Re: Bill Frisell

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friedrich

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Nashville (1997)

Bill Frisell: e- + a-git; Viktor Krauss: b; Jerry Douglas: dobro; Ron Block: banjo, git; Adam Steffey: mandolin; Robin Holcomb: voc; Pat Bergeson: harm.

Nicht alle Musiker (außer Frisell und Krauss) spielen auf allen Tracks. Robin Holcomb ist z.B. nur auf drei von 14 Stücken zu hören, Bergeson nur auf zwei Tracks.

Gehört diese Platte überhaupt hier ins Jazz-Forum oder wäre sie im Country & Western-Forum besser aufgehoben? Eins steht jedenfalls fest. Auf Nashville wird zum Programm, was auf vorhergehenden Platten erst latent zu hören war: Bill Frisell goes Country & Western! Sowohl Titel als auch Cover zitieren Bob Dylans Nashville Skyline von 1969, mit dem dieser in bewegten Zeiten seinen Fans vor den Kopf stieß, indem er seine öffentliche Person vom widerspenstigen Bohemien zum scheinbar naiven Landei wandelte. 1997 waren die Zeiten nicht mehr so bewegt und entsprechend kleiner wird der Schock ausgefallen sein, den Bill Frisells Nashville auslöste – mal ganz davon abgesehen, dass Bill Frisell nicht den ikonenhaften Status innehat und auch nicht annähernd die Popularität genießt wie Bob Dylan.

Auf (und in) Nashville trifft Bill Frisell sich mit einigen Koryphäen des C&W wie dem Dobro-Spieler Jerry Douglas und dem Banjo-Spieler Ron Block, beides Mitglieder der Band von Alison Krauss, ihrerseits eine sehr erfolgreiche Sängerin und Violinistin in einem eher traditionell orientierten Teil der C&W-Szene. (Das musste ich alles erst googlen, wenn jemand Ergänzungen hat, bitteschön …). Bill Frisell spielt auf diesem Album in aller Ruhe das Spektrum von C&W, Bluegrass und auch mal einen kleinen Einschlag Blues (fast hätte ich gesagt CBGB ;-)) in verschiedenen Instrumentenkombinationen durch. Mal nur Gitarre, Dobro und Bass, mal Gitarre, Banjo, Mandoline, Bass und Harmonica und auf drei Stücken stellt die Band die Begleitung für die Sängerin Robin Holcomb, die mit engelsgleicher Country-Girl Stimme ein Stück von Neil Young und zwei – vermute ich mal – Country-Standards zum Besten gibt. Manches ist eher am Songformat orientiert, manches scheint eher gemeinsam über einen understateten Groove improvisiert zu sein, vor allem bei den längeren Stücken Pipe Down und Dogwood Acres – und da bekommt es dann sogar eine gewisse Jazz-Qualität. Das klingt manchmal als sei man bei den Waltons zu Gast, manchmal aber auch so als lauert in dem alten Haus down the road ein wahnsinniger Mörder – jedenfalls erzählen sich das die Leute.

Aus Jazz-Sicht sicher eine gewöhnungsbedürftige Platte. Mir scheint es so als nähert sich Bill Frisell auf Nashville dem C&W so ähnlich wie sich Steven Bernstein auf Diaspora Soul traditioneller jüdischer Musik nähert. Das erscheint für mich als C&W-Laien zunächst mal sehr bodenständig und authentisch, gleichzeitig exotisch (zumindest im Jazzkontext), dann auch wieder vertraut (denn u.a. Bob Dylan und Neil Young sind Teil meiner musikalischen Sozialisation), manchmal naiv und sentimental, manchmal aber auch sehr tiefsinnig, so als verberge sich eine uralte Tradition in dieser Musik, von der ich nur die Oberfläche erkennen kann. Wahrscheinlich ist es aber weder bodenständig noch authentisch, sondern mindestens einmal um die Ecke gedacht. Man darf nicht vergessen, dass Bill Frisell noch ein paar Jahre zuvor u.a. in der postmodernen Jazz-meets-Metal-meets-Morricone-Combo Naked City gespielt hat. Das tut der Schönheit der Musik aber keinen Abbruch – vielleicht wird sie sogar dadurch erst richtig interessant. Zumindest für mich.

Pipe Down: http://www.youtube.com/watch?v=sf4kRYhRMno&feature=related

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)