Blue Note Records – Die frühen Jahre (New Orleans Jazz, Boogie, Swing, Blues)

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  • #10764475  | PERMALINK

    friedrich

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    @gypsy-tail-windIch suche bei Discogs natürlich auch nach Möglichkeit Angebote aus Europa heraus … dass Versand nichts kosten soll ist ja überdies eine neue Idee, die uns von der AmazonAppleGoogle-Mafia ins Hirn gewaschen wurde. Da sind Menschen, die arbeiten (und verpesten die Umwelt) und die sollen dafür auch was kriegen.
    Ansonsten, wo wird einem denn heute noch Musik angeboten? Von den Meistern des Uploadfilters in der Tube? Läden mit gutem Sortiment gibt es ja nicht mehr, da muss man ja geradezu selbst aktiv werden, wenn man noch was finden will, was man nicht schon kennt (eine Tätigkeit, die ich ihn hohem Masse für zivilisatorisch relevant halte, die aber in der Tat auszusterben droht, denn mit „Weiterklicken“ ist das nun gewiss nicht getan – das Vertiefen in Dinge ist aber doch etwas vom Befriedigendsten, was überhaupt zu tun da ist).

    Stimmt ja alles. Wenn ich mal drüber nachdenke, finde ich fast alle Musik, die mich interessiert, durch eigenes Engagement und / oder durch Austausch mit anderen Interessierten – wie z.B. hier. Mit einem Interesse an 80 Jahre altem Jazz ist man aber selbst hier ein Exot – ein Exot unter Jazzhören, die ja selbst schon wieder Exoten unter den Musikhörern sind.

    Aber das gehört eigentlich nicht hier her. Also: Weitermachen!

    @kurganrs: Gern geschehen, aber ich habe mich ja eigentlich nur bei gypsy-tail-wind eingehakt. Diese 78er Compilation von Blue Note habe ich mir jetzt selber bestellt. Aus Deutschland! Mit Versandkosten! ;-) . Ich finde solche Compis oft recht angenehm und kurzweilig und gelegentlich entdeckt man darauf etwas, was man dann weiterverfolgt.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    #10764489  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die Musica Jazz-Compilations, soweit ich sie kenne, sind tatsächlich gut zusammengestellt. Infos gibt es alle, Liner Notes nicht bzw. nur knapp … ich habe drei oder vier davon, teils sind da auch ein paar Raritäten drauf. Oder eben einfach ein guter Einstieg ins Werk von jemandem.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10764559  | PERMALINK

    kurganrs

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    friedrich @kurganrs: Gern geschehen, aber ich habe mich ja eigentlich nur bei gypsy-tail-wind eingehakt. Diese 78er Compilation von Blue Note habe ich mir jetzt selber bestellt. Aus Deutschland! Mit Versandkosten! . …

    Ich auch! ;-)

    #10764903  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,154

    kurganrs

    friedrich kurganrs: Gern geschehen, aber ich habe mich ja eigentlich nur bei gypsy-tail-wind eingehakt. Diese 78er Compilation von Blue Note habe ich mir jetzt selber bestellt. Aus Deutschland! Mit Versandkosten! . …

    Ich auch!

    Dann freue ich mich auf das gemeinsame Hören!

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10794921  | PERMALINK

    friedrich

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    gypsy-tail-wind
    (…) … mal schauen, jetzt läuft jedenfalls, wie gestern spät, nochmal diese Auswahl, auf der neben Quebec und Hardee auch Tiny Grimes zu hören ist, der eine Leader-Session mit Hardee machte und bei beiden als Sideman mitwirkt – Jimmy Shirley, Napoleon Allen und John Collins sind aber auch zu hören und letzterer hat 1953 dann auch eine Leader-Session im Trio mit Milt Hinton/Kenny Clarke gemacht, die leider nicht erschienen ist, vermutlich lief was schief … würde ich verdammt gerne hören!).
    Ebenfalls vertreten sind der Klarinettist Jimmy Hamilton mit einer Ellingtonians-Sessions (mit Otto Hardwicke und Harry Carney) und der Posaunist Benny Morton mit einer ebenfalls mit Ellingtonians (Barney Bigardd, Hamiltons Vorgänger beim Duke, und der unverwechselbare Ben Webster) aufgestockten Band. (…)

    Lieber @gypsy-tail-wind, ich erlaube mir mal, dies in diesen thread rüberzuschieben. Im „Ich höre gerade …“ -thread geht das nur unter, außerdem hattest Du diese Compilation an dieser Stelle schon mal erwähnt. Und gehört doch auch eigentlich hier her, oder?

    The Blue Note Swingtets waren vor langer Zeit – der Aufkleber zum 60. Geburtstag von Blue Note im Jahr 1999 klebt noch auf meiner CD – für mich, als jemand, der wenig Ahnung von Jazz und keine Ahnung von Swing hatte, eine der ersten Begegnungen mit diesem Stil überhaupt. Aus Neugier hörte ich diese CD im Saturn-Markt quer, war irgendwie interessiert und ging damit zur Kasse. Diese Compi war für mich damals ein Blick in eine fremde Welt, die Swing-Ära, die mir bis dahin altmodisch, etwas oberflächlich-gefällig und langweilig, fast spießig erschien. The Blue Notes Swingtets brachten dieses Vorurteil konstruktiv zum Einsturz.

    Die kleinen bis mittelgroßen Besetzungen wirken ebenso kompakt wie beweglich, sprühen vor Leben und die verschiedenen Leader (darunter ein Gitarrist, Tenorsaxophisten, ein Posaunist und ein Klarinettist) und Solisten lassen ihre individuellen Stimmen erklingen und sorgen damit für reichlich Abwechslung. Mit 8 von 18 tracks ist Ike Quebec am stärksten vertreten, aber selbst diese 8 Aufnahmen haben unterschiedliche Besetzungen. Auch die Stücke der (mir) ansonsten kaum bekannten Tiny Grimes oder John Hardee fallen dem gegenüber überhaupt nicht ab. Und dann tauchen als sidemen sogar so eine Größe wie Ben Webster und andere Musiker aus der Band von Duke Ellington auf. Ein bisschen könnte man den Eindruck gewinnen, dass deren Big Band-Job ihre Pflicht ist, sie aber – von der Disziplin des großen Orchesters entbunden – hier frei und unbeschwert aufspielen.

    allmusic fasst das knapp so zusammen: „There is a joy and life to these timeless performances that belie the cliché that swing had run out of steam when bebop overtook it in the mid-1940s.“

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10795567  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Da braucht Du natürlich auch keine Bewilligung @friedrich ;-) – ist ja eigentlich auch in meinem Sinn, etwas ausführlichere Beiträge nicht im Hörthread zu versenken.

    Am Wochenende wird mal die erste Folge der auf vier Teilen angelegten StoneFM-Sendereihe über die frühen Jahre von Blue Note fertig gestellt.

    Blue Note Records: Die frühen Jahre
    – Teil 1: Boogie, Blues & Jazz 1939-40 – 28.5., 22:00 (1 Stunde)
    – Teil 2: Hot Jazz, 1943-46 – 22.6., 22:30 (2 Stunden)
    – Teil 3: Swing, 1941-52 (2 Stunden)
    – Teil 4: New Orleans Revival, 1949-55 (1 Stunde)

    Teil 3 und 4 folgen voraussichtlich im September und/oder Oktober. Ein paar Namen zu den vier Teilen: Meade Lux Lewis, Albert Ammons, die Port of Harlem Jazzmen (mit Sidney Bechet, J.C. Higginbotham und Frankie Newton) (Teil 1); James P. Johnson, Art Hodes, Sidney Bechet, Wilbur de Paris (Teil 2); Charlie Christian, Edmond Hall, Ben Webster, Ike Quebec, John Hardee, Jimmy Hamilton, Vic Dickenson (Teil 3); George Lewis, Sidney Bechet, Wilbur de Paris (Teil 4).

    Die Zeitachse verläuft ja so, dass 1947 mit Thelonious Monk (und Babs Gonzalez und bald anderen wie Art Blakey, Bud Powell etc.) der Modern Jazz Einzug bei Blue Note hält. Bis Ende der Vierziger gibt es aber noch weitere Sessions, die dem alten bzw. dem sich erst etwas später so bezeichneten Mainstream Jazz zurechnen lassen. Sidney Bechet nimmt noch bis in die Fünfziger für Blue Note auf, auch Wilbur de Paris, der schon in den Vierzigern eine Session als Leader machte und als Sideman auftauchte, nimmt nochmal als Leader auf, das Resultat ist eine eher langweilige, recht typische Dixieland-Revival-Session. In Sachen Dixieland kommt dann noch George Lewis dazu – Lion kaufte Aufnahmen von Bill Russell, der in den Vierzigern als Einmann-Betrieb ein faszinierendes Unterfangen startete (eigentlich einen eigenen Thread wert), American Music Records:

    Das Haus seines Bruders war auch der Ort, in dem er die Aufnahmen seines 1944 gegründeten Platten-Labels American Music herausgab (deshalb stand Pittsburgh auf den Label-Namen). Dazu hatte er schon 1942 in New Orleans Bunk Johnson kennengelernt und mit ihm Aufnahmen gemacht (weitere Aufnahmen 1943 in San Francisco), ebenso wie 1943 bei einer zweiten Reise nach New Orleans George Lewis und andere Musiker aus der Frühzeit des New Orleans Jazz, die damals schon fast vergessen waren. Für die Aufnahmen mietete er Hallen und Clubs, denn der Zugang zu Studios war in New Orleans für schwarze Musiker (ebenso wie das öffentliche Zusammenspiel weißer und schwarzer Musiker) damals noch eingeschränkt. Über die ganze Zeit seiner Existenz (1953 machte er letzte Aufnahmen) war das Label ein Ein-Mann-Unternehmen von Russell.

    Die Lewis-Aufnahmen erscheinen in einer 3-CD-Box von Mosaic auf ungefähr den ersten beiden CDs, aber mit dem Vermerk, dass die Acetat-Platten nicht mehr gefunden werden konnten. Für die etwas späteren (Mitte 90er) Reissues der Musik auf Jazzology (George H. Buck, der Gründer von Jazzology, hat 1988 den Katalog von Russell gekauft) konnte man aber anscheinend wieder auf die Acetate zugreifen – ich habe beide Ausgaben im Regal, die Booklets der Jazzology-Reissues präsentieren auch Skizzen und Notizen von Russell (aus Tagebüchern und Briefen an seinen Bruder), z.B. zur Aufstellung der Band in den angemieteten Räumen, oder zu anderen angefragten Musikern, denen die Russell mögliche Gage zu gering war und die darum ihre Instrumente gar nicht erst auspackten … da stellt sich natürlich die Frage, ob das nicht wieder Fälle sind, wo bei der Überlieferung der Zufall mächtig die Hände im Spiel hatte. Vermutlich im grossen Ganzen ja schon nicht, aber in einzelnen Fällen sieht das wohl anders aus.

    Originalcover sind natürlich im Netz ein paar zu finden (z.B. bei Birkajazz), das hier ist die zweite der tollen Lewis-CDs, wie sie bei Jazzology aussehen (die Cover-Fotos kommen sicher auch von Russell):

    Neben den Russell-Sessions kaufte Lion auch noch eine Live-Aufnahme von Lewis aus den frühen Fünfzigern ein. Im April 1955 fanden dann die wohl letzten Sessions von Blue Note statt, die dem alten Jazz gewidmet sind, und Lewis‘ Musik endlich in der üblichen Rudy Van Gelder-Qualität dokumentieren. Diese wurden zu weiten Teilen auch auf der CD veröffentlicht, die Blue Note 1998 herausbrachte (ich hatte sie oben schon erwähnt, gleiche kleine Reihe wie die gerade abgebildete „Blue Note Swingtets“-CD):

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    #10799013  | PERMALINK

    friedrich

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    @kurganrs: Ich auch!

    Track-by-track Kommentare, Part 1 of 3.

    Diese Compilation zur hören ist ein bisschen so, als würde man auf dem Dachboden ein paar alte Schelllackplatten finden, von denen man erst mal den Staub runterpusten muss. Man muss zwar nicht erst das alte Grammophon wieder funktionsfähig machen, um diese 78er abzuspielen. Aber doch gibt es einen Schleier, der über dieser Musik hängt, eine Hürde, die man überwinden muss, um Zugang zu dieser Musik zu finden. Der knisternde Schelllackklang, die fremdartig wirkende Musik, die aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Fast wie eine prä-historische Ausgrabung, die von einer untergegangenen Kultur aus längst vergangener Zeit zeugt, die man in der eigenen Phantasie neu erstehen lässt. Das braucht schon mal etwas Zeit und auch ich musste diese Aufnahmen mehrmals hören.

    Los geht‘s!

    01. Albert Ammons & Meade Lux Lewis – The Sheik Of Araby (1939)

    Zwei Boogie Woogie-Löwen am Klavier, ein exotisch klingender Songtitel, den ich meine, irgendwo her zu kennen. Es geht mit heftigem Geknister los und damit sind wir gleich mitten drin. Das hat was von einem grobkörnigen alten Stummfilm, der zu schnell abgespielt wird, und in dem die Figuren hektisch umherlaufen, aber natürlich ist es hier umgekehrt, da wir nicht Bild ohne Ton sehen, sondern die Musik ohne Bilder hören. Und das ist auch nicht zu schnell abgespielt, Ammons und Lewis rasen wirklich mit halsbrecherischem Tempo durch das Stück. Ich glaube AA und MLL sitzen hier am gleichen Klavier, der eine ist „die linke Hand“ der andere „die rechte Hand“. Keine Ahnung, wer von den beiden wo sitzt. Aber das klingt vollkommen sicher und souverän und greift perfekt ineinander. Wie zwei Steptänzer, die gemeinsam akrobatische Kunststücke aufführen. Gleichzeitig wild und präzise. Danach stellt man sich vor, dass AA und MLL sich zufrieden auf dem Klavierhocker umdrehen, stolz zurücklehnen, die Zähne blecken und provokant grinsen: „Na, wie haben wir das gemacht?“

    02. Port Of Harlem Jazzmen – Blues For Tommy Ladnier (1939)

    Melodram! Sidney Bechet (cl.) und Frank Newton (tr.) drücken hier richtig auf die Tränendrüse. Reichlich Tremolo während die rhythm section stoisch marschiert. Wäre es nicht so klischeehaft, würde ich schreiben, da kann man nicht sagen, ob die Band auf dem Weg zur Beerdigung ist oder auf dem Weg zum darauf folgenden Leichenschmaus. Aber ich glaube, genau darum geht es zugleich: Tragik und Triumph!

    03. Earl Hines – Reminiscing At Blue Note (1939)

    Ein anderer Pianoheld bei der Arbeit, aber ein ganzes Stück lässiger als AA und MML oben. Klingt ein bisschen wie frei improvisiert. EH tänzelt über die Tasten des Klaviers, aber auch völlig souverän, den Boogie hört man raus, aber dann macht er wieder einen Schlenker, schlendert etwas herum, ohne je den Faden zu verlieren. Schönes Zwischenspiel.

    04. Pete Johnson – Holler Stomp (1939)

    Der Titel sagt es eigentlich schon: Hier geht‘s zur Sache! Ein Boogie auf den Punkt. Klare Aufgabenverteilung zwischen linker und rechter Hand, rasende Läufe, virtuose Sprünge, auch das ist wieder hoch präzise und gleichzeitig zupackend, wild und elegant. Angeblich ist das improvisiert. Schwer zu glauben .. .

    05. Teddy Bunn – Blues Without Words (1940)

    Hätten Sie‘s gewusst? Blue Note veröffentlichte auch Bluessänger. Gesang und akustische Gitarre, wobei der Gesang eigentlich fast nur aus Summen besteht und die Gitarrenbegleitung fast nur aus ein paar monotonen Akkorden. Wo ist da der Reiz? Die Stimme klingt zart, nachdenklich und melancholisch. Eigenartigerweise hat dieser „Blues Without Words“ eine gesungene Zeile („My baby‘s gone and she won‘t be back no more“), die einmal wiederholt wird, ohne dass die übliche Auflösung („I think I‘m gonna die“ oder so ;-) ) danach kommt. Stattdessen als break ein kleines raffiniertes Gitarrensolo. Vielleicht ist genau das der Reiz: Die Reduktion und die Raffinesse, die Monotonie und der kleine break, der Spannung in die Sache bringt. Berührend!

    Man kann recherchieren, dass Teddy Bunn ein damals nicht unbekannter Gitarrist war, der als sideman öfter für Blue Note aufnahm, aber nur wenige Aufnahmen unter eigenem Namen machte.

    06. Edmond Hall Celeste Quartet – Jammin‘ In Four (1941)

    Ich musste erst mal recherchieren, was eine Celesta ist: Eine Art kleines Klavier, das ähnlich wie ein Glockenspiel (also ein Xylophon mit Metallplatten), also metallisch und klar klingt. Meade Lux Lewis ist der Mann an der Celesta, den wir schon von Track Nr. 1 kennen, hier aber unter der leadership von Edmond Hall (cl.) mit Charlie Christian (git.) (!) und Israel Crosby (b.). Totales Kontrastprogramm zu Track Nr. 5: Klarinette und Celesta halten sich nicht im geringsten zurück, sind extrovertiert und sprühen vor Lebensfreude – EH klingt sogar bissig! – und werfen sich gegenseitig die Bälle zu. Gitarre und Bass treiben die Band mit hoher Pulsfrequenz an und haben auch schöne kleine Soloeinlagen. Auch das wirkt präzise und wild und ist ein Stück praktizierte Lebensfreude.

    Täusche ich mich, oder haben wir bis hier noch kein Schlagzeug gehört?

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10799393  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Blue Note veröffentlichte den Folk-Blues-Sänger Josh(ua) White – Sidney Bechet begleitet … Teddy Bunn war an sich einfach ein Gitarrist. Aber die singen ja bekanntlich gerne, recht egal ob sie es können ;-) – aber dass Bunn so früh schon wieder in Vergessenheit geriet ist trotzdem schade. Seine Beiträge gerade bei den Blue Note-Sessions sind nämlich ziemlich toll!

    Hier die Aufnahme von „Careless Love“ – mit toller Begleitung von Bechet:

    Celesta hört man öfter in der Klassik – ich war allein in den letzten zwei Wochen bei zwei Konzerten, wo eine auf der Bühne stand: einmal in Mahlers „Das Lied von der Erde“, dann in einem zeitgenössischen Werk, Matthias Pintschers „Idyll“. Von Bartók gibt es die Musik für Saiteninstrumente, Percussion und Celesta (Harfe und Klavier zählen bei den „Saiteninstrumenten“ dazu, die Celesta eben nicht). Ein seltsames Instrument auf jeden Fall, aber die Session von Edmond Hall ist natürlich allein wegen Charlie Christian phantastisch!

    Trivia: im Jazz wurde das Instrument dann quasi nochmal erfunden (vermutlich auch von jemandem, der noch nie von der Celesta gehört hatte) – wenn man sich etwas anstrengt, kann man die Story in der ersten Spalte auf dem Rückcover lesen):


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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10799565  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    A propos … was ist eigentlich mit der Session des Gitarristen Jimmy Shirley am 23. Januar 1945? Damals erschien nur das Stück „Jimmy’s Blues“, auf einer mit T-Bone Walker geteilten Single (der T-Bone/Les Hite Band-Track war wohl eine eingekaufte Fremdproduktion?). Shirley wird nur von Oscar Smith (b) begleitet. Neben „Jimmy’s Blues“ erschien in Japan 1990 noch ein zweiter Track dieser Session, „Stardust“, auf der Smith den Bass streicht. Übrigens wurde wie bei der Session von Teddy Bunn hier im 3-Minuten-Format gearbeitet (also für das 10-Inch statt das bei Blue Note üblichen 12-Inch-Format).

    Die 8-CD-Box „Blue Note: The SP Days 1939-1952“ bietet einen breiten Überblick über die ersten paar Jahre, der von den Anfängen bis zu den ersten Modern Jazz-Sessions mit Babs Gonzalez reicht, von den Mainstream-Sessions nach 1947 sind aber nur zwei (dafür vollständig) enthalten, die eine auch von Mosaic nie wieder aufgelegt: Clyde Bernhardt and His Kansas City Buddies (6. Oktober 1949) und das Vic Dickenson Quartet (24. Juni 1952 – von Mosaic im Hall/Johnson/DeParis/Dickenson-Set wieder aufgelegt).

    Gemäss den z.B. auf jazzdisco.org zu findenden Angaben hat Shirley aber fünf Stücke eingespielt:

    Jimmy Shirley And His Guitar With Oscar Smith On Bass
    Jimmy Shirley, guitar; Oscar Smith, bass.
    WOR Studios, NYC, January 23, 1945
    BN210-0 These Foolish Things unissued
    BN211-2 Stardust –
    BN212-1 Blues On The Loose –
    BN213-0 I May Be Wrong –
    BN214-0 Jimmy’s Blues Blue Note 530

    * Blue Note 530 T-Bone Walker – T-Bone Blues / Jimmy Shirley – Jimmy’s Blues

    (Infos von hier: https://www.jazzdisco.org/blue-note-records/discography-1945-1950/)

    In Sachen Raritäten enthält das japanische Set neben den zwei Stücken von Shirley auch die ganzen Sessions von Earl Hines (29. Juli 1939, 2 Stücke) und die Blues-Session von Alamo „Pigmeat“ Markam (31. August 1945, 4 Stücke). Von einigen der Sessions sind auch ein paar rare Takes zu finden, und natürlich Material von Sessions, die nach den einstigen Singles nur von Mosaic Records wieder aufgelegt wurden, etwa zwei Titel von Sammy Benskin (27. Juli 1945, seine einzige Single, Mosaic brachte noch zwei weitere Stücke heraus), die zwei Stücke vom Josh White Trio (die sonst auf Bechet-Scheiben aber auch zu finden sind),

    Zudem sind die üblichen Verdächtigen vertreten: Ammons/Lewis, die Port of Harlem Jazzmen, Edmond Hall, Sidney Bechet, Art Hodes (dessen Blue Note-Aufnahmen leider auch nur bei Mosaic komplett greifbar sind, eine grosszügige Auswahl erschien auf dem Blue Note/Smithsonian-Set „Hot Jazz on Blue Note“), Ike Quebec, John Hardee, Jimmy Hamilton, Benny Morton (die jeweils einzigen Sessions der zwei letzteren erschienen bei Mosaic auf einer LP, die auch die Sammy Benskin-Session enthielt, im Gegensatz zu letzterer fanden sich auf der am Anfang des Threads erwähnten „Blue Note Swingtets“-CD von den ersten beiden immerhin ein paar Tracks).

    Hier das Label der A-Seite der Walker/Shirley-Single:

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    #10799667  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die Ankündigung für die erste von vier geplanten StoneFM-Sendungen ist jetzt online – inkl. Plan für die kommenden drei:
    https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/5579-190528-ggj-87

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    #10800567  | PERMALINK

    friedrich

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    Josh White, klar, den Namen habe ich immerhin schon mal gelesen. Aber Blues-Gitarristen und -Sänger waren im Großen und Ganzen wohl eher die Ausnahme bei Blue Note. Btw. eine ganz so randständige Figur war Teddy Bunn aber offenbar doch nicht. Auf Track 02 der Port Of Harlem Seven spielt er z.B. auch mit Sidney Bechet und Meade Lux Lewis und galt wohl als mindestens verlässlicher Begleiter. Sein Solo-Track 05 gefällt mir sogar sehr gut. Schönes kleines Kabinettstück.

    Ich hatte eine Celesta übrigens doch mindestens schon einmal gehört: Thelonious Monk spielt auf dem Album Brillant Corners auf einem Stück Celesta, Pannonica, glaube ich. Track 06 des Edmond Hall Celeste Quartet ist ein kleines Juwel: Straff, knackig und – „it does schwing!“ ;-) Ich glaube, das ist das erste mal, dass ich etwas von Charlie Christian höre.

    Diese ökonomische Straffheit zeichnet viele dieser frühen Aufnahmen aus, finde ich.

    Meine kleine Bemerkung, dass bei den ersten 6 Tracks kein Schlagzeug zu hören ist, zielte ein wenig darauf, dass es hier noch nicht immer so standardisierte Besetzungen gibt. Tenor, Piano, Bass, Drums, kennt man ja, you name it. Klarinette und Sopransax sind hier ganz selbstverständlich, und das Schlagzeug kann man auch einfach weglassen, ohne dass es im geringsten fehlt. Wobei ich gestehen muss, dass ich auf Track 02 das Schlagzeug einfach überhört hatte … :-/ Den exotischen Status einer Celesta im Jazz hatten wir schon. Vielleicht übertreibe ich, aber hier scheint doch noch einiges in Bewegung zu sein.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10805357  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Morgen um 22 Uhr ist auf StoneFM meine erste Sendung zum Blue Note-Jubiläum zu hören. Ich möchte den 80. Geburtstag zum Anlass nehmen, die Aufnahmen auf der Frühzeit des Labels vorzustellen. Erst 1947 wendeten Alfred Lion und Francis Wolff sich dem modernen Jazz zu, bis in die frühen Fünfzigerjahre produzierten sie aber weiterhin auch Sessions mit Swing und älteren Stilen – Sidney Bechet blieb dem Label bis 1953 treu, noch später nahm es den Revival-Klarinettisten George Lewis auf.

    Zur Sendung von morgen:

    gypsy goes jazz #87: Blue Note Records – die frühen Jahre, Teil 1: Boogie, Blues & Jazz, 1939/40 (28.05.2019, 22:00)

    Am 6. Januar 1939 mietete Alfred Lion ein kleines Plattenstudio mit einem Klavier, brachte eine Flasche Whiskey mit und nahm die beiden Boogie Woogie-Spezialisten Albert Ammons und Meade Lux Lewis auf. Lion, als Alfred Loew in Berlin zur Welt gekommen, gründete das später legendäre gewordene Plattenlabel Blue Note Records als Ein-Mann-Betrieb. Ende 1939 kam auch und sein Jugendfreund Jakob Frank „Fanny“ Wolff, der sich in den USA Francis nennen sollte, nach New York – wie es heisst mit dem letzten Dampfer, der den Atlantik noch überqueren durfte. Die zwei Söhne aus Familien des jüdischen Bürgertums hatten schon früh eine Faszination für den Jazz entwickelt. Nun wollten sie die Musik dokumentieren, wobei sie den Musikern viel Freiheiten liessen, aber durchaus eine Richtung vorgaben: gerne etwas langsamere Tempi als im Jazz damals üblich, viel Blues.

    Bei der ersten Session wurden sage und schreibe 19 Titel eingespielt, die meisten um die vier Minuten lang, denn von Beginn an verwendete Blue Note das weniger übliche 12-Inch-Format, auf dem deutlich mehr Musik Platz fand als auf dem weiter verbreiteten 10-Inch-Format. Bis zum Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 brachte Blue Note es auf elf Sessions. Nach den beiden Pianisten – Lewis kehrte im Herbst 1940 und im Frühling 1941 nochmal zurück ins Studio (und dann 1944 noch ein letztes Mal) – trommelte Lion eine Band zusammen, die unter dem Namen The Port of Harlem Jazzmen zwei Sessions aufnahmen. Bei der zweiten war Sidney Bechet dabei und lieferte mit „Summertime“ gleich ein Meisterwerk ab. Frankie Newton und J.C. Higginbotham waren die anderen Bläser, Ammons sass bei der ersten, Lewis bei der zweiten Session am Klavier, und der grosse Sid Catlett sorgte am Schlagzeug für einen mitreissenden Swing.

    Im Herbst 1939 nahm Blue Note auch eine kurze Session mit dem Piano-Giganten Earl Hines auf. Sidney Bechet nahm 1940 seine erste Blue Note-Session als Leader auf – er zog zwar 1950 endgültig nach Frankreich, aber bis 1953 nahm er bei seinen Besuchen in New York ging er bis 1953 für Blue Note ins Studio. Bei seiner ersten Session im Quartett waren Catlett, der Bassist Pops Foster und Teddy Bunn an der Gitarre dabei. Dieser war schon bei den Port of Harlem Jazzmen an Bord und nahm für Blue Note als Leader eine schöne Solo-Session auf. Auch den Folk-Blues Sänger/Gitarristen Josh White holten Lion und Wolff 1940 ins Studio.

    Blue Note: Die frühen Jahre (1939–1946, Coda: 1949–1955)

    – Teil 1: Boogie, Blues & Jazz, 1939/40 (mit: Albert Ammons, Meade Lux Lewis, The Port of Harlem Jazzmen, Sidney Bechet, Teddy Bunn, Earl Hines etc.) – 28.05.2019
    – Teil 2: Hot Jazz, 1943–46 (mit: Sidney Bechet, Art Hodes, Bunk Johnson, Art Nicholas, James P. Johnson, Wilbur De Paris, Baby Dodds, Meade Lux Lewis etc.) – 22.06.2019
    – Teil 3: Swing, 1941–46/52 (mit: Edmond Hall, James P. Johnson, Ben Webster, Ike Quebec, John Hardee etc.) – nach der Sommerpause
    – Teil 4: New Orleans Revival, 1949–55 (mit: Sidney Bechet, George Lewis, Sidney De Paris etc.) – nach der Sommerpause

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    friedrich

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    Track-by-track Kommentare, Part 2 of 3.

    J.P. Johnson Blue Note Jazzmen – After You‘ve Gone (1944)

    Ist das eher hüpfend oder doch mehr swingend? Fängt wie ein Boogie auf dem Piano an, und kippt dann irgendwie in den Swing. Egal, der fingersnippin‘ groove ist da und ich gehe sofort mit. Über diesen groove wechseln sich die Solisten, Trompete, Posaune, natürlich der Pianist J.P. Johnson und der groooßartige Ben Webster am Tenor ab. Btw. erscheint es mir beim Hören dieses Stückes nicht sooo tragisch, dass „sie gegangen ist“. ;-)

    Art Hodes Blue Five – Gut Bucket Blues (1944)

    Das hier klingt fast schon etwas altmodischer mit dem etwas schlicht stapfendem beat. Mehr New Orleans als New York, mehr marching band als ball room. Mezz Mezzrow an der Klarinette, die quasi Parallel-Improvisationen von Klarinette und Trompete klingen auch mehr nach French Quarter als nach Harlem. Nett. Mezz Mezzrow? Diesen Namen hatte ich bislang erst aus dem Munde von Van Morrison (!) gehört, der ihn in romantischer Verklärung seiner Jugend vorm Kurzwellenradio erwähnt. Und Recherchen ergeben, dass Mezz Mezzrow keineswegs aus New Orleans stammte, sondern aus Chicago. Aber vielleicht liegt Chicago in kultureller Hinsicht via Mississippi sogar näher bei New Orleans als bei NYC und vielleicht war MM tatsächlich ein „white negro“, wie er selber gerne behauptete.

    Benny Morton‘s All Stars – Conversing In Blue (1945)

    Das kenne ich schon von der tollen Blue Note Swingtets-Compi. Ein schleppender Blues mit dem -hier eher weniger auffälligen leader an der Posaune und den umso mehr auffälligen Barney Bigard (!) an der Klarinette und dem wieder großartigem Ben Webster am Tenor. Ein bisschen Instrumentalakrobatik und seeehr viel Gefühl!

    J. Hamilton And The Duke‘s Men – Blue For Clarinets (1945)

    Das kenne ich auch schon von den Blue Note Swingtets und auch hier sagt der Bandname ja schon, wo wir hier unterwegs sind. Der leader und Otto Hardwick an den Klarinetten, Harry Carney an der Bariton-Klarinette, teils spielen sie unisono, kontrastiert von der Posaune und Ray Nance an der aus diesem ebenfalls schleppenden Blues triumphierend herausstechenden Trompete. Auch hier habe ich den Eindruck, dass die Musiker die Gelegenheit der relativ kleinen Besetzung nutzen, um mal aus der Big Band-Disziplin auszubrechen. Großartige Kontraste zwischen Trompete und Bariton-Klarinette, die btw. fast so klingt wie ein Tenorsax, aber weicher und wärmer. Und da sind wir auch wieder bei den ungewöhnlichen Besetzungen: Ein Klarinettensatz! Wo gibt es das schon?

    John Hardee Swingtet -Tired (1946)

    Hier eine fast schon klassische Besetzung mit ts, git, p, b und dr. Ich kenne John Hardee ebenfalls von den Blue Notes Swingtets, aber nicht diesen track, den ich btw. auch nicht als Klangbeispiel im Netz finden kann. Und auch sonst weiß ich eigtenlich nichts über Hardee. JH war offenbar ein warm, voll und gefühlvoll spielender Tenorsaxofonist, ein charmanter Sänger auf seinem Instrument. Das klingt nach Soul und R&B und das Jahre, bevor diese Begriffe überhaupt erfunden wurden.

    The Ike Quebec Swing Seven – Someone To Watch Over Me (Alternate Take) (1946)

    Ike Quebec, einer der mir immer irgendwo zwischen Swing, R&B, Hard Bop und sogar mal Bossa Nova zu stehen schien. Vielleicht war er auch daher eine Art Berater für Alfred Lion bei Blue Note, der die nötigen Kontakte zu Musikern und die Vermittlungsfähigkeiten hatte. Someone … ist natürlich der Standard, auch das ist hier sehr schön entspannt und sängerisch interpretiert, mit vollem und warmen, ebenso gefühlvollem wie robustem Ton. Wenn man genau aufpasst, hört man kurz nach 2:00 einen der Musiker ein leises „Yeah …“ seufzen. Ja, genauso hört sich das an! Es wird einem ganz warm ums Herz. Btw. setzen bei diesem track Trompete, Posaune und Gitarre aus, genau genommen also nur The Ike Quebec Swing Four.

    Und Ike Quebec war auch einer, der scheinbar reibungslos von der Swing-Ära in die Bop-Ära, eher schon in die Hard Bop-Ära rübermachte, ohne seinen Stil zu ändern. Die solide R&B-Grundlage war hier wie dort offenbar gut belastbar.

    Das Video ist jedoch nicht der oben beschriebene Alternate Take, aber auch sehr schön!

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    gypsy-tail-wind
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    Gerne rühre ich hier schon einmal die Werbetrommel für die zweite Folge von gypsy goes jazz mit Musik aus den frühen Jahren von Blue Note Records. Alfred Lion wurde 1941 in die Armee eingezogen, für zweieinhalb Jahre, bis im November 1943, fanden deshalb keine neuen Plattensessions statt. Doch 1944 nahm Blue Note dann über ein Dutzend Sessions auf und gewann an Fahrt. Aufgenommen wurde in erster Linie „Hot Jazz“, aber nicht von der Art, wie er im Rahmen des gerade aufblühenden Dixieland-Revivals damals üblich war (schnelle Tempi, gestählte, oft wenig individuelle und kurz gehaltene Soli, ausführliche Kollektiv-Routinen der typischen t/tb/cl-Bläser usw.). Nach wie vor lag der Fokus auf dem Blues, Lion mochte lieber etwas langsamere Tempi, Blue Note verwendete meist weiterhin das 12-Inch-Format, was für bis zu 5 Minuten Musik reichte, die beteiligten Musiker konnten also ihr ganzes Können demonstrieren, das gewählte Material trug für die Offenheit vieler Sessions das seine bei, auch wenn sich natürlich auch ein paar Klassiker des Genres („High Society“, „Royal Garden Blues“ …) eingeschlichen haben.

    Die Protagonisten der Sendung vom Samstag sind u.a.: Sidney De Paris, Max Kaminsky, Bunk Johnson (Trompete), Sandy Williams, Vic Dickenson (Posaune), Edmond Hall, Albert Nicholas (Klarinette), Sidney Bechet (Klarinette, Sopransaxophon), James P. Johnson, Art Hodes, Meade Lux Lewis (Klavier), Jimmy Shirley (Gitarre), Pops Foster, Israel Crosby, Wellman Braud (Bass), Sid Catlett, Baby Dodds, Manzie Johnson (Schlagzeug).

    Ich hoffe, ein paar von Euch haben Zeit und Lust, dabei zu sein, es geht am Samstag 22.6. ab 22:30 los und dauert bis kurz nach halb 1.

    Einführung auf der StoneFM-Seite:
    https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/5632-190622-ggj-88

    Weiter soll es im Herbst mit noch zwei Folgen gehen:

    Blue Note: Die frühen Jahre (1939–1946, Coda: 1949–1955)

    Teil 1: Boogie, Blues & Jazz, 1939/40 (mit: Albert Ammons, Meade Lux Lewis, The Port of Harlem Jazzmen, Sidney Bechet, Teddy Bunn, Earl Hines etc.) – 28.05.2019 (Playlist)
    Teil 2: Hot Jazz, 1943–46 (mit: Sidney Bechet, Art Hodes, Bunk Johnson, Art Nicholas, James P. Johnson, Wilbur De Paris, Baby Dodds, Meade Lux Lewis etc.) – 22.06.2019
    Teil 3: Swing, 1941–46/52 (mit: Edmond Hall, James P. Johnson, Ben Webster, Ike Quebec, John Hardee etc.) – nach der Sommerpause
    Teil 4: New Orleans Revival, 1949–55 (mit: Sidney Bechet, George Lewis, Sidney De Paris etc.) – nach der Sommerpause

    In Teil 3 steht dann Small-Group-Swinng auf dem Menu, wie er schon neben den Hot Jazz-Sessions hie und da aufgenommen wurde, u.a. mit dem grossartigen Ike Quebec, der später als A&R-Mann bis zu seinem frühen Tod eine bedeutende Rolle für das „moderne“ Blue Note spielen sollte. Teil 4 ist dann quasi als Fortsetzung von Teil 2 gedacht, denn noch bis in die frühen/mittleren Fünfziger blieb Lion einigen Musikern aus den frühen Jahren von Blue Note treu. Sidney Bechet war zwar längst nach Frankreich gezogen, doch wenn er zurück in den USA war, nahm er jeweils für Blue Note auf und die Resultate bleiben weiterhin hörenswert. Mit George Lewis ist dann auch ein New Orleans-Klarinettist der alten Schule dabei. Lion kaufte Lewis-Aufnahmen, die Bill Russell* 1945 in New Orleans unter eher prekären Umständen machte. Im April 1955 fanden dann zwei Lewis-Sessions im Studio von Rudy Van Gelder statt, und da ist es endlich möglich, diese vielleicht in mancher Hinsicht „primitiv“ erscheinende, aber doch sehr lebendige und berührende Musik in bester Qualität zu hören (zu finden auf der 1998er-CD „George Lewis and His New Orleans Stompers“, die ich oben schon erwähnt habe).


    *) Russell sind auch ein paar der schönsten Aufnahmen von Bunk Johnson zu verdanken – dank CD-Reissues von Jazzology, zu dem der American Music-Katalog seit einiger Zeit schon gehört, sind sie auch noch zu finden (hoffe ich zumindest).

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10822891  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,154

    @gypsy-tail-wind
    Gerne rühre ich hier schon einmal die Werbetrommel für die zweite Folge von gypsy goes jazz mit Musik aus den frühen Jahren von Blue Note Records.
    (…)
    Ich hoffe, ein paar von Euch haben Zeit und Lust, dabei zu sein, es geht am Samstag 22.6. ab 22:30 los und dauert bis kurz nach halb 1.
    (…)

    Das würde ich sehr gerne hören. Leider, leider bin ich zu diesem Zeitpunkt aber schon anders verabredet. :-( Umso mehr möchte ich anderen Interessierten empfehlen, die Sendung anzuhören. Das ist so, als öffnet man eine uralte Kiste auf dem Dachboden und entdeckt vergessene Schätzre aus einer anderen Zeit.

    Ich werde möglichst bald noch meine track-by-track Kommentare zu der kleinen Blue Note-Compilation The Blue Note Story 1939-1950: The 78 Era vervollständigen. Die letzten 6 tracks fehlen noch. Zugegeben sind die schon aus der beginnenden Bop-Ära mit u.a. Blakey, Monk, Navarro und Powell und gehören streng genommen nicht hierher. Aber vielleicht ist auch gerade diese Phase in diesem Zusammenhang interessant. Und vielleicht hat ja der eine oder die andere oben mitgelesen und -gehört. Die bislang geposteten 12 tracks geben jedenfalls einen ganz schönen kleinen Ausschnitt aus der prä-Bop Ära auf Blue Note ab.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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