Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › "Nimm mich so wie ich bin"? – Die Definition von Schlager (und Pop)
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redbeansandricehmmm, was ist denn, wenn Sinatra, Bing Crosby… Stücke aus Broadway Musicals singen, ist das wirklich systematisch was anderes? ist die Wurzel des Problems, das unsere Operetten hinterherhinkten, dass „Dein ist mein Ganzes Herz“ eben kein Summertime ist?
Es ist eher so, dass die Broadway-Musicals sich mehr an den witzigen (und gewitzten) Operetten von Gilbert & Sullivan orientierten und diese mit Elementen aus dem Jazz anreicherten, während man sich in Deutschland tendenziell nur an die Berliner und Wiener Operette hielt.
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Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1988, S.531)Highlights von Rolling-Stone.de„I Put A Spell On You“ von Screamin‘ Jay Hawkins: Horror-Heuler
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Werbung1. Der Begriff „Schlager“ mag ursprünglich dem englischen Begriff „Hit“ ähnlich gewesen sein, aber heute verwendet ihn kein Mensch mehr in diesem Sinn. Niemand sagt: „Satellite ist ein internationaler Schlager“ um auszudrücken, dass das Lied international erfolgreich ist.
2. Schlager bezeichnet heute ein Genre deutschsprachiger Unterhaltungsmusik, wie es Rob Flemming ausgedrückt hat. Warum ich hier auf dem eigentlich von mir häufig kritisierten Wort „Unterhaltung“ bestehe, werde ich noch erläutern. Ursprünglich, in den 1950ern und 1960ern) mögen die Grenzen zwischen englischsprachiger Popmusik und deutschem Schlager fließend gewesen sein („Komm gib mir Deine Hand“). Aber seitdem haben sich Schlager und internationaler Pop zunehmend auseinandergelebt. Das beste Beispiel ist eigentlich die Cindy & Bert Version von „Paranoid“, die ja alles wirklich beunruhigende des Originals weglässt und selbst die Bedrohlichkeit eher als Kuriosität betrachtet und dementsprechen verwässert, so dass sich niemand erschrickt. Selbst der absolut minimale politische Gehalt von „Looking For Freedom“ wurde in der deutschen Version „Auf der Straße nach Süden“ vollkommen entfernt und stattdessen mit dem beliebten Thema „Urlaub“ angefüllt.
3. Es gab mal eine Dokumentation des SWR über Schlager und da wurde vollkommen richtig die begrenzte Sprache des Schlagers in den Mittelpunkt gestellt: Mutter, Familie, Harmonie, Liebe, Urlaub, Süden, Heimat, wohliger Liebeskummer, das sind so die klassischen Themen. Es gibt – mit ganz wenigen Ausnahmen – keinen politischen Schlager, keinen: „Ich schlage ihr den Kopf mit dem Vorschlaghammer ein“-Schlager und keinen verzweifelten Schlager. Alles wird mit einem Lächeln präsentiert, wie beim Synchronschwimmen. Im Einzelfall mag die Abtrennung schwierig sein, als Genre lässt sich nichts so leicht definieren, wie der Schlager, weil die Bräsigkeit dieser Musik so offensichtlich ist.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.otisKrass und gewollt deutlich wurde das ja bei Da Da Da. Hier wurde ganz bewusst die musikalische und textliche Einfachheit des Schlagers überboten, war eine ironische Metaebene erreicht, die natürlich kein Schlager mehr war.
Genau. Und ich wage zu behaupten, dass Stefan Remmler das auch später noch weitergeführt hat, mit Stücken wie „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ oder „Keine Sterne in Athen“ – die Ironie ist (hoffentlich!) immer noch da, wenn auch nicht mehr ganz so subtil wie bei Trio.
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Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1988, S.531)otisJ
Schlager als solcher ist ein deutsches Phänomen in meinen Augen.
Haben die Italiener in den 50er und 60er Jahren nicht auch haufenweise Schlager produziert? Domenico Modugno oder Rocco Granata? Später Oliver Onions?
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Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the blockRob Fleming….
Seit den siebzigern hat der Schlager allerdings einen etwas schalen Beigeschmack bekommen, zeichnet er sich doch seit dieser Zeit vor allem durch belanglose Texte, die fast ausschließlich von Liebe und Liebesleid drehen, aus und ist musikalisch recht simpel und austauschbar gestrickt.
Insgesamt also Lieder mit einem hohen Mitklatsch- und Mitsing-Faktor…Dünnes Eis! Das trifft auch auf eine große Zahl englischer Songs zu, er hört sich in englisch nur cooler an.
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nail75Es gibt – mit ganz wenigen Ausnahmen – keinen politischen Schlager, keinen: „Ich schlage ihr den Kopf mit dem Vorschlaghammer ein“-Schlager und keinen verzweifelten Schlager. Alles wird mit einem Lächeln präsentiert, wie beim Synchronschwimmen.
Ui, da begibst du dich aber auf ganz dünnes Eis. Gerade die ganz frühen Schlager in den 20er Jahren waren durchaus frech. Und wenn man sich mal Schlager aus der Zeit des Nationalsozialismus anhört, da gab es neben den Propaganda-Durchhalte-Schlagern auch viel Kritisches – natürlich immer vorsichtig und mit dem von dir richtig beschriebenen Lächeln im Gesicht, damit man nicht gleich ins KZ kam…
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Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1988, S.531)Mick67Dünnes Eis! Das trifft auch auf eine große Zahl englischer Songs zu, er hört sich in englisch nur cooler an.
Korrekt, ich sage nur „Satellite“…
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Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1988, S.531)nail75
3. Es gab mal eine Dokumentation des SWR über Schlager und da wurde vollkommen richtig die begrenzte Sprache des Schlagers in den Mittelpunkt gestellt: Mutter, Familie, Harmonie, Liebe, Urlaub, Süden, Heimat, wohliger Liebeskummer, das sind so die klassischen Themen. Es gibt – mit ganz wenigen Ausnahmen – keinen politischen Schlager, keinen: „Ich schlage ihr den Kopf mit dem Vorschlaghammer ein“-Schlager und keinen verzweifelten Schlager. Alles wird mit einem Lächeln präsentiert, wie beim Synchronschwimmen. Im Einzelfall mag die Abtrennung schwierig sein, als Genre lässt sich nichts so leicht definieren, wie der Schlager, weil die Bräsigkeit dieser Musik so offensichtlich ist.Manchmal spielen ernste Themen aber schon eine Rolle: zum Beispiel Drogentod wie inAm Tag als Conny Kramer starb. Das sind wohl auch eher Ausnahmen.
Ein politischer Schlager wäre für mich Bruttosozialprodukt von Geier Sturzflug.
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redbeansandrice
ich als Rheinländer hab die Karnevalslieder immer als die lokale traditionelle Musikkultur empfunden, Ze Foß noh Kölle jonn, die meisten heute gebräuchlichen sind natürlich jünger…. und was ist mit Seemannszeug in Norddeutschland…Diese Traditionen gab es, aber sie hatten zwischen 1920 und 1970 kaum Einfluss auf die dt. Unterhaltungsmusik, nicht mal die süddt. Musikkultur hatte das.
In England gab es immer auch den Folk der belebend war, in den Staaten erst recht. Hier nicht. Erst als diese tradtionelle Kultur einbezogen wurde, änderte sich das. Im Süden waren es Sparifankal, Haindling etc., im Westen der Karnevals-Pop der Bläck Fööss oder dann BAP etc.
(Gab es sowas im Norden auch?)
Bei solcher Musik würde ich dann ganz schnell auch nicht mehr von Schlager sprechen.redbeansandricehmmm, was ist denn, wenn Sinatra, Bing Crosby… Stücke aus Broadway Musicals singen, ist das wirklich systematisch was anderes? ist die Wurzel des Problems, das unsere Operetten hinterherhinkten, dass „Dein ist mein Ganzes Herz“ eben kein Summertime ist?
am Rande, ich hab neulich auf WDR4 die Wise guys gehört…
Mit coleporters Antwort kann ich leben.
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FAVOURITESGefährlicheBohnenWürdest Du die in den Schlager-Kontext einordnen ? Für mich sind die eher Musikkabarett, wenn man das so sagen darf.
nein, sicherlich nicht, da sind wir uns einig… die Frage, wo der Schlager heute überlebt hat, find ich allerdings nicht ganz so einfach… wie ich mit dem nennen von Juli oder Silbermond vorhin schon andeuten wollte… hör ich heute einiges als Schlager, was sich selbst niemals so nennen würde, sind einfach einige Elemente da, der affektierte Gesang etwa… ich glaub es gibt heut mehr Schlager als jene, die sich so nennen, Micky Krause…
was ich am Schlager immer wieder fast schon schockierend finde, ist, wie explizit dort über Sex geredet wird, eine Phrase wie „dann hast du mich da unten ganz fest berührt“, wäre in eigentlich allen anderen Genres deutschsprachiger Unterhaltungsmusik undenkbar (ist jetzt ausgedacht, keine Zeit was zu suchen… aber das gibt es wirklich überaschend oft)
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.otis
Schlager als solcher ist ein deutsches Phänomen in meinen Augen. Während der Schlager der 20er Jahre noch eine gewisse Chansonhaftigkeit aufwies, wurde hierzulande damit eine Musikform etabliert, die vor allem nach dem Krieg mehr und mehr verwässerte und musikalisch immer schlechter und weniger abwechlsunsgreich wurde.
Die deutschen Schlager der damaligen Zeit resultierten teilweise aus der Operettenseligkeit, woraus ja auch einige Musikstücke zum Schlager wurden. So hat es das in anderen Ländern m.W. nicht gegeben. Weder diese heile-Welt-Operette noch die zusätzliche musikalische Verflachung.
Aber das ist alles ein weites Feld.Interessante These, ich bin mir nicht sicher, ob das schon auf die Zeit zwischen den Weltkriegen zutrifft, wenn man das Elijah Wald-Buch gelesen hat, kommte man kaum auf diese Idee. Das scheint mir grundsätzlich eher ähnlich zu sein, auch wenn Operetten sicherlich in den USA nicht ähnlich populär waren. Aber so schlecht sind Operetten ja auch nicht. Ich denke das Problem tritt eher später auf, nämlich in den 1960ern, als sich ein Teil der deutschen Jugend der englischsprachigen Musik öffnete. Die Schlagerszene hingegen verharrt bei ihren klassischen Themen und ihrer gesamten Harmlosigkeit. Aber das findet sich in anderen Ländern in anderer Weise auch: Man denke etwa an das Country, das in den USA heute im Radio gespielt wird.
Mick67Glattes Eis! Das trifft auch auf eine große Zahl englischer Songs zu, er hört sich in englisch nur cooler an.
Nicht, wenn man Schlager als deutschsprachige Musik definiert. Dass es schlagerähnliche Musik auf der ganzen Welt gibt, ist vollkommen unbestritten. Aber man vergleiche mal George Jones, so schlagerhaft er rüberkommt, er singt wirklich traurige Songs. Wer singt denn im deutschen Schlager ernsthaft traurige Lieder, die wirklich von unwiderbringlichem Verlust handeln, wie beispielsweise „The Grand Tour“?
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.redbeansandrice
was ich am Schlager immer wieder fast schon schockierend finde, ist, wie explizit dort über Sex geredet wird, eine Phrase wie „dann hast du mich da unten ganz fest berührt“, wäre in eigentlich allen anderen Genres deutschsprachiger Unterhaltungsmusik undenkbar (ist jetzt ausgedacht, keine Zeit was zu suchen… aber das gibt es wirklich überaschend oft)Aus welchem Stück ist das denn ? Neuerer Schlager oder älter ?
Gerade das Thema Sex finde ich im Schlager gehemmt bzw. verklemmt – verklausuliert abgehandelt.
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coleporterUi, da begibst du dich aber auf ganz dünnes Eis. Gerade die ganz frühen Schlager in den 20er Jahren waren durchaus frech. Und wenn man sich mal Schlager aus der Zeit des Nationalsozialismus anhört, da gab es neben den Propaganda-Durchhalte-Schlagern auch viel Kritisches – natürlich immer vorsichtig und mit dem von dir richtig beschriebenen Lächeln im Gesicht, damit man nicht gleich ins KZ kam…
Ich bezog mich auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, für die Weimarer Republik gebe ich Dir Recht, da finde ich auch die Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Populärmusik nicht so bedeutend.
@otis: Folk existiert auch in Deutschland, aber ich denke, die traditionelle deutsche Volksmusik ist unheilbar durch die Nazis korrumpiert, deshalb konnte sie nur im linken Typus des Liedermachers überleben. Es ist ganz typisch, dass die ernsthafte deutsche Volksmusik fast ausschließlich in Dialektform daherkommt und somit aller nationalistischen Tendenzen unverdächtig ist. Siehe die von Dir genannten Künstler. Die volkstümliche Musik hingegen ist im Grunde folklorisierter Schlager.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.nail75Aber so schlecht sind Operetten ja auch nicht. Ich denke das Problem tritt eher später auf, nämlich in den 1960ern, als sich ein Teil der deutschen Jugend der englischsprachigen Musik öffnete. Die Schlagerszene hingegen verharrt bei ihren klassischen Themen und ihrer gesamten Harmlosigkeit.
Ich glaub die These („Ab den 60er Jahren stellte sich die Musik darauf ein, dass nur noch die ‚Idioten‘ im Publikum verblieben waren“) gefällt mir ganz gut, hab eigentlich auch den Eindruck, dass es erst in den 60er Jahren richtig schlimm wurde… und Jazzelemente gab es im Schlager der 50er Jahre ja durchaus (Hazy Osterwald…)
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.Mick67Dünnes Eis! Das trifft auch auf eine große Zahl englischer Songs zu, er hört sich in englisch nur cooler an.
Richtig, aber du hast eine nicht unwichtige Passage meines Beitrags unterschlagen. Für mich steht der Begriff Schlager für deutschsprachige Unterhaltungsmusik.
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Living Well Is The Best Revenge. -
Schlagwörter: Schlager
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