Re: Bill Frisell

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friedrich

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Das Spektrum von Bill Frisells Musik hat sich über die Jahre ja deutlich erweitert und verschoben. Schon die Alben, von denen ich bisher erzählt habe, weisen eine große stilistische Bandbreite auf und das Album Have A Little Faith, das ich ja leider – Schande über mich! – nicht kenne, scheint fast schon etwas von einem Manifest zu haben, wenn man mal die dort versammelten Kompositionen von Charles Ives über Muddy Waters bis zu Madonna betrachtet. Auf This Land hat er eigentlich etwas ähnliches gemacht, nur mit Eigenkompositionen. In den 90ern trat eine dieser vielen Stilrichtungen immer mehr in den Vordergrund. Das deutet sich auf This Land und den Soundtracks für Buster Keaton schon an. Aber dazu später.

Bill Frisell Quartet (1996)

Bill Frisell: e- + a-git; Eyvind Kang: v, tuba; Ron Miles: tp; Curtis Fowlkes: tb.

Quartet hat noch einiges von This Land: Kompositionen mit einem Hang zum filmisch-athmosphärischen, was nicht wundert, da 11 von 13 Stücken tatsächlich Filmmusiken sind, davon wiederum 6 Stück für Trickfilme von Gary Larson und 2 für einen Film von Buster Keaton. Außerdem gibt es auch hier neben Bill Frisells Gitarre zwei Bläser und dazu noch einen Violinisten. Was es hingegen nicht gibt, ist eine Rhythmusgruppe. (Ich meine mich erinnern zu können, dass es zwischen Bill Frisell und seinen Begleitern Kermit Driscoll und Joey Baron Meinungsverschiedenheiten finanzieller Art gab, die dazu führten, dass sich das Trio trennte.) Das heißt aber nicht, dass diese hier fehlt. Keineswegs, denn diese Musik ist genau dieser Besetzung auf den Leib geschrieben, der Titel der Platte macht daraus ja sogar ein Programm. Und hier muss man dann auch endlich mal von Bill Frisell nicht nur als Gitarristen sondern vor allem als Komponisten und Arrangeur sprechen. Hier hat er fast ein kleines Orchester zur Verfügung, für das er vielstimmige Arrangements in dunklen Pastellfarben schreibt und die verschiedenen Stimmen sehr schön miteinander vermischt und zur Geltung bringt. Ganz großartige und reiche Klangwelt. Bill Frisell selbst schiebt sich als Leader sogar nur gelegentlich in den Vordergrund, eigentlich setzt die Gitarre bloß noch Spitzen. Und auch hier bedient sich Frisell aus dem Fundus traditioneller Americana: Zu In Deep könnte man einen Square Dance auf die Holzbohlen legen, Egg Radio klingt (trotz des Titels) wie ein weißer Gospel, bei dem ich am liebsten meinen Nächsten bei der Hand nehmen möchte und ein paar Minuten selig werde, Bob’s Monsters und The Gallows könnten auch gut den Soundtrack für einen desillusionierten Spät-Western abgeben (Michael Cimino, Clint Eastwood und Ennio Morricone gemeinsam in einem Film, wie wär’s?) und Coffaro’s Theme wird dann am Ende des Filmes bei der Beerdigung des tragischen Helden gespielt.

Quartet ist sicher eine der ungewöhnlichsten und originellsten Platten von Bill Frisell. Eigentlich paradox: Einerseits bedient er sich verschiedener Versatzstücke Americana, verbindet das aber andererseits mit einer außergewöhnlichen Besetzung und entsprechenden Arrangements und schafft damit etwas ganz besonderes. Quartet ist mir eins der liebsten Bill Frisell-Alben.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)