Chronological Coltrane

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    gypsy-tail-wind
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    redbeansandricejaja, das ist mittlerweile auch bei mir angekommen, dass Hermans Band eine Plattform für viele war, die anders niemals eine Bigband hätten leiten können… und dass er aus allen möglichen Gründen großen Respekt verdient hat… konkret das Giant Steps Arrangement find ich am Anfang etwas kopflos, aber die Solisten sind offensichtlich große Klasse… interessant zu sehen, wie wenige Sideman-Sessions Garrison im Vergleich zu Tyner und Jones hatte…

    Hör Dir einfach mal das Philips Album Woody Herman 1963 an, das ich Dir geschickt habe! Mehr dazu im Big Band Thread.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Frühling 1965 (Fortsetzung/Ende)

    1965 war wie oben schon angedeutet ein extrem reichhaltiges und ereignisreiches Jahr in Coltranes Karriere – und auch das, in dem er einen nächsten musikalischen Durchbruch erzielte, vermute ich.

    1964 hat er mit zwei grossartigen und in ihrer starken Schönheit bis heute betörenden Alben – Crescent und A Love Supreme – eine Summer der bis dahin erarbeitete Musik gezogen (ähnlich wie ein paar Jahre zuvor mit Giant Steps). Die Musik war hymnisch, treibend, leidenschaftlich, lyrisch und unglaublich stark, alles in einem (ich hab das oben schon kurz zu beschreiben versucht – in diesem Post, am Ende meine eigenen Worte dazu).
    Nachdem im Frühjahr also die unglaublichen Live-Mitschnitte im Half Note und die Sessions für das wohl letzte „klassische“ Quartett-Album, The John Coltrane Quartet Plays aufgenommen worden waren, ging’s im Sommer mit grossen Schritten voran.

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    10. Juni: Der grosse Teil des postumen Albums Transition (AS-9195, erschienen ca. September 1970) entstand, mit Elvin Jones zurück am Schlagzeug (es gibt in „Coltrane Reference“ übriges – müsste auf S. 323 sein – keinen Hinweis, weshalb Haynes die Session vom 26. Mai gespielt hat und auch für den Gig vom 31. Mai – 5. Juni in Philadelphia wird nichts vermerkt, d.h. es ist davon auszugehen, dass Jones dort gespielt hat, denn Veränderungen des Line-Ups werden sonst immer nachgezeichnet).

    Das Stück „Welcome“ erschien zuerst auf dem Album Kulu Sé Mama (AS-9106, erschienen ca. Januar 1967). „The Last Blues“ erschien auf der CD Living Space (IMP 12462, 1998), ist überdies auch auf der 8CD Box The Classic Quartet (1998) und der 4CD Compilation John Coltrane Legacy (2002) zu finden. Das „untitled original [90314]“ erschien zuerst auf dem Doppel-Album Feelin‘ Good (IZ 9345-2, 1978) und ist auch auf Living Space und The Classic Quartet zu finden. Das Titelstück und die „Suite“ erschienen neben AS-9195 auch auf einer Compilation (John Coltrane Collection Vol. 2, auch 90314 war dort zu finden) und sind auf und The Classic Quartet ebenso zu finden. What a mess!

    „Welcome“ ist eine Art – so blöd es klingt – musikalischer Segen, eine ganz einfache Hymne (klingt so halb nach „Happy Birthday“), die Coltrane nach einem Piano-Intro ganz im Rubato vorträgt. Aus Nat Hentoffs Liner Notes zu AS-9106:

    „Welcome“, Coltrane explains, „is that feeling you have when you finally do reach an awareness, an understanding which you have earned through struggle. It is a feeling of peace. A welcome feeling of peace.“ And accordingly, the performance is serene. Temporarily serene, for in Coltrane’s view of man in the world, there are always further stages to work your way toward. The striving is ceaseless. It is not striving in competition with others, but rather a striving within the self to discover how much more aware one can become.

    ~ Nat Hentoff, original liner notes to „John Coltrane – Kulu Sé Mama“ (Impulse AS-9106)

    Mit dieser sehr treffenden Charakterisierung Coltranes enden auch Hentoffs Liner Notes.

    „The Last Blues“ ist ein weiteres kurzes Stück, das Coltrane ganz allein eröffnet, die Rhythmusgruppe setzt im ersten und letzten Chorus die ersten vier Takte aus. Es handelt sich bei dieser Aufnahme anscheinend um die allerletzte, die Coltrane in der klassischen 12-taktigen Blues-Form gemacht hat, daher wurde 1998, als das Stück erstmals veröffentlicht wurde, wohl dieser Titel gewählt. Wenn die Rhythmusgruppe einsetzt, geht’s hier wieder richtig zur Sache, mit dem patentierten Medium-Swing, den Jones so toll beherrschte – keine wichtige oder überragende Aufnahme, aber ein letzter Blick auf das klassische Quartett, ganz ohne Hymnen und Rubato.
    Mit „Untitled Original 90314“ (die Nummer steht ganz einfach für die Master-Nummer) kann man eine Idee bekommen davon, wie das Quartett live gespielt hat. Coltrane spielt über Bass/Drums ein suchendes Solo über diesem modalen Stück, er lotet das obere Register des Tenorsaxophons aus… Tyner setzt an einem äusserst intensiven Punkt ein mit seinem Solo und es gelingt ihm, die Spannung zu halten, bis Coltrane noch einmal (wieder ohne Piano) kommt und das Stück abschliesst. Das ganze dauert fast eine Viertelstunde. Diese Art Aufnahme wurde zu Lebzeiten Coltranes kaum veröffentlicht, was sehr schade ist!
    Es folgt „Transition“ (in den Session Logs als „Crescent 3“ – es bildete mit „Crescent“ und „After the Crescent“ mal eine Suite), ein weiteres modales Stück, etwas über eine Viertelstunde lang. Jetzt ist das Quartett richtig warmgespielt, Tyner begleitet Coltrane hier durchgängig und Elvin Jones ist schon kurz nach Beginn in seinem Solier-Begleit-Modus. Garrisons Bass ist oft mehr gefühlt als gehört, streckenweise wird er wie schon im „Untitled Original“ fast zu einer weiteren Bass-Trommel.
    Dann folgt das Herzstück dieser Session, eine unbetitelte „Suite“ in fünf Teilen. „Prayer and Meditation: Day“ beginnt mit einer kurzen „invocation“, dann geht’s rasch in ein schnelles, treibendes Tempo über, Tyner klingt hier (für seine Verhältnisse jedenfalls) sehr frei, Jones ist kurz davor, den Beat aufzubrechen. „Peace and After“ ist ein unbegleitetes Bass-Solo von Garrison. Dann wird das schnelle Thema wieder aufgegriffen: „Prayer and Meditation: Night“, dann folgt Elvins Solo: „Affirmation“, und zum Ende wieder das Thema: „Prayer and Meditation: 4 a.m.“. Die letzte Passage wird im Rubato gespielt, bzw. die Musik ist intensiv genug, dass ich das jetzt (rhythmisch) „frei“ nennen will, Coltrane brennt! Dann gib’ts ganz zu Ende den Wechsel ins mittlerweile sehr vertraute lyrische Rubato. Insgesamt ist diese Suite wohl eine Art Versuch, etwas ähnliches wie in „A Love Supreme“ zu schaffen, gewissen Ähnlichkeiten sind nicht zu überhören. Die Musik ist allerdings weniger dramatisch (weniger variiert, das Spiel ist dichter, lässt ausser in Garrisons Solo weniger Raum) und das ganze ist auch einiges kürzer. Dennoch ein tolles Stück Musik!

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    16. Juni: Die nächste Impulse Studio-Session, wieder zerstückelt veröffentlicht. „Living Space“ (mit den Overdubs von Alice Coltrane, 1972), „Dusk Dawn“ und „untitled original [90320]“ erschienen zuerst auf Feelin‘ Good, „Vigil“ auf Kulu Sé Mama. Alle vier finden sich auch auf John Coltrane Collection Vol. 3. Auf The Classic Quartet ist das auch alles zu hören, und es kommt ein ein Alternate Take (mit breakdown und p-rehearsal) dazu. Auf dem CD-Reissue von Kulu Sé Mama (2000) erschien zudem ein zusätzlicher, sonst nirgends zu hörender Take von „Dusk Dawn“.

    „Living Space“ ist das letzte Sopransax-Stück, das Coltrane im Studio mit dem Quartett aufgenommen hat. Auf The Classic Quartet gibt’s einen Breakdown und einen Alternate Take ohne die zweite, im Overdub-Verfahren eingespielte Sopransax-Stimme. Diese macht jedoch den besonderen Reiz des Masters aus! Das Stück beginnt lyrisch, Rubato… eigentlich wie ein klassisches Tenor-Featurer jener Zeit. Tyner begleitet wie üblich, wenn Coltrane Sopransax spielt. Der Master mit dem Overdub ist noch lyrischer, zwei Sopransax-Stimmen, die wie ein grosses Vibrato oder ein Echo klingen, dazu Garrisons gestrichener Bass, sehr schön!
    Vom nächsten Stück, „Dusk Dawn“, wurde auf der CD Kulu Sé Mama erstmals der erste Take veröffentlicht. Das Thema ist knapp, der Master ist etwas ausführlicher. Tyner spielt ein tolles Solo und Garrison hat noch einmal die Möglichkeit, unbegleitet zu solieren – das Resultat ist eins seiner dramatischsten Statements überhaupt!
    „Vigil“ dann ist ein Highlight dieser Sessions vom Juni – das einzige Stück, das Coltrane und Jones ganz im Duo jemals im Studio aufgenommen haben. Ein sehr intensives Stück, das aber zugleich eine grosse Ruhe ausstrahlt.
    Zum Abschluss gibt’s noch ein „Untitled Original“, das gemäss seiner Master-Nummer auch als „30920“ bekannt ist. Der Beat löst sich hier zunehmend auf, Jones und Tyner bewegen sich freier, das Metrum wird flexibel, Garrison ist wieder mehr gehört als gefühlt, er spielt definitiv keine klassischen Walking-Linien mehr. Der flexible Beat zieht sich unter Coltranes Tenorsolo hin und bleibt auch bei Tyner, Garrisons Begleitung ist streckenweise minimal, wie eine Trommel auf einem einzigen Ton, dann streut er rasante Läufe ein. Ein schöner Abschluss dieser Sessions!

    Ich will nicht behaupten, diese beiden Sessions seien grandiose, versteckte Schätze, aber ich vermute doch, dass sie einiges bekannter und geschätzer wären, wenn sie damals in etwas weniger chaotischer Form zu hören gewesen wären! Sie entsprechen auch eher dem Bild, das Coltranes Live-Musik abgibt als die Sessions, die auf The John Coltrane Quartet Plays ca. im August 1965 erschienen sind.

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    David Wild, der als Liner Notes-Autor irgendwann von Ashley Kahn abgelöst wurde, schreibt in seinen Notes zur 2000er CD von Kulu Sé Mama, dass die Fülle an Aufnahmen aus dieser Zeit möglicherweise damit zusammenhänge, dass die Gruppe im Frühling und frühen Sommer 1965 wenig Auftritte absolvierte.

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    19. Juni: Pittsburgh Jazz Festival, Civic Arena, Pittsburgh, PA
    Das Programm: Freitag – MJQ, Art Blakey (der für Miles einsprang), Monk, Basie; Samstag – Earl Hines, Carmen McRae, Stan Getz, Coltrane, Ellington; Sonntag – M.L. Williams, Muddy Waters, Brubeck, Jamal, Dizzy und Woody Herman. Das alles in drei Tagen, unglaublich!
    Down Beat (29. Juli 1965, S. 11, ein gewisser Roy Kohler) fand Coltranes Quartett gerade im Vergleich mit Getz unterdurchschnittlich und merkte an: „Even the most dyed-in-the-wool Coltrane fans seemed confused as to whether the saxophonist was kidding or not.“ (zit. nach: Coltrane Reference, 323). Allerdings schrieb dann ein Barry G. Parsons einen Leserbrief, in dem er die Dinge wieder richtigstellte: „It was Stan Getz, not John Coltrane, who was below par. Getz‘ flat, routine soloing was anything but ‚captivating‘ […] Coltrane, along with Earl Hines and Gary Burton, provided the artistic highlights of the evening.“ (Down Beat, 9. September 1965, S. 9, zit. nach: Coltrane Reference, 323). Burton hat wohl mit Getz‘ Quartett dort gespielt… dazu gibt’s in der Verve CD „Nobody Else But Me“ lustige Erinnerungen von Burton an seine Zeit mit Getz – die beiden scheinen menschlich zumindest zu Beginn komplett inkompatibel gewesen zu sein!

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    Am 28. Juni holte Coltrane sich neben Freddie Hubbard ein paar Exponenten der jungen New Yorker Avantgarde ins Studio: Die Tenoristen Pharoah Sanders und Archie Shepp, die Altsaxer Marion Brown und John Tchicai (der aus Dänemark stammt), sowie den Trompeter Dewey Johnson. Art Davis sprang mal wieder als zweiter Bassist ein.
    Mit dieser Aufnahme engagierte Coltrane sich ganz klar für das „New Thing“ – er gab seinen Namen, aber nicht nur das, er schrieb ein Stück, das sich voll und ganz der Ästhetik des „New Thing“ verschrieb. Coltrane erhob sich damit gewissermassen zu einer Vaterfigur für die jungen Wilden. Das war eine sehr erstaunliche Entwicklung (trotz allen Anzeichen), denn mit A Love Supreme, das anfangs 1965 sehr schnell veröffentlicht wurde, war Coltrane endgültig zu einem der grossen Stars der Jazz-Szene geworden. Das Album wurde Ende des Jahres von Down Beat und Jazz zum „Album of the Year“ gewählt und die Leser von Down Beat wählten Coltrane zudem zum Musiker des Jahres, zum besten Tenorsaxophonisten, und erhoben ihn auch noch in die „Hall of Fame“ (als dritten Tenorsaxophonisten nach Coleman Hawkins und Lester Young). Niemand hatte davor auf einmal in so vielen Kategorien der Down Beat Umfragen gewonnen.

    Anstatt sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen hat sich Coltrane mehr und mehr für junge Musiker eingesetzt, die wie er auf der Suche nach etwas neuem waren – er unterstützte Archie Shepp (der auf Coltranes Label Impulse eine Reihe eindrücklicher Alben aufzunehmen begann), Pharoah Sanders und Marion Brown (letzterer machte für Impulse das schöne Album „Three for Shepp“, Sanders auch eine ganze Reihe von Alben, die allerdings meiner Meinung nach nie an das heranreichen, was Sanders auf Coltranes Alben erreicht hat). In diesem Rahmen ist auch Coltranes Auftritt am 28. März zu sehen (s.o.).

    Das Resultat der Studio-Session mit diesen Exponenten des „New Thing“ war das grandiose Album Ascension. Die Musik wurde offenbar von Coltrane im Studio ausgearbeitet – hier eine Passage aus Lewis Porters Liner Notes für die CD-Ausgabe von 2000:

    The piece begins with a five-not theme, somewhat like that of „A Love Supreme“, which Coltrane states at the beginning and which is taken up again at various points after that. In his autobiography, What a Wonderful World (Oxford University, 1995), Thiele recalled that Coltrane handed out sheet music at the session. It’s uncertain just what he handed out; in the original liner notes Shepp is quoted as saying, „The ensemble passages were based on chords, but these chords were optional . . . . In those descending chords there is a definite tonal center, like a B-flat minor. But there are different roads to that center.“ […] Marion Brown stated, „Trane had obviously thought a lot about what he wanted to do, but he wrote most of it out in the studio. He played this line and he said that everybody would play that line in the ensembles. Then he said he wanted crescendi and decrescendi after every solo.“
    Several commentators have noticed that „Ascension“ seems to be loosely based on scales, which are more easily heard than chords in this dense ensemble. […] During most of the ensemble passages, Coltrane evidently signaled by his playing (and probably by gestures as well) when to change chords, with corresponding changes in scales. The other musicians then start with the indicated scale but quickly branch out from there. For the individual solos, the first scale, B-flat minor, is the general foundation.

    ~ Lewis Porter, liner notes to „John Coltrane – Ascension“ (Verve 2000)

    Mehr kann und will ich hierzu nicht sagen… die Aufnahme dürfte ja sowieso ziemlich weitrum bekannt sein :-)

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    (Kleine Anmerkung: dieser Post ist deswegen kürzer, weil ich nicht dazu komme, täglich viele Stunden Coltrane zu hören, bzw. zwischendurch vermehrt anderes hören will… mal sehen wie’s weitergeht, nach „Ascension“ folgen die Live-Aufnahmen aus Newport und Europa, im Herbst dann die letzten Quartett-Sessions mit Tyner/Jones (darunter eins meiner allerliebsten Coltrane-Alben, Sun Ship – für mich eins der schönsten Free Jazz Alben überhaupt, also im ganz klassischen Sinne „schön“!) sowie weitere Aufnahmen mit grösseren Formationen und Ende November schliesslich ein nächstes Highlight, Meditations.

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    gypsy-tail-wind
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    Eine kleine „editorische“ Notiz: Die Doppel-CD The Major Works of John Coltrane (GRP 21132, 1992) enthält all die Studio-Aufnahmen mit grösseren Besetzung, die im Juni und Oktober 1965 entstanden sind: beide Takes von „Ascension“ (28. Juni), „Om“ (1. Oktober), „Kulu Sé Mama“ und „Selflessness“ (14. Oktober).
    Das Stück „Om“ ist wohl hier am leichtesten zu finden – es ist allerdings eher eine Kuriosität denn ein zentraler Teil von Coltranes Werk.
    Als Teil der „Impulse Master Edition“ CD-Reihe erschienen 2000 auch Riessues von Ascension und Kulu Sé Mama. Erstere enthält beide Fassungen, zweitere enthält als Bonus-Tracks auch „Selflessness“ und den oben erwähnten zuvor unveröffentlichten ersten und den Master Take von „Dusk Dawn“.
    Für Sammler (von CDs) wie mich ist also zumindest die Major Works CD sowie Kulu Sé Mama angesagt… ich habe auch die einzelne CD von Ascension, habe allerdings nie verglichen, ob die besser klingt als die Version in der Doppel-CD.

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    gypsy-tail-wind
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    Im Down Beat vom 19. Februar 1959 (S. 39) gab’s einen Blindfold Test, den Leonard Feather mit Coltrane durchgeführt hat (in: Simpkins, 273f.) – darin äussert sich Coltrane wohlwollend über ziemlich unterschiedliche Musik: Paul Quinichette mit Woody Herman, Art Farmers „Modern Art“, Horace Silvers „Soulville“ – wovon er das Titelstück aufnehmen wolle, was leider nie stattfand -, Coleman Hawkins‘ „The Hawk Flies High“, die Art Tatum/Ben Webster Platte, Toshiko – Bobby Jaspar vergleicht er mit Zoot Sims, und er betont, dass ihm der Gitarrist (René Thomas, den er nicht erkennt) sehr gefalle -, und Chet Bakers „In New York“ mit Griffin. Zum Hawkins-Stück („Chant“, vom genannten Riverside-Album) gibt’s den einzigen kleinen Exkurs:

    When I first started listening to jazz, I heard Lester Young before I heard Bean. When I did hear Hawkins, I appreciated him, but I didn’t hear him as much as I did Lester . . . Maybe it was because all we were getting then was the Basie band.
    I went through Lester Young and on to Charlie Parker, but after that I started listening to others – I listened to Bean and realized what a great influence he was on the people I’d been listening to.

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    redbeans hat ja schon mehrfach erwähnt, dass man hier Auszüge aus John Litweilers „The Freedom Principle“ finden kann. Ich lese gerade (in der deutschen Version, hab das Oreos-TB vor ein paar Jahren mal ganz billig gefunden) das Kapitel über Coltrane und bin über den Abschnitt zu Giant Steps erfreut… auf den Seiten davor schildert Litweiler in groben Zügen die Entwicklung Coltranes weg vom Hardbop, was in der folgenden Passage gipfelt:

    For John Coltrane, the rhythmic inner life of bop – it’s unending restlessness, its nervous multiplicity of phrase shape and character (and of harmonic suggestion, too); in sum, the idiom’s rich, abundant, neurotic emotionality – was becoming irrelevant. In its place, Coltrane discovered harmonic insecurity at times so vast that the only security in his music was symmetry and rhythmic insistence; reiteration is his defense against utter dislocation, as in the several „So What“ solos or the three Wilbur Harden albums (1958). Coltrane’s reevaluation of resources resulted in a music of extremes, for he seemed to have bypassed the mainstream of hard bop to arrive at a more perilous music; henceforth his art would exist in an unending condition of jeopardy.

    ~ John Litweiler, The Freedom Principle, 89

    Das finde ich sehr, sehr treffend beschrieben, die Musik der Extreme, die sich stets ihrer eigenen Gefährdung bewusst ist, die sich quasi aus sich selbst heraus stets schaffen aber aber auch bewahren muss, um nicht sogleich wieder zu verschwinden.

    Giant Steps nun ist gemäss Litweiler (und hier deckt sich seine einigermassen mit meiner laienhaften „Sackgasse“ oder vielleicht treffender, „Abstellgleis“ oder halt einfach „Umweg“ Theorie) die grosse Ausnahme von der Regel, die kurze Abweichung von dieser sonst kontinuierlichen Entwicklung:

    In Giant Steps Coltrane’s achievement overshadows his quest for a change. Now that he is not obsessed, melody flows in a stream, his phrases are rhythmically dispersed, and his music acquires new power. A rising four-note motive gives happy character to „Giant Steps“; „Syeeda’s Song Flute“ takes flight from a long, sinuous line. The dogged simplicity that usually rushed in violent symmetrical lines now appears in spare form in the long-tones theme of „Naima“ as the purest of lyricism; embellishment, activity would violate this precious fragility. His tone is soft, and the setting is as simple as possible, over a one-note bass pedal; the melody of „Naima“ – quiet, sunfilled – is worthy of Coltrane’s reverence, the unsuspected calm in the midst of his storms. Like „Traneing In,“ a new blues, „Mr. P.C.,“ has the efffect of prophecy, but now harmonic exploration and rhythmic certainty are no longer at opposite poles; instead, they merge as the burden of symmetry is abandoned. The sound sheets, downbeat accents, repetitions, great speed, and the other features off his most single-minded works are part of his Giant Steps solos; but now they are distributed throughout his solos, and the variety of his phrase shapes is unique in all of Coltrane’s career. The freedom of line suggests liberation from the cave of self; life is deeply enriched by this great creativity.

    ~ John Litweiler, The Freedom Principle, 89f.

    Schon bei Coltrane Jazz geht die unstete aber kontinuierliche Entdeckungsreise wieder weiter – es scheint also tatsächlich so, dass Coltrane mit Giant Steps eine Art Summe seines bisherigen Denkens verfasst hat.

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    Habe in der Zwischenzeit das Complete 1961 Village Vanguard Recordings wieder in kompletter Version und höre jetzt die vierte CD… ich erlaube mir, um alles an einer Stelle zu haben, den alten Post (#189) hier in vollem Umfang zu zitieren und am Ende fortzuschreiben.

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    Ich hör jetzt auf (bzw. nehme es mir vor), alle aufnahmen „grandios“ und „grossartig“ zu finden… dann ab Oktober 1960 trifft das für mich generell auf fast alle Coltrane-Alben bzw. -Sessions sowieso zu (Ausnahmen? Die Softie-Trilogie wohl am ehesten, die sind alle sehr schön, aber grossartig find ich alle drei nicht… sonst wird’s schon schwierig… vielleicht 1965, als beim Quartett langsam die Luft raus war, Coltrane wieder nach neuen Wegen suchte… aber irgendwie find ich auch das fast alles grossartig zu hören!)

    Also, die letzten Abende im Village Vanguard hat Impulse aufgenommen. Neben Coltrane, Tyner, Workman und Jones waren zugegen: Eric Dolphy (endlich auch an der Bassklarinette, aber auch am Altsax, die Flöte hört man hier nicht), Jimmy Garrison als zweiter Bassist, sowie auf bestimmten Stücken Ahmed Abdul-Malik an der Tanbura sowie Garvin Bushell an der Oboe und dem Kontrabassfagott. Auf einem Blues spielt Roy Haynes anstelle von Elvin Jones (er sollte in den kommenden Jahren ab und zu einspringen, sowohl live als auch im Studio).

    Los geht’s am 1. November gleich mit dem exotischsten Stück der Sessions, India (zuerst in der 4CD Box erschienen). Coltrane am Sopran, Dolphy an der Bassklarinette, beide Bässe und eine Drohne, die von Abdul-Malik an der Tanbura produziert wird (danke Coltrane Reference! Ich hatte schon immer Zweifel daran, dass das eine Oud sein sollte, wäre ja ein arger Missbrauch!). Das Stück zeigt erstmals Coltranes Faszination für die Indische Musik. Das ist wohl die Musik, die LeRoi Jones auf Platte hören wollte!
    Es folgt ein erster Take von Chasin‘ the Trane (ts, as, Workman, Jones – The Other VV Tapes), Coltrane spielt ein Tenorsolo, in dessen Verlauf sich die Phrasen auflösen, in kurze Fragemente zerfallen. Es folgt Dolphy mit einem typischen flüssigen Altsolo mit diesen irrwitzigen riesigen Sprüngen. Ähnlich geht’s weiter mit Impressions (ts, as, Tyner, Garrison, Jones – Trane’s Mode). Dolphy und Coltrane sind ein fantastisches Bläser-Paar, schade, dass sie nicht später wieder zusammentraffen!
    Es folgt ein erster Take der neben „India“ anderen grossen Nummer dieser Sessions, Spiritual – hier noch im Quintett (ss, bcl, Tyner, Workman, Jones – The Other VV Tapes). Das Stück wird bei allen vier Versionen ähnlich präsentiert: Melodie (in C-moll) von Coltrane im Rubato (die Melodie beruht auf einem echten Spiritual), Coltrane-Solo über ein „two-chord minor scale pattern“, Dolphy-Solo über ein „two-chord major scale“ Pattern, dann Tyner in C-Moll, dann wieder das Thema. (Diese Beschreibung, gemäss David Wilds Liner Notes im 4CD-Set, soll vor Augen halten, wie Coltrane seit „My Favorite Things“ oder „Olé“ seine Stücke strukturiert… mit dieser Art von Strukturen kann man endlos spielen, hat die Freiheit, so lange zu solieren, wie man wünscht).
    Es folgt ein Dolphy-Stück, Miles‘ Mode (aka „Red Planet“, ts, as, Tyner, Workman, Jones – Trane’s Modes), das auf einer Zwölftonreihe (die verkehrt herum wiederholt wird) beruht. Coltrane und Dolphy schrammen hier hart an der Grenze zum Atonalen vorbei – das Stück lädt natürlich dazu ein, auch wenn es modal strukturiert ist. Weiter geht’s mit dem ersten Take von Naima (ts, bcl, Tyner, Workman, Jones – Trane’s Modes) – „other-worldly“! Coltrane präsentiert nur das Thema, dann folgt ein wunderschönes Solo von Dolphy – seinen Solo-Exkursionen über „God Bless the Child“ ebenbürtig! Tyner geht in Doubletime, Elvin swingt wunderbar mit den Besen, dann nochmal Trane zum lyrischen Ausklang.
    Es folgt ein weiteres aussergewöhnliches Stück: Brasilia (ts, as, Tyner, Workman, Jones – als „Untitled Original“ auf The Other VV Tapes), ein modales Stück, das mit einem Rubato beginnt (man höre auf Workman hier!), dann in einen swingenden mittelschnellen 4/4 wechselt, Coltrane spielt mit kleinen Ideen und Riffs, beugt den Ton, konstruiert ganz gelassen ein unglaubliches Solo (das Stück dauert 18 Minuten!), und dann folgen Dolphy, Tyner und Workman mit schönen Soli. (Eine ziemlich andersklingende Version von „Brasilia“ findet sich auf dem 1965 aufgenommenen Album „The John Coltrane Quartet Plays“.)

    Am zweiten Aufnahmetag, dem 2. November, geht’s los mit dem einzigen Stück mit Roy Haynes am Schlagzeug. Chasin‘ Another Trane (ts, as, Workman, Haynes, Tyner hört kurz nach dem Anfang auf, mitzuspielen – Trane’s Modes) dauert über eine Viertelstunde und wird geprägt von Haynes leichterem (aber kaum weniger komplexen) Schlagzeugspiel. Coltrane konstruiert ein weiteres dieser Singsang-Soli, Dolphy spielt zwischendurch kurz eins seiner typischen vokalen Altsoli, und dann wieder Coltrane – wunderbar!
    Es folgt die zweite Version von India (ss, bcl, Tyner, Garrison, Workman, Jones, Abdul Malik, Bushell an der Oboe – From the Original Master Tapes, CD 1985). The plot thickens… tolle Musik! Und gleich drauf die zweite Version von Spiritual (ts/ss, bcl, Tyner, Workman, Jones, Bushell am Kontrafagott – From the Original Master Tapes, CD 1985).
    Dann folgt das erste Stück, das fürs ursprüngliche Album (dem einige ja Vorwarfen, Dolphy quasi rauszuzensieren) gewählt wurde: eine wunderbare Version des Standards Softly As In a Morning Sunrise (ss, Tyner, Workman, Jones – Live at VV), den 1957 auch Sonny Rollins im Vanguard aufnahm (zu hören auf seinen klassischen Blue Note Aufnahmen „Live at the Village Vanguard“ – am besten die RVG Edition Doppel-CD mit allen Aufnahmen suchen!). Tyner spielt ein langes Solo, Jones swingt unglaublich, dann kommt Coltrane rein, für einmal Sopran ohne Walzer oder Exotica, einfach ein medium-up Swinger… und die Post geht ab!
    Es folgt gleich das nächste Stück vom ursprünglichen Album und eins der grossen Highlights aus Coltranes ganzer Karriere: Chasin‘ the Trane (ts, Garrison, Jones – Live at VV, frühere Ausgaben nannten fälschlicherweise Workman als den Bassisten). Coltrane spielt in schnellem Tempo 16 Minuten lang Blues-Chorus nach Blues-Chorus… so ungefähr stell ich mir das vor, was Gieske (Post #364) meint, einfach dauerte das dort noch viel länger!
    Dann folgt eine kürzere Version von Greensleeves (ss, Tyner, Workman, Jones – The Other VV Tapes) – gut, das in schöner RVG-Qualität zu hören nach den zwei Bootleg-Versionen, die ich gestern und heute morgen gehört habe!
    Impressions (ts,as, Tyner, Garison, Jones – Impressions, 1963) ist auch eine der klassichen Coltrane-Nummern. Das Stück basiert auf einer Stuktur, die ähnlich funktioniert wie „So What“: 32 Takte, AABA (also vier 8er Gruppen), wobei der B-Teil in einer anderen Tonart gespielt wird als die A-Teile. Es gibt also eine feste Form, aber innerhalb dieser ist ziemlich alles frei. Coltrane (ohne Piano-Begleitung) und Dolphy nutzen dies für tolle Soli!

    Die Aufnahmen vom 3. November beginnen mit der dritten Version von Spiritual (ts/ss, bcl, Tyner, Workman, Jones – Live at the VV), dem letzten Stück des ursprünglichen Albums. Hier wird auf Bushell leider verzichtet, das Stück ist dennoch Klasse!
    Es folgt die zweite Version von Naima (ts, bcl, Tyner, Workman, Jones – erstmals in der 4CD Box zu hören), wieder mit Dolphy als Hauptsolist. Wunderbar schon das eröffnende Thema, mit Auschmückungen von Elvin Jones! Dolphy spielt wieder ein wunderschönes Solo, Tyner wieder in Doubletime… weiter geht’s mit der zweiten Version von Impressions (ts, Tyner, Garrison, Jones – Impressions, Dolphy ist im Schlusston auch zu hören). Es wird bei diesen beiden Versionen klar, weshalb Coltrane das Stück anscheinend damals als „So What“ angesagt oder angezählt hat – das Thema ist wirklich sehr ähnlich! Coltrane gibt in seinem Solo sofort Gas, spielt kurze, zerrisssene Phrasen, konstruiert daraus ein unglaubliches Solo!
    Als nächstes folgt die dritte Version von India (ss, bcl, Tyner, Garrison, Workman, Jones – Impressions), dem pièce de résistance der 1961er Village Vanguard Sessions

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    Hier geht’s nun also weiter… mit einer zweiten, wunderbaren Version von Greensleeves (ss, Tyner, Workman, Jones), in der besonders das Bass-Spiel von Workman auffällt – es klingt streckenweise schon fast nach dem „Flamenco“-Bass, wie er Garrison später so oft zu hören sein würde.
    Weiter mit Miles‘ Mode (ts, as, Tyner, Garrison, Workman, Jones – zum ersten Mal in dieser Box veröffentlicht). Unglaublich, wie die beiden Bassisten mit Jones ein Fundament schaffen, das sowohl drohnenartig starr ist und zugleich höchst bewegt, als würde sich die Betonung des Beats konstant leicht ändern… darüber spielen Coltrane und Dolphy swingende Soli (und – man erlaube mir diesen Anachronismus – Dolphys satter Sound und grade Phrasierung sind spannend zu hören nach all den Aufnahmen von später, die ich seither gehört habe… er scheint mir – bei allem Respekt – einiges altmodischer als Coltrane zu spielen, viel mehr „inside“, was die Rhythmik und über weite Strecken auch die Tongestaltung betrifft). Dolphys Solo ist gewaltig! Tyner setzt erst danach für sein eigenes Solo ein.

    Am 5. November nahm die Gruppe nochmal India und Spiritual auf (beide erschienen auf „The Other Village Vanguard Tapes“). India (ss, bcl, Tyner, Garrison, Workman, Jones, Ahmed Abdul-Malik an der Oud, Garvin Bushell an der Oboe) ist dieses Mal mit der „grossen“ Besetzung zu hören. Die Gruppe schafft – ähnlich wie auf dem Titelstück von „Olé“ – eine atmosphärische Stimmung, die über Elvins dichten Rhythmen von den beiden Bassisten getrieben wird. Tyner setzt wieder über weite Strecken aus. Das Stück beginnt mit einem leicht orientalisch angehauchten Sopransolo Coltranes über den Drohnen, die Abdul-Malik und die Bässe gemeinsam aufsetzen. Es folgt das Thema über einem bereits heftig von Elvin getriebenen Beat und daraus Coltranes erstes Solo. Dolphy folgt mit einem tollen Bassklarinettensolo, und dann zum Ende gleich nochmal Coltrane, der mit Trillern in hohen Lagen einsteigt und ein mäandrierendes, intensives Solo bläst (über sparsamen Piano-Tupfern von Tyner und einem immer mehr aufdrehenden Elvin Jones).
    Zu guter letzt nochmal den Spiritual (ts/ss, bcl, Workman, Jones, Bushell), mit Garvin Bushell am Kontrabassfagott, das die Präsentation des Themas prägt. Im Call-and-Response beginnt Coltrane das Thema, während Bushell einen fortlaufenden, dröhnenden Grundton legt. Dann wechselt das Stück in ein satt swingendes 4/4, das Jones wieder von Anfang an mit vielen Einwürfen und diversen Rhythmen umspielt. Bushell bläst ein simples Ostinato und Workman spielt sehr agil zwischen diesem und seinen eigenen Fills und Ideen hin und her. Grossartig – und das ist erst der Beginn von über 20 Minuten! Coltrane nimmt sich in seinem folgenden Solo viel Zeit, baut langsam auf, steigert sich stetig, spielt zwischendurch kurz diese immer öfter zu hörenden kurzen Phrasen, die er repetiert und dreht und wendet, um dann aber rasch wieder zur getrageneren Grundstimmung zurückzufinden. Und Bushell bläst – leider sehr leise im Mix – stetig weiter, während Workman von repetierten Einzeltönen bis zu kurzen Ausflügen in hohe Lagen mit grosser Freiheit und grossem Drive begleitet, Tyner einen feinen Teppich legt, und Jones auf seine behäbig-träge Art (ja, ich kann mir vorstellen, dass er da mal gegähnt hat während er grad drei verschiedene Metren am laufen hatte!) mit Coltrane dialogisiert und das Stück auf seine ganz eigene Art prägt. Ungefähr zur Halbzeit der Aufnahme beginnt Dolphy sein Bassklarinettensolo – auch er beginnt getragen, nachdenklich, seine rasanten Läufe werden zu Beginn nur kurz angerissen, angetönt, dann steigert er sich in einen sehr stimmhaften Monolog. Es folgt Tyner, die Musik beruhigt sich ein wenig. Zum Abschluss spielt Coltrane dann noch ein kurzes Sopran-Solo, während Tyner aussetzt (Bushell hat schon vorher ab und zu Pause gemacht) und Workman/Jones die Intensität runterfahren… um nochmal dem Call-and-Response-Thema Platz zu machen, das Coltrane nun auf dem Sopran spielt. Wunderbar! Für mich ist dieses letzte Stück eins der grossen Highlights des ganzen Sets!

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    Ergänzung, da eben gelesen: Litweiler beschreibt recht ausführlich die Village Vanguard Sessions – ich tippe das nicht auch noch ab, lest dazu hier S. 93 ab „His soloing had not necessarily…“
    Wie Litweiler das beschreibt macht für mich absolut Sinn – auch wenn die Worte, die Litweiler verwendet (etwa: „zwanghafte Repetition führt zu Frustration“, wie das auf S. 79 der deutschen Fassung heisst) manchmal auf den ersten Eindruck etwas negativ klingen… aber Kunst auf diesem Niveau ist ja nie ohne Auseinandersetzung oder Konflikt zu haben.

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    Sommer 1965

    2. Juli: zum zweiten Mal spielte Coltrane am Newport Jazz Festival.
    Sein Auftritt wurde von Impulse mitgeschnitten, das kurze Set bestand aus zwei Stücken: „One Down, One Up“ und „My Favorite Things“. Ersteres erschien ca. im Februar 1966 auf New Thing at Newport (AS-94), das überdies das Set (oder Teile davon?) von Archie Shepp enthielt. Das zweite Stück erschien zuerst auf der Doppel-LP Feelin‘ Good, später auch auf diversen CD-Reissues von New Thing at Newport und zuletzt 2007 auf My Favorite Things: Coltrane at Newport, der oben bereits erwähnten CD, die auch das Set von 1963 enthält (mit der bisher längsten veröffentlichten Version von „Impressions“).
    „One Down, One Up“ war bis zur Veröffentlichung der Half Note Mitschnitte vor ein paar Jahren die gefeierte Version dieses Stückes. Sie dauert nicht ganz 13 Minuten und beginnt nach dem Thema mit einem Piano-Solo, während dem Elvin Jones richtig aufdreht. In der Hälfte setzt dann Coltrane ein, konstruiert sein Solo zunächst eng dem Thema entlang und löst sich langsam davon, um in einen von „cries“ und wilden Glissandi unterbrochenen Singsang zu entgleiten.
    „My Favorite Things“ klingt dagegen fröhlich und unbeschwert, Coltranes Ton auf dem Sopran ist satt und weich.

    Am 3. Juli nimmt Elvin Jones (auch als Teil des Newport Jazz Festivals) an einem Drum-Workshop Teil, mit Buddy Rich, Louie Bellson, Art Blakey, Jo Jones und Roy Haynes.

    6.-18. Juli: Village Gate (neben Monks Quartett)

    Coltrane may have sat in with Monk on some sets; in a 1999 interview, Ben Riley said that Coltrane sat in with Monk several times when Coltrane and Monk were on the same bill (from „An Interview with Ben Riley,“ by Don Williamson, Dec. 1999, http://www.allaboutjazz.com/iviews/briley.htm, accessed July 7, 2002):

    Then he would move on. The only time that Monk changed his library was during the few times that Coltrane sat in with us. Then they played all of those old things that Trane played with him, Shadow Wilson and Wilbur Ware at the old Five Spot. They would play Trinkle Tinkle and all of those songs when Trane sat in. When Trane and Monk worked opposite each other and Rouse was late, he would ask Thelonious if he could sit in. Then Thelonious ran right for the piano and started playing. He never answered you. He’d just say, „You’re going to open,“ and then, bang! he’d be on the piano.

    ~ Coltrane Reference, 324

    Marc Brasz hat einen längeren Review über eins dieser Village Gate Konzerte geschrieben („Music: John Coltrane – Murder at the Gate“, Liberator, August 1965, Vol. V, Nr. 8, 27-28), der in „Coltrane Reference“ (324f.) wiedergegeben ist, ich zitiere einen Ausschnitt daraus, weil mir der Text – mit seiner ganzen Hipster-Sprache – einen guten Einblick zu geben scheint, wie man Coltrane damals als Fan/Befürworter/Mitstreiter wahrnehmen konnte:

    […]
    JC and his men played two numbers, the first lasting about 45 minutes, and without the help of MyCoy Tyner. John started the first piece in a free vein, the theme was never touched, but it seemed to me that the lines might have been based around „Impressions,“ and I got the impression that somebody, somehow, was gonna get killed, at least. I was wrong; more than somebody got killed.
    Let me set the scene for the first 20 minutes of the number. In front you have John screaming and forcing, twisting his body into every possible position, crouching, leaning, bending, sweating, bleeding. Up and down the song as an undulating pattern, gnarling the air, and as the tenor moves/sounds like a human being, a thought occurs to you that perhaps JC and his instrument are one thing. Then, at the same time, the undercurrent of Jimmy Garrison ripping his bass apart with his bare hands, all over the place, cursing over the harshness of his hands against the strings and the pulverizing percussive vibrations (it’s so hard to describe, man, you gotta hear it to believe it – just to use a cliche, but it’s true). All this and Elvin Jones: forget it, baby! The man cannot be stopped. Driving himself into cymbals and drums, and everything going all at once: the unending crash of metal, rising, all by itself, away, thru the roof, bringing down the building above, being bombarded by underlying hydrogen bombs of the tom-toms, snares, bass. And Elvin, contorting his face, moving maliciously into everything he can reach. And Jimmy, vibrating and beating, while Trane, dancing sweating bending his humanly mellow cries over the Whole of what he and his men create.
    And then, suddenly, it all broke, Trane fading out, moving to the side, Elvin bringing the drums into a tender roll, into a solo for Jimmy. For that one instant, I thought I would cry: John standing, looking down, never at the audience, wiping his head with a handkerchief, Elvin getting off the stool (looked down at me saying „whew“ – I believe him/whoever said murder was easy? Alvin Karpis? He was nuts). This left Garrison up there by himself, pushing himself beautifully: ripping at/twanging/strumming/hissing over his instrument like a panther.
    After maybe 8 minutes the others returned to take the piece into a wonderful and moving denouement with Elvin putting in the last word, rapping out on the skins some kind of drum torture music.
    […]
    When it did end, the guys cut out smoothly under the dimming lights, no bows, just out. Never before have I seen a white audience so brutally beaten. After, when Monk came on like a mystic human poem, I realized what Coltrane had done. There was more death that night at the Village Gate than there had been on the streets in a decade. Laughing dumbly, listlessly, looking into their empty cocktail glasses like the faggot ofays they were, so many of the people seated in the club were dead. $3.50 on a Friday night and it was suicide. Whole lot of white guys absurdly at the tables.
    […]

    26. Juli – 1. August: Europa Tournee

    26. Juli: Festival International du Jazz Antibes–Juan-les-Pins
    Coltranes Quarett beglückte das sechste Festival in Juan-les-Pins mit der einzigen kompletten Live-Performance von A Love Supreme – auf 48 Minuten (gegenüber den 33 der Studio-Version) ist die Suite angewachsen, besonders erwähnenswert sind der Tenor/Schlagzeug Dialog im 3. Teil sowie das folgende, wunderbare Bass-Solo von Jimmy Garrison! Die Musik gehört zum besten, was es von Coltrane zu hören gibt!
    Lange Zeit war dieses Konzert auf diversen Bootleg LPs und CDs zu finden, 2002 erschien es auf der „Deluxe Edition“ zusammen mit der Studio-Version vom Dezember 1964 und den paar erhaltenen/wiedergefundenen Outtakes (Siehe #223).
    Es gibt auch eine unvollständige Film-Aufnahme, aber im Archiv der INA ist darüber anscheinend nichts zu erfahren. (Siehe Ashley Kahns Text im Booklet der „Deluxe Edition“).

    27. Juli: Am folgenden Tag spielte Coltrane erneut am Festival in Juan-les-Pins, auch dieses Konzert wurde vom ORTF mitgeschnitten (eine unvollständige Film-Aufnahme, „Naima“ und ca. die erste Hälfte von „Ascension“ sind erhalten aber leider nicht in guter Qualität).
    Das Quartett spielte an diesem Tag: „Naima“, „Ascension“ (meist als „Blue Valse“), „My Favorite Things“ und „Impressions“. Zum Auftakt also die Ballade, die allerdings äusserst intensiv dargeboten wird, Coltrane spielt über weite Strecken im hohen Register, spielt überblasene, aufgeladene Linien, die die Grenzen der Tonaltität ausloten und hie und da überschreiten.
    „Ascension“ beginnt in der „klassischen“ Rubato-Präsentation und nach ca. zwei Minuten wiederholt Coltrane eins seiner Licks, das Tempo beginnt sich zu verfestigen und Tyner setzt zu einem langen Solo an. Einem intensiven Coltrane-Solo schliesst ein dreiminütiges Schlagzeug-Solo an, dann folgt „My Favorite Things“ – und auf dem Sopran klingt Coltrane mittlerweile definitiv um einiges konservativer als auf dem Tenor, was auch an der klanglich eingeschränkten Palette liegen mag, denn die Linien sind nach wie vor äusserst intensiv und streckenweise ähnlich hart an der Grenze des Tonalen und ähnlich suchend und „schreiend“ wie die auf dem Tenor. Dennoch zieht sich auch hier noch die fröhliche Grundstimmung des Stückes wie auf der ersten Aufnahme im Oktober 1960 durch das ganze Stück.
    Zum Abschluss folgt dann eine weitere grossartige Version von „Impressions“, eröffnet von einem 10-minütigen Bass-Solo Garrisons, in dem er sein ganzes Können zeigt. Es folgt Tyner und schliesslich Coltrane mit einem tollen Solo, das zeigt, dass „Impressions“ in Konzerten nach wie vor eine der Parade-Nummern war, ein Stück, in dem Coltrane an die Grenzen ging, die Musik auslotete und auskundschaftete bis zum Letzten.

    Vor dem Konzert hat Michiel de Ruyter mit Coltrane sein viertes und letztes Interview geführt – alle vier können hier gehört werden:
    http://mdr.jazzarchief.nl/interviews/coltrane/

    28. Juli: Paris
    Die erhaltene Aufnahme beginnt mit einem unvollständigen „Afro Blue“, dann erneut „Impressions“ und „Ascension“ (auch üblicherweise als „Blue Valse“ bezeichnet). „Afro Blue“ bringt ein intensives Sopransolo, in einem Rahmen, der spannender und offener ist als „My Favorite Things“, aber ich halte dennoch das Tenorspiel für viel spannender. Das ist auf „Impressions“ zu hören, das hier 16 Minuten dauert (das Bass-Solo ist nicht komplett), und auch auf „Ascension“, das über 22 Minuten lang ist. Coltrane spielt über dem extrem dichten Teppich von Jones äusserst intensive Soli – sehr eindrückliche Musik! Nach ca. 8 Minuten löst sich die Musik, das Tempo plötzlich auf, Jones spielt einige solistische Einwürfe, dann setzt Garrison zu seinem Solo an – ein weiteres unbegleitetes Highlight! Mit Jones kehrt Garrison dann zum schnellen 4/4 Tempo zurück und Coltrane setzt zu einem langen Solo an – schon zu Beginn überbläst er, repetiert schnelle Riffs mit dreckigem Sound… unglaublich!
    Das Pariser Publikum – wie in Antibes in den Tagen zuvor – scheint noch immer gespalten zu sein über Coltrane, es mischen sich viele Buhrufe in den Applaus.
    Randi Hultin berichtet in ihrem Buch (2000, S. 168-172) darüber, wie sie den Tag mit Coltrane verbracht habe, nach dem Konzert zum Japaner essen gegangen sei (Coltrane habe Omlett bestellt) und dann durch die Jazzklubs gezogen sei: zuerst Art Taylor/Johnny Griffin im Jazzland, dann Don Cherry im Chat Qui Pêche („Coltrane Reference“, 326).

    Am 29. Juli nehmen Garrison und Jones mit Nathan Davis an einer unveröffentlichten Session von Eddy Louiss teil – das würd ich sehr sehr gern hören! Kann mir nicht so recht vorstellen, wie das klingt!

    1. August: Comblain-la-Tour Jazz Festival
    Es existieren Ton- und Filmaufnahmen dieses Konzertes. Die Setlist: „untitled original“, „Naima“, „My Favorite Things“. Die Aufnahme beginnt schon im Original kurz vor dem Siedepunkt, Coltrane schreit, honkt, repetiert…
    „My Favorite Things“ wird vor allem durch Jones‘ immer dichteres Spiel noch weiterentwickelt, Coltrane scheint mir in diesem Stück mittlerweile auf allerhöchstem Niveau zu stagnieren. Nichtsdestotrotz ist die Musik von kathartischer Kraft! Ich wünschte, ich könnte so etwas live erleben!

    Das Festival wurde von 1959-1966 vom Amerikaner Joe Napoli, einem ex-G.I., veranstaltet, der im Dezember 1944 mit dem kleinen Städtchen bekannt wurde („Coltrane Reference“, 327).
    Es gibt heute noch/wieder ein Festival in Comblain:
    http://www.comblainjazzfestival.be/
    Dort wird auch eine Seite verlinkt, die über das erste Festival berichtet:
    http://www.maisondujazz.be/fr/comblain/comblain5.html.
    Noch mehr zur Geschichte des Festivals findet sich hier:
    http://adalen.jimdo.com/jazz-comblain-1959-1966/
    Ziemlich spannend, was da alles nebeneinander zu hören gewesen war!
    Cannonball Adderleys „Cannonball in Europe“, meiner Meinung nach eins seiner schönsten Alben, wurde übrigens 1962 in Comblain aufgenommen.

    Die Video-Aufnahme dieses Konzertes ist hier zu finden:
    John Coltrane – Live in ’60,’61&’65 (Jazz Icons)
    (Die DVD enthält neben Comblain-la-Tour 1965-08-01 auch die Film-Aufnahmen aus Düsseldorf 1960-03-28 sowie die Berendt-Sendung aus Baden-Baden von 1961-12-04.)

    Eine letzte Fusznote zu Comblain: im unsäglichen Film „Vanilla Sky“ (dir. Cameron Crowe, 2001), den ich leider mal gesehen habe, kann man anscheinend zwei Fragmente (total 13 Sekunden) aus „My Favorite Things“ sehen, sowie auch eine Minute daraus hören. Ich kann mich allerdings nur noch an den Ärger über den Film erinnern, nicht mehr daran, Coltrane gesehen/gehört zu haben…

    Am 6. August kommt Ravi, der zweite Sohn von Alice & John zur Welt.

    14. August: Ohio Valley Jazz Festival, Crossley Field, Cincinnati, OH

    15. August: Down Beat Jazz Festival, Soldier Field, Chicago, IL (mit Archie Shepp)
    Es existiert eine fast 40 Minuten dauernde Aufnahme eines unbekannten Stücks, das üblicherweise als „Nature Boy“ kursiert. Am Ende spielt Coltrane das Thema von „Ascension“. Die Qualität dieser Aufnahme ist leider so schlecht, dass man das als beinahe unhörbar bezeichnen muss. Allerdings macht die Musik dennoch grossen Spass – es handelt sich hier um ein Dokument, in dem Coltrane sich wohl schon so weit von jeglichen harmonischen, modalen und rhythmischen Strukturen gelöst hat wie zuvor höchstens bei der Session zu „Ascension“ im Juni… ich bin versucht, das „waschechten Freejazz“ zu nennen, aber letztlich ist ja das „Freejazz“ Etikett eins der unnützesten überhaupt.

    19.-22. August: Leo’s Casino, Cleveland, OH

    26. August: das Quartett nimmt im Studio das wunderschöne Album Sun Ship auf (mehr dazu im nächsten Post)

    28. August: Ohio Valley Jazz Festival, Ohio State Fair Grounds, Columbus, OH

    2. September: Das Quartett nimmt seine allerletzte Studio-Session auf, eine erste Version der Suite „Meditations“, die 1977 auf dem Album First Meditations erschien – auch dazu mehr im nächsten Post.

    3.-11. September: Chateau de Count et Eve (früher Pink Poodle), Indianapolis, IN

    Das war wohl der letzte Gig, den das klassische Coltrane-Quartett gespielt hat. Tyner sollte noch bis Ende Jahr in der Band bleiben, Jones bis ca. Ende Januar 1966. Mitte September stiessen dann in San Francisco Pharoah Sanders und Donald Garrett zur Gruppe und später dann Rashied Ali, sowie Carlos Ward, Joe Brazil, Juno Lewis und andere. Mehr dazu dann im übernächsten Post.

    Looking for Truth in Music

    John Coltrane was quoted in Esquire (Sept. 1965, p. 125): „I wouldn’t want to give up the use of chords, if what I want to do can be accomplished by using those devices. I’m not sure whether the chord system will survive, but I do know it will be used very differently. I don’t want to take anything away from music; I want to add to it. I prefer not to answer the controversy about ‚anti-jazz.‘ If someone wants to call it that, let him; I’ll continue to look for truth in music as I see it, and I’ll draw on all the sources I can, all the areas of music, all the things there are in the world around us to inspire me. It takes many people to effect a complete change in any system.“ (This is a complete Coltrane quote from a sidebar accompanying an article by Leonard Feather.)

    ~ Coltrane Reference, 329

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    Sommer/Herbst 1965

    … für das „classic quartet“.

    Am 26. August nimmt Coltrane eins seiner allerschönsten Alben auf, Sun Ship (AS-9211, veröffentlicht ca. August 1971). Die Musik ist zugleich von grosser Intensität und von erhabener Schönheit. Vielleicht ist sie eine Art Fortsetzung dessen, was zwei Jahre zuvor auf Crescent zu hören war – hymnische, totale Musik.
    „Dearly Beloved“, das erste Stück des Albums, beginnt mit einer Art Anrufung, einer invocation, die für das ganze Album die Stimmung setzt. Wunderbar, wie Jones das Metrum auflöst, Garrison einen Boden legt, der aber immer im Unbestimmten schwebt, während Tyner äusserst lyrische Einwürfe spielt, die die Musik nie festlegen oder einengen
    Und das muss an dieser Stelle mal gesagt werden: das ist grosse Kunst, was McCoy Tyner in all diesen Jahren gemacht hat! Er ist kraftvoll aber zugleich sehr, sehr lyrisch, er kann äusserst einfache Ostinati oder ganz knappe Akkordfolgen hämmern und zugleich darüber sehr verspielt solieren – und das eindrückliche dabei ist, dass er trotz der stetig reduzierten Harmonik der Musik (selbst wenn Coltrane komplexe Überbauten geschaffen hat konnte, durfte Tyner da nicht mitgehen, sonst wären Kollisionen, Fehler vorprogrammiert gewesen) immer spannend und relevant bleibt, das ist grosse Klasse!
    Weiter geht’s mit „Attaining“, dem längsten Stück der Session. Es wird wieder sehr lyrisch über einem zwar dichten aber (sofern das bei der Abwesenheit eines festen Beats Sinn macht) langsamen Tempo gespielt. Solistisch steht hier Tyner ganz im Vordergrund, er spielt ein dichtes Solo, ohne die Stimmung des Stückes zu durchbrechen. Dann folgt Coltrane mit der hymnischen Wiederholung des Themas.
    Es folgt „Sun Ship“, dessen Thema aus einem hektischen Motiv auf vier Tönen besteht. Wieder soliert zuerst Tyner, während Jones energischer antreibt. Coltrane bläst ein rauhes, aus schier endlosen Wiederholungen bestehendes Solo – man kann hier wohl die „Symmetrien“ hören, die Litweiler beschreibt. Das Solo ist so wild, wie man es bisher von Coltrane höchstens in Live-Aufnahmen gehört hat. Und mit der Beschreibung Litweilers im Hinterkopf kann man sich durchaus auch die Erklärung mit der Frustration und dem ab und zu nötigen Ausbrechen aus dem selbtgebauten Gefängnis zurechtlegen.
    Zum Ende folgt wieder das Thema, erneut unterbrochen durch ein kurzes Schlagzeugsolo.
    „Ascent“ beginnt mit einem unbegleiteten Solo von Jimmy Garrison – auch das erinnert an die Konzert-Situation. Das Stück ist wieder lyrisch und frei, wunderschön.
    Zum Ende folgt „Amen“, entgegen der Erwartung ein hektisches, schnelles Stück. Zum Auftakt Tyner in einem virtuosen Solo, das von Garrison streckenweise mit Walking Bass unterlegt wird, Jones donnert einen Puls, der aber stets flexibel bleibt. Coltrane steigt mit rasanten Läufen ein, greift das Metrum auch kurz auf, bevor er wieder in seinen wahnhaften repetitiven Motiven verschwindet, die sich in einen Cry steigern, wieder fallen lassen, bloss um wieder aus dem Malstrom aufzutauchen. Unglaublich tolle Musik!

    Von „Dearly Beloved“ gab’s übrigens einen ersten kompletten Take, von „Attaining“ zwei (der dritte war dann der Master) und von beiden einen false start bzw. breakdown, von „Sun Ship“ zwei breakdowns, von den anderen beiden Stücken jeweils nur der Master Take. Obwohl Coltrane die Musik nur mit minimalen Anweisungen (in der 8CD-Box The Classic Quartet ist vor „Dearly Beloved“ eine solche zu hören) erläutert hat, scheint die Gruppe mit höchster Konzentration am Werk gewesen zu sein.

    Am 2. September war das Quartett dann zum allerletzten Mal im Studio, um eine erste Fassung der Suite „Meditations“ aufzunehmen. Coltrane nahm eine ähnliche Suite (einer der fünf Teile wurde ersetzt, die Reihenfolge umgstellt) im November mit der um Pharoah Sanders und Rashied Ali erweiterten Gruppe auf. Diese frühe Fassung erschien 1977 als First Meditations (For Quartet) (AS-9332).
    Die fünf Teile der Suite wurden in zwei Gruppen aufgenommen (wie auf der „master“ Version im Sextet): „Love“ / „Compassion“ / „Joy“ und „Consequences“ / „Serenity“. Voran gingen beiden Teilen jeweils ein bzw. zwei Breakdowns.
    Im ersten Teil, „Love“, spielen Tyner und Coltrane in einer ruhigen Stimmung sehr lyrische, dem Titel angemessene Soli. Herausragend Garrisons einfühlsame Begleitung. Auch in „Compassion“ ist Garrison stark zu hören, als Bindeglied zwischen Jones‘ rumpelndem 3/4 Takt und Tyners immer gelösteren jedoch stets lyrischen Einwürfen. Die Gruppe baut langsam Spannung auf, die Musik kommt in Fahrt. Coltrane soliert zweimal, dazwischen Tyner. Das Metrum bleibt fest, aber Jones spielt so üppig, dass es überall hinüberschwappt… in Coltranes abschliessendem, kochenden Solo schliesslich legt Jones schnelle Rhythmen über den Beat, der kaum mehr wahrzunehmen ist. Es folgt „Joy“ – die Musik wird noch intensiver. Das thematische Material ist wie bei „Sun Ship“ und „Amen“ auf ein absolutes Minimun reduziert. Der Beat ist wieder recht konstant, das tut der Musik jedoch kaum Abbruch, Coltrane steigert sich nach Tyners Solo wieder in ein intensives, fast dialogisches Solo, in dem er zwischen dem Falsett und dem unteren Register hin und herspringt.
    „Consequences“ ist dann der freieste Teil der Suite – er zeigt, dass Tyner und Jones durchaus in der Lage waren, mit Coltrane mitzugehen bis zum äussersten. Sein eigenes Solo erinnert stark an die zeitgenössischen Avantgarde-Saxophonisten Pharoah Sanders und Albert Ayler. Auch Tyner erinnert hier streckenweise an Cecil Taylor, sein Spiel verliert die klaren Konturen, verflüssigt sich und wird dabei zugleich noch perkussiver. Er spielt aber auch hier mit Vorwärtsdrang und Energie (nicht flächig wie Alice Coltrane später). Coltrane selbst ist es aber, der die Highlights beisteuert! Ein kurzer Bass-Lauf, ein wenig Schlagzeug, Piano-Tremolos und gestrichener Bass und wir sind im letzten Teil der Suite, „Serenity“, der den Bogen schliesst und mit seinem langsameren Tempo wieder Ruhe einkehren lässt, eine starke, bewegte Ruhe, die Kraft ausstrahlt und Selbstverständlichkeit – und das gilt für Tyner mindestens so stark wie für Coltrane. Das Stück endet mit einem kurzen Wirbel von Elvin Jones.

    Am 22. September nahm das Quartett in San Francisco ein allerletztes Mal in der Stammbesetzung auf, ein weiterer, längerer Take von „Joy“ entstand, der zuerst 1972 mit Overdubs (Alice Coltrane an Harfe und Vibraphone, Charlie Haden am Bass sowie Streicher) und gekürztem Bass-Solo auf Infinity (AS 9225), später in der ursprünglichen Version auf Feelin‘ Good (IZ 9345) und anderen Alben erschien (auch auf der GRP-CD von First Meditations).
    Diese zwölf Minuten zeigen in nuce noch einmal alles das, was das Coltrane Quartett zu einer so ausserordentlichen und spannenden Gruppe werden liess: Musik, in der es um alles geht, die offen ist, unberechenbar, die in der Gruppe entsteht, in der es um mehr als den Beitrag des einzelnen geht – auch wenn der einzelne (hier Garrison mit einem ausführlichen Solo) keinesfalls wenig Freiraum hat, sich zu entfalten.

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    Herbst 1965

    Verdammt, hab grad (= Sonntagnachmittag) einen sehr ausführlichen Post über die Aufnahmen vom 30. September 1965 verloren… statt mich zu ärgern hör ich besser die Musik gleich nochmal (toll genug ist sie ja sowieso!) und diesmal auch gleich in der korrekten Reihenfolge!

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    14.-26. September: Jazz Workshop, San Francisco, CA
    (Mit Pharoah Sanders und Donald Garrett, die vermutlich während diesem Gig dazustiessen, am Ende des Gigs gehörten sie dann zur Band. Drummer Terry Clarke hat an einer Sunday matinee Jones ersetzt.

    22. September: das klassische Quartett ist zum allerletzten Mal in der Stammformation im Studio (siehe vorangehender Post).

    27. September – 2. Oktober: Penthouse, Seattle, WA

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    Das Sextett (möglicherweise mit Carlos Ward und/oder Joe Brazil) wurde am 30. September aufgenommen – der grössere Teil erschien auf dem Impulse Doppel-Album Live in Seattle (AS-9292, erschienen ca. Jan. 1971), dazu entstand ein halbstündiger Radio-Broadcast, sowie weitere 39 Minuten, die im Umlauf sind (ob sie in letzter Zeit auch auf einem der vielen Bootleg Labels aus Spanien/Andorra erschienen sind, weiss ich nicht).
    Die Setlist, laut „Coltrane Reference“ (743f.):

    (ann) 0:37
    untitled original (25:06) ***
    bass duet (12:04)
    Cosmos (10:51) *
    bass solo (0:15)
    thumb piano solo (2:40)
    Evolution (35:58) *
    Tapestry in Sound [inc] (6:07) *
    Out of This World (23:40) *
    Body and Soul (21:27) **
    Afro Blue [inc] (34:40) **
    Afro Blue [inc – ending] (17:33) ***
    Lush Life (10:07) ***
    My Favorite Things [inc] (10:23) ***

    *) auf A(S) 9202
    **) auf der Doppel-CD von 1994 (GRP 21462)
    ***) im Umflauf unter Tradern/Sammlern

    Die Aufnahmen beginnen mit dem Radio-Broadcast, der das ganze „untitled original“ enthält (mit Garrett an der Bassklarinette), sowie die ersten paar Minuten vom Bass-Duet – wunderbar, wie Garrison und Garrett (nehme an letzterer mit dem Bogen) zusammen improvisieren!
    „Cosmos“ ist eins dieser Mini-Themen, die nur aus einer ganz kurzen Phrase bestehen, die repetiert wird. Sanders und Tyner umspielen Coltranes Thema, Jones setzt feine Akzente. Coltrane beschleunigt, setzt ein Tempo, das Jones als erster aufgreift, Garrison setzt ein, Tyner und Sanders spielen noch immer freie Ornamente um Coltrane. Dieser bleibt über die ganze Dauer des Stückes der dominierende Solist, obwohl das Gefühl einer Kollektivimprovisation anhält.
    „Evolution“ ist mit über 36 Minuten neben „Afro Blue“ die längste Aufnahme, und eins der grossen Highlights. Begleitet nur vom Bass von Garrison spielen die drei Bläser (Garrett auf der Bassklarinette) wie David Wild (in seinen Liner Notes zur Doppel-CD von 1994) findet eine Art Variation vom Klarinettentrio in Ellingtons „Mood Indigo“. Die Stimmung ist anfangs äusserst lyrisch (setzt dort an, wo „Cosmos“ geendet hat), wird dann über Garrisons pedal points immer wilder, bis Garrison nach einigen Minuten kurz unbegleitet soliert. Dann kehrt das kurze thematische Motiv zurück, Coltrane setzt das Tempo und mit der vollen Rhythmusgruppe geht’s erst richtig los. Garrett spielt das erste Solo (auf der Bassklarinette), dann Sanders – beide sind mehr mit Klängen, mit Klangfarben, mit der Suche nach neuen Klängen beschäftigt denn mit motivischer Improvisation. Gegen Ende von Sanders Solo schreit, stöhnt, brüllt Coltrane das Wort „Om“ mehrere Male hintereinander – ein vielleicht beim ersten Hören befremdender, aber äusserst intensiver Moment. Nach einer weiteren kollektiven Passage folgt ein Tyner-Solo, das die Grenzen der Tonalität auslotet, von Jones feinfühlig begleitet. Zum Ende kehrt die Gruppe wieder zum kurzen thematischen Motiv zurück, während Garrett und Sanders wilde Arpeggi blasen.
    Es folgt das Solo-Bass-Stück „Tapestry in Sound“, das leider nicht komplett erhalten ist. Obwohl Garrison mittlerweile stärker in den Sound der Gruppe eingebunden wurde und auch innerhalb der Stücke solierte, gab es für ihn noch immer die Möglichkeit, sein stupendes Spiel gänzlich unbegleitet zu präsentieren.
    Mit „Out of This World“ beginnt das Standards-Segment des Konzerts, Coltrane greift das Stück wieder auf, das er 1962 für Impulse aufgenommen hat, er spielt ein tolles kurzes Tenorsolo, dann folgt Sanders, der etwas verloren klingt. Tyner folgt, dann bläst Coltrane ein beeindruckendes Sopransolo – das möglicherweise der Gegenbeweis für meine Behauptung vom Stillstand auf dem Sopran von oben erbringt! Es folgt eine weitere Kollektivimprovisation mit Sanders und Garrett, dann wird die Intensität langsam abgebaut, die lyrisch-düstere Stimmung vom Anfang taucht wieder auf, das Stück wird langsam heruntergefahren, ohne, dass das Thema nochmal aufgegriffen wird.
    Weiter geht’s mit „Body and Soul“. Coltrane singt auf dem Tenor… ein kurzes Intro führt ins Thema, das zeigt, dass Coltrane noch immer in der Lage und willens war, eine grosse, klassische Balladeninterpretation abzuliefern. Zu leise nur schimmert Garretts gestrichener Bass durch – ein sehr schönes Arrangement! Sanders kämpft taper und am Ende gelingt sein ringendes Solo (das jederzeit auch hätte total abstürzen können, so wie ich es höre). Coltranes zweites Solo – nach einem tollen Tyner-Solo, das zwar die reiche Harmonik des Stückes auslotet, aber auch darüber hinaus in freie Gefilde ausbricht – spielt Coltrane ein unglaublich souveränes langes zweites Tenorsolo.
    Dann folgt „Afro Blue“, das insgesamt längste Stück des Tages – es bricht auf der CD nach über 34 Minuten ab, auf dem Bootleg gibt’s noch 18 weitere Minuten (und dazwischen fehlt vermutlich noch der grössere Teil von Coltranes Solo) und kommt wohl den legendenumworbenen, endlosen Stücken, wie Coltrane sie live schon seit Jahren gespielt haben soll, am nächsten – sehr, sehr eindrücklich! Am Anfang steht Coltranes Themenpräsentation auf dem Sopran über einen recht schnörkellosen (soweit man das bei Elvin Jones behaupten kann) 3/4 Beat. Dann folgt Sanders mit einem langen Solo, das Farben und Formen untersucht, Tyner mit seinem wohl besten Solo des Abends, dann ein wunderbares Bass-Duet, in dem Garrison und Garrett aus dem Stück komplett ausbrechen, bis Garrison das Tempo wieder setzt, Jones und Tyner einsetzen, und dann folgt Coltrane auf dem Tenor. Nach kurzem bricht leider die Aufnahme dann ab. Auf dem Bootleg geht’s weiter mit – ich vermute – dem Ende des Coltrane-Solos (Sanders improvisiert gleichtzeitig mit Coltrane), dann folgt ein längeres Schlagzeugsolo. Zum Ende kehrt Coltrane mit dem Sopran zurück.
    Es folgen noch einmal zwei Standards zum Abschluss: „Lush Life“ von Billy Strayhorn – Coltrane spielt das Thema zunächst respektvoll und ohne Variationen, dann erhöht Jones langsam den Druck, Sanders bläst das erste Solo, und es klingt wieder eher verloren und ziellos, wie er mit Flatterzunge mit Motiven aus Strayhorns Feder spielt. Zum Abschluss dieser grossartigen Aufnahmen gibt’s die ersten 10 Minuten von „My Favorite Things“, Coltrane präsentiert wie üblich das Thema, spielt ein kurzes Solo, dann gibt er an Tyner weiter, während dessen Solo die Aufnahme leider abbricht. Sie klingt allerdings (auch in Abwesenheit der langen Sax-Soli, die wohl auf Tyner gefolgt sind) ziemlich unaufregend und konservativ.

    Insgesamt ist das eine unglaublich tolle Aufnahme, höchst intensive, starke Musik – für mich zählt Live in Seattle zu den Highlights von Coltranes letzter Phase.

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    1. Oktober: Die Gruppe nimmt das Album Om auf (AS-9140, erschienen ca. Jan. 1968). Eins der skurrilsten aus Coltranes ganzer Karriere… die Kerngruppe (mit Sanders und Garrett) wird hier vom Flötisten Joe Brazil ergänzt. Garrett spielt laut „Coltrane Reference“ (745) Flöte und Bassklarinette, Brazil Flöte, dazu gibt’s in den öffnenden und abschliessenden Teilen diverse Perkussionsinstrumente zu hören, vermutlich von allen zusammen gespielt.
    Auf CD ist das Stück (das 29 Minuten dauert und die gannze LP einnahm) am einfachsten auf The Major Works of John Coltrane (GRP 21132, 1992) zu finden, einer Doppel-CD die ansonsten heute überflüssig ist (sie enthält die gesammelten Aufnahmen mit grösseren Besetzungen vom Juni und Oktober 1965, also neben „Om“ beide Versionen von „Ascension“ sowie „Kulu Sé Mama“ und „Selflessness“).
    Garrett war auch als Instrumentebauer bekannt, u.a. von Bambusflöten oder Daumenklavieren – als er zur Gruppe Coltranes stiess brachte er einige seiner Instrumente mit und in „Om“ fügen sie sich zum Klang der Gruppe und erweitern ihn, wie auch die menschliche Stimme (die schon am Abend zuvor im Penthouse hie und da zu hören war) die Klangpalette erweitert.
    David Wild zitiert in seinen Liner Notes zu „Major Works“, was Coltrane laut Nat Hentoffs originalen Liner Notes gesagt habe:

    „Om means the first vibration – that sound, that spirit that sets everything else into being. It is The Word from which all men and everything else comes, including all possible sounds that man can make vocally. It is the first syllable, the primal word, the word of power.“ Hentoff also remarked on the Buddhist phrase „Om mani padme hum“, which translates as „Om, the jewel, is in the lotus, amen.“

    Coltrane liest zum Auftakt, unterstützt von einigen anderen, einen Ausschnitt aus dem „Bhagavad Gita“ (Kapitel 9, „The Yoga of Mysticism), vermutlich in der Übersetzung von Swami Prabhavananda/Christopher Isherwood, die erstmals 1944 erschienen war („Coltrane Reference“, 745).

    Den Auftakt – noch vor der Rezitation – klingt nach dem späteren Art Ensemble, mit Gongs, Glöcklein, einem Daumenklavier etc. entsteht ein Klangteppich. Nach dem Rezitativ steigt Jones langsam ein, die ersten Saxophonschreie folgen. Es folgen wahre Klangorkane von Sanders und Coltrane, Brasils Flöte bläst darüber hohe Triller, während Jones und Tyner streckenweise ziemlich verloren scheinen. Garrison geht unter, aber seine Anwesenheit ist stets fühlbar. In Tyners kurzem Solo klingt die Musik streckenweise fast schon nostalgisch nach dem „classic quartet“, aber darum geht’s nun endgültig nicht mehr: diese Aufnahme stellt noch viel stärker als „Ascension“ mit seiner Aneinanderreihung von Soli das Kollektiv ins Zentrum, auch wenn besonders Coltrane und Sanders viel Raum für solistische Flüge haben.
    Donald Garrett spielt übrigens Bassklarinette und auch Flöte, wenn die Angaben in „Coltrane Reference“ zutreffen (im Booklet der Doppel-CD ist Bassklarinette und Bass angegeben).

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    7.-17. Oktober: It Club, Los Angeles, CA
    (mit Sanders, Garrett, Frank Butler und vermutlich hie und da Juno Lewis)

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    14. Oktober: Coltrane bringt erneut das Quartett mit weiteren Musikern ins Western Records Studio in Los Angeles. Das Sextett (mit Sanders und Garrett) spielt ein Stück von Coltrane, „Selflessness“ und eins von Juno Lewis, dem auf dieser Session mitwirkenden Perkussionisten und Sänger, „Kulu Sé Mama“. Zudem spielt auf beiden Stücken auch der zweite Drummer der Konzerte im It Club mit, Frank Butler.
    „Selflessness“ war zuerst auf dem Album Selflessness Featuring My Favorite Things, AS-9161, erschienen ca. Okt. 1969, greifbar – das Album enthielt auch „MFT“ und „I Want to Talk About You“ vom Newport-Konzert von 1963 mit Roy Haynes), Lewis‘ Stück auf dem Impulse-Album Kulu Sé Mama (AS-9101, erschienen ca. Jan. 1967), das mit Quartett-Aufnahmen vom Juni 1965 aufgefüllt wurde.
    „Kulu Sé Mama“ war das Stück, das Lewis mitbrachte, als Coltrane ihn ins Studio einlud. Lewis spielt diverse Perkussionsinstrumente und ist für den Singsang (in einem Afro-Kubanischen Dialekt) verantwortlich. Der Titel des Stücks heisse „Gott sieht Mama“ (der Alternative Titel war „Juno Sé Mama“). Auf der LP-Hülle wurde auch ein Gedicht von Lewis sowie ein von einem anderen Künstler angefertigtes Portrait von ihm abgebildet. Nat Hentoff schrieb in den Liner Notes zu AS-9101:

    Juno Lewis is a drummer, a drum maker, a singer, a composer. Born in New Orleans in 1931, he is now based in Los Angeles. It was there John Coltrane met him through mutual friends, and the result was the first side of this album, which was recorded in Los Angeles.
    Lewis is a proud man, proud of his tradition, as the accompanying poem makes clear. The composition „Kulu Sé Mama“ (or „Juno Sé Mama“) is described by Lewis as a ritual dedicated to his mother. Lewis’s poem, elsewhere on this page, supplies the programmatic content of the piece as well as its emotional base and its emotive intentions.
    I would only add that the performance is an absorbing, almost trance-like fusion of tenderness and strength, memory and pride. And fitting its ritual nature, the singing and much of the playing by the horns have the cadences of a chant. For all its length, the work has an organic totality; and at the end, there is a fulfilling sense of achievement – of a long nurtured and developed story finally being told. This, by the way, is Juno Lewis’s first appearance on records. His singing is in an Afro-Creole dialect he cites as Entobes. His drums include the Juolulu, water drums, the DoomDahka, and there are also bells and a conch shell.

    ~ Nat Hentoff, liner notes to „John Coltrane – Kulu Sé Mama“, Impulse AS-9101

    „Selflessness“ ist dagegen eine konventioneller Coltrane-Komposition, aus einem kurzen Motiv bestehend. Ein Stück, das nahe bei der Musik der working band ist: Coltrane und Sanders in kollektiven Improvisationen, Tyner mit einem dichten, aus schnellen Linien, Tremolos und Patterns bestehenden Solo, dazu ein immer dichter werdendes Rhythmusgeflecht mit Jones, Butler und Lewis.
    In „Coltrane Reference“ (746) steht überdies in der Session Note für 65-1014: „In 1976, David Wild found an alternate take of ‚Kulu Sé Mama‘ in the ABC-Paramount tape library (then at 8255 Beverly Blvd, Los Angeles, California), but it has not been seen since.“
    Wild erwähnt das in seinen Liner Notes für die CD (Impulse 543 412-2, 2000) nicht.

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    16./17. Oktober: Adams-West Theatre (aka Kabuki Theatre), Los Angeles, CA

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    Note: After the West Coast tour ended, John Coltrane and Alice McLeod traveled to Ciudad Juárez, Mexico (near El Paso, Texas). There, Coltrane’s divorce from Naima was finalized; then, at 1:00 p.m. on Wednesday, October 20, 1965, John and Alice were married.

    ~ Coltrane Reference, 332

    (Geschieden in Abwesenheit der bald ehemaligen und Anwesenheit der kommenden Ehefrau? Seltsam… aber deswegen mussten sie ja wohl auch nach Mexiko…)

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    ca. 2.-6. November: Pep’s, Philadelphia, PA
    (nicht bestätigt)

    10.-14. November: Art D’Lugoff’s Village Gate, NYC
    (die Gruppe bestand aus: Coltrane, Sanders, Tyner, Garrison, Jones, sowie Archie Shepp, Carlos Ward und Rashied Ali)

    15.-21. November: Jazz Workshop, Boston, MA
    (ohne Shepp und Ward, aber mit Ali)

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    23. November: Die Gruppe nimmt (im Sextett mit Sanders und Ali) das grossartige Album Meditations auf (AS-9110, erschienen ca. Sept. 1966).
    Die Suite wurde bereits im Dezember als im Quartett aufgenommen, diese erste Version erschien später unter dem Titel „First Meditations“. Im November machte sich Coltrane an eine leicht veränderte Version, mit Sanders und dem Drummer Rashied Ali in Ergänzung zum Quartett.
    Die Suite wurde in zwei ca. 20 Minuten langen Segmenten eingespielt, die mit den Seiten der LP korrespondierten:
    Seite 1: I – That Father and the Son and the Holy Ghost (Coltrane, Sanders und Ayler?) / II – Compassion
    Seite 2: III – Love / IV – Consequences / V – Serenity
    Die Musik macht eine Entwicklung durch von äusserst intensiv zu… noch intensiver… zur gelassenen lyrischen Stimmung am Ende, die aber die ganze zuvor gehörte freie, wilde, urtümliche Musik mit all ihren cries in sich enthält.
    In meiner Erinnerung (es ist mehrere Jahre her, dass ich diese Musik vom Herbst 1965 gehört habe) war es so, dass Coltrane von Sanders gefordert wurde, durchaus in einem kompetitiven Sinn. Wenn ich die Musik jetzt wiederhöre, im Rahmen dieses ganzen mittlerweile seit fast zwei Monaten andauernden Coltrane-Marathons, dann höre ich das ganz anders: Coltrane spielt motivisch, zwischendurch auch harmonisch, auf unglaublich vielen Ebenen, während Sanders mehr klangmalerisch spielt, flächig, auch vertikal – aber letzlich bei aller rauhen ungefilterten Emotionalität auch viel weniger facettenreich als Coltrane.
    Die erste Seite beginnt mit einem höchst intensiven Blow Out von Coltrane und Sanders, mal gemeinsam, dann jeder für sich, am Ende wieder gemeinsam. Jones und Ali weben ein äusserst dichtes Geflecht an Rhythmen. „Compassion“ rückt dann Tyner ins Zentrum, er spielt ein ganz ganz tolles Solo, schimmernd, glitzernd, zugleich statisch und rasant, hart und sanft.
    Die zweite Seite beginnt mit Garrison, unbegleitet – „Love“ – Coltrane steigt ein, dann Jones und Tyner. Nach der wilden Musik der ersten Hälfte geht es hier ruhiger, eingekehrter zu und her.
    Die Konsequenzen der Liebe werden dann aber von Coltrane und besonders von Sanders im vierten Teil der Suite mit grösster Kraft zum Ausdruck gebracht. Wie schon der erste Teil ist auch der vierte von kathartischer Kraft. Tyner leitet über zu „Serenity“, dem letzten Teil – die heitere Klarheit, Gelassenheit, die hier erreicht wird, wurde zuvor mühsam erkämpft (man könnte wohl auf diese Suite die Struktur des klassischen Dramas anwenden?).
    In dieser grossartigen Aufnahme, nach „Ascension“ wohl die wichtigste des Jahres und wie schon Hentoff festgestellt hatte eine Weiterführung dessen, was Coltrane auf „A Love Supreme“ erreicht hatte, in dieser unglaublich starken Musik fliessen erneut alle Elemente zusammen, die Coltrane zum Ausnahmemusiker machten, der er war: der lange Atem, die direkte emotionale Kraft, die Reduktion auf einfachste kompositorische Motive – die Musik ist wieder eine totale, EIN Stück, in dem alles zu hören ist, in dem alle Emotionen, ich wage zu sagen: ein ganzes Leben, zu hören ist, nicht bloss zu hören, sondern uns dargeboten, um es mit zu empfinden, mit zu erleben und zu erleiden.

    Nat Hentoff zitiert in seinen Liner Notes Coltrane, der sich zum „spirituellen“ Gehalt seiner Musik äussert:

    „Once you become aware of this force for unity in life,“ said Coltrane, „you can’t ever forget it. It becomes part of everything you do. In that respect, this is an extension of A Love Supreme since my conception of that force keeps changing shape. My goal in meditating on this through music, however, remains the same. And that is to uplift people, as much as I can. to inspire them to realize more and more of their capacities for living meaningful lives. Because there certainly is meaning to life.“

    […]

    „There is never any end,“ Coltrane said at the conclusion of our conversation about this album. „There are always new sounds to imagine, new feelings to get at. And always, there is the need to keep purifying these feelings and sounds so that we can really see what we’ve discovered in its pure state. So that we can see more and more clearly what we are. In that way, we can give those who listen to the essence, the best of what we are. But to do that at each stage, we have to keep on cleaning the mirror.“

    ~ Nat Hentoff, liner notes to „John Coltrane – Meditations“ (Impulse AS-9110)

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    30. November – 5. Dezember: Art D’Lugoff’s Village Gate, NYC
    (wie 15.-21. Nov.)

    13. Dezember: Five Spot, NYC
    Ein Benefit Konzert für Frank Haynes, der am 30. November verstorben war. Heute ist Haynes kaum mehr bekannt, er hat aber u.a. mit Dave Bailey, Kenny Dorham und zuletzt Randy Weston gespielt. Ob Coltrane wirklich aufgetreten ist, ist nicht bekannt.

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    Note: Saxophonist Byard Lancaster reports that the late saxophonist Marzette Watts taped Coltrane in rehearsal, mostly in duet with Rashied Ali, on several occasions in late 1965 at Ali’s home. „Lush Life“ is said to be among the titles recorded. Details are unconfirmed and we haven’t heard the tapes. Lewis Porter and Evan Spring tried without success to locate Watts‘ family members.

    ~ Coltrane Reference, 334

    1965 war wohl DAS Jahr für Coltrane – im Frühling enstanden die besten, verblüffendsten Aufnahmen mit dem Quartett (besonders die Live-Aufnahmen auf „One Down, One Up: Live at the Half Note“, aber auch die diversen Studio-Sessions von „Coltrane Quartet Plays“, „Transition“ zu den Stücken auf „Feelin‘ Good“, „Living Space“ und „Kulu Sé Mama“), im Sommer folgte das unglaubliche Konzert in Antibes, nur kurze Zeit nach der Aufnahme von „Ascension“, dann ging es rasch voran, mit „Sun Ship“ erweiterte das Quartett noch ein letztes Mal seinen musikalischen Horizont, mit „Om“, „Kulu Sé Mama“ und ganz besonders „Live in Seattle“ (unbedingt die Doppel-CD! Mit Vinyl verpasst man fast eine Stunde grossartige Musik!) folgte die erweiterte Gruppe konsequent dem Weg, die Musik zu erweitern, zu öffnen. Ende Jahr folgte dann mit „Meditations“ die Krönung. Wohl das ereignisreichste, und was offizielle Aufnahmen betrifft am besten dokumentierte Jahr Coltranes (na ja, 1957 gab’s wohl noch mehr).

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    Zum Abschluss ein paar Worte von McCoy Tyner, der zum Jahreswechsel 1965/66 aus der Band schied:

    „When you’re a part of something like that you can’t really ascertain how strong it is,“ McCoy Tyner told me in 1978, looking back at his years with Coltrane. „We knew that we were doing something different, that it was fresh, timely. We knew that it had come from something that had happened before. At the same time, you’re swept up in that force – you’re not cognizant of how different it is. When something is good, timely, it has a lasting quality.“

    David A. Wild, liner notes to „John Coltrane – Kulu Sé Mama“, Impulse 543 412-2 (2000)

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    Bert Wilson spielte im Januar oder Februar 1966 in Los Angeles mit Coltrane (auch Barbara Donald war dabei). In einem Interview von Tim Price gibt er einen kleinen Einblick in die damalige Zeit und seine pointierte Meinung zu dem, was folgen sollte (und worunter wir heute noch zu leiden haben).

    Ich poste das hier schon mal vorab, es wäre etwas ausführlich für den (wohl auch ziemlich ausführlichen) kommenden 1966er Post.

    Tim: You know John Coltrane’s music; you played with him. Can you reflect on his playing?

    Bert: I don’t want to do just another technical analysis; that’s been done over and over. I don’t want to talk about his sainthood ’cause that’s been done over and over. John Coltrane taught us all how important practice was! What dedication really means. He gave his life, body and spirit to it.

    He was in the forefront of an entire cultural movement! It changed the entire face of art in this country and in Europe. Because of his young death, the bottom fell out of the profit margin that people who ran the record industry were seeing in the new music, the creative way of thinking, the new approach.

    Because of what happened to the culture at that time, at least an entire generation of jazz musicians went undocumented, unaccounted for, unappreciated to the point where now there’s a whole raft of musicians who range in age between forty and sixty who are totally unknown, who should have been the leaders of that new movement in jazz.

    The fact that I happen to be one of those doesn’t in any way make it more important to me ’cause I’m one of a crowd that includes Sonny Simmons, Barbera Donald, Zitro, Michael Cohn — fantastic musicians who should have been the great artists of this generation.

    Smiley Winters, Perry Robinson, Henry Grimes, Jim Pepper, Albert Stinson — all of those people should have been leaders in a big way. Trane was a wonderful person; not only that dogged resolve to practice his instrument-no matter what, bt he had a warmth about him, too. He always made time to talk to a young musician, time for help, time for a word, a question, anything. Trane would make time for everyone. As a result, everyone loved him, myself included. He was a wonderful guy. One night at Shelly’s Manhole in Los Angeles he just knocked out the entire audience. Occasionally someone in the audience would scream because of the intensity of the music, myself included. So I went backstage to tell John how much I loved it. And I told him how much he moved me, and he said, “I can’t get anything going tonight. I practice so hard; I don’t understand.” That’s a perfect example of the artist hearing what goes in and the listener hearing what goes out, and it’s always, most always, unrelated – Unrelated!

    It’s all a matter of perspective. It’s spirit; that’s what makes us musicians. We feel it inside. Because nobody could pay us for the kind of spiritual awakening we can get from the act of making music. That whole sharing thing between creatures.

    A lot of people who only imitate Coltrane missed out on a lot by only digging Coltrane. They missed Lester Young, Don Byas, Wardell Gray, Hawkins, Sonny Rollins and Lucky Thompson. So we got three generations of players who sound like they only listen to John Coltrane and are trying to copy Trane too hard. And they missed Lester and Hawk, or Budd Johnson, Zoot Sims and Al Cohn, Benny Golson; and Johnny Griffin.

    There’s the problem that evades and invades jazz today; because people won’t do that; they miss the real tradition of jazz, the real creative process. One style seems to be the trend now, which is that funk R& B style, mixed with Coltrane. There’s so much more than that! Dedication, understanding and study by a young musician is what creates a young musician. Study of the jazz history and hours of listening to masters. Not cloning in on a trendy style. You can’t do it that way. Its deeper. There’s a spirit, and the work. You got to get them from yourself inside.

    http://www.timpricejazz.com/articles/bertwilson.html
    (accessed 2010-07-12)

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    Ein kleines Post Skriptum zu den Seattle-Aufnahmen – Dank an David Wild, der diese Links auf seiner Seite hat:

    Coltrane Sounds Like Nobody Else In World of Jazz
    By Ed Baker
    The Seattle Times, Wednesday, September 29, 1965, page 48

    Out of this World: John Coltrane in Seattle
    by Keith Raether
    Earshot Jazz, April 1995, Vol. 11, No. 4

    Die Erinnerungen von Ton-Ingenieur Jan Kurtis, der sowohl die Live- als auch die Studio-Aufnahmen gemacht hat.

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    [B]Sunny Murray Interview by Dan Warburton, November 3, 2000
    (accessed 2010-07-12)

    Talking of other drummers, you’ve often been compared (justly or not) to Rashied Ali. How do you feel about that?

    When I came to New York from Philly, Rashied said “I’m gonna follow you.” In 1965, I’m sitting in front my house and a car pulls up and it’s Rashied with Sonny Johnson, the bass player. “I’M HERE, MURRAY!” His brother Muhammad, who had a more profound talent – not technically, but feeling-wise – was still in Philly. Muhammad was my best friend, and the reason I met Rashied. Rashied, he drove me crazy, he followed me around New York, man. Followed me to my friends‘ houses… I had friends who refused to buzz him in, he’d buzz and say, “Rashied, I’m a friend of Sunny…” He just wanted to copy what I was doing. Rashied’s lucky, he married a rich woman. Got a million dollar pad in SoHo, a $350,000 studio in his basement. He shows me all this stuff, I say “Beautiful, ‚Shied, that’s nice.”

    Didn’t he help his brother out a bit? Muhammad was really suffering at the end…*

    Like Billie Holiday say, “Help yourself, but don’t take too much…”

    Why do think Rashied ended up getting the gig with John?

    I’ll tell you the truth – John wanted somebody to play next to Elvin, and I turned him down. I had played with John three times in 1964, and the closest Elvin came to losing his job was me taking it. Buzz buzz the grapevine buzz buzz Sunny Murray’s gonna be playing with John… At that period Elvin was getting high and shit, he’d get off the bandstand and his first wife – big tall white chick, real vampire junky – she’d be at the door… “Baby c’mon here…” And Jimmy Garrison saying “Motherfucker, you can’t just go…” John asked me to sit in that first time because Elvin was arguing with Jimmy – Albert was with me – John came over quietly and said, “Sunny, how you doing? Would you like to play?” But Elvin was playing so great that night, it froze me in my tracks. After he jumped and ran Albert said “You still wanna do this?” I said, “Yeah…” And we played, man. McCoy sounded different, Jimmy was singing with me… it worked. Elvin came back and was sitting there with a drink and he was enjoying himself! I came off the stand and we had a drink together and we became buddies. He calls me Big Man ever since. I took John to a little festival Archie had put together at the Dome on St. Mark’s Place, and there Milford was playing, Roger Black was playing and Rashied was playing… John said, “You wanna play some, Sunny?” I said, “I’m gonna show you something John about acoustics.” Roger Blank let me on his drums while Milford and Rashied were still playing, and when I started you couldn’t hear nobody but me. I was using what Helmholtz calls “sound displacement”… a big sound displaces a small sound, like that story I told you about the siren. Later I told John “Elvin never let nobody play with you but me, and I’m never gonna lose the friendship I have with him… You’re gonna make him hate me.” John sat there quietly and said, “Sunny, I hear a thousand rhythms…” Cecil was there, Leroi Jones was there and Jean Phillips was there when he offered me the job, if there’s anybody out there don’t believe me, they were there.

    Rashied Ali Interview, von Hank Shteamer
    Published: March 31, 2003
    (accessed 2010-07-12)

    AAJ: You’ve returned to the duet format throughout your career.

    RA: I’ve dubbed myself ‚The Duet Drummer.‘ I just remember even before Coltrane or any of that, I’ve always played with just a saxophonist or a pianist, whoever was available. I love playing with rhythm sections; I do. But it was really more open playing just with another instrument- a drummer, whatever. And I’ve been doing that all my life just about.

    And when I did Interstellar Space with Coltrane, that really put it on the map, but if you go back and listen to some of my records before Trane – with Archie Shepp, Marion Brown, Albert Ayler, Cal Massey, just a lot of different people ‚ you would hear me playing duets with Marion on some cuts, duets with Alan Shorter on some cuts, or duets with Archie Shepp. In fact, Archie Shepp and I, we played duets for almost six months before I went with Coltrane.

    That concept came actually from listening to Trane because I first heard Trane play duets with Philly Joe Jones back in the fifties, and then I heard him play with Elvin Jones all the time, just duets. The whole band would split, and [leave] just the drummer and the saxophone. So that kind of got me up on that really.

    So by the time I got to play duets with Trane, I was definitely ready for it. And since, I think I have more duo records than any drummer out. That’s been one of my fortes, although I love playing with a rhythm section.

    AAJ: How did the idea for Interstellar Space come about?

    RA: I didn’t have a clue what was happening. John told me that we were going to be going in to the studio, and I said, ‚Cool.‘ And I went in there, and I was setting up, and I didn’t see Jimmy, I didn’t see Alice; I didn’t see nobody else. And I was like, ‚Where’s everybody else?‘ and he said, ‚It’s just going to be you and me.‘ And I went, ‚Oh!‘

    So everything was completely spontaneous except for at times I would ask him to give me some kind of clue as to what was happening, you know like, ‚Is this going to be slow like a ballad?‘ or, ‚Is this going to be in a certain time like 3/4 or 4/4? Is it going to be fast? Is it going to be slow?‘ Because you know, he would just ring the bells, pick up his horn and start playing.

    And I’d been playing with him not that long anyways, and I’m like, ‚What the fuck?‘ And you know I would get in there, and I would play, and he would go, ‚How do you like that?‘ and I would say, ‚Well, I wasn’t quite prepared for it.‘ And he’d say, ‚Well, you want to do it again?‘ and I’d say, ‚Yeah, let’s do it again.‘

    There’s probably some other takes of that stuff because we did a few things twice, but [John] didn’t really like to do that. But he saw I was in such agony that he would do that for me; that’s the kind of cat he was.

    And so, that record came about like that. Meditations was like that too, actually. That’s why I always wanted a chance to do [Interstellar Space] again at some point, but it’s pretty hard to do it without [John], you know?

    But I did Meditations again; I recorded that again [with Prima Materia, Ali’s group featuring saxophonists Louie Belogenis and Allan Chase]. That turned out ok. Still, I wasn’t ready for the original Meditations, but I like the original Meditations better than mine.

    AAJ: So, you had never heard the music on Interstellar Space before you recorded it?

    RA: No; first time meeting it, first time playing it, and a lot of times it was a first take thing, and then I never heard it again until like twenty-five or thirty years later when they put it out.

    AAJ: Did you ever play live duets with Trane?

    RA: Well, no, but in the songs sometimes everybody would lay out and just John and I would play for a little bit, and then the rest of the band would come back in. And then on some tunes like ‚Ogunde‘ and some other tunes, the whole band was playing, and then they would all just lay out, and then John and I would go and solo and play, and then the whole band would come back in to close it. So it was that kind of duo thing I did with him before.

    But, like I was saying, I was pretty much versed into duos because that was one of my fortes, and it still is very much. I really do dig playing with a duo because I have a lot of freedom, and when I get with a good cat who really knows what’s happening up there with the changes and everything, it works out really good.

    […]

    RA: […] That’s how I get it, man. I can play a time, and then I can just take that time and turn it into nothing. The time will still be there, but you won’t hear it; you can feel it. I can demonstrate that for you. I can do it right now… [Ali sits down at drums and demonstrates- What a treat!]

    And that’s what John called ‚multi-directional rhythms. He named it; he told me, ‚Rashied, what you’re playing is multi-directional rhythms.‘ That’s what he put on it, so I just left it there. I guess it means everything going on at once. He said, ‚I can pick whatever I want to; I can play as slow as I want, or as fast as I want on the rhythm that you’re playing.‘ And that was some heavy shit when he told me that…

    That’s the only reason I was [with Coltrane], man. I used to be playing gigs, and Coltrane used to be in the audience watching me. I was playing with Albert Ayler, Archie Shepp, Marion Brown, Chris Capers, George Coleman ‚ whoever it was I was playing sessions with. And I would look out sometimes in the audience, and Albert would go, [whispers] ‚Hey man, Coltrane!‘ So he used to scope us out.

    But that’s not it either. I used to go to his gig and beg, and he’d let me sit in with him; I sat in with the quartet. They had this place, it used to be called the Half Note, it was on Hudson and Spring, and Trane used to play there- if he was off he’d play there for a month, two months, and I would go over there and sit down on the bandstand … ask them to let me play every day. But I came in there one day when Elvin [Jones] wasn’t there, and everybody wanted to play, and [John] said, ‚Come on, man,‘ and that started it. After that, I was playing all the time. I was sitting in on Elvin’s drums, and pretty soon I started working with Elvin, two drummers.

    But from the beginning, I would just go over there and sit in and just play with the band. And other people would sit in too. I’d bring people like Pharaoh [Sanders]; we’d come together, and we’d both sit in with Trane. And then [John] started changing his band around.

    [Playing in tandem with Elvin Jones] was an incredible experience, man; I’ll never forget that. Although, it was kind of rough at first, but, whew, man, that was something. I learned a lot from it. That was great. Too bad it didn’t last long, but it lasted long enough for me to understand what it was all about.

    --

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    Down Beat, 5. May, 1966, S. 25 – B.M. ist Bill Mathieu

    Spotlight Review – Avante-Garde Summit
    * * * * *

    This is possibly the most powerful human sound ever recorded. Coltrane has collected 10 other soloists, each a distinctive voice in contemporary jazz. All hold in common the ability to scream loud and long. If the music coheres, it does so because everyone is screaming about the same thing. The album is a recording of a single work which lasts more than 35 minutes.

    In the liner notes, Shepp speaks of the music this way:

    „It achieves a certain kind of unity; it starts at a high level of intensity with the horns playing high and the other pieces playing low. This gets a quality of like male and female voices. It builds in intensity through all the solo passages, brass and reeds, until it gets to the final section where the rhythm section takes over and brings it back down to the level where it started at… The ensemble passages were based on chords, but these chords were optional. What Trane did was to relate or juxtapose tonally centered ideas and atonal elements, along with melodic and nonmelodic elements. In those descending chords there is a definite tonal center, like a B-flat minor. But there are different roads to that center.“

    In the notes, Brown says that the music has „that kind of thing that makes people scream. The people who were in the studio *were* screaming…. You could use this record to heat up the apartment on those cold winter days.“

    There are two things to consider here. The first is the actual experience these musicians shared in the recording studio on June 23, 1965. The other is this phonograph record of the event.

    Ordinarily we can accept these two things as one. The differences, though important, are not crucial. True, one had to „be there“ when Horowitz returned to the concert stage last year in Carnegie Hall. But the recording of that concert captures enough for us to re-create the event through the music. In fact, the music transcends the event. The event has meaning through focused concentration on the quality of the music.

    This is not so in the case of Ascension. The vitality of this music is not separable from „being there.“ The music does not transcend the event. In fact, the music *is* the event, and since there is no way of reproducing (i.e., reliving) the event except by doing it again, the music is in essence nonrecordable.

    This brings us to a difficult subject involving not only this music but also much other contemporary art.

    In our growing esthetic, „the moment“ emerges as sacred. The „now“ is the reality from which a new esthetic of the religious is flowing. Perishable sculpture points this out to the observer. Musicians like John Cage offer variations on this theme.

    Present time has always been most crucial to jazz. Yet nowadays, as a revolution crystallizes, what was once merely crucial is now the thing itself.

    This revolution, the black one, has a vested interest in „now“ as *opposed* to „then.“ The forces that spawned it are wasting no love on old things. The old order was „then.“ It passeth to „now.“ No one alive today can remember a more concerted cry for a new social being.

    Ascension is (among other things) at the center of this cry. The spiritual commitment to present time vibrates around Earth; the vibration is focused and intensified in music like this. To offer it on a „recording“ is in some sense *against* the thing itself. Ascension is a recording not of an event, but of the sounds made during an event, and these sounds by themselves do not give us the essence of the event.

    If the listener is informed enough to be able to imagine what it was really like when this event took place, then the record may have meaning. But it would seem that a listener so informed would not especially need or want a reminder of another „then.“

    It is my feeling that gradually there will come a music informed by the freedom and power of Ascension, but which has more artistic commitment beyond the moment of recording. Such music is already forming (although with less muscle – no music matches Ascension for sheer strength and volume.) The few moments when Tchicai is soloing constitute one of several places where this more subtle light shines through strongest. Distinctions are close; everything seems *about* to happen.

    Meanwhile, it is useful to regard this album as a documentation of a particular space of history. As such, it is wonderful – because the history is. If you want immersion in the sounds of these men, if you want their cries to pierce you, if you want a record of the enormity and truth of their strength, here it is.

    (B.M.)

    --

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    Winter & Frühling 1966

    10./11. Januar: Elvin Jones nimmt mit Earl Hines auf
    17. Januar: Richard Davis und Jones nehmen mit Earl Hines auf
    („Once Upon a Time“, Impulse)

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    23. Januar: Memorial Auditorium, Stanford University, Sanford, CA
    Coltrane (ts,ss), Pharoah Sanders (ts), Alice Coltrane (p), Jimmy Garrison (b), Donald Rafael Garrett (b,bcl), Elvin Jones (d), Rashied Ali (d), Juno Lewis (perc)
    Double Bill mit Thelonious Monks Quartett
    Aus der Kritik von Ralph J. Gleaseon („On the Town: The Conversative Thelonious Monk“, in: San Francisco Chronicle, 26. Jan. 1966, 49):

    … eight musicians came on stage: two bass players (Jimmy Garrison and Don Garrett), two regular drummers (Elvin Jones and Rashied Ali); two tenors (John Coltrane and Farow Saunders); a pianist (Mrs. John Coltrane), and African drummer called „Juno“ (I may have the spelling wrong. If so, I’m sorry. I was too overwhelmed to ask).
    They played for approximately one hour and twenty minutes, a long, almost continuous presentation of improvisation, ensemble climaxes of stupendous intensity, occasionally recognizable snatches of Coltrane numbers („My Favorite Things,“ „Crescent“ etc.) and individual solos.
    It was one of the most intense and exhilarating musical experiences I ever had. […]
    Then there was the African drummer. He was dressed in a black snakeskin suit, a long scarf, pirate boots, and had two hand-made Dakar drums shaped like huge ice cream cones. He played them one at a time, held between his legs and with a loop around his neck or, at one point, on his head. He was sensational both in the ensembles and during his long solo which included a chant.

    ~ zit. nach: Coltrane Reference, 337

    Eine weitere Kritik stammt von Lee Allen („Modern Jazz Concert Stirs Stanford Audience“, in: Palo Alto Times, 24. Jan. 1966, Sec. II, S. 19):

    This group is away out, playing frenzied, beautiful, frightening, loud and soft music which envelops the listener and leaves him drained emotionally. […] Their sounds seem at first formless. But gradually the rhythmical and emotional unity of their music emerges. […] The result is a running melange of shifting sounds, suggesting often nearly subconscious emotions.

    ~ zit. nach: Coltrane Reference, 337

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    25. Januar – 6. Februar: Jazz Workshop, San Francisco, CA
    (Line-up wie oben, teilweise Ray Appleton statt Elvin Jones, der Schlagzeuger Beaver Harris stiess ein oder mehrere Male auch noch dazu. Wieder Double Bill mit Monks Quartett.)

    Während dieses Gigs verliess Elvin Jones die Band. Ray Appleton, der an der Aufnahme-Session vom 2. Februar beteiligt war (s.u.) ersetzte Elvin (der anscheinend nach Deutschland flog, um sich der Ellington Big Band auf deren Tour anzuschliessen). Beaver Harris war mit Shepp in San Francisco und sass mal bei Coltrane rein, Garrett war am ersten Tag dabei, dann für eine Woche weg.
    Coltrane seinerseits spielte mindestens einmal (vermutlich am 5. Februar) mit Monks Gruppe, als sie zusammen „Nutty“ gespielt haben sollen („Coltrane Reference“, 339).

    Elvin Jones left the group because of general dissatisfaction with the direction Coltrane’s music was taking, as well as his incompatibility with Rashied Ali. „It got to the point where I couldn’t hear what was going on,“ he told a journalist later in 1966. „The other drummer was bugging me, and it was giving me a headache.“ (From „Jones Is the New Krupa,“ Milwaukee Journal, Saturday, Oct. 15, 1966, Green Sheet, p. 2. The article is unsigned but appears to be Leonard Feather’s syndicated column.)

    ~ Coltrane Reference, 338

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    2. Februar: Session im Coast Recorders Studio, San Francisco, CA

    Wie schon die Sessions im Herbst 1965 (Seattle und Los Angeles) hat Coltrane auch diese Session selbst produziert. Sie ist insofern besonders, als man Coltrane hier an der Bassklarinette hören kann.
    Erstmals erschienen sind zwei der Stücke auf Cosmic Music (Coltrane Recording Corp. CRC AU 4950, später auch als Impulse AS 9148) dann später 1968. Das Album besteht aus zwei längeren Coltrane-Stücken und wurde mit zwei Stücken von Alice Coltrane (am 28. Januar 1968 mit Sanders, Garrison und Ben Riley aufgenommen) gefüllt.
    Die ganze Session ist chaotisch, was die Editionsgeschichte betrifft. Aus „Coltrane Reference“ (749f.) geht hervor, dass neben den beiden Stücken von Cosmic Music noch „Peace on Earth“ und „Leo“ aufgenommen wurden. Beide wurden im April 1972 von Alice Coltrane mit Overdubs versehen (Coltrane-harp/org, Charlie Haden-b; string section). Diese Versionen erschienen wie die mit Overdubs versehene Version von „Living Space“ (1965-06-16) auf dem Album Infinity (AS 9225).
    Von „Peace on Earth“ entstanden drei Versionen, die originale von 1968, dann eine mit p/b Overdubs (erschienen auf Jupiter Variation, Impulse IA 9360, erschienen 1978), sowie dieselbe mit weiteren Overdubs (strings, von 7:08 auf 8:30 erweitert), die dann eben auf Infinity erschien. Diese Version wurde auch auf der Alice Coltrane CD The Music of Alice Coltrane – Astral Meditations (Impulse IMP 12422 und 951 242-2) wiederveröffentlicht.
    Von „Leo“ ist nur die Version mit Overdubs (das volle Programm inkl. strings) je erschienen. „Leo“ erschien zudem später noch auf dem Album Impulse Energy Essentials (3LP, ASD 9228).
    Leider kenne ich beide Stücke bisher noch nicht, die „Astral Meditations“ hab ich mir soeben bestellt (ist vergriffen aber noch zu finden). Ob sich das lohnt… die „Infinity“ ist nur für absurde Preise zu finden, leider.

    Also, zur Musik: das erste Stück, „Manifestation“, beginnt mit Coltrane am Tenor, ein wunderbares, ekstatisches Solo, Sanders spielt Piccolo, lyrisch, mit grosser Beherrschung (ein Instrument, bei dem das wohl noch schwieriger zu erreichen ist als beim Sopransax!), Alice Coltrane spielt ein eher ereignisarmes Solo, dann folgt noch mal Coltrane, der Platz macht für ein unglaubliches Tenorsolo von Sanders zum Abschluss.
    „Reverend King“ ist Martin Luther King gewidmet, Coltrane spielt hier Bassklarinette und weiss von Anbeginn komplett zu überzeugen. Ein hymnisches Stück, wieder mit einem frenetischen Tenorsolo von Sanders, das Coltrane dann auf der Bassklarinette mit schneidendem Ton weiterführt. Sanders stösst wieder dazu, und zum Ende folgt wieder das lyrische Thema. In diese Stück wird auch das tibetisch-buddhistische Mantra „Om mani padme hum“ rezitiert (ich lese hier gerade, dass die „jewel in the lotus“-Übersetzung davon falsch sei).
    (Die beiden Stücke von Alice Coltrane sind eine hübsche Ergänzung, aber nicht viel mehr als das… schöner wäre natürlich ein Album mit den vier Stücken von John ohne Overdubs gewesen!)

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    ca. Januar oder Februar: It Club, Los Angeles, CA
    Coltrane, Sanders (ts), Alice Coltrane (p), Jimmy Garrison, Donald Garrett (b), Rashied Ali (d), Ray Appleton (d,perc)
    mit den Gästen: Bert Wilson (ts), Barbara Donald (t), Bembe Shaki (fl)
    (siehe oben Bert Wilsons Erinnerungen dazu)

    ca. Januar oder Februar: Great Hall, University of Wisconsin at Madison, Madison, WI

    Lastly, in January-February 1966, saw the John Coltrane whatever in Madison…but this time he had Rashied Ali (no comment), Alice McLeod on piano, Pharoah Sanders and Jimmy Garrison. They did two performances in one night at UW’s Great Hall, playing „Impressions“, „My Favorite Things“ and „Naima“ at each concert.

    –Sam Linde

    http://www.wildmusic-jazz.com/jcfhvarious.htm
    (accessed 2010-07-12)

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    19. Februar: Philharmonic Hall, Lincoln Center, NYC
    Ein Konzert mit Coltrane, Sanders & Albert Ayler (ts), Carlos Ward (as), Donald Ayler (t), A. Coltrane (p), Garrison (b), Ali & J.C. Moses (d) – anscheinend existiert hiervon eine Aufnahme, aber auch in „Coltrane Reference“ steht dazu nicht mehr (341 & 751).
    Die anderen Bands: Sonny Rollins, Coleman Hawkins, Zoot Sims, u.a. – das Konzert lief unter der Überschrift „Titans of the Tenor Sax“. Und Rollins hatte zudem noch Yusef Lateef als Gast mitgebracht!

    Ein langer Auszug aus Gary Giddins‘ Besprechung (ursprünglich in: „The Show I’ll Never Forget: 50 Writers Relive Their Most Memorable Concertgoing Experience“, Cambridge, Mass, 2007, 31-39) findet sich auf S. 342f. von „Coltrane Reference“ – hier ein kurzer Auszug:

    [… Dave] Lambert [Sänger und MC des Konzertes] introduced Coltrane, who sent out a phalanx of mostly unfamiliar faces. The first sign what we would not be hearing the Coltrane we knew and loved was the appearance of two trap sets. Elvin Jones had been replaced by Rashied Ali and J.C. Moses. Jimmy Garrison entered with his bass, but instead of McCoy Tyner, a handsome woman seated herself at the piano: this was Alice Coltrane, of course. John Coltrane was one of five wind players who took the stage, including two more tenor titans (though at that time, you could have been punched out for claiming any such distinction about them), Albert Ayler – recognizable by a white lightning streak in his beard – and Pharoah Sanders; altoist Carlos Ward; and Ayler’s troubled brothers, trumpeter Donald Ayler. [… – Auslassung in „Coltrane Reference“] I felt like a kid at the circus.
    The joyful, terrifying noise lasted about an hour. Except for a snatch of „My Favorite Things,“ melodies were not apparent, though the Rodgers and Hammerstein echo was itself momentous. Coltrane inserted it amid a squalling solo, played with more than a few deep knee-bends, and the shock of recognition elicited an explosion of approval.
    […]
    This was much of massed sonorities. The rhythm section was not a thing apart, providing a swirling foundation, but a collusive force. The collective assault either focused your attention or dispersed it. In the absence of melody and harmonic progressions, it relied on the fever of the players, and while this shattering din could never be the sole future of jazz or of any other kind of music, it could – and, in fact, already did – represent a new way to play and experience music. The sound spread evenly, like the dribblings on a Jackson Pollack [I]sic!, yet the wall-to-wall harangue allowed for plenty of individual details as each player emerged from the ensemble for an Ascension-like salvo.

    ~ Gary Giddins, zit. nach: Coltrane Reference, 342

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    2.-6. März: Plugged Nickel, Chicago, IL
    Coltrane (ts,ss), Sanders (ts,fl), A. Coltrane (p), Garrison (b), Ali (d), Jack DeJohnette (d), Gast (vermutlich nur am Freitag 4. März): Roscoe Mitchell (as)

    Jerry Figi hat eine aussergewöhnliche Besprechung über die Sets im Plugged Nickel verfasst (online war sie mal auf der alten Seite des Jazz Institute of Chicago zu finden, jetzt anscheinend nicht mehr, sie ist auch in „Coltrane Reference“, S. 344, wiedergegeben, die folgende Fassung kommt aber aus meinen Files – vermutlich mal vom Organissimo-Forum gespeichtert… ja genau, hier – von da kam auch der „Ascension“-Review, s.o.):

    Coltrane & Co. at The Plugged Nickel: March 2-6, 1966

    John Coltrane – tenor & soprano
    Pharoah Sanders – tenor & flute
    Alice Coltrane – piano
    Jimmy Garrison – bass
    Jack DeJohnette – drums
    Rashid Ali – drums

    Coltrane’s week here confirmed ASCENSION, made it clear that John intends to extend himself into a spasm of “mystic” experience. Which explains the music, and why he is digging into soul and pocket to enlist the young lions, aligning their powers with his.

    Wednesday night sounded as though giant hands were breaking open the earth, great sounds and chunks of things coming loose. John was blowing against a wall which tottered but wouldn’t fall, then backing off into the stomach-lurching rollercoaster of his more familiar style. Two drummers are pertinent to the music, functioning in a way comparable to a guitar team; while DeJohnette played “rhythm”, Rashid wove “melody”, a steady pattern of rhythmic filigree similar to the flying carpet Ed Blackwell spreads. But the most urgent voice of the night was Pharoah Sanders, toes plugged into some personal wall-socket, screaming squealing honking, exploding echoes of encouragement among the audience. Pharoah was a mad wind screeching through the root-cellars of Hell.

    Friday night. How do you review a cataclysm? evaluate an earthquake? An apocalyptic juggernaut that rolled across an allusion to My Favorite Things into a soundtrack from an old Sabu movie – jungle-fire, animals rampaging in panic, trumpeting of bull elephants? You can only describe with impressions saved from the storm. DeJohnette walking away blanched and shaken from the demands of the music. Mrs. Coltrane sitting sedately by, occasionally edging in with comment. Garrison plugging away, helping hold things together. Pharoah a mongoose shaking a snake. Roscoe Mitchell, sitting in on alto for the night, breaking loose with lashes of short-range lightning, some of the most exciting playing to come out of the mass. Saxophonists reaching for tambourine, claves, beaters, etc. whenever resting the horn. Rashid coming through undaunted near the end with a fresh new drum-dance. A locomotive of horns, Pharoah-Trane-Roscoe in a row blowing at once, spinning wheels, throwing cinders. Roscoe becoming “possessed” with revival-frenzy. And the big punch of Coltrane, somehow keeping his head in the melee, breaking through time after time with groaning lyricism. Like a convulsion they had induced but no longer seemed able to control, it ground on and on, beyond expected limits of endurance, past two hours, past closing time, until the management intervened and closed it down.

    The audience filed out into the morning, stunned and bludgeoned. The comfortable had been disturbed. The merely hip had been driven back to protests of cacophony, anarchy, disorder. And even the most open ears had become numbed by the continual barrage – one of the problems of the music. What do you carry away from an avalanche besides awe? Another problem – the piano solos and Garrison’s long masterful bass solos remain interludes, adjuncts unaccepted by the bulk of the music. But there were elements of order at work even if we were eventually deadened to them. A peripheral order that contained the inner disorder (pigs fighting in a gunny-sack, the sack enclosing their thrashings). Order from the momentum of the rhythm which pulled things along with it. Maybe a second bassist, say Donald Garrett, would have added that much more. And order from the herding sweep of John’s tenor.

    Even at its best, the music never achieved the free flow of Ornette (the comings together and conversation of Free Jazz), or the arranged blossoms of sound-clusters of Sun Ra, or the paradox of complete control/freedom clarity of Albert Ayler (those open ringing bronze Bells, vibrating to their own self-shaping song and logic), but it does have excitement and immense raw power – an experience in itself. What they did prove was just how hard they could try. That they could beat themselves bloody pounding at the farthest reaches of experience and come back with only their effort as an answer. Perhaps that alone is their answer.

    — J.B. Figi
    Chicago

    Source: http://www.jazzinstituteofchicago.org/journal/figi/figi_trane1.htm
    (not online any longer as of 2010)

    complete bibliographical data:
    Figi, Jerry. “Coltrane & Co. at the Plugged Nickel.” [Concert Review: John Coltrane: Plugged Nickel, Chicago, IL, March 1966] Change 2 (Summer 1966): 55–56.

    ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

    Für den 20. März war ein Konzert am Loyola College in Montréal geplant, das aber abgesagt wurde.

    21.-26. März: Pep’s, Philadelphia, PA

    Ab dem 1. April hätte Coltrane in der La Carousel Lounge in Atlanta, GA, spielen sollen, sagte aber kurzfristig ab. Ebenso sagte Coltrane einen Auftritt am 3. April am Longhorn Jazz Festival in Austin, TX ab.
    Diese Absagen erfolgten anscheinend wegen Problemen mit dem Zahfleisch (wie Down Beat am 2. Juni 1966 auf Seite 43 gemeldet hat: „John Coltrane’s Atlanta debut at Pascal’s La Carrousel was canceled because of the saxophonist’s gum trouble.“ – zit. nach: Coltrane Reference, 345).

    21. April: Impulse-Session im Van Gelder Studio. Die neue working band (Coltrane, Sanders, Coltrane, Garrison, Ali) nahm vier Stücke auf: „Darkness“, „Lead Us On“, „Leo“ und „Peace on Earth“. Nichts davon ist je erschienen.

    24. April: School Hall, St. Gregory’s Rectory, NYC
    Im Quartett mit Alice Coltrane, Garrison und Elvin Jones (ohne Sanders und Ali) trat Coltrane – neben Tyner, Cedar Walton, Roland Kirk, Cliffford Jordan, Charles Tolliver, Cecil Payne, Clarence Sharpe, John Orr und Andrew Cyrille – im Rahmen dieses von Cal Massey organisierten Benefiz-Konzertes auf. Der Erlös sollte dazu dienen, einen Kinderspielplatz zu erstellen.
    Das Konzert wird in Kahns Buch über „A Love Supreme“ ausführlicher erwähnt, da Cecil Payne gesagt hat, die Gruppe hätte die ganze Suite aufgeführt. Alice Coltrane sagte aber, sie hätten nur den ersten Teil gespielt (Kahn 2002, 186-193 – man findet dort auch ein Foto von Coltrane während dieses Konzertes – muss mir das Buch von Kahn mal besorgen, kenne es noch nicht!).

    28. April: Impulse-Session im Van Gelder Studio. Dasselbe Quintett ging eine Woche später noch einmal ins Studio, nahm „Call“ und „Leo“ auf – auch diese Aufnahmen bleiben unveröffentlicht.

    Am 9. Mai nahmen Garrison und Jones mit Sonny Rollins dessen Impulse-Album „East Broadway Run Down“ auf.

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    20.-22. & 27.-29 Mai (jeweils Fr-So): Village Vanguard, NYC
    Coltrane (ts,ss,bcl,fl,perc), Pharoah Sanders (ts,fl,perc), Alice Coltrane (p), Jimmy Garrison (b), Rashied Ali (d), Emmanuel Rahim (perc), sowie – vermutlich am Sonntag 29. Mai) die beiden Gäste Archie Shepp (ts) und Byard Lancaster (bcl).

    Am Abend des 28. Mai nahm Impulse die Gruppe von Coltrane auf. Das entstehende Album, John Coltrane Live at the Village Vanguard Again (AS-9124, erschienen im November 1966) ist für mich eins der neusten, der letzten Coltrane-Alben, die ich mir angeschafft habe (man frage nicht weshalb, ich weiss es nicht) und ich hab’s gestern wohl insgesamt am Ende sechs Mal gehört und jetzt läuft es schon wieder!
    Die Aufnahme enthält nur zwei Stücke: „Naima“, in einer wunderschönen Interpretation, Coltrane spielt mit grosser Klarheit das Thema und beginnt zu solieren, dann gibt er bald an Sanders ab, der über dieser einfach-reduzierten Struktur – mit all seinen Klang-Exkursionen – ein ganz tolles Balladensolo spielt. Anders als auf den Standards von Live in Seattle hat er hier alles komplett im Griff. Coltrane folgt mit einem abschliessenden Solo, und sofort wird klar, was ihn vom jungen Wilden unterscheidet: der schöne Ton, die absolute Autorität, die ihn aber keineswegs daran hindert, ein ebenso intensives Spiel zu pflegen, im Gegenteil: sein Spiel gewinnt im Vergleich gerade deswegen sehr. So zumindest mein Hörempfinden.
    Das zweite Stück des Album (es wurde laut „Coltrane Reference“, S. 752, zuerst eingespielt) ist dann „My Favorite Things“ – was die Setlist betrifft also nicht die geringste Überraschung. Die Musik allerdings ist grossartig! Garrison spielt ein sechs Minuten langes unbegleitetes Solo (das auf dem Album die erste Seite beendete und auch auf der CD separat getrackt ist), in dem er sein ganzes Können zeigt, seine grosse Meisterschaft, seine Flamenco-Licks, seine grosse Ruhe, seinen schönen, stehts mehr gefühlten als gehörten Sound. Dann schwenkt er in 4/4-Lick ein, die Band steigt ein, Coltrane soliert über einem dichten Rhythmusteppich klar und aufgeräumt auf dem Sopran,
    mit dem Thema, Coltrane am Sopran. Ali löst zwar nicht den Beat auf darunter, aber man fühlt in bloss, hören kann man ihn meist nicht mehr, bis Coltrane sich langsam dem Thema annähert und dieses dann auch spielt und dann weitersoliert, noch immer mit recht grossem und schönen Sound. Sanders spielt dann ein weiteres überzeugendes Tenorsolo, das mit gequälten Phrasen beginnt, sich langsam erhebt… (und unsere Katze nicht im geringsten zu stören scheint). Coltrane gesellt sich dann mit der Bassklarinette dazu, bläst hohe Linien und Triller. Sanders erhebt sich immer mehr, Coltrane setzt wieder aus… und kehrt dann mit überbordend wildem Sopransax zurück und übernimmt nach einer kollektiven Improvisation mit Sanders noch einmal für ein schönes Solo.
    Alice Coltrane ist dabei nicht solistisch zu hören, bietet aber einen weichen Teppich, in dem die Musik aufgefangen wird. Sie und besonders Rashied Ali mit seinem auch klanglich ganz anderen Spiel als Elvin, weniger auf Groove aus – Elvin groovte ja immer, egal wie frei oder wild er spielte, Elvin war Erde… Ali ist… ja was denn? Leichter, luftiger, höher, und auch wenn man bei ihm den Beat oft spüren kann (ohne ihn festmachen zu können) ist letztlich auch er ein flächiger Spieler, der einen Teppich legt oder ein Netz knüpft, das aber auch zum Sprungbrett werden kann für die Flüge der Solisten.

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    Nat Hentoff äusserte sich wie folgt über Pharoah Sanders (konkret über das Solo in „My Favorite Things“:

    Pharoah Sanders follows with an intensity, a fierceness of commitment that makes him sound at first like a man possessed. But I find, after listening to him again and again, that the evolving impact of his playing on me is not that of a man possessed by external forces. What we’re hearing – if we allow ourselves to hear – is a man trying to strip himself to the marrow of being. Coltrane put it this way: „Pharoah is a man of large spiritual reservoir. He’s always trying to reach out to truth. He’s trying to allow his spiritual self to be his guide. He’s dealing, among other things, in energy, in integrity, in essences. I so much like the strength of his playing. Furthermore, he is one of the innovators, and it’s been my pleasure and privilege that he’s been willing to help me, that he is part of the group.

    ~ Nat Hentoff: liner notes from John Coltrane – Live at the Village Vanguard Again (Impulse AS-9124)

    Über Alice Coltrane äussert sich Hentoff (bzw. Coltrane) folgendermassen:

    Throughout, from the start of the album, there is the persistently apposite piano of Alice Coltrane, John’s wife. Her value to the group, Coltrane says, is that „she continually senses the right colors, the right textures, of the sound of the chords. And in addition, she’s fleet, she has real facility.“

    ~ Nat Hentoff: liner notes from John Coltrane – Live at the Village Vanguard Again (Impulse AS-9124)

    Ekkehard Jost schrieb über sie folgendes:

    Die Nachfolgerin McCoy Tyners, Alice Coltrane, ist keine „harte“ Pianistin, die durch rhythmsiche Akzentuierungen das musikalische Geschehen vorantreibt. Das Klavier, im Free Jazz seit Cecil Taylor nicht selten mit Aufgaben betraut, die früher den Perkussionsinstrumenten zukamen, dient ihr vielmehr zur Kolorierung und zur Schaffung eines Klang-Grundes. Arpeggions, Akkordtremoli sowie ein ausgiebiger Gebrauch des Pedals weisen auf ihren harfenistischen Hintergrund hin. Obwohl – gerade was das letztere betrifft – ihr Spiel leicht ins Bombastische abzugleiten droht, mag es doch vor allem die damit verbundene Dominanz des Klanglichen sein, durch welche sie sich reibungslos in den Rahmen der Gruppe einpasst.

    ~ Ekkehard Jost, Free Jazz, Wien [bzw. Mainz] 1975, 113

    Und Jost über die Funktion der neuen Rhythmusgruppe bzw. Rashied Ali – die erste Passage folgte direkt auf diejenige über Alice Coltrane oben:

    Unter dem gleichen Gesichtspunkt einer neuen Einstellung zum Klang ist auch die Funktion der Rhythmusgruppe innerhalb der späten Coltrane-Formationen zu sehen (bzw. die Funktion dessen, was man herkömmlich als Rhythmusgruppe bezeichnet). Bereits durch die Einbeziehung mehrerer Schlagzeuger bei den im November 1965 aufgenommenen Schallplatten Kulu Sé Mama und Meditation erfährt das rhythmische Gefüge eine erhebliche Wandlung: es gewinnt an Klangfarbe und verliert an Eindeutigkeit. Anstelle der scharf akzentuierten Rhythmik von Elvin Jones (alleine) tritt nun eine Fülle von einander überlagernden und z. T. einander aufhebenden Akzentuierungen, anstelle von Impulsketten, die einen beat nicht warhnehmbar aber doch spürbar werden lassen, treten rhythmisch fliessende Akzentebenen, aus denen in unvorhersagbarer Folge und Dichte einzelne Intensitätsmaxima herausbrechen.
    […]
    Was die rhythmische Kraft des Elvin Jones für die Musik Coltranes bedeutet, erhellt sich vor allem aus der letzten Platte Coltranes, Expression, in welcher der neue Schlagzeuger Rashied Ali auf sich allein angewiesen ist. Ali mag unkonventioneller und möglicherweise dem neuen Konzept Coltranes auch angemessener spielen als Jones, vitaler spielt er gewiss nicht.

    ~ Ekkehard Jost, Free Jazz, Wien [bzw. Mainz] 1975, 113f.

    Und zuletzt noch die Passage, die unmittelbar darauf folgt und die neue Musik Coltranes, wie ich finde, sehr prägnant in Worte fasst:

    Die Exploration der Klangfarbe in der Musik John Coltranes nach 1965 geht auf zwei Ebenen vonstatten: zum einen vollzieht sie sich durch die Umdeutung der Funktion verschiedener herkömmlicher Mittel, zum anderen dadurch, dass gleichsam von aussen bezogene, qualitativ neue Klänge in die musikalische Sprache der Gruppe integriert werden. Der erste Aspekt zeigt sich vor allem in der beschriebenen Zuweisung neuer Funktionen an die Perkussionsinstrumente und an das Klavier, sowie in der Ausschöpfung der klanglichen Möglichkeiten der Saxophone durch mehrstimmiges Spiel, Überblasen usw. oder der Bildung von eng verflochtenen Klangfeldern in der Kollektivimprovisation. Der zweite Gesichtspunkt gibt sich in der Verwendung eines neuen Instrumentariums zu erkennenn: In Om erklingt zum Anfang die Zanza (das sogenannte afrikanische Daumenklavier), später hört man Glöckchengeläut, Gongschläge und schliesslich das Scheppern von Kuhglocken. All diese Perkussionsklänge besitzen kaum eine rhythmische Relevanz, sondern allein eine klangliche. Die Gongschläge während des Solos von McCoy Tyner zerstören eher den rhythmischen Fluss, als dass sie ihn akzentuieren. Doch auch weniger exotische Instrumente werden der klanglichen Erkundung nutzbar gemacht: In Om und Reverend King spielt Coltrane Bassklarinette, in Manifestation bläst Sanders Piccoloflöte und To Be enhtält ein Flötenduett von Sanders und Coltrane. Das Motto von Om „All sounds that man can make“ ist richtungsweisend in jeder Hinsicht.

    ~ Ekkehard Jost, Free Jazz, Wien [bzw. Mainz] 1975, 114

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    Am 28. Mai sind Pharoah Sanders und Jimmy Garrison (solo) überdies in der Carnegie Hall aufgetreten, neben dem McCoy Tyner Trio, dem Edward Blackwell Quartett und anderen.

    Vom 7.-12. Juni spielte Garrison dann mit Lee Morgans Quintett (Hank Mobley, Cedar Walton, Billy Higgins) im Slugs‘.

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    17.-26. Juni: Drome Lounge, Detroit, MI
    (Coltrane, Sanders, Coltrane, Garrison, Ali)

    2. Juli: Newport Jazz Festival, Newport, RI
    (Coltrane, Sanders, Coltrane, Garrison, Ali)

    Vor Coltrane haben im Sonntagnachmittagkonzert die Jazz Crusaders, Bill Dixon, Horace Silver und Charles Lloyd gespielt. Das Coltrane Quintett spielte drei Stücke – eine Aufnahme ist erhalten: „My Favorite Things“, „Welcome“ und „Leo“.

    Eine Beobachtung dazu findet sich auf der Seite von David Wild, in der Rubrik Coltrane First Hand:

    John Coltrane Group, ‚Newport Jazz Festival‘, Newport RI July 2, 1966

    Jack responds to a note that Fujioka had indicated that producer George Wein wanted to stop the band between numbers. Trane was the last act on the afternoon show. By the time the first song was over, it was about the usual ending time for the matinee. As Wein started out, as he would as mc, to thank Trane and announce the end of the show, the band started the second song. I doubt Trane even noticed him. I could see Wein standing off stage from my seat during „Welcome“, and I could sense his understandable anxiety. The logistics of the festival made getting the audience out so clean-up for the evening show could begin very important.

    At the end of the second number, as he [Wein] started out again, the band immediately began the third song, and he went back off stage, even more nervous. I remember thinking how the responsibility of running a festival could keep one from enjoying the music as much as the audience. Any way, I just wanted to make things clear, as the Fujioka quote might be misconstrued as antagonism by Wein for the music itself or Trane defying the festival producer. It didn’t appear to me that either was the case (sure, Wein’s musical interests as a player and a fan were generally for older styles, but he definitely seemed to respect creativity of any era).

    How do I remember the details of a concert from over thirty years ago? Well, it was the single most satisfying listening experience I ever had, and I don’t think I’ll ever forget it.

    –Jack Lefton

    http://www.wildmusic-jazz.com/jcfhvarious.htm%5B/url%5D
    (accessed 2010-07-12)

    Das erste Stück, „My Favorite Things“, beginnt mit Sanders wildem Tenorsolo (der Anfang des Stückes fehlt), dann folgt Coltrane mit einem tollen Sopransolo, das ganze dauert auch in dieser unvollständigen Fassung noch 21 Minuten. Coltrane geht dann fast nahtlos in das hymnische Thema von „Welcome“ über, die grosse Schönheit des Stückes wird sofort evident, auch wenn die Musik danach schnell in wildere Gefilde entwickelt. Coltrane hat aber noch immer diesen starken, klaren Ton, mit dem er auch am Ende zum Thema zurückkehrt – sehr kraftvolle Musik, und eben wie schon einige Male angemerkt, totale Musik, Musik die alle denkbaren Gefühlsregungen und Emotionen einzufangen scheint. Kaum ist der letzte Ton nach elf Minuten einigermassen verklungen beginnt Coltrane auch schon mit dem frenetischen Thema von „Leo“, das aus einem rhythmisch wiederholten Intervall, einer Art Stakkato, besteht. Sanders sprint ihm zur Seite, und ab geht die Post, für weitere 23 Minuten – schon klar, dass Wein langsam nervös wurde! Die Musik allerdings ist stark, macht dort weiter, wo die Village Vanguard Aufnahmen im Mai endeten, allerdings fehlen die zusätzlichen Klänge eines Perkussionisten, die Musik wirkt dadurch etwas mehr gerade aus (was nicht unbedingt ein Vorteil ist, da ja eben der Impetus, der Vorwärtsdrang, das was ich oben den Groove nenne, von Elvin Jones nicht mehr da ist).

    Aus dem Sommer 1966 ist anscheinend ein Band mit Duo-Aufnahmen von Coltrane und Larry Young (ein home recording bei einem der beiden daheim aufgenommen) erhalten, gehört hat das aber auch von den „Coltrane Reference“ Autoren keiner (S. 754).

    Vom 9.-24 Juli absolvierte das Quintett dann eine Tournee in Japan – mehr dazu im nächsten Post.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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