals ein paar Zeilen geschrieben).
Die Standards-Hälfte öffnet mit „I Talk to the Trees“, das eigentlich ganz gut losgeht und wo Draper sich das erste Solo gönnt, sich darin aber ein wenig verliert – was auch klar wird: die Rhythmusgruppe hat zwar einen schönen dunklen Klang, besonders DeBrest ist stark – aber so richtig zusammen findet sie nicht, weder mit sich noch mit den zwei Bläsern. Bei Coltranes Einstieg setzt Mayers zunächst kurz aus – und wenn er wieder einsteigt, ist auch der Kontrast mit Tyner auf der anderen Session der CD wieder deutlich zu hören. Er spielt halt einfach ein paar Akkorde, die nichts besondere an sich haben, wirklich reine Begleitung. Sein Solo ist dann aber ganz schön, finde ich – aber was er hinter Coltrane machen könnte, wusste er wohl nicht.
Nach „Yesterdays“, das für Draper wieder etwas zu schnell ist, aber ein effektives Arrangement des Themas präsentiert – und natürlich guten Coltrane – ist der Closer „Angel Eyes“ dann nochmal ein Highlight. In „Yesterdays“ habe ich das übliche Draper-Phänomen: ich wünsche mir so sehr, dass er es hinkriegt, fiebere mit, und denke immer wieder mal: Shit, das hat hier leider nicht ganz geklappt. Aber eigentlich macht er es hier länger ganz okay, bis sein Solo einfach ausplempert. Er hat dann zwar nochmal eine Idee, Ritchie reagiert auch mal kurz – aber das geht dann halt wieder nirgendwo hin. Am Ende gibt es noch eine kurze Runde Fours mit Daper, Coltrane und Ritchie. In „Angel Eyes“ ist dann aber alles wieder besser – und es ist natürlich super, Coltrane über diesem innig geliebten Song hören zu können! Das Thema präsentiert allerdings Draper – und das ist klasse! Maher hat hier obendrein die richtigen Akkorde bereit. Coltrane übernimmt dann erstmal kurz, die Rhythmusgruppe findet hinter ihm den perfekten Balladen-Groove. Mit so einem Ausklang beende ich das Hören jedenfalls versöhnt
Der Pianist nennt sich wohl seither Jon Mayer und hat eine ganze Reihe von Alben herausgebracht, vornehmlich im Trio-Format – ich kenne da allerdings kein einziges:
https://en.wikipedia.org/wiki/Jon_Mayer
Und auf der oben abgebildeten CD sind #8-10, also die zweite Hälfte des Draper-Albums, als Bonustracks markiert. Entweder gab es 1990 davon noch eine LP oder in der Zeit zwischen 1958 und mal eine Umverpackung auf Roulette, auf der die Coltrane-Session sowie die erste Hälfte des Draper-Albums zu finden sind. Keine Ahnung …
Eine schöne schwedische EP mit „Exotica“ und „One and Four“ gab es aber mal (und eine RSD-10-Inch mit allen vier Stücken der Coltrane-Session):
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