Antwort auf: Enja Records

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Archie Shepp – Steam | Jazz Ost-West, Nürnberg, 14. Mai 1976 – Enja ist fünf Jahre alt, als es Archie Shepp im Trio mit Cameron Brown und Beaver Harris mitschneidet (Carlos Albrecht vom Tonstudio Bauer übernimmt den Job). Ich bin vermutlich grad 18 geworden, als ich das entdecke, und das ist noch vor den Impulse-Aufnahmen die eine Shepp-CD, die sich mir heftig einbrennt. Es gib eigentlich fast nur Klassiker hier: „Solitude“, „Invitation“, „Ah-Leu-Cha“ bilden einen über halbstündigen Block (die gedruckten Zeitangaben der CD-Ausgabe stimmen nicht, „Ah-Leu-Cha“ ist 8:13 statt 14:24 Minuten, „Steam“ 9:17 statt knapp 7:50, „Invitation“ ist auch leicht daneben: 14:27 statt der im Booklet gedruckten 14:40).

Der 19minütige Opener „A Message from Trane“ stammt von Cal Massey, den ich damals zwar von „Africa/Brass“ gekannt haben dürfte, aber sein Candid-Album und auch seine weitere Zusammenarbeit mit Shepp kannte ich noch nicht – oder doch? Ich durfte mir um den Dreh herum eine Kopie von „Kwanza“ ziehen, ein Musiklehrer lieh mir einen Stapel Platten, auch dabei die brown-bag Doppel-LP mit Cecil Taylors Transition/United Artists-Alben, Sun Ra auf MPS (davon fand ich dann recht bald die Doppel-CD), mir damals völlig unverständlich bleibendes Freies von Steve Lacy aus den Siebzigern und einiges mehr. Nach dem genannten Block folgt Shepps Titelstück und zum Ausklang – old school – „52nd Street Theme“ als tag. Auf der LP gab’s „A Messsage from Trane“ auf der ersten und „Solitude“ gefolgt von „Steam“ auf der zweiten Seite.

Hier braucht mensch also unbedingt die CD, denn auf dieser ist das „full, unedited and unabridged concert“ zu hören, wie ein Blurb hinten auf meiner Ausgabe (die von 1987 zehn Jahre später für die „25th Anniversary Edition“ in eine zusätzliche Lage Pappe gepackt). Ein Japan-Reissue gab’s auch, das von 2021 ist allerdings vergriffen, eins von 2018 könnte aber noch zu kriegen sein. 2007 gab’s das Album auch in der 24bit Remasters-Reihe wieder, aber die ist ja echt nichts fürs Auge. Das Coverfoto stammt unverkennbar wieder von Giuseppe Pino, für die CD-Ausgaben wurde es irgendwann ganz an den Rand gezogen – keine so gute Idee vom Design her, aber ein tolles Bild!

Die Musik entwickelt schon im ersten Stück einen unglaublichen Drive. Cameron Brown rast walkend durch, Beaver Harris spielt einen leichten Beat, der sich irgendwie völlig gegen die Konventionen zu stellen scheint, und Shepp hebt darüber erstmal zu einem fast viertelstündigen Solo-Flug an, wie man ihn von Coltrane oder Rollins kennt. Es folgt ein Bass-Solo, bevor Shepp das Stück zu Ende führt.

In Ellingtons „Solitude“ wird Shepps toller Ton noch schöner hörbar. Brown spielt eine federnde Two-Beat-Begleitung (ganz ohne Geschmiere, eine Wohltat), die Bass-Drum von Harris scheint irgendwie das Mikrophon zu überfordern. Aber der dadurch entstehende Kick, zusammen mit den Besen auf der Snare, passt, echt gut: das ist tatsächlich live und unverfälscht, und wirkt auch auf Platte total spontan. Und nach einer halben Stunde schon, als auch hier ein kurzes Bass-Solo (Shepp setzt sich dabei ans Klavier) und eine Rekapitulation von Shepp vorbei sind, merke ich, dass ich das lange nicht gehörte Album ein ganzes Stück besser finde, als ich das im Gedächtnis abgelegt hatte!

Für „Invitation“ spielt Harris dann in den A-Teilen diesen klöppelnden Latin-Beat und rumpelt in der Bridge trotz straightem 4/4 irgendwie weiter – das ist überhaupt beeindruckend, wie frei er hier agiert, ohne dass das irgendwie Free Jazz wäre oder so. Er scheint die Konventionen ständig zu unterlaufen oder neu zu erfinden. Etwas lauter im Mix dürfte er sein, damit man das auch besser hören kann. Aber das ist unbedeutendes Rumgemäkel an dieser phantastischen Aufnahme. Nach einem formidablen Bass-Solo scheint sich Harris in einem Moment der Unsicherheit durchzusetzen und soliert auch mal ein wenig, doch Shepp setzt irgendwann beharrlicher wieder ein und Harris trommelt über die Themenwiederholung weiter, und dann wird weitergerifft – spontan eben, ungeschnitten, und toll!

„Ah-Leu-Cha“ – rasendes Tempo wieder, Brown im Thema in den A-Teilen mit einem Orgelpunkt, in den B-Teilen walkt er, wie später hinter Shepp. Harris kickt das wieder, dieses Mal eher von der Snare aus, scheint da und dort gekonnt Trommel-Rudiments einzustreuen. Shepp hebt wie in jedem Stück in diesem Konzert ab, rauht seinen Ton auf, verdichtet, streut kurze Riffs ein, Themenfragmente, die er dreht und wendet, um dann wieder davonzueilen, mit einem Lauf, einer Melodie. Und hier darf Harris nach vier Minuten dann ran, ein paar Fours mit Brown und dann mit Shepp. Auch hier ein paar Unsicherheiten – vermutlich ist das alles nicht vorgängig abgesprochen worden. Doch das tut dem Vergnügen nicht den geringsten Abbruch. Das ist eh keine Kunst des perfekten sondern eine des Spontanen, in alle Richtungen offenen.

„Steam“ ist dann ein 2/4 oder 6/8 (oder sind’s 4 und 12?) Stück, in dem Harris einen Dreier-Beat über die (manchmal aufgefüllten) Einsen von Brown spielt, während Shepp die ungewöhnliche Begleitung als Backdrop für ein Solo nützt, das in der Souveränität tatsächlich an Sonny Rollins erinnert, ehe er ein paar Motive einstreut, die eher an Coltrane gemahnen. Das ist traditionsbewusster und doch sehr offener Jazz, der nichts mit dem Neokonservatismus gemeinsam hat, wie er wenige Jahre später aufkommen sollte. Ein Hammerkonzert jedenfalls: aufregend, quicklebendig, unvorhersehbar.

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