Antwort auf: Blue Note Records – Die frühen Jahre (New Orleans Jazz, Boogie, Swing, Blues)

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friedrich

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@kurganrs: Ich auch!

Track-by-track Kommentare, Part 1 of 3.

Diese Compilation zur hören ist ein bisschen so, als würde man auf dem Dachboden ein paar alte Schelllackplatten finden, von denen man erst mal den Staub runterpusten muss. Man muss zwar nicht erst das alte Grammophon wieder funktionsfähig machen, um diese 78er abzuspielen. Aber doch gibt es einen Schleier, der über dieser Musik hängt, eine Hürde, die man überwinden muss, um Zugang zu dieser Musik zu finden. Der knisternde Schelllackklang, die fremdartig wirkende Musik, die aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Fast wie eine prä-historische Ausgrabung, die von einer untergegangenen Kultur aus längst vergangener Zeit zeugt, die man in der eigenen Phantasie neu erstehen lässt. Das braucht schon mal etwas Zeit und auch ich musste diese Aufnahmen mehrmals hören.

Los geht‘s!

01. Albert Ammons & Meade Lux Lewis – The Sheik Of Araby (1939)

Zwei Boogie Woogie-Löwen am Klavier, ein exotisch klingender Songtitel, den ich meine, irgendwo her zu kennen. Es geht mit heftigem Geknister los und damit sind wir gleich mitten drin. Das hat was von einem grobkörnigen alten Stummfilm, der zu schnell abgespielt wird, und in dem die Figuren hektisch umherlaufen, aber natürlich ist es hier umgekehrt, da wir nicht Bild ohne Ton sehen, sondern die Musik ohne Bilder hören. Und das ist auch nicht zu schnell abgespielt, Ammons und Lewis rasen wirklich mit halsbrecherischem Tempo durch das Stück. Ich glaube AA und MLL sitzen hier am gleichen Klavier, der eine ist „die linke Hand“ der andere „die rechte Hand“. Keine Ahnung, wer von den beiden wo sitzt. Aber das klingt vollkommen sicher und souverän und greift perfekt ineinander. Wie zwei Steptänzer, die gemeinsam akrobatische Kunststücke aufführen. Gleichzeitig wild und präzise. Danach stellt man sich vor, dass AA und MLL sich zufrieden auf dem Klavierhocker umdrehen, stolz zurücklehnen, die Zähne blecken und provokant grinsen: „Na, wie haben wir das gemacht?“

02. Port Of Harlem Jazzmen – Blues For Tommy Ladnier (1939)

Melodram! Sidney Bechet (cl.) und Frank Newton (tr.) drücken hier richtig auf die Tränendrüse. Reichlich Tremolo während die rhythm section stoisch marschiert. Wäre es nicht so klischeehaft, würde ich schreiben, da kann man nicht sagen, ob die Band auf dem Weg zur Beerdigung ist oder auf dem Weg zum darauf folgenden Leichenschmaus. Aber ich glaube, genau darum geht es zugleich: Tragik und Triumph!

03. Earl Hines – Reminiscing At Blue Note (1939)

Ein anderer Pianoheld bei der Arbeit, aber ein ganzes Stück lässiger als AA und MML oben. Klingt ein bisschen wie frei improvisiert. EH tänzelt über die Tasten des Klaviers, aber auch völlig souverän, den Boogie hört man raus, aber dann macht er wieder einen Schlenker, schlendert etwas herum, ohne je den Faden zu verlieren. Schönes Zwischenspiel.

04. Pete Johnson – Holler Stomp (1939)

Der Titel sagt es eigentlich schon: Hier geht‘s zur Sache! Ein Boogie auf den Punkt. Klare Aufgabenverteilung zwischen linker und rechter Hand, rasende Läufe, virtuose Sprünge, auch das ist wieder hoch präzise und gleichzeitig zupackend, wild und elegant. Angeblich ist das improvisiert. Schwer zu glauben .. .

05. Teddy Bunn – Blues Without Words (1940)

Hätten Sie‘s gewusst? Blue Note veröffentlichte auch Bluessänger. Gesang und akustische Gitarre, wobei der Gesang eigentlich fast nur aus Summen besteht und die Gitarrenbegleitung fast nur aus ein paar monotonen Akkorden. Wo ist da der Reiz? Die Stimme klingt zart, nachdenklich und melancholisch. Eigenartigerweise hat dieser „Blues Without Words“ eine gesungene Zeile („My baby‘s gone and she won‘t be back no more“), die einmal wiederholt wird, ohne dass die übliche Auflösung („I think I‘m gonna die“ oder so ;-) ) danach kommt. Stattdessen als break ein kleines raffiniertes Gitarrensolo. Vielleicht ist genau das der Reiz: Die Reduktion und die Raffinesse, die Monotonie und der kleine break, der Spannung in die Sache bringt. Berührend!

Man kann recherchieren, dass Teddy Bunn ein damals nicht unbekannter Gitarrist war, der als sideman öfter für Blue Note aufnahm, aber nur wenige Aufnahmen unter eigenem Namen machte.

06. Edmond Hall Celeste Quartet – Jammin‘ In Four (1941)

Ich musste erst mal recherchieren, was eine Celesta ist: Eine Art kleines Klavier, das ähnlich wie ein Glockenspiel (also ein Xylophon mit Metallplatten), also metallisch und klar klingt. Meade Lux Lewis ist der Mann an der Celesta, den wir schon von Track Nr. 1 kennen, hier aber unter der leadership von Edmond Hall (cl.) mit Charlie Christian (git.) (!) und Israel Crosby (b.). Totales Kontrastprogramm zu Track Nr. 5: Klarinette und Celesta halten sich nicht im geringsten zurück, sind extrovertiert und sprühen vor Lebensfreude – EH klingt sogar bissig! – und werfen sich gegenseitig die Bälle zu. Gitarre und Bass treiben die Band mit hoher Pulsfrequenz an und haben auch schöne kleine Soloeinlagen. Auch das wirkt präzise und wild und ist ein Stück praktizierte Lebensfreude.

Täusche ich mich, oder haben wir bis hier noch kein Schlagzeug gehört?

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)