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Albert Mangelsdorff / Masahiko Sato / Peter Warren / Allen Blairman – Spontaneous | Hierfür fehlen mir irgendwie die Worte – aber das Ergebnis ist perfekt. Aufgenommen wurde „Spontaneous“ schon am 8. November 1971 im Audio-Studio Berlin, und anscheinend kam es auch schon 1972 heraus? Ich bin ja inzwischen 1975 angekommen, aber so geht das halt, wenn ein Label keine schlaue Nummerierung seiner Platten zustande kriegt (die Angst vor ungraden Zahlen … weiss da von der hier vergleichsweise zahlreichen Jazz-Podium-Leserschaft niemand was dazu? Dort wurden Weber und Winckelmann doch bestimmt dutzende Male interviewt und portraitiert?) … „eerie“ ist ein Wort, das mir recht schnell einfällt, Satos Musik habe ich hier im Faden schon als „rätselhaft“ beschrieben, das bleibt sie auch hier für mich. Er ergänzt sein Klavier durch einen „Modulator“, was zu seltsam verfremdeten Klängen führt, die oft etwas metallisch Schepperndes haben, was wiederum zu Blairmans seltsam gestimmten Trommeln und Becken hervorragend passt. Warren spielt oft einen tieferen Bass auch als Woode (der direkte Vergleich) und sowieso als Mraz – 1971 gehörte er ja fix zum Enja-Stammpersonal. Wenn er zum Bogen greift, fügt sein Sound sich erst recht perfekt in diese seltsamen Soundscapes ein, die hier irgendwie organisch zu wachsen scheinen. Und Mangelsdorff? Der findet in den anderen dreien kongeniale Partner und bringt seine eigene Palette an Klängen rein, inklusive Multiphonics und gleichzeitigem Singen und Spielen, aber vor allem natürlich seine beste Eigenschaft, die @vorgarten besonders herausgestrichen hat, die Fähigkeit zum melodischen Spiel im freien Jazz. Vier Stücke gibt es, je eins von allen Mitwirkenden: „Voices, Noises, Lungs ’n‘ Tongues Strings and Things“ heisst der Opener von Mangelsdorff (gingen die Kommas aus?), dann folgt Blairmans „Roots to Moods“, Warrens kurzes „Ludwig van Watches“ und zum Ausklang Satos „Cosmpolitans“. Auf der CD folgt dann noch „Almapela“ – das MPS-Schema (Zo-Ko-Ma, Zo-Ko-So un-so-wei) ausgeliehen steht das wohl für Albert, Masahiko, Peter und … Lallen (oder so ähnlich?) und ist ein kollektiv erarbeitetes Stück. Wie vielleicht ja die vier davor auch? Jedenfalls ist mehr Musik davon ein Gewinn – dieses Album könnte auch zwei Tage dauern und ich wäre begeistert! Und daher bedaure ich auch gerade sehr, das ich es noch fast nie angehört habe (2019 die CD von 2014 gekauft … u.a. unsere kollektiven Höraktionen, die danach ja etwas häufiger wurden, haben wohl häufigeres Anhören verhindert ). Bei Discogs ist ein stark vergilbtes Exemplar (1972) zu sehen, 1975 sah die Platte dann wohl so aus:
Und neben CD-Reissues und einem BE! Jazz Vinyl-Reissue (Bootleg? Oder haben die auch mal was so gemacht, wie es sich gehört?) ist auch eine CH-Ausgabe auf Intercord zu finden, mit bemerkenswertem surrealistisch wirkenden Foldout-Cover (die Credits kann ich nicht wirklich lesen, Carolyn Clark, von der auch das Werk auf dem Cover der Originalausgabe von Karl Bergers „We Are You“ (Calig, später auch bei Enja) dürfte die Künstlerin sein:
Die Platte ist undatiert, aber es wird überall auf Enja Bezug genommen und Weber/Winckelmann werden als Produzenten genannt. Anders ist allerdings die Reihenfolge der Stücke – und die Kommas sind auch nicht ausgegangen, das Mangelsdorff-Stück ist vollständig (sogar inkl. Oxford-Komma) mit Kommata versehen. Dafür wird der Modulator nicht erwähnt, den Sato einsetzt.
Fazit: Direkt nach dem ersten einigermassen heftigen Aussetzer (an der Musik liegt’s nicht) der nächste Anwärter auf einen Listenplatz!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deMusikalische Orgasmen: 6 Songs voller Höhepunkte
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WerbungManfred Schoof / Akira Sakata / Yosuke Yamashita / Takeo Moriyama – Distant Thunder | Die nächste deutsch-japanische Produktion folgte bzw. kriegte die nächste Katalognummer. Manfred Schoof und das Yosuke Yamashita Trio („Clay“) trafen in der Liederhalle Stuttgart für ein Konzert am 12. Juni 1975 zusammen, SDR schnitt dieses mit und Enja brachte ein dreiviertelstündiges Album heraus (das vermutlich nur einen Teil des Konzertes enthält … Es gab ja seit den 24bit Remasters in den Nullern immer mal wieder Bonustracks, aber systematisch scheint dabei nie wer vorgegangen zu sein). Sakatas „Mitochondria“ füllt die ganze erste Seite, auf der zweiten gibt’s dann etwas überraschend „‚Round Midnight“ (wie damals üblich als „Round About Midnight“) – als Flügelhorn-Solo von Schoof, gefolgt vom Titeltrack, den Komponist Yamashita solo spielt, und „Hachi“ von Moriyama, wieder im Quartett (die drei notierten 3/4-Takte sind auf dem Cover abgedruckt, danach heisst es lapidar „freely“ undd irgendwann gibt es noch ein „ca capo“). Damit sind alle Mitglieder des Yamashita Trios auch als Komponisten vertreten – und Schoof hat für sich das Monk-Stück gewählt. Das nimmt viel Fahrt auf, die beiden Bläser harmonieren hervorragend, im langen Opener setzten Piano und Drums auch mal aus, womit auch für etwas Abwechslung gesorgt wird – aber es stellt sich bei mir etwas Ermüdung ein, nicht die Begeisterung, die „Clay“ unweigerlich bei jedem Hören erzeugt. Die Drums von Moriyama klingen tatsächlich manchmal wie Donnergrollen (gar nicht so weit entfernt allerdings), die Bläser sind etwas schrill, Yamashita clustert herum … mir nimmt das fast die Luft zum Atmen, was eben auch zum Phänomen „Clay“ gehört, dass das dort echt kein Thema ist. Mit dem zart beginnenden Flügelhornsolo (sonst spielt Schoof gemäss der Originalhülle Trompete) gibt es dann zwar etwas völlig anderes, Schoofs Spiel bleibt dabei auch in der Verdichtung zart und warm. Yamashitas Solo ist dann eine Verdichtungsstudie, in der sich neben Riffs, die an Waldron erinnern, Läufe à la Tristano zu überstürzen anfangen, vor lauter Verdichtung immer wieder ins Stocken und Taumeln geraten und kurz das wilde Arpeggio- und Clusterspiel durchschimmert, das für Yamashita damals so typisch war. Im Ganzen musss ich hier aber eher an Walter Norris („Drifting“) denn an Cecil Taylor denken – aber solche Vergleiche führen nicht weit, das ist einfach Yosuke Yamashita. Danach folgt nochmal das Quartett mit zehn Minuten mehr heftiger Free-Jazz. Aber eben: so richtig zündet das bei mir bisher leider nicht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba…fürwahr eine klasse platte, meine ausgabe hat auch dieses tolle cover-artwork, muss sie mal wieder aus dem regal ziehen, meine ist aber denke ich eine deutsche pressung…..
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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!Abdulla Ibrahim – Banyana / The Children of Africa | Hier bleibe ich gerade hängen … vor dem heutigen Konzert schon zweimal durchgehört, jetzt wieder … ich habe die 24bit-Ausgabe von 2008 auf CD, und dort fehlt einerseits der Bonustrack von 1987, ein 13minütiger Alternate Take von „Ishmael“ (ich hab da ne Kopie der US-CD-Ausgabe von meinem Vater), andererseits ist der Master Take von „Ishmael“ nicht eine Viertelstunde lang und auch nicht wie gemäss Discogs 12:14 lang, sondern tatsächlich nur 6:13, wie auf der Rückseite der Papphülle steht – echt verwirrend!
Ibrahims Chants werden auf der 24bit-Ausgabe auch nicht erwähnt, da steht nur Piano und Sopransax. Dieses spielt er ziemlich gut, und mit Cecil McBee und Roy Brooks hat er zwei erstklassige Partner an seiner Seite … und dennoch höre ich mich hier gerade im vergeblichen Versuch fest, zu ergründen, warum mich das Resultat nicht so recht zu fesseln vermag. Nur „Ishmael“, das hat es mir wirklich angetan. Das Stück kenne und liebe ich von „Africa – Tears and Laughter“, wo es vielleicht noch besser ist … aber hier – also auf der 1987er-CD ist halt eine sehr lange frühere Version plus eben je nach Version ein Alternate Take obendrein (oder der von 1997 oder wie es scheint auch der Japan-Ausgabe von 2014, falls man Discogs da trauen darf … ich finde leider widersprüchliche Angaben, hier findet sich ein Tracklisting ohne Bonustrack, Klarheit würde nur ein Scan der Traycard verschaffen, aber den kann ich leider nicht finden und werde drum eher eine der westlichen CDs von 1987 oder 1997 suchen).
Das dann auch nochmal zum Thema der Inkonsistenz bei Bonusmaterial: hier wurde für die 2008er 24bit-Remasters-Ausgabe mutwillig Bonusmterial, das es schon mal gegeben hatte, wieder weggekippt – und ein Stück wurde, aus welchen Gründen auch immer, gekürzt. Hier die LP-Rückseite von Discogs, auf der 12:14 steht:
Dem tollen Foto von Giuseppe Pino auf dem Frontcover tut das Vergilben für einmal gar nicht gut, finde ich. Ist das das erste Mal, dass das Foto von Pino stammt? Meine beiden nächsten Alben sind auch wieder mit Cover-Fotos von ihm gestaltet, doch hier habe ich wieder ein paar Lücken: vor „Banyana“ schon gehört noch „Futures Passed“ von David Friedman rein, danach „Sequoia Song“ von Bob Degen – mal schauen, ob ich die noch auftreiben kann.
EDIT: Futures Passed / Sequoia Song
Danach folgt:
Pepper Adams – Twelfth & Pingree | Darauf gibt es noch einmal 38 Minuten vom Mitschnitt aus dem Domicile, der schon auf „Julian“ dokumentiert ist. Auf das Titelstück von Adams, einen Blues, folgen Thad Jones‘ „A Child Is Born“, zunächst ein Mraz-Feature mit zurückhaltender p/d-Begleitung, Adams steigt nach über dreieinhalb Minuten erst ein. Dann Monks „Well, You Needn’t“ über ein Bass-Ostinato von Mraz, das unter dem Thema durchbrochen wird, aber doch weiter läuft. Zum Abschluss nochmal ein Stück von Adams mit „Bossa Nouveau“. Was mir an diesen Live-Aufnahmen von Adams echt gut gefällt ist, wie entspannt sie klingen. Adams ist ja in der Regel eher ein Hochdruck-Musiker, und an diesem Abend im Domicile scheint er das irgendwie abgelegt zu haben. Sein Ton klingt nicht so schneidend wie oft, sondern warm und ziemlich rund.
Morgen geht es dann mit „Steam“ weiter, das ich – wie „Drifting“ von Norris oder das Album von Bobby Jones und auch das bald drauf folgende „Dark to Themselves“ von Cecil Taylor – in der 1997er „25th Anniversary Series“ vorliegen habe; um den Dreh herum gekauft, jedenfalls eine Weile vor dem Abitur.
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Und weil ich noch nicht wirklich müde bin, greife ich wohl noch vor und höre zur Nacht etwas ein wenig Ruhigeres (I suppose, Ersthörgang einer letzten Winter gekauften CD) als „Steam“:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbalotterlotta
…fürwahr eine klasse platte, meine ausgabe hat auch dieses tolle cover-artwork, muss sie mal wieder aus dem regal ziehen, meine ist aber denke ich eine deutsche pressung…..Ach, die deutsche Pressung hatte ich bei Discogs glatt übersehen – bei 1972 eingereiht. Von der CH-Pressung sind halt die ganzen Scans dort
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaArchie Shepp – Steam | Jazz Ost-West, Nürnberg, 14. Mai 1976 – Enja ist fünf Jahre alt, als es Archie Shepp im Trio mit Cameron Brown und Beaver Harris mitschneidet (Carlos Albrecht vom Tonstudio Bauer übernimmt den Job). Ich bin vermutlich grad 18 geworden, als ich das entdecke, und das ist noch vor den Impulse-Aufnahmen die eine Shepp-CD, die sich mir heftig einbrennt. Es gib eigentlich fast nur Klassiker hier: „Solitude“, „Invitation“, „Ah-Leu-Cha“ bilden einen über halbstündigen Block (die gedruckten Zeitangaben der CD-Ausgabe stimmen nicht, „Ah-Leu-Cha“ ist 8:13 statt 14:24 Minuten, „Steam“ 9:17 statt knapp 7:50, „Invitation“ ist auch leicht daneben: 14:27 statt der im Booklet gedruckten 14:40).
Der 19minütige Opener „A Message from Trane“ stammt von Cal Massey, den ich damals zwar von „Africa/Brass“ gekannt haben dürfte, aber sein Candid-Album und auch seine weitere Zusammenarbeit mit Shepp kannte ich noch nicht – oder doch? Ich durfte mir um den Dreh herum eine Kopie von „Kwanza“ ziehen, ein Musiklehrer lieh mir einen Stapel Platten, auch dabei die brown-bag Doppel-LP mit Cecil Taylors Transition/United Artists-Alben, Sun Ra auf MPS (davon fand ich dann recht bald die Doppel-CD), mir damals völlig unverständlich bleibendes Freies von Steve Lacy aus den Siebzigern und einiges mehr. Nach dem genannten Block folgt Shepps Titelstück und zum Ausklang – old school – „52nd Street Theme“ als tag. Auf der LP gab’s „A Messsage from Trane“ auf der ersten und „Solitude“ gefolgt von „Steam“ auf der zweiten Seite.
Hier braucht mensch also unbedingt die CD, denn auf dieser ist das „full, unedited and unabridged concert“ zu hören, wie ein Blurb hinten auf meiner Ausgabe (die von 1987 zehn Jahre später für die „25th Anniversary Edition“ in eine zusätzliche Lage Pappe gepackt). Ein Japan-Reissue gab’s auch, das von 2021 ist allerdings vergriffen, eins von 2018 könnte aber noch zu kriegen sein. 2007 gab’s das Album auch in der 24bit Remasters-Reihe wieder, aber die ist ja echt nichts fürs Auge. Das Coverfoto stammt unverkennbar wieder von Giuseppe Pino, für die CD-Ausgaben wurde es irgendwann ganz an den Rand gezogen – keine so gute Idee vom Design her, aber ein tolles Bild!
Die Musik entwickelt schon im ersten Stück einen unglaublichen Drive. Cameron Brown rast walkend durch, Beaver Harris spielt einen leichten Beat, der sich irgendwie völlig gegen die Konventionen zu stellen scheint, und Shepp hebt darüber erstmal zu einem fast viertelstündigen Solo-Flug an, wie man ihn von Coltrane oder Rollins kennt. Es folgt ein Bass-Solo, bevor Shepp das Stück zu Ende führt.
In Ellingtons „Solitude“ wird Shepps toller Ton noch schöner hörbar. Brown spielt eine federnde Two-Beat-Begleitung (ganz ohne Geschmiere, eine Wohltat), die Bass-Drum von Harris scheint irgendwie das Mikrophon zu überfordern. Aber der dadurch entstehende Kick, zusammen mit den Besen auf der Snare, passt, echt gut: das ist tatsächlich live und unverfälscht, und wirkt auch auf Platte total spontan. Und nach einer halben Stunde schon, als auch hier ein kurzes Bass-Solo (Shepp setzt sich dabei ans Klavier) und eine Rekapitulation von Shepp vorbei sind, merke ich, dass ich das lange nicht gehörte Album ein ganzes Stück besser finde, als ich das im Gedächtnis abgelegt hatte!
Für „Invitation“ spielt Harris dann in den A-Teilen diesen klöppelnden Latin-Beat und rumpelt in der Bridge trotz straightem 4/4 irgendwie weiter – das ist überhaupt beeindruckend, wie frei er hier agiert, ohne dass das irgendwie Free Jazz wäre oder so. Er scheint die Konventionen ständig zu unterlaufen oder neu zu erfinden. Etwas lauter im Mix dürfte er sein, damit man das auch besser hören kann. Aber das ist unbedeutendes Rumgemäkel an dieser phantastischen Aufnahme. Nach einem formidablen Bass-Solo scheint sich Harris in einem Moment der Unsicherheit durchzusetzen und soliert auch mal ein wenig, doch Shepp setzt irgendwann beharrlicher wieder ein und Harris trommelt über die Themenwiederholung weiter, und dann wird weitergerifft – spontan eben, ungeschnitten, und toll!
„Ah-Leu-Cha“ – rasendes Tempo wieder, Brown im Thema in den A-Teilen mit einem Orgelpunkt, in den B-Teilen walkt er, wie später hinter Shepp. Harris kickt das wieder, dieses Mal eher von der Snare aus, scheint da und dort gekonnt Trommel-Rudiments einzustreuen. Shepp hebt wie in jedem Stück in diesem Konzert ab, rauht seinen Ton auf, verdichtet, streut kurze Riffs ein, Themenfragmente, die er dreht und wendet, um dann wieder davonzueilen, mit einem Lauf, einer Melodie. Und hier darf Harris nach vier Minuten dann ran, ein paar Fours mit Brown und dann mit Shepp. Auch hier ein paar Unsicherheiten – vermutlich ist das alles nicht vorgängig abgesprochen worden. Doch das tut dem Vergnügen nicht den geringsten Abbruch. Das ist eh keine Kunst des perfekten sondern eine des Spontanen, in alle Richtungen offenen.
„Steam“ ist dann ein 2/4 oder 6/8 (oder sind’s 4 und 12?) Stück, in dem Harris einen Dreier-Beat über die (manchmal aufgefüllten) Einsen von Brown spielt, während Shepp die ungewöhnliche Begleitung als Backdrop für ein Solo nützt, das in der Souveränität tatsächlich an Sonny Rollins erinnert, ehe er ein paar Motive einstreut, die eher an Coltrane gemahnen. Das ist traditionsbewusster und doch sehr offener Jazz, der nichts mit dem Neokonservatismus gemeinsam hat, wie er wenige Jahre später aufkommen sollte. Ein Hammerkonzert jedenfalls: aufregend, quicklebendig, unvorhersehbar.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
ich kann jetzt endlich weiter hinterherhinken. 2 alben aus 1973, ibrahims free-suite nach ellingtonvorbild und waldrons schwarze messe im trio, beides super interessant, aber keine favoriten. ibrahim fängt ambitioniert an, mit flötenflirren und dann dissonanten bläsern über einem unergründlichen puls, dann wird es leider zu einer abfolge von einzelsoli über einem freien swing, was man schon sehr oft gehört hat. irgendwo da drinnen, über 3 oder 4 tönen, könnte waldron hängen geblieben sein und im dunklen studio übrig geblieben, während das orchester zurück ins all abgeflogen ist. durchaus politisch, denke ich, dass ibrahim sein staubaufwirbelndes ensemble „space program“ genannt hat, während das südafrikanische vorster-regime gerade versuchte, eine weiße atom-macht zu werden.
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gypsy-tail-windDas ist traditionsbewusster und doch sehr offener Jazz, der nicht mit dem Neokonservatismus gemeinsam hat, wie er wenige Jahre später aufkommen sollte. Ein Hammerkonzert jedenfalls: aufregend, quicklebendig, unvorhersehbar.
so höre ich das auch. witzigerweise funktioniert IN THE TRADITION ja sehr ähnlich (und ist aus der gleichen zeit). aber bei diesem live-konzert geht noch was anderes ab, das beschreibst du ja sehr schön, shepp ist besonders inspiriert hier, die begleitung dreht sehr auf, ich bin sehr froh, dass ich das album sehr früh entdeckt habe (und auch shepp live schon zu beginn meines jazzhörens erlebt, da konnte ich alles gut verknüpfen).
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Ich hab „Steam“ zwar auch relativ früh entdeckt, aber Shepp live erst viel später (und leider enttäuschend) geschafft … das Hören ging dann via Coltrane/Impulse weiter und es dauerte auch ziemlich lange, bis ich z.B. wieder bei „Kwanza“ angekommen bin, das mir damals (ca. 1997) zu gefällig schien. Ergänzung: „Soul Song“ hatte ich ca. gleichzeitig wie „Steam“ auch, aber das hat bis heute nicht gezündet – bin aufs Wiederhören gespannt (aber ich bleib wohl noch etwas bei der Chronologie der seltsamen Katalognummern).
Jetzt geh ich dann erst mal ins Matinée-Konzert und danach höre ich wieder „Dream Bells“ – das ist sehr schön! Hab gestern mal noch die Credits von Luther und Brown durchgescrollt, v.a. bei letzterem kommt ja einiges zusammen (besonders Roland Kirk natürlich).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
noch zwei alben, die mir nicht allzu nahe gehen. für sowas wie das montoliu-programm habe ich so gar kein ohr, mir sind das viel zu viele noten und ein virtuositätsansatz, dem beliebig die kompositionen geopfert werden, hier sogar „autumn leaves“ – und „here’s that rainy day“ eignet sich wirklich nicht für akrobatische schießbudenaktionen. damit tue ich montoliu sicherlich unrecht, aber für mich ergibt sich da ein eindruck der oberflächlichkeit, alles wird zur rampe und in seinen eigenarten höchstens gestreift. der fall bei makaya & the tsotsis ist anders, das hätte ich viel wilder erwartet, aber natürlich ist bob degen kein free-pianist. so toll ich eckinger und ntshoko durchgängig finde, entsteht in der begleitung der vielen offenen akkorde etwas vages, unbestimmtes – mit dem auch sauer nicht so viel anfangen kann, scheint mir. tatsächlich haben aber danach gerade degen & sauer ja viel zusammengearbeitet, die werden sich schon verstanden haben.
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TOMMY FLANAGAN – Thelonica
Als damals der Artikel zu Tommy Flanagan im JAZZthing erschien, blieb wohl irgendwas hängen, denn ich habe vor 20 Jahren diese CD nach einer durchgemachten Nacht vom Flohmarkt mitgenommen. Die Nacht durchmachen, vorher noch 8 Std arbeiten und morgens zwischen 8 und 9.30 Uhr auf den Flohmarkt gehen passiert auch nicht alle Tage. In Ansätzen habe ich später versucht Flanagan ein bißchen mehr zu sammeln, aber man muss schon an den richtigen Orten zur richtigen Zeit sein, sonst findet man die Sachen unter seinem Namen kaum. Das Thema des Albums ist natürlich Thelonious und Nica aus der Perspektive von Tommy Flanagan, begleitet wurde er von George Mraz und Art Taylor.
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gypsy-tail-windIch denke nicht, dass das ein krummer Deal war mit Brand/Dyani … es gab um den Dreh rum halt viele Leute, die ihn aufnehmen wollten und diese Kleinstlabel hatte wohl keine Mittel, die grandiose Aufnahme unter die Leute zu bringen. Ich wusste davon übrigens bis zum Wochenende auch nichts. Und es gibt von 1983 noch so eine Schweizer Kleinproduktion, die ich gerade auch erstmals entdecke – auch mit einer Aufnahme von 1973: https://www.discogs.com/release/4058277-Abdullah-Ibrahim-Dollar-Brand-Featuring-Bea-Benjamin-Boswil-Concert-1973
…..wenn dir die irgendwann einmal in die finger fallen sollte und sie richtig sauber aussieht, solltest du unbedingt zuschlagen, das set ist zwar im stück african piano zerschlagen und die fortsetzung auf seite zwei ist immer noch 32:43, also sehr voll, die pressung ist dafür doch sehr formidabel! seite eins mit sathima bea benjamin ist wundervoll, der klang ist transparent, die akustik in der kirche ist greifbar, come sunday und motherless child ergreifend, vor allem letzteres hat einen sehr eigenen charme! hier ein teil der cover-rückseite
zuletzt geändert von lotterlotta--
Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!gypsy-tail-wind
Jetzt geh ich dann erst mal ins Matinée-Konzert und danach höre ich wieder „Dream Bells“ – das ist sehr schön!ein höhepunkt unter den gitarrentrioalben! tatsächlich eins der schönsten, die ich kenne – und das tu ich erst seit der recherche für den entsprechenden thread.
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walter norris, george mraz, drifting (1974)
das ist ein wirklich schönes album. scheinbar aus der zeit gefallen, aber ich erkläre mir das auch ein bisschen aus norris‘ clubtätigkeiten, wo man auch in den frühen 70ern noch standards spielte und dafür nur ein klavier brauchte. jedenfalls ist die version von „a child is born“ hier die vielleicht schönste, die ich kenne. ganz anderer ansatz als montoliu, ein klavier, das nichts auffüllt, das sich auch nicht begleiten lässt, sondern ein gespräch aufnimmt. ich finde das auch besonders schön aufgenommen, trixi studio in münchen, der ingenieur wird als „herbert klimt“ aufgeführt, aber das hier ist sein einziger credit, was ich nicht recht glauben kann. ein verschreiber? ein pseudonym? am ende ist mir das ein bisschen zu konservativ, aber schon ziemlich herausragend unter den alben mit gleicher besetzung, die ich eigentlich nicht so mag.
kannte ich vorher noch nicht, guter tipp!
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Merci @lotterlotta, ich werde die Augen offenhalten … wahrscheinlicher ist es aber, dass ich via Online-Bestellung aus dem Ausland drankommen könnte
@vorgarten – dass „Drifting“ gefällt, freut mich sehr! Bei Montoliu ging es mir neulich ja recht ähnlich … ich bleibe bei ihm kalt und warm, manchmal finde ihn ihn klasse, aber oft zieht er an mir vorbei. Das mit „Dream Bells“ hatte ich nicht mehr im Kopf, hatte ja irgendwie das Gefühl, zumindest bis irgendwo in die Siebziger hinein würdest Du das eh alles kennen … da bin ich jetzt:
Attila Zoller – Dream Bells | Dankenswerterweise kriegte ich die 2014-Japan-CD diesen Winter in die Finger (in einem sehr günstigen Dreierpaket mit „Common Cause“ und „Overcome“ (in der vermaledeiten p/g/b/d-Besetzung mit Kirk Lightsey). Da ich „Common Cause“ schon ein klein wenig kannte, ist das hier die Entdeckung – und eine wirklich feine!
Attila Zoller (g), Frank Luther (b) und Sonny Brown (d) wurden am 26. Mai 1976 von Carlos Albrecht/Tonstudio Bauer im Domicile mitgeschnitten. Die Stimmung ist aufgekratzt und doch relaxed, die Musik klingt sehr warm und irgendwie dunkel, sparsam und total auf den Punkt. Eine singende Gitarre öffnet „Sudden Romance“, ausser dem folgenden „In Your Own Sweet Way“ (die eine Grosstat von Brubeck, die auch seine Verächter ernst nehmen dürften?) stammt alles Material von Zoller. Der Opener setzt den Ton: eine wunderbar warme Gitarre über federndem Bass, der in der Tiefe schnarrt und auch mal in die Höhe emporschnellt, dazu trockene Beats, binär, mit der gerade richtigen Dosis an Zickigkeit. Dann Brubecks Klassiker im Bossa-Gewand, Brown scheppert dezent, Luther drängt in den Vordergrund, seine Begleitung wird manchmal zur zweiten Stimme – er und Zoller spielen beide zugleich Melodie und Begleitung. Die Gitarre klingt auch hier wahnsinnig schön. Jimmy Raney sei sein grosses Vorbild gewesen, lese ich auf Wikipedia, und dass die beiden 1980 gemeinsam aufgenommen haben – drei Duo-Alben auf L+R, alle 2022/23 in Japan wieder aufgelegt – kennt die jemand? Raney hab ich dank dem Gitarre-Trio-Faden schon etwas vertieft, und das Zoller-Paket geriet natürlich auch deshalb in den Fokus.
Auf dem Album geht es mit „Seascape“ weiter, ein Thema wie eine Kippfigur, zumindest im prägenden Bass-Ostinato. Brown dreht hier etwas auf, Zoller spielt über der sich durch Akzentverschiebungen vor allem auf der Snare ständig bewegenden Begleitung kurze Phrasen, nimmt sich viel Zeit, macht Pausen, die allmählich abnehmen, aber dennoch findet hier keine echte Verdichtung statt, das klingt eher wie Musik ohne Beginn und Ende, sie könnte ewig weitergehen, wirkt dabei aber keinen Moment ziellos. Mit einer akkordischen Phrase, die er einige Male wiederholt, beschliesst Zoller sein Solo und überlässt den Raum dem Bass von Luther, während Brown von den Trommeln an die Glocken wechselt, mit Becken untermalt. Ein wenig klingt diese „Seascape“ wie eine zeitgenössische Fortsetzung der Meeres-Meisterstücke von Herbie Hancock, „Empyrean Isles“ und „Maiden Voyage“. Dass durchs geöffnete Fenster noch ein paar Vögel mitpfeifen, passt gerade auch sehr gut, obwohl natürlich keine Möwen dabei sind.
Seite zwei der LP wurde dann vom Titelstück gefüllt, in dem es freier als auf der ersten Seite zu und hergeht. Die Dramaturgie des Album ist auch exzellent: vom recht simplen Beat im Opener über den Latin-Groove geht es in immer klangmalerische Gefilde, die freier, offener und phasenweise auch deutlich zupackender werden. „Dreambells“ steht über den abgedruckten Noten auf dem Rückcover, das Stück ist im 3/4-Takt (und es enthält einen, in dem Gitarre und Bass gemeinsam eine Quintole über einen ganzen Takt spielen … oder wie schreibt man sowas? fünf gleichmässige Schläge über drei – keine Ahnung, wie man sowas halbwegs sauber hinkriegt). Jedenfalls tun sich hier nochmal weitere Klangwelten und Soundscapes auf, dabei klingt das alles völlig natürlich, es hat einen Flow, obwohl das Stück durch mehrere Teile geht, die recht abrupt aufeinander folgen … und wer summt so bei 12 Minuten mit und fängt dann plötzlich zu schreien an, irgendwann werden Wortfetzen erkennbar („I hear a melody“?) und dann wird lautmalerisches Gebrüll daraus, das die Gitarre aufzugreifen scheint (dass die Stimme auch von Zoller kommt, glaub ich nicht, wäre heftig zusammen mit dem, was er spielt). Der nächste Teil ist dann eine Art Two-Beat-Polka, in dem der Bass und die Gitarre in ein Zwiegespräch treten (und die Stimme würde ich mal Brown zuordnen?), das Tempo zieht immer mehr an – und irgendwie finden die drei nach 18 Minuten tatsächlich nochmal zum Thema zurück. Ein irrer Trip!
Auf der CD folgt dann noch ein Bonustrack, „Oleo“ – und irgendwie finde ich das hier keine so gute Idee. Hätte man das Stück besser an den Anfang gestellt? Oder irgendwo dazwischengeschoben (aber nicht zwischen „Seascape“ und „Dream Bells“ bitte!)? Es geht wieder eher so zu und her wie am Beginn der Platte. Ein schönes Stück, in dem das Trio wieder völlig zu einer Einheit verschmilzt – eine echt gute Performance, etwas angeberisch vielleicht, manchmal mit einer Dynamik und Dramaturgie, wie man sie eher von klassischen Big Bands kennt … aber ans Ende dieses wundersamen Albums passt das nicht so recht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
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