Bill Frisell

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  • #8372581  | PERMALINK

    friedrich

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    gypsy tail windBuster Keaton ist sowieso absolut phänomenal! …

    Wie Du die Frisell-CDs beschreibst, hätte ich allerdings wesentlich mehr Lust, die grandiosen Filme („Go West“ ist klasse, und das Drum-Solo könnte gut eine Szene mit wild herumrennenden Kühen untermalen) zur Musik mit gereicht zu kriegen (aber sowas wär wohl rechtlich enorm schwierig… Frisell darf die Filme nicht mitreichen, die DVDs kämen zu teuer, wenn mehr als die üblichen grässlichen Örgelimusik-Soundtracks gereicht würden).

    Es gibt eine Ausgabe dieser Filme mit der Musik von Bill Frisell. Soweit ich das erkennen kann, ist sie sogar noch erhältlich.

    http://www.billfrisell.com/merch/frisellkeatondvd.htm

    nail75Das ist ja mal cool – eine Besprechung von Bill Frisell-Platten ohne Have A Little Faith? Als nächstes eine Besprechung von Stereolab-Platten ohne Emperor Tomato Ketchup? ;-) :-)

    Touché! Aber mit Stereolab kann dieser faux pas ja gar nicht mehr passieren! ;-)

    nail75Have A Little Faith ist das leicht bessere This Land. Letzteres wurde übrigens vor „Faith“ aufgenommen, aber nach dessen Erscheinen veröffentlicht. In Stil und Ton sehr ähnlich, auch mit einer sehr ähnlichen Besetzung aufgenommen, aber mit Accordion statt Sax. Insgesamt kann man die Beschreibung von This Land weitgehend übernehmen, da gibt es keine fundamentalen Unterschiede. Die Coverversionen harmonieren trotz ihrer großen Vielfalt sehr gut miteinander.

    Ich habe in Faith nur mal sehr oberflächlich reingehört: Sie scheint etwas lebhafter als die überwiegend sehr ruhige This Land zu sein. Bill Frisell scheint mit diesen beiden Alben ein Stück weit das Terrain abzustecken, auf dem er sich von da an bewegen wird. Es gibt noch den Jazz, schon den Country&Western, das Filmische, die Popsongs, die etwas komplexeren Arrangements, auch eine Tendenz zu „Weltmusik“ und einiges andere mehr in unterschiedlichen Dosen. Vieles davon greift er später wieder auf.

    nail75Ich finden die Besprechungen super, freue mich schon sehr auf die richtig guten Frisell-Alben, deren erster Teil ja eben abgehandelt wurde.

    Danke!

    nail75Weitermachen! :-)

    Jawoll!

    Hier gibt es ein Video eines etwa 20-minütigen Soloauftritts von Bill Frisell, ein „Tiny Desk Concert“ im Wohnzimmer (oder so) von NPR mit Downloadmöglichkeit als mp3.

    http://www.npr.org/event/music/146156479/bill-frisell-tiny-desk-concert

    Nette Sache.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    #8372583  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    FriedrichEs gibt eine Ausgabe dieser Filme mit der Musik von Bill Frisell. Soweit ich das erkennen kann, ist sie sogar noch erhältlich.

    http://www.billfrisell.com/merch/frisellkeatondvd.htm

    Sehr cool, danke! Die muss her! :-)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #8372585  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    gypsy tail windSehr cool, danke! Die muss her! :-)

    Und gar nicht mal so teuer. Mein Mausfinger hat auch gezuckt und dann zugeschlagen.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372587  | PERMALINK

    friedrich

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    Das Spektrum von Bill Frisells Musik hat sich über die Jahre ja deutlich erweitert und verschoben. Schon die Alben, von denen ich bisher erzählt habe, weisen eine große stilistische Bandbreite auf und das Album Have A Little Faith, das ich ja leider – Schande über mich! – nicht kenne, scheint fast schon etwas von einem Manifest zu haben, wenn man mal die dort versammelten Kompositionen von Charles Ives über Muddy Waters bis zu Madonna betrachtet. Auf This Land hat er eigentlich etwas ähnliches gemacht, nur mit Eigenkompositionen. In den 90ern trat eine dieser vielen Stilrichtungen immer mehr in den Vordergrund. Das deutet sich auf This Land und den Soundtracks für Buster Keaton schon an. Aber dazu später.

    Bill Frisell Quartet (1996)

    Bill Frisell: e- + a-git; Eyvind Kang: v, tuba; Ron Miles: tp; Curtis Fowlkes: tb.

    Quartet hat noch einiges von This Land: Kompositionen mit einem Hang zum filmisch-athmosphärischen, was nicht wundert, da 11 von 13 Stücken tatsächlich Filmmusiken sind, davon wiederum 6 Stück für Trickfilme von Gary Larson und 2 für einen Film von Buster Keaton. Außerdem gibt es auch hier neben Bill Frisells Gitarre zwei Bläser und dazu noch einen Violinisten. Was es hingegen nicht gibt, ist eine Rhythmusgruppe. (Ich meine mich erinnern zu können, dass es zwischen Bill Frisell und seinen Begleitern Kermit Driscoll und Joey Baron Meinungsverschiedenheiten finanzieller Art gab, die dazu führten, dass sich das Trio trennte.) Das heißt aber nicht, dass diese hier fehlt. Keineswegs, denn diese Musik ist genau dieser Besetzung auf den Leib geschrieben, der Titel der Platte macht daraus ja sogar ein Programm. Und hier muss man dann auch endlich mal von Bill Frisell nicht nur als Gitarristen sondern vor allem als Komponisten und Arrangeur sprechen. Hier hat er fast ein kleines Orchester zur Verfügung, für das er vielstimmige Arrangements in dunklen Pastellfarben schreibt und die verschiedenen Stimmen sehr schön miteinander vermischt und zur Geltung bringt. Ganz großartige und reiche Klangwelt. Bill Frisell selbst schiebt sich als Leader sogar nur gelegentlich in den Vordergrund, eigentlich setzt die Gitarre bloß noch Spitzen. Und auch hier bedient sich Frisell aus dem Fundus traditioneller Americana: Zu In Deep könnte man einen Square Dance auf die Holzbohlen legen, Egg Radio klingt (trotz des Titels) wie ein weißer Gospel, bei dem ich am liebsten meinen Nächsten bei der Hand nehmen möchte und ein paar Minuten selig werde, Bob’s Monsters und The Gallows könnten auch gut den Soundtrack für einen desillusionierten Spät-Western abgeben (Michael Cimino, Clint Eastwood und Ennio Morricone gemeinsam in einem Film, wie wär’s?) und Coffaro’s Theme wird dann am Ende des Filmes bei der Beerdigung des tragischen Helden gespielt.

    Quartet ist sicher eine der ungewöhnlichsten und originellsten Platten von Bill Frisell. Eigentlich paradox: Einerseits bedient er sich verschiedener Versatzstücke Americana, verbindet das aber andererseits mit einer außergewöhnlichen Besetzung und entsprechenden Arrangements und schafft damit etwas ganz besonderes. Quartet ist mir eins der liebsten Bill Frisell-Alben.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372589  | PERMALINK

    nail75

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    Quartet ist in der Tat ein schönes Album, wirklich ganz anders als fast alle anderen Alben von Frisell. Interessant ist, dass Frisell sich selbst sehr zurücknimmt, manchmal glaubt man, er spielt gar nicht mit, sondern dirigiert nur. Ist vielleicht für diejenigen geeignet, die ansonsten von Frisell gar nichts halten.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #8372591  | PERMALINK

    friedrich

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    nail75Quartet ist in der Tat ein schönes Album, wirklich ganz anders als fast alle anderen Alben von Frisell. Interessant ist, dass Frisell sich selbst sehr zurücknimmt, manchmal glaubt man, er spielt gar nicht mit, sondern dirigiert nur. Ist vielleicht für diejenigen geeignet, die ansonsten von Frisell gar nichts halten.

    Bill Frisell ist Teil des Quartetts und es steht die Musik dieses Quartetts im Vordergrund, nicht die eines Solisten mit Begleitung. Wenngleich er sich als einziger in der Besetzung, der kein Blasinstrument spielt, auch etwas abhebt.

    Ich weiß nicht, ob ich Quartet jemanden empfehlen würde, der ansonsten von Bill Frisell nichts hält. Auch Quartet hat ja ein paar typische Frisellismen und nur weil sie eine ungewöhnliche Besetzung hat, muss sie ja nicht den Geschmack eines Frisell-Verächters treffen. Aber auf jeden Fall ist Quartet eine sehr hörenswerte Platte – für solche, die Frisell mögen sowieso und vielleicht auch für andere.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372593  | PERMALINK

    friedrich

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    Nashville (1997)

    Bill Frisell: e- + a-git; Viktor Krauss: b; Jerry Douglas: dobro; Ron Block: banjo, git; Adam Steffey: mandolin; Robin Holcomb: voc; Pat Bergeson: harm.

    Nicht alle Musiker (außer Frisell und Krauss) spielen auf allen Tracks. Robin Holcomb ist z.B. nur auf drei von 14 Stücken zu hören, Bergeson nur auf zwei Tracks.

    Gehört diese Platte überhaupt hier ins Jazz-Forum oder wäre sie im Country & Western-Forum besser aufgehoben? Eins steht jedenfalls fest. Auf Nashville wird zum Programm, was auf vorhergehenden Platten erst latent zu hören war: Bill Frisell goes Country & Western! Sowohl Titel als auch Cover zitieren Bob Dylans Nashville Skyline von 1969, mit dem dieser in bewegten Zeiten seinen Fans vor den Kopf stieß, indem er seine öffentliche Person vom widerspenstigen Bohemien zum scheinbar naiven Landei wandelte. 1997 waren die Zeiten nicht mehr so bewegt und entsprechend kleiner wird der Schock ausgefallen sein, den Bill Frisells Nashville auslöste – mal ganz davon abgesehen, dass Bill Frisell nicht den ikonenhaften Status innehat und auch nicht annähernd die Popularität genießt wie Bob Dylan.

    Auf (und in) Nashville trifft Bill Frisell sich mit einigen Koryphäen des C&W wie dem Dobro-Spieler Jerry Douglas und dem Banjo-Spieler Ron Block, beides Mitglieder der Band von Alison Krauss, ihrerseits eine sehr erfolgreiche Sängerin und Violinistin in einem eher traditionell orientierten Teil der C&W-Szene. (Das musste ich alles erst googlen, wenn jemand Ergänzungen hat, bitteschön …). Bill Frisell spielt auf diesem Album in aller Ruhe das Spektrum von C&W, Bluegrass und auch mal einen kleinen Einschlag Blues (fast hätte ich gesagt CBGB ;-)) in verschiedenen Instrumentenkombinationen durch. Mal nur Gitarre, Dobro und Bass, mal Gitarre, Banjo, Mandoline, Bass und Harmonica und auf drei Stücken stellt die Band die Begleitung für die Sängerin Robin Holcomb, die mit engelsgleicher Country-Girl Stimme ein Stück von Neil Young und zwei – vermute ich mal – Country-Standards zum Besten gibt. Manches ist eher am Songformat orientiert, manches scheint eher gemeinsam über einen understateten Groove improvisiert zu sein, vor allem bei den längeren Stücken Pipe Down und Dogwood Acres – und da bekommt es dann sogar eine gewisse Jazz-Qualität. Das klingt manchmal als sei man bei den Waltons zu Gast, manchmal aber auch so als lauert in dem alten Haus down the road ein wahnsinniger Mörder – jedenfalls erzählen sich das die Leute.

    Aus Jazz-Sicht sicher eine gewöhnungsbedürftige Platte. Mir scheint es so als nähert sich Bill Frisell auf Nashville dem C&W so ähnlich wie sich Steven Bernstein auf Diaspora Soul traditioneller jüdischer Musik nähert. Das erscheint für mich als C&W-Laien zunächst mal sehr bodenständig und authentisch, gleichzeitig exotisch (zumindest im Jazzkontext), dann auch wieder vertraut (denn u.a. Bob Dylan und Neil Young sind Teil meiner musikalischen Sozialisation), manchmal naiv und sentimental, manchmal aber auch sehr tiefsinnig, so als verberge sich eine uralte Tradition in dieser Musik, von der ich nur die Oberfläche erkennen kann. Wahrscheinlich ist es aber weder bodenständig noch authentisch, sondern mindestens einmal um die Ecke gedacht. Man darf nicht vergessen, dass Bill Frisell noch ein paar Jahre zuvor u.a. in der postmodernen Jazz-meets-Metal-meets-Morricone-Combo Naked City gespielt hat. Das tut der Schönheit der Musik aber keinen Abbruch – vielleicht wird sie sogar dadurch erst richtig interessant. Zumindest für mich.

    Pipe Down: http://www.youtube.com/watch?v=sf4kRYhRMno&feature=related

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372595  | PERMALINK

    friedrich

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    Nashville scheint hier nicht besonders viele Freunde zu haben. Vielleicht sollte man damit tatsächlich mal im Country & Western-Forum anklopfen?

    Ergänzen möchte ich noch, dass Nashville von Wayne Horvitz produziert wurde, und nicht von Lee Townsend, der sonst fast alle Alben Bill Frisells produziert. WH spielte bereits mit Bill Frisell bei Naked City, ist hauptberuflich zwar Keyboarder, hat aber auf Nashville das filigrane Gewebe der verschiedenen Saiteninstrumente von Gitarre über Dobro und Mandoline bis Bass sehr schön abgebildet. Muss man ja auch mal anerkennen.

    Good Dog, Happy Man (1999)

    Bill Frisell: e- + a-git, diverses aus der elektronischen Trickkiste; Greg Leisz: pedal steel, dobro, lap steel, git, mandolin u.a.; Wayne Horvitz: kb; Viktor Krauss: b; Jim Keltner: dr. Als special guest Ry Cooder: git.

    Good Dog, Happy Man enthält Songs ohne Worte und auch auf Good Dog, Happy Man herrscht vor allem Country & Western vor, mit ein paar Abstechern in angrenzende Bereiche wie Folk und Blues. Im Gegensatz zu Nashville arbeitet BF hier aber nicht mit changierenden Besetzungen, sondern durchgehend mit der gleichen Band (Ausnahmen: Shenandoah, wo Ry Cooder Greg Leisz ersetzt und das Titelstück, welches ein Duo von Greg Leisz und Bill Frisell ist).

    Jim Keltner ist wohl der Session Drummer schlechthin, der schon mit allen und jedem gespielt hat von Bob Dylan über John Lennon und Brian Wilson bis zu Steely Dan. Ein fast schon eigenartig zurückhaltender Drummer, der mit der Präzision und Zuverlässigkeit einer Nähmaschine im Hintergrund werkelt und eine außerordentlich mannschaftsdienliche Leistung erbringt. Auch die Beiträge von Wayne Horvitz und Viktor Krauss, der auch schon auf Nashville dabei war, fallen eher understated aus. Im Vordergrund stehen klar Bill Frisell und der zweite Gitarrist und Multi-Instrumentalist Greg Leisz, seinerseits eine Art Institution in Sachen Saiteninstrumente aller Art, dessen Referenzliste als Sideman u.a. Beck, John Fogerty, Emmylou Harris, Alison Krauss, Joni Mitchell und Wilco aufzählt, um nur ein paar Namen zu nennen, die mir etwas sagen.

    Ich bekenne, dass mich God Dog, Happy Man bei den ersten paar Mal Hören enttäuscht hat. Das fließt alles so entspannt und ohne besonders hervorstechende Höhepunkte dahin, dass es auch leicht als bloße Hintergrundberieselung zum Feierabend durchgehen kann. Und vielleicht ist das auch ein Teil der Wahrheit. Einiges klingt ja auch hier wieder sentimental und gefällig und Shenandoah würde mir mit etwas weniger Hall sicher besser gefallen. Wenn man diese Platte aber öfter und intensiver hört, scheinen viele Stücke langsam etwas preiszugeben, das an der Oberfläche nicht so ohne weiteres erkennbar ist: Der understatete Funk von Big Shoe, der langsame heavy Groove von Cadillac 1959 (ein offenbar ebenso behäbiger wie imposanter Straßenkreuzer), der klingt wie ZZ Top in Superzeitlupe, die unheimliche Tristesse von Cold, Cold Ground oder die rührende Melodie von Poem for Eva. Das gesamte Album durchzieht ein langsam auf- und abschwellender Spannungsbogen, auf den man sich erst mal einlassen muss. Und das alles mit einem fein gewobenen Zusammenspiel der beiden Gitarristen, die aus ihrem Instrumentarium eine reiche Vielfalt von Tönen und Klangfarben herauskitzeln. Das hat etwas Feinmechanisches oder etwas von einer meisterhaften Handwerksarbeit, die oberflächlich nur routiniert erscheint und deren Qualität man erst durch genaueres Hinhören erkennt.

    Good Dog, Happy Man scheint wohl so etwas wie die Konsensplatte von Bill Frisell zu sein. Nachvollziehbar, den GDHM ist eine wirklich runde Sache. Vermutlich the defining moment von Bill Frisells C&W Phase.

    Hier gibt es ein paar song samples:

    http://www.billfrisell.com/discography/good-dog-happy-man

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372597  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Weiter geht’s auf meinem (Fast-)Alleinflug durch das Oeuvre von Bill Frisell. Das hier besprochene Album passt da ganz gut.

    Ghost Town (2000)

    Bill Frisell: e- + a-git, banjo, b, diverses aus der elektronischen Trickkiste.

    Hank Williams’ I’m So Lonesome I Could Cry ist einer der Standards, die Bill Frisell auf Ghost Town spielt. Ein anderer ist My Man’s Gone Now von George Gershwin. Damit ist nicht nur die melancholische Stimmung dieses Albums definiert, es wird zumindest auch ein Hinweis auf das Spannungsverhältnis gegeben, in dem es sich Bill Frisell auf Ghost Town bewegt. Country & Western einerseits, Jazz andererseits, wobei beide Genres hier sehr frei interpretiert werden. Die Harmonien scheinen aus dem C&W zu kommen, aber der improvisatorische Ansatz ist jazzig.

    Auf dem Cover sieht man ein paar geisterhafte Kobolde in einer nächtlichen Landschaft und man weiß nicht so recht, ob sie freundlich gesinnt sind oder eher den Dolch im Gewande tragen. Auf jeden Fall illustrieren sie die Musik auf Ghost Town sehr gut, denn auch diese changiert zwischen dem Vertrauten und Harmlosen, manchmal vielleicht sogar Naiven einerseits und dem Unheimlichen und Unverständlichem andererseits.

    Williams’ I’m So Lonesome I Could Cry und My Man’s Gone Now sind auch gleichzeitig zwei der wenigen auskomponierten Stücke auf Ghost Town. Es finden sich neben einem weiteren Cover (Wildwood Flower von A.P. Carter) zwar noch ein paar andere Kompositionen von Bill Frisell auf Ghost Town, die er schon vorher in anderen Besetzungen aufgenommen hat (Variation on A Theme von Quartet und Poem For Eva von Good Dog, Happy Man). Aber egal ob durchkomponiert oder nicht, scheint Bill Frisell hier eher über den Melodien zu improvisieren und zu meditieren als dass er wirklich an einem Ergebnis interessiert ist. Mal begleitet er sich dabei per overdub selbst auf Gitarre, Bass oder Banjo, mal ist die elektronische Trickkiste sein einziger Begleiter. Auf Winter Always Turns To Spring und Under A Golden Sky entfernt er sich dann auch völlig von irgendetwas, das man noch Song nennen könnte, sondern erzeugt ein Klanggewebe, das wohl näher an Brian Eno oder zeitgenössischer Electronica ist als an Jazz oder C&W.

    Skizzen, Fragmente, manchmal bloß kleine Motive mit denen kurz gespielt wird, nur dem eigenen Rhythmus folgend, alles sehr introvertiert und verträumt, zart und zerbrechlich, manchmal sentimental, manchmal heiter aber manchmal auch gruselig. Bill Frisell ganz mit sich allein zuhause. Sicher das feinste und damit auch unscheinbarste aller seiner Alben aber für mich gerade dadurch eins der am meisten anrührenden.

    Auf amazon.com gibt es mehr als 30 Reviews von Ghost Town, die zwar überwiegend positiv sind, es gibt aber neben ein paar mittelmäßigen Beurteilungen auch eine ganze Reihe Totalverrisse. „This album is sparse, moody, reverberant, funereal, repetitious.“ und „Listening to this will take an hour from your life you can never get back.“ sind zwei Zitate aus einem 1-Stern-von-5-Sternen-Review. Inhaltlich würde ich da nicht widersprechen. Nur würde ich es genau umgekehrt bewerten.

    Ghost Town / Poem For Eva: http://www.youtube.com/watch?v=u71dKeVKEls

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372599  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

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    Das sind eigentlich zwei meiner liebsten Frisell-Alben. Good Dog und Ghost Town sind atmosphärisch gar nicht weit von einander entfernt. Es sind Meditationen im von Frisell erfundenen C&W meets Jazz-Stil. Sie sind unscheinbar, manchmal fast etwas flüchtig, aber sie besitzen auch viel Tiefe. Das hast Du schön beschrieben.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #8372601  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Nur ein kurzer Zwischenruf … ich bin hier grad einigermassen überfordert, werde aber gerne mehr lesen und auch kommentieren, wenn ich mich mal wieder ausgiebiger mit Frisell befasse.

    Letzte Woche habe ich mir immerhin „Have a Little Faith“ und „Gone Just Like a Train“ gekauft und beide uach schon mal angehört (letztere kannte ich bereits).

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    #8372603  | PERMALINK

    friedrich

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    nail75Good Dog und Ghost Town sind atmosphärisch gar nicht weit von einander entfernt. Es sind Meditationen im von Frisell erfundenen C&W meets Jazz-Stil. Sie sind unscheinbar, manchmal fast etwas flüchtig, aber sie besitzen auch viel Tiefe. Das hast Du schön beschrieben.

    Das Wort „flüchtig“ finde ich in diesem Zusammenhang sehr schön und passend. Auf Ghost Town befinden sich lauter kleine Bagatellen, die mit Mut zum Unvolkommenen vorgetragen werden. Good Dog schöpft zwar aus dem gleichen Materialpool, ist aber durchkomponiert und -arrangiert, mit kompletter Band, und damit ein fertiges Werk. Ähnlich sind sich die beiden Platten, was aber den Reiz ausmacht, ist der feine Unterschied.

    gypsy tail windLetzte Woche habe ich mir immerhin „Have a Little Faith“ und „Gone Just Like a Train“ gekauft und beide uach schon mal angehört (letztere kannte ich bereits).

    Ich kenne beide Platten nicht. Wenn Du mit Morton Feldman ferig bist – aber das kann einige Zeit dauern ;-) – würde ich gerne etwas von Dir dazu lesen.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8372605  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Hab grad zu Steely Dan gewechselt … das ist ja schon der halbe Weg :-)
    Ich schreibe aber später gerne mal was.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #8372607  | PERMALINK

    friedrich

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    FriedrichHank Williams’ I’m So Lonesome I Could Cry ist einer der Standards, die Bill Frisell auf Ghost Town spielt. Ein anderer ist My Man’s Gone Now von George Gershwin.

    … nur dem eigenen Rhythmus folgend, alles sehr introvertiert und verträumt, zart und zerbrechlich, manchmal sentimental, manchmal heiter aber manchmal auch gruselig.

    Ich erlaube mir mal, mich selbst zu zitieren. Es gibt natürlich ein eigentlich ganz offensichtliches Thema auf Ghost Town, bloß das Wort dafür ist noch nicht gefallen: Einsamkeit. Muss man einfach mal aussprechen. Bill Frisell tut es.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    friedrich

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    Ich springe chronologisch mal etwas umher: Bill Frisells Album Intercontinentals ist noch in der Post. Seit ein paar Tagen läuft aber Unspeakable, das erst nach Intercontinentals erschien, bei mir in der heavy rotation. Beiden Alben ist wohl gemein, dass Bill Frisell sich damit zumindest vorübergehend von dem Americana-Idiom abwendet, das er die Jahre zuvor ausgiebig gepflegt hatte. Ein guter Zug, denn irgendwann ist eine Sache auch ausgereizt und auch mir wurde Bill Frisell damit etwas zu vorhersehbar.

    Unspeakable (2004)

    Bill Frisell: git; Hal Willner: turntables, samples, prod.; Tony Scherr: b.; Kenny Wollesen: dr.; Don Alias: perc.; Steven Bernstein: tp; Briggan Krauss: b-sax.; Curtis Fowlkes: tb.; Adam Dorn: synth.; The 858 Strings: Jenny Scheinman: violin; Eyvind Kang: viola; Hank Roberts: cello

    Wenn Bill Frisell auf Ghost Town ganz alleine zuhause war, so ist er auf Unspeakable in zahlreicher Begleitung in der großen Stadt unterwegs. Das Cover zeigt eine Collage von all dem urbanen sozialen Mix der Großstadt mit verschiedenen Hautfarben, Kopfbedeckungen, Haar- und Barttrachten, Hund und Katz, allerlei sonstigem Beiwerk sowie Häuser und Autos, die allerdings allesamt so aussehen, wie Bill Frisell sie wohl aus seiner Kindheit in Erinnerung hat. Darüber ein Werbebanner mit Bill Frisells Namenszug. Eine freundliche Bilderbuchversion von Großstadt.

    Insgesamt sind 12 Musiker an Unspeakable beteiligt, darunter 3 Bläser (u.a. Steven Bernstein und außerdem mit Tony Scherr und Kenny Wollesen noch zwei andere Mitglieder von dessen Band Sexmob) und drei Streicher. Eine Sonderrolle hat dabei Hal Willner als Produzent, der nicht nur mit turntables und samples mitmischt sondern auch als Autor oder Co-Autor einiger Stücke genannt wird. Eher eine Platte von Hal Willner als von Bill Frisell also? Auf jeden Fall ist der Einfluss Hal Willners, der Alben u.a. von und/oder mit Laurie Anderson, Lou Reed, Brian Eno, Allen Ginsberg, Wynton Marsalis, John Zorn und Sun Ra oder tributes für Thelonious Monk, Kurt Weill oder die Filmmusiken von Walt Disney-Filmen produziert hat, mehr als deutlich zu hören. Er platziert Bill Frisell auf Unspeakable in teils sehr unterschiedliche musikalische Zusammenhänge. Eine Grundzutat scheint dabei der orchestrale Soul im Stile von Curtis Mayfield und Issac Hayes zu sein, der aber mit Elementen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen versetzt wird: Gleitet das erste Stück 1968 noch etwas gefällig und unverbindlich daher (und das bei diesem Titel?), so hat White Fang einen schwer groovenden Beat mit fetten Bläsern und einem Bill Frisell, der endlich mal wieder kräftig in die Saiten greift. Auf Stringbeam setzt Hal Willner loops ein, auf die BF mit dissonanten Sounds antwortet, bei Who Was That Girl? erwartet man fast schon den Gesang von Curtis Mayfield und Fields Of Alfalfa kommt mit einem – gesampelten – orientalisch wirkenden Flötensound daher. Old Sugar Bear windet sich erst minutenlang aus einem formlosen Gewaber heraus, bis Bill Frisell die Saiten kreischen und Hal Willner die gesampleten Bläser schmettern lässt. Darunter mischen sich immer wieder kleine musikalische Skizzen wie das nur von Bill Frisell und den drei Streichern gespielte Hymn For Ginsberg oder Gregory B. und D. Sharpe, die fast so klingen, wie die musikalischen Meditationen von Ghost Town – nur hier eben in Begleitung von Streichern und/oder den samples und turntables von Hal Willner.

    Es gibt auf Unspeakable keine herausragenden Solo-Leistungen zu hören, selbst Bill Frisell ist nur eine Stimme unter vielen, die sich nur gelegentlich etwas in den Vordergrund spielt. Die Platte ist von Bill Frisells vorhergehenden Americana-Aufnahmen ebenso weit entfernt wie von Jazz. Unspeakable ist eher eine eklektizistische Pop-Produktion mit aufwändigen Arrangements und Overdubs (die Platte ist zum größten Teil in Kalifornien aufgenommen, die Bläser aber komplett in New York), die Elemente aus Jazz, Rock, R&B und „World“ integriert und mit den drei Streichern klingt das sogar manchmal wie klassische Kammermusik. Hier und da wirkt das zwar auch etwas beliebig und gefällig, aber dann gibt es auch wieder Momente, wo es richtig kracht. Eine ebenso gelungene wie willkommene Abwechslung in Bill Frisells Werk, die in dieser Art meines Wissens einzigartig ist. Amüsante Platte

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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