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Merci @lotterlotta, ich werde die Augen offenhalten … wahrscheinlicher ist es aber, dass ich via Online-Bestellung aus dem Ausland drankommen könnte
@vorgarten – dass „Drifting“ gefällt, freut mich sehr! Bei Montoliu ging es mir neulich ja recht ähnlich … ich bleibe bei ihm kalt und warm, manchmal finde ihn ihn klasse, aber oft zieht er an mir vorbei. Das mit „Dream Bells“ hatte ich nicht mehr im Kopf, hatte ja irgendwie das Gefühl, zumindest bis irgendwo in die Siebziger hinein würdest Du das eh alles kennen … da bin ich jetzt:
Attila Zoller – Dream Bells | Dankenswerterweise kriegte ich die 2014-Japan-CD diesen Winter in die Finger (in einem sehr günstigen Dreierpaket mit „Common Cause“ und „Overcome“ (in der vermaledeiten p/g/b/d-Besetzung mit Kirk Lightsey). Da ich „Common Cause“ schon ein klein wenig kannte, ist das hier die Entdeckung – und eine wirklich feine!
Attila Zoller (g), Frank Luther (b) und Sonny Brown (d) wurden am 26. Mai 1976 von Carlos Albrecht/Tonstudio Bauer im Domicile mitgeschnitten. Die Stimmung ist aufgekratzt und doch relaxed, die Musik klingt sehr warm und irgendwie dunkel, sparsam und total auf den Punkt. Eine singende Gitarre öffnet „Sudden Romance“, ausser dem folgenden „In Your Own Sweet Way“ (die eine Grosstat von Brubeck, die auch seine Verächter ernst nehmen dürften?) stammt alles Material von Zoller. Der Opener setzt den Ton: eine wunderbar warme Gitarre über federndem Bass, der in der Tiefe schnarrt und auch mal in die Höhe emporschnellt, dazu trockene Beats, binär, mit der gerade richtigen Dosis an Zickigkeit. Dann Brubecks Klassiker im Bossa-Gewand, Brown scheppert dezent, Luther drängt in den Vordergrund, seine Begleitung wird manchmal zur zweiten Stimme – er und Zoller spielen beide zugleich Melodie und Begleitung. Die Gitarre klingt auch hier wahnsinnig schön. Jimmy Raney sei sein grosses Vorbild gewesen, lese ich auf Wikipedia, und dass die beiden 1980 gemeinsam aufgenommen haben – drei Duo-Alben auf L+R, alle 2022/23 in Japan wieder aufgelegt – kennt die jemand? Raney hab ich dank dem Gitarre-Trio-Faden schon etwas vertieft, und das Zoller-Paket geriet natürlich auch deshalb in den Fokus.
Auf dem Album geht es mit „Seascape“ weiter, ein Thema wie eine Kippfigur, zumindest im prägenden Bass-Ostinato. Brown dreht hier etwas auf, Zoller spielt über der sich durch Akzentverschiebungen vor allem auf der Snare ständig bewegenden Begleitung kurze Phrasen, nimmt sich viel Zeit, macht Pausen, die allmählich abnehmen, aber dennoch findet hier keine echte Verdichtung statt, das klingt eher wie Musik ohne Beginn und Ende, sie könnte ewig weitergehen, wirkt dabei aber keinen Moment ziellos. Mit einer akkordischen Phrase, die er einige Male wiederholt, beschliesst Zoller sein Solo und überlässt den Raum dem Bass von Luther, während Brown von den Trommeln an die Glocken wechselt, mit Becken untermalt. Ein wenig klingt diese „Seascape“ wie eine zeitgenössische Fortsetzung der Meeres-Meisterstücke von Herbie Hancock, „Empyrean Isles“ und „Maiden Voyage“. Dass durchs geöffnete Fenster noch ein paar Vögel mitpfeifen, passt gerade auch sehr gut, obwohl natürlich keine Möwen dabei sind.
Seite zwei der LP wurde dann vom Titelstück gefüllt, in dem es freier als auf der ersten Seite zu und hergeht. Die Dramaturgie des Album ist auch exzellent: vom recht simplen Beat im Opener über den Latin-Groove geht es in immer klangmalerische Gefilde, die freier, offener und phasenweise auch deutlich zupackender werden. „Dreambells“ steht über den abgedruckten Noten auf dem Rückcover, das Stück ist im 3/4-Takt (und es enthält einen, in dem Gitarre und Bass gemeinsam eine Quintole über einen ganzen Takt spielen … oder wie schreibt man sowas? fünf gleichmässige Schläge über drei – keine Ahnung, wie man sowas halbwegs sauber hinkriegt). Jedenfalls tun sich hier nochmal weitere Klangwelten und Soundscapes auf, dabei klingt das alles völlig natürlich, es hat einen Flow, obwohl das Stück durch mehrere Teile geht, die recht abrupt aufeinander folgen … und wer summt so bei 12 Minuten mit und fängt dann plötzlich zu schreien an, irgendwann werden Wortfetzen erkennbar („I hear a melody“?) und dann wird lautmalerisches Gebrüll daraus, das die Gitarre aufzugreifen scheint (dass die Stimme auch von Zoller kommt, glaub ich nicht, wäre heftig zusammen mit dem, was er spielt). Der nächste Teil ist dann eine Art Two-Beat-Polka, in dem der Bass und die Gitarre in ein Zwiegespräch treten (und die Stimme würde ich mal Brown zuordnen?), das Tempo zieht immer mehr an – und irgendwie finden die drei nach 18 Minuten tatsächlich nochmal zum Thema zurück. Ein irrer Trip!
Auf der CD folgt dann noch ein Bonustrack, „Oleo“ – und irgendwie finde ich das hier keine so gute Idee. Hätte man das Stück besser an den Anfang gestellt? Oder irgendwo dazwischengeschoben (aber nicht zwischen „Seascape“ und „Dream Bells“ bitte!)? Es geht wieder eher so zu und her wie am Beginn der Platte. Ein schönes Stück, in dem das Trio wieder völlig zu einer Einheit verschmilzt – eine echt gute Performance, etwas angeberisch vielleicht, manchmal mit einer Dynamik und Dramaturgie, wie man sie eher von klassischen Big Bands kennt … aber ans Ende dieses wundersamen Albums passt das nicht so recht.
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