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The Indica Project – Horn OK Please | Die bemalte Rückseite eines indischen Lastwagens ziert das Cover dieses Albums, mit dem mein kleiner Enja-Weber-Ausflug beginnt. Hier scheint jemand mal versucht zu haben, den Puls der Zeit zu erwischen – und kam dem Album „OK“ von Talvin Singh sogar noch ein Jahr zuvor. Greg Osby braucht man in einem Jazzforum nicht vorzustellen – er spielt allerdings hier nur auf en ersten zwei Tracks, der „Ganpati Parade“ und „Theme for Hawk Hemp“. D Wood (g, perc) und Stormss (b, perc) haben die Musik geschrieben und das Album produziert, das in Mumbai und New York aufgenommen wurde (Music Room, Mumbai, Dezember 1995; Spectral Harmony, Mumbai, April 1996; Studio 900, NYC, April-Mai 1996). Wer die zwei Produzenten sind, weiss ich nicht – beide haben keine weiteren Credits bei Discogs.
Der indische Teil der Band besteht aus Sriram Iyer (v) sowie Mukesh Parmar, Shashank Joshi und Vijay Chavan (perc) in der öffnenden „Ganpati Parade“ (mit Osby und den beiden Produzenten) und den drei Percussionisten (ohne weitere Musiker) in der kurzen abschliessenden „Ganpati Parade Reprise“, die in der Liste der Stücke fehlt. Bei den restlichen Stücken bilden Iyer, Bhooshan Munj (tabla) und Bobby Duggal (ghatam) zusammen mit Bob Weiner (d) und den Produzenten die Basis-Band. Nach dem zweiten Auftritt von Osby (Violine zum einstieg, dann ein funky Groove) folgt mit „The Workshop“ ein langes reines Percussion-Stück (Weiner, Munj, Duggal, D Wood, Storms) – entstanden, als Weiner unerwartet in Mumbai auftauchte und für Masterclasses und Sessions zu den anderen stiess. In „The Guide“ sind zwei Gäste aus Südafrika zu hören: Morris Goldberg spielt die Pennywhistle und der Ende Januar verstorbene Tony Cedras das Akkordeon. D Wood öffnet an der Gitarre mit Klängen zwischen Funk und Gospel, dann spielen sie alle zusammen, Violine, Akkordeon, Pennywhistle im Kontrapunkt über einem Groove von etwas Gitarre, satter Bassgitarre und einem etwas schwierigen Percussion/Ghatam-Mix (die Tabla machen Pause). Das Stück schliesst mit einer Trommel-Improvisation. Für das folgende Titelstück (das letzte vor der Reprise des Openers) sind die zwei Produzenten mit Violine, Percussion, Tabla und Ghatam zu hören: „This exuberant road song is driven by Indian and Latin rhythms and features an extended duet between bass and cuica: a Brazilian friction drum“.
Das Album höre ich heute erst zum dritten Mal – ich fand es, als wir uns in die Neunziger eingruben und ich ein paar Osby-Lücken schloss (die liefen noch nicht, sind sonst auch alles spätere Sachen). Ich finde den Mix alles in allem ziemlich gelungen – es gibt kaum dominanten Stimmen, einen guten Gruppensound (was auch überraschend ist, weil ich denke, dass die Sachen zumindest teils erst im Studio montiert wurden), die Improvisationen – allein oder in der Gruppe – wirken spontan, die Grooves machen Spass und funktionieren bei allem Eklektizismus ziemlich toll. Auf dem Rückcover ist hier ein Logo zu sehen, das ich sonst noch nicht kannte: „enja world“ um die Umrisse von Indien herum gruppiert (und Air India wird als Transport-Sponsor verdankt).
Interessant, dass Weber hier die Nase scharf am Wind hatte, weil ich die Neugierde für andere Sounds und auch für Inkohärentes, das dann in Alben irgendwie geschickt zusammengesetzt wird, sonst eher bei Winckelmann zu sehen glaube.
Charlie Mariano / Quique Sinesi – Tango para Charlie | Das Duo-Album von Charlie Mariano mit Enrique „Quique“ Sinesi, der u.a. mit den Tango Nuevo Gruppen von Dino Saluzzi und Pablo Ziegler (der zu Piazzollas Gruppe gehörte) gespielt hat, wurde am 29. und 30 Oktober 2000 im Hans Studio in Bonn mitgeschnitten, produziert hat Werner Aldinger. Mariano spielt auch mal Flöte, Sinesi wechselt zwischen einer „7 string spanish guitar“, einer „charango“ und einer „piccolo guitar“. Los geht es vierteilig mit „Berliner Tanguismos“ von Sinesi, für die restlichen zwei Drittel wechselt das Material zwischen den beiden.
Das ist ein sehr schön klingendes Duo, das sich aber für meine Ohren manchmal auch etwas im Wohlklang erschöpft und etwas eintönig wird, auch wenn die Gitarre durchaus schön klingt – ich warte dann auf den Wiedereinstieg von Mariano am Saxophon, an dem er so gut klingt wie auf „Deep in a Dream“. Die Balance passt aber schon ganz gut, die Gitarre wechselt nahtlos zwischen Begleitung und Soli (bei denen ich mir aber nicht sicher bin, wie oft da wirklich improvisiert wird – oft wirkt das auf mich ziemlich ausgearbeitet oder auch sehr nah an den Strukturen der gespielten Songs). Im Closer, „Gone“, nur zwei Minuten kurz, greift Mariano dann zur Querflöte – und ich frage mich, ob die nicht schon früher ein paar Mal hätte eingesetzt werden können, um das Album etwas abwechslungsreicher zu gestalten.
Schön, aber für meine Ohren etwas eintönig und zu lang. Unter dem Logo und der Katalognummer auf dem Rückcover steht hier übrigens klein gedruckt noch „classic jazz“ dazu – wie auch beim folgenden Album, ebenfalls ein Duo.
Archie Shepp & Mal Waldron – Left Alone Revisited | Classic Jazz? Vielleicht. Mal Waldron schreibt im kurzen Begleittext, dass es für ihn nach Billie Holidays Tod lange zu schmerzhaft gewesen sei, die mit ihr verbundenen Songs zu spielen, aber bei der Begegnung mit Archie Shepp (7. und 8. Februar 2092 in der „Muse en circuit“ in Paris) passte es zum ersten Mal – vielleicht auch, weil Shepp das Material ausgewählt hätte: „performing the songs became for me a joyous time in which I recalled many happy and positive moments together with Billie. Also re-estabilishing contact with Archie Shepp, who is one of the truly great saxophonists of our time, made the creation of this album a fantastically uplifting experience for me!“
Ein Wiederhören (meiner 20jährigen CD-R – mal schauen, ob sie bis zum Schluss so reibungslos läuft wie am Anfang), das mit etwas Angst behaftet war, gerade nachdem ich neulich mit „Body & Soul“ meine liebe Mühe hatte – aber das scheint dieses Mal völlig unbegründet zu sein. Shepp kommt hie und da in die Nähe der Klänge, die mich bei „Body & Soul“ stören, aber hier ist das alles gerade sehr erträglich – zum ersten Mal überhaupt. Allerdings habe ich seit ein paar Jahren keinen neuen Anlauf gewagt. Das freut mich gerade sehr, denn ich entdecke dieses Album heute völlig neu!
Die Auswahl der Songs ist natürlich toll, mein Favorit (unabhängig von Aufnahmen von Holiday oder anderen) ist wohl „Nice Work If You Can Get It“ (George & Ira Gershwin). Im darauf folgenden „Everything Happens to Me“ wechselt Shepp ans Sopran – und es klingt manchmal so, als sei er kurz vorm Entgleisen: Intonation, Atem/Luft, ein nur halb getroffener Oberton, der unrein verklingt – als Hommage an Holiday wahnsinnig berührend, und für sich genommen einfach sehr persönlich, fast intim – und sehr schön. Natürlich fehlt Waldrons „Left Alone“ nicht (am Schluss der CD gibt es noch – vermutlich von Shepp gesprochen? – den zugehörigen Text von Holiday), und auch „Lady Sings the Blues“ (Text von Holiday, Musik von Herbie Nichols) darf nicht fehlen. Die Gershwins (und DuBose Heyward) sind mit „Porgy“ erneut vertreten, Shepp steuert seinen „Blues for 52nd Street“ bei. Den Einstieg ins Album mach „Easy Living“, und in seiner Mitte stehen „When Your Lover Has Gone“ und „I Only Have Eyes for You“, letzteres wieder mit diesem unendlich berührenden Sopransaxophon.
„Left Alone“ ist vielleicht mein grosses Highlight: neun Minuten, in denen eine ganze Welt aufgeht – die Zeit, die Zärtlichkeit, der Atem … grossartig. Die Gradlinigkeit und Direktheit, die scheinbare Einfachheit dieser Musik lässt mich heute auch mal an Carlos d’Alessio denken, die Musik, die er für Marguerite Duras‘ „India Song“ komponiert hat. Natürlich wird hier unendlich nuanciert aufgespielt, sowohl von Waldron – der seine Grooves für einmal überhaupt nicht auspackt und viel weicher, verletzlicher klingt als meistens – wie auch von Shepp, der besonders am Tenor (wo er das obertonreiche Spiel natürlich perfekt beherrscht) mit einer unendlich nuancierten Tongestaltung glänzt.
Wirklich schön, dieses Album nach zwanzig Jahren und halb so vielen Anläufen nun doch endlich noch zu entdecken.
Karin Krog – Where You At? | Die letzte Runde des kleinen Weber(/Aldinger)-Exkurses: die grande dame aus Norwegen trifft an in New York („The Studio“, 4.-6. November 2002) auf das Trio des Pianisten Steve Kuhn (David Finck am Bass und Billy Drummong am Schlagzeug) – mit dem Krog zuletzt 1974 „We Could Be Flying“ eingespielt hatte. John Surman produziert – mein Cover ist völlig anders als das, mit dem @vorgarten nicht bei Parties gesehen werden wollte (ich finde den Post nicht mehr, grad ne Viertelstunde gesucht, statt endlich das Album zu hören begonnen …) – auch nicht viel besser, allerdings.
Mit Kuhns „The Meaning of Love“ geht es los – und das setzt den Ton für die Auswahl der Stücke: es folgen zwar das Titelstück (Handy/Segal) und dann „Lazy Afternoon“ im Duo mit Kuhn (LaTouche/Moross – Kuhn nahm es mit Pete LaRoca für dessen Blue Note-Album „Basra“ auf) und später noch „You Say You Care“ (Styne/Cahn) und als Closer „Gloomy Sunday“, doch es gibt auch sechs weitere Originals von Leuten, die im Studio dabei waren: „Speak of Love“ („Adagio“ war der Originaltitel, bevor es Lyrics dazu gab) und „Saharan“ (früher „The Baby“) von Kuhn, „It Could Be Hip“, „Kaleidoscopic Vision“ und „Missing Calada“ von Krog/Surman sowie „Canto Mai“ von Surman.
Nach dem „Nordic Quartet“ auf ECM, das ich mal zufällig aus einer Grabbelkiste gezogen hatte, war das mein erstes richtiges Krog-Album. Wie abenteuerlich ihr Gesang sonst oft war, ahnte ich damals noch nicht. Ich mag diese Session mit Kuhn schon sehr gerne – aber obwohl ich die richtige Krog-Vertiefung (eins dieser noch nicht gebührend umgesetzten foruminduzierten Projekte) noch nicht hinter mir habe, ist das längst kein Lieblingsalbum mehr. Das Trio agiert hervorragend aber ich mag es instrumental lieber (z.B. auf „Dedication“ und „Countdown“ auf Reservoir, 1997 und 1998 eingespielt).
Dass sie sich bei einigen Songs von Dave Frishberg („You Say You Care“ und „Where You At?“) inspirieren liess, bei letzterem auch Bob Dorough (mit dem Frishberg das Stück eingespielt hat) genannt wird, ist kaum ein Zufall. Bei „It Could Be Hip“ liegt auch der Gedanke an Blossom Dearie nicht fern, die Frishberg/Doroughs „I’m Hip“ eingespielt hat – doch in der Stimme von Krog höre ich hier eher leise Anklänge an ihre sieben Jahre ältere Kollegin Helen Merrill. Bei Surman gibt es ein Rubato-Intro in einer Fantasiesprache über Arco-Bass – etwas lyrisches Dada, bevor das ganze in einer Art Samba kippt (weshalb die an einen Mix aus Portugiesisch und Spanish erinnernde „Sprache“ nicht so fehl am Platz ist). Da öffnen sich viele Verbindungen – und vielleicht ist das Album gerade deshalb auch nicht mein liebstes (das war es früher, als es das einzige war … auf „Nordic Quartet“ taucht Krog ja nur vereinzelt auf).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deWelches Equipment verwenden eigentlich…Pink Floyd?
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WerbungIngrid Jensen – Here On Earth | Das zweite Album der Trompeterin Ingrid Jensen war bei mir auch ein 90er-Beifang. Es gefällt mir ziemlich gut, nicht nur dank des lyrischen Spiels der Leaderin sondern auch dank der starken Band und des guten Materials. Aufgenommen wurde das Album am 19. und 20. September 1996 im Systems Two in Brooklyn (Joe Marciano). Nach der All-Star-Band auf ihrem Debut „Vernal Fields“ brachte Winckelmann sie hier mit Leuten zusammen, die sie schon lange kannte und mit denen es nicht vieler Worte bedurfte, wie Jensen in den Liner Notes sagt: George Colligan (p, rhodes), Dwayne Burno (b) und Bill Stewart (d) bilden eine bewegliche aber total geerdete Rhythmusgruppe, die aufeinander und auf die Leaderin wirklich fein abgestimmt sind.
Im zweiten Stück, „Woodcarvings“, einer Hommage im 12/8-Takt an das Vorbild Woody Shaw, wechselt Colligan ans Fender Rhodes und Gary Bartz am Sopransax taucht erstmals auf – der wichtigere der „and others“ auf dem Cover, der courtesy of Atlantic Records dabei sein darf und ein paar starke Soli beisteuert. Im Booklet ist zu lesen, dass Jensen eine „totally religious experience“ hatte, als sie Bartz ein paar Jahre zuvor in einem Club in New York hörte und er ein wohl 25minütiges Solo spielte „and it felt like everyone left the planet with him because it was such a spirited and deep, passionate way of attacking a blues“. Danach habe sie gedacht: „This is a person I’m going to dream of playing with the rest of my life“. Im folgenden Titelstück sielt Bartz dann Altsax, Colligan hat das Stück geschrieben (auch den Opener „Shiva’s Dance“ sowie die sehr eigenwillige Reharmonisierung von „You Do Something to Me“, in dem Bartz auch am Altsax dabei ist, Jensen die Trompete mit Dämpfer spielt). Für Bill Evans‘ „Time Remembered“ hat Jensen eigene Lyrics geschrieben und sie der Sängerin Jill Siefers anvertraut, der anderen mit „and others“ gemeinten Mitwirkenden.
Der andere Evans, Gil, ist mit „Time of the Barracudas“ vertreten, in dem Dwayne Burnos Bass eine prominente Rolle einnimmt und Stewart am Schlagzeug glänzt: irgendwie unberechenbar, zupackend, aber dabei sehr leicht und locker wirkend. Evans ist auch deshalb total logisch, weil Jensen auch (auf CD erst 2000, aber sie dankt hier Schneider schon) zur Band von Maria Schneider stiess (als zweite Frau in der Trompetensection, zu der schon Laurie Frink gehörte). Colligan sitzt hier passenderweise wieder am Rhodes. „Ninety-One“ stammt von einer damals kürzlich verstorbenen Freundin von Jensen und Colligan, der Pianistin Mercedes Rossi. Die zwei spielen es als Duo: „George originally was a trumpet player and a drummer […] and his trumpet playing reminded me of Woody Shaw. For a number of reasons he switched to piano, but his experiences with those other instruments makes him the ideal collaborator and supporter for what I’m trying to do.“ Kenny Wheeler ist ein anderes Vorbild von Jensen und von ihm stammt das folgende „Consolation“, in dem Seifers zum zweiten Mal singt – ohne Text und zunächst fast wie eine zweite Trompete klingen (oder ein Flügelhorn – im ersten Stück mit Seifers spielt Jensen gemäss den Liner Notes jedenfalls Flügelhorn).
Bevor das Album mit Hank Mobleys „Avila and Tequila“ endet, ist noch „Fallin'“ zu hören, komponiert von Jensens jüngerer Schwester Christine – nicht das erste im Dreiertakt, nach dem Titeltrack und der Shaw-Hommage im 12/8. Bartz ist auf beiden dabei, Colligan spielt im ersten wieder das Rhodes. Im Closer kriegt dann Bill Stewart einen ganzen Durchgang, nachdem der Solo-Reigen mit Bartz in Zitierlaune begonnen hat und Jensen statt eines Solos direkt mit Fours mit Stewart begann. Für mich ist das unterm Strich ein Album, das ein gutes Stück besser ist, als ich im Voraus erwartet hatte – greater than the sum of its parts, wenn man so will.
Franco Ambrosetti – Light Breeze | Für sein Album, das am 11. und 12. April 1997 in den Avatar Studios in New York von Jim Anderson aufgenommen wurde, entwickelte Ambrosetti ein neues Konzept: Die Musik wurde in einer Art Suitenform in einem Take aufgenommen. Davor gab es nur eine Probe, bei der das Material angeschaut und der Ablauf geklärt, aber keine Soli geprobt wurden oder sowas. Auch die fünf kurzen Solo-Interludes (eins pro Musiker), die zwischen allen Stücken ausser den letzten zwei zu hören sind, wurden nicht geprobt. So sollte die Spontanität eines Live-Gigs unter Studiobedingungen gewährleistet sein. Die Musiker, die Ambrosetti dafür um sich scharte, waren so einer Situation natürlich gewachsen: John Abercrombie (g), Antonio Faraò (p), Miroslav Vitous (b) und Billy Drummond (d) spielen mit ihm der Reihe nach Stücke von Daniel Humair („Versace“, der Opener), Gian Luca Ambrosetti („Deborah“), vom Leader selbst („Conempo Latinsky“), den Standard „My Foolish Heart“, „One for the Kids“, einen Romp vom alten Gefährten George Gruntz über einen New Orleans-Beat, Coltranes „Giant Steps“ sowie – auf dieses ohne Interlude folgend – ein zweites Stück vom Leader, „Silli in the Sky“. Das ist tatsächlich ein hübsches Album mit einem guten Flow geworden – und mit einem treffenden Titel obendrein. Ich hatte es bei meiner Ambrosetti-Vertiefung neulich ausgelassen bzw. in der Chronologie aufgehört, bevor ich zu dieser CD gekommen wäre, die seit wohl 25 Jahren da ist und sich im Nachhinein zwar nicht als der beste Einstieg erwies, aber eben doch als eine lohnenswerte Anschaffung. Die Sidemen kriegen alle ihre Spots und liefern gute Soli, es ist hier aber der Leader am Flügelhorn, der mit feinem Ton und singenden Linien über allem schwebt und das Album prägt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaEddie Harris / Wendell Harrison – The Battle of the Tenors | Der Titel ist irreführend: das Konzert beim Montreux-Detroit Jazz Festival vom 4. September 1994 (Ford Stage, Hart Plaza, Detroit, vom Radiosender WEMU Ypsilanti aufgenommen) war eine ausgesprochen freundliche Angelegenheit. Die CD erschien 1998 als Hommage an Harris bei Enja, das Logo von Harrisons Rebirth-Label ist auf der Rückseite ebenfalls zu finden.
Harris stiess als Gast zur Band von Wendell Harrison, in der nur Ralphe Armstrong an der Bassgitarre wirklich gut ist. Die Drums von Tom Starr sind leider recht langweilig und die Gitarre von Alex Rigowski auch eher sachdienlich. Harrison selbst ist zufrieden damit, dem älteren Gast die Bühne zu überlassen, wann immer der will … und der will und ist in ziemlich guter Form. Los geht es tatsächlich mit einer halben Battle über „Tenor Madness“. Die Saxophonisten sind leicht auseinanderzuhalten: Harris ist der mit dem leichten Ton, der kreisenden Phrasierung, den jumpenden Linien, dem unglaublichen intrinsischen Beat, währen Harrison einen schweren Sound bevorzugt. In den folgen Stücken übernimmt Harris dann mehr und mehr das Spotlight, bis er in „Vocalese“ drei Minuten improvisiert – als Intro zu „Eddie Who?“, das er singend und am Klavier präsentiert, während Harrison zur Klarinette greift – zu dem Zeitpunkt längst sein Hauptinstrument – und ein tolles Solo beiträgt. Als Zugabe folgt noch das viertelstündige „Ampedextrious“ – Harris weiterhin an Klavier und Gesang, Harrison an der Klarinette. Das ist ein Mitschnitt, der durchaus Spass macht, aber ganz bestimmt kein grosses Album oder so – da hätte sich recht leicht etwas Besseres finden lassen, dünkt mich. Andererseits ist 1998 noch ein paar Jahre vor dem Highspeed-Internet und den ganzen Trading-Seiten, die die Vernetzung unter Sammlern so viel einfacher machte. Und klar: würde man eher bei Weber erwarten, kam aber bei Winckelmann …
Ray Anderson Lapis Lazuli Band – Funkorific | Die nächste Runde ist auch wieder irgendwie funky und doch kein Funk: Vom 18. bis 22. Januar 1988 jammte Ray Anderson Lapis Lazuli Band in den Avatar Studios in New York (Jim Anderson): Ray Anderson (tb, voc), Amina Claudine Myers (org, p, voc), Jerome Harris (g), Lonnie Plaxico (b, elb), Tommy Campbell (d). Myers passt ja die Tage gerade, auch wenn der Kontext hier ein völlig anderer ist. Ansonsten sind das ja nicht die kleinsten Namen: Harris spielte lange mit Sonny Rollins Bass, zu dessen Band auch Campbell mal gehörte, der zudem u.a. mit Clifford Jordan, den Roots oder der Mingus Big Band gespielt hat. Und klar: Harris und Campbell waren schon bei „Don’t Mow Your Lawn“ dabei, dem letzten Anderson-Album, das ich gehört habe. Lonnie Plaxico brauchte man damals kaum vorzustellen. Wie es um Myers stand, kann ich schlecht einschätzen, mir ist sie auf diesem Album, das ich in der zweiten Hälfte der Neunziger gekauft habe, jedenfalls zum ersten Mal begegnet, ohne dass ich mit dem Namen da schon irgendwas verbunden hätte.
Lost geht es erstmal instrumental mit Plaxico am Kontrabass. Die Band mit Orgel und Gitarre wirkt sehr gut integriert – ich weiss nicht, ob die damals auch Gigs spielten oder tourten, falls nicht fanden sie im Studio sehr gut zusammen. Im dritten Stück, „Mirror Mirror“ gibt’s dann E-Bass und Gesang von Myers, danach ein vokales Growl-Solo von Anderson, der dann Background-Gesang beisteuert. Ich fand ihn damals umwerfend – und mag ihn auch heute noch ganz gerne. Einordnen kann ich ihn gar nicht … ob er sowas wie der Jazz-Tom-Waits der Downtown-Szene war? An vierter Stelle dann das schon von „Don’t Mow Your Lawn“ bekannte „Damaged But Good“, das durchaus das Zeug zum Standard hätte – dieses Mal im Duett von Anderson mit Myers, und die ist in Sachen Gesang definitiv ein Gewinn!
In der Mitte steht das instrumentale „Hammond Egg“, in dem Myers an der Orgel im Mittelpunkt steht – lässig, entspannt, von der Band ebenso begleitet: ein paar zurückhaltende Gitarrenakkorde, trockener Kontrabass, ein satter Backbeat von den Drums. Im Zwiebelprinzip geht es jetzt umgekehrt weiter: auf zwei Songs folgen wieder zwei Instrumentals. In „Monkey Talk“ singt Anderson, während Myers am Klavier sitzt und einen schönes Solo spielt – Plaxico hier wieder am Kontrabass. Aufs Posaunensolo folgt ein Scat-Solo, bevor Anderson nochmal ein paar von Ravens Zeilen singt. „I’m Not a Spy“ mochte ich damals sehr: ein langsamer Orgel-Blues mit einem toller Posaunensolo zum Einstieg, bevor Anderson und Myers im Wechsel zu singen beginnen. „Funkorific“ ist dann ein Blues über einen unregelmässigen Groove (ein paar gekürzte Takte oder sowas, in den Soli dann aber ganz normal 4/4 in 12taktiger Form), Campbell trommelt einen New Orleans-Beat, die Orgel faucht, die Gitarre streut kurze Riffs ein, der Kontrabass walkt … und darüber hebt Anderson ab, bevor Myers nochmal an der Orgel zu hören ist und die Band mit Campbell dass Stück zu Ende rifft. „Willie and Muddy“ (Dixon und Waters, nehme ich an) macht dann den Abschluss, mit 11 Minuten ca. doppelt so lange wie die acht bisherigen Stücke. Kontrabass-Intro, langramer Groove, viel Platz für Soli, hier dann auch mal für die Gitarre von Harris, die mir aber klanglich nicht so wirklich gefallen will.
Jackie Raven, die die Songtexte zu Andersons Songs beisteuerte, musste ich gerade endlich mal googeln – und dann wird auch klar, warum es in den Nullern stiller um Anderson wurde:
Jackie Raven, 51, Dancer and Promoter of Tap
By Jennifer Dunning
Sept. 22, 2002 (New York Times, September 22, 2002, Section 1, Page 39)Jackie Raven, a performer and promoter of tap dancing, died on Aug. 19 at her home in Setauket on Long Island. She was 51.
The cause was breast cancer, said her husband, the trombonist Ray Anderson.
Ms. Raven began dancing fairly late in life as a student in Japanese studies at Barnard College. On a trip to Japan she had what she called a cosmic vision of becoming a tap dancer.
Back in New York, she studied with Jane Goldberg and Cookie Cook. „Tap is like a disease in a way,“ she said in a 1987 interview with The New York Times. „It gets you. And then that’s it.“
Ms. Raven, who had a master’s degree in linguistics from the State University of New York at Brockport, was a primary force in the tap dance revivals of the 1970’s and 80’s in New York.
She promoted Albert Gibson of the Three Chocateers and performed in his Gibson Girls chorus line. She also promoted George Hillman, who performed in the Broadway musical „Black and Blue,“ and Ralph Brown, who had been a headline dancer with the Dizzy Gillespie Big Band.
Ms. Raven was a charter member of Brenda Bufalino’s American Tap Dance Orchestra. In 1981 Ms. Raven founded the N.Y.C. Tapworks trio with Neil Applebaum, a dance-trained wrestler with a master’s degree in child development. The trio was completed by Clara Hetherington, a hospital neuropsychophysiology technician.
The three performed a varied repertory of traditional tap steps, Latin and jump-rope numbers, as well as dances choreographed by Bill Irwin, Leon Collins and Ms. Bufalino.
In addition to her husband, Ms. Raven is survived by a son, Raven Anderson, and a daughter, Anabel Anderson, both of Setauket, and a sister, Deborah Libaire of Bellport, N.Y.</p>
Quelle:
https://www.nytimes.com/2002/09/22/nyregion/jackie-raven-51-dancer-and-promoter-of-tap.html--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaLee Konitz / Steve Swallow / Paul Motian – Three Guys | Dieses Trio spielte das erste Jazzkonzert, das mich wirklich umgehauen hat: 7. Mai 1998 im alten Jazz-Container in Uster, einer alten Fabrikhalle, die mit Sofas vollgestellt war. Wir sassen da glaub ich zu dritt weit vorn auf einem der alten Sofas. Der freundliche ältere Herr mit dem Saxophon spielte unverstärkt, der Mann an den Drums, den wir von den Aufnahmen des Bill Evans Trios kannten, langte ordentlich zu, aber Konitz konnte sich behaupten, ohne je laut zu werden. Das war meine erste Lektion in Sachen „projection“. Swallow stoisch an der Bassgitarre, wie immer trocken aber enorm musikalisch. Die CD habe ich dann erst viele Jahre später gekauft (und entsprechend eine normale Jewel-Case-Ausgabe, nicht das originale Digipack) – weil ein Tonträger mit so einem Konzerterlebnis einfach nicht mithalten kann. Am 4. und 5. Mai, also direkt bevor ich das Trio hörte, nahmen die drei im alten Radiostudio in Zürich das Album auf (Martin Pearson ist – bzw. war, das Radio zog weg – dort der Tonmeister, er erlangte wenig später etwas Bekanntheit, weil er für ein paar von Keith Jarretts ECM-Alben verantwortlich zeichnete). Konitz hat lakonische Liner Notes geschrieben (und sieht auf dem Foto von Ssirus W. Pakzad, der da schon längst einer der Hausphotographen Enjas war, noch ziemlich jung aus – er war ja auch erst 71, aber dem gerade 19 gewordenen jungen Ich kam er damals wie ein Greis vor), die ich netterweise nicht abtippen muss:
Auf dem Programm die Konitz’schen Evergreens: „It’s You“ (seine Variante von „It’s You or No One“), „Thingin'“ („All the Things You Are“), „A Minor Blue in F“, aber natürlich auch Stücke von Swallow und Motian. Vom Bassisten der Klassiker „Eiderdown“ sowie „Ladies‘ Waders“, von Motian neben „From Time to Time“ auch die Hommage an Jim Pepper, „Johnny Broken Wing“. Dazu kommt eine wunderbare Version von Jobims „Luiza“ und Aren/Mercers „Come Rain or Come Shine“. Das war glaub ich auch ziemlich exakt das Repertoire beim Konzert – und klar, „Come Rain or Come Shine“ kannten wir von „A Portrait in Jazz“. Das alles wirkt total frisch, ganz gemäss Konitz‘ Credo der spontanen Improvisation … die natürlich nicht mehr ganz so spontan sein kann, wenn man Jahrzehnte lang dasselbe Zeug spielt. Aber irgendwie klappte das bei ihm halt trotzdem, bis hin zum denkwürdigen letzten Konzert, das ich im Oktober 2012 hörte. Das Trio klingt sehr warm, der eigenwillige Sound und Beat von Motian – recht beckenlastig, hell – und das spröde und doch wunderbar dahinfliessende Saxophon von Konitz werden durch den Bass von Swallow irgendwie gekittet. Ich mag dieses Album inzwischen sehr – aber von der Erinnerung an das prägende Konzerterlebnis trennen kann ich es natürlich nach wie vor nicht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbadanke für die vorstellung, das album habe ich noch nie gesehen…
bin gerade im der schweiz, bei malcolm braff und lukas koenig, aber dazu später.
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vorgarten
danke für die vorstellung, das album habe ich noch nie gesehen…bin gerade im der schweiz, bei malcolm braff und lukas koenig, aber dazu später.
Das liegt hier auch noch … mag anderes von Braff lieber, aber ich hab’s als ganz gut in Erinnerung. (Koenig ist aus Österreich… und Reggie Washington natürlich von drüben.)
Mein Shepp/Waldron-Wunder hast Du schon gesehen?
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neulich, als es um vielgehörte Enja Alben ging, hatte ich das hier völlig vergessen… produziert von Murray selbst, sowohl bei Justintime als auch Enja erschienen… abgebildet ist die deutsche Version, die man am etwas anderen Albumtitel erkennt, Creole Project statt Creole… das Konzept ist genauso ambitioniert wie einfach und fast idiotensicher, Murray fährt mit einer fantastischen Band (James Newton, DD Jackson, Ray Drummond, Billy Hart) nach Guadeloupe und nimmt da für zwei Tage mit lokalen Musikern auf… das Programm besteht aus Treffen mit der örtlichen Jazzszene, dem Flötisten Max Cilla, dem Gitarristen Gerard Lockel und einigen Perkussionisten, zum Teil in eher jazzigen Tracks, zum Beispiel einem tollen Duett von Murray und Lockel, zum Teil in Songs des Liedermachers Teofilo Chantre, die so ein bisschen mehr Lokalkolorit/Urlaubsstimmung schaffen… (also: ich bild mir ein, dass das quasi die Lieder sind, die man dort im Radio hört) Flöte/Tenor-Frontlines mag ich sowieso, Murray hat tolle Momente, genu wie DD Jackson… und dadurch, dass es ziemlich abwechslungsreich ist – und dabei trotzdem als ganzes zusammenhängt – sind auch die 60 Minuten nicht zu viel… macht schon Sinn, dass mir das Mal so gefallen hat. Ob das jetzt wirklich ein Enja Album ist… immerhin hat sich irgendwer für das Wort „Project“ im Albumtitel starkgemacht…
Mir gefällt das auch sehr gut, das Programm ist abwechslungsreich, Murrays Band in Form (Hart glänzt mit ungewöhnlichen Beats), der Leader hat Spass in freieren Gefilden ebenso wie im Material aus Guadeloupe („Flor Na Pau“ von Chantre wäre in einer instrumentalen Version auf „Lucky Four“ auch nicht fehl am Platz gewesen), in „Guadeloupe Sunrise“ gibt’s das erste Duo mit dem lokalen Gitarristen (mit „Guadeloupe After Dark“ folgt gegen Ende des Albums ein zweites), im folgenden „Soma Tour“ sind nach dem Leader die Flöten von Max Cilla und James Newton im Duett zu hören. Newton hören zu können ist ja eh ein viel zu seltener Genuss (fickt euch, Beastie Boys, fickt euch hart!) und er ist hier recht prominent. Ob er oder Cilla fu „Gansavn’n“ (komponiert von Kiavue) zu hören ist, ist mir nicht ganz klar, aber auf „Mona“ ist’s dann sicher wieder Newton. Ein echt schönes Album!
Das komplette Line-Up: David Murray (ts, bcl), James Newton (fl), D.D. Jackson (p), Ray Drummond (b) und Billy Jabali Hart (d) treffen auf: Klod Kiavue (perc, ka drum, voc), Max Cilla (flute des mornes), Gérard Lockel (g), François Landreseau (lead voc auf „Savon de Toilette“, ka drum) und Michel Cilla (dibass drum, voc). „Gwo ka“ steht für „grosse Trommel“ (hier im Line-Up „ka drum“), die Suche nach der „dibass drum“ ist etwas schwieriger, aber hier finde ich einen kurzen frz. Artikel über einen der letzten, der auf Martinique die „tanbou di bas“ (auch d’bas) herstellt und da gibt es unten auch ein Foto, auf dem er sie spielt:
https://la1ere.francetvinfo.fr/martinique/schoelcher/raphael-paquit-est-un-passionne-de-tambours-dont-le-traditionnel-tanbou-di-bas-1395870.html
(CN eher nichts für Vegetarier*inner, Veganer*innen und Freund*innen niedlicher Jungtiere – das wichtigste daraus zur Herstellung: fürs Fell braucht man die Haut von Zicklein, die strapazierbar und fein sei, die Haut wird feucht gemacht, dann zwischen zwei Metallkreisen eingespannt, justiert bis sie gut klingt, mit einem Strick festgezurrt und dann auf den Körper der Trommel gesetzt.)Die Bedeutung der Gwo ka scheint kaum zu überschätzen zu sein – bei redbullmusicacademy.com gibt es einen Text von 2017:
Gwo ka is an artistic movement, comprising lyrics, dance and music, which made it onto UNESCO’s list of Intangible Cultural Heritage in 2014, but which was born in the 17th century. It is represented by the “ka” drum that slaves made from barrels destined for the transport of goods preserved in brine. More than just a simple instrument, the “ka” was also used to announce clandestine meetings or revolts against sugarcane plantation owners. Gwo ka was inevitably banned by the colonisers and criticised by the church, who denounced the “obscene” character of the dances and the excessive rum consumption associated with such events. There were also accusations that the tambouyés (tambourine players) were “spreading degeneracy among the Guadeloupean people.” Described as “old negro music” or “brown negro music” – “brown negroes” (nègres marrons) was the name given to slaves who managed to escape from the plantations – gwo ka was rarely celebrated on Guadeloupean soil. This music was exclusively played in rural areas, and was synonymous with the lowest social class. “Gwo ka is the blues of Guadeloupe,” says Richard.
It was only in the ’70s, when there was a push for independence, that gwo ka was finally granted a sliver of cultural recognition, with artists such as Germain Callixte, Kristèn Aigle and Serius Geoffroy bringing it back from oblivion. Vélo, a member of the band Akiyo – and founding member of the LKP some forty years later – modernised the Guadeloupean carnival with his group. The local carnival was always considered a form of catharsis and complaint against normal societal institutions, but Akiyo replaced the costumes made from satin, glitter and plastic jugs with traditional masks and gwo ka drums; they even wore khaki-coloured military helmets, traditionally symbols of colonial oppression. Another performer, Robert Loyson, a sugarcane planter, sang in a bathrobe when he spoke out about the troubles of his oppressed countrymen. Resentment towards gwo ka persisted, however. At the time, the ka master Gérard Pomer, who discovered the drum via his great uncle, a sugarcane cutter, was just a teenager. As soon as he began to play drums at the village market with his friends, “the police would turn up within five minutes and break the instruments we had made ourselves, right in front of our eyes.” Guy Conquet would go on to experience this, too. In 1971, this legend of gwo ka, nicknamed the “Bob Marley of Guadeloupe,” was arrested by the police for “acts of subversion” because he was singing during a strike organised on the sugarcane plantations of Baie-Mahault. One of his most famous songs, “Gwadloup malad’o,” was banned from the airwaves of official radio stations.
Den ganzen Text gibt es hier:
https://daily.redbullmusicacademy.com/2017/09/gwoka-the-drums-of-discordIm Wikipedia-Eintrag zu Gwo ka wird auch klar, dass Gitarrist Gérard Lockel auch als Musikologe wichtig war: Er unternahm mit seinem „Traité de Gwoka modên“ den ersten Versuch einer Einordnung der Musik aus Guadeloupe und verortete sie im Kontext afrikanischer Musiktraditionen, aber: „Paradoxically, under Lockel’s leadership, Gwoka was transformed from a participatory music played outdoors to a presentational music played on stage with European and North American instruments.“ (Dazu ist eine PhD Thesis von 2011 als Quelle angegeben.)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind
vorgarten
danke für die vorstellung, das album habe ich noch nie gesehen…bin gerade im der schweiz, bei malcolm braff und lukas koenig, aber dazu später.
Das liegt hier auch noch … mag anderes von Braff lieber, aber ich hab’s als ganz gut in Erinnerung. (Koenig ist aus Österreich… und Reggie Washington natürlich von drüben.)
Mein Shepp/Waldron-Wunder hast Du schon gesehen?ja, das stimmt, reggie washington ist kein schweizer aber die cd, die ich gehört habe, wurde dort aufgenommen.
deinen text zu shepp/waldron hatte ich gestern noch gelesen und aus lauter freude das album zwischendurch selbst nochmal gehört. (aber keine zeit zum schreiben gehabt.) freut mich sehr. shepp/moran mochtest du ja auch, oder?
den text zu left alone rezitiert am ende übrigens waldron. seine letzte aufnahme, oder?
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vorgarten
shepp/moran mochtest du ja auch, oder?Ja, und auf Anhieb… aber der dadutch ausgelöste neue Anlauf mit „Left Alone Revisited“ scheiterte halt auch!
vorgarten
den text zu left alone rezitiert am ende übrigens waldron. seine letzte aufnahme, oder?Weiss ich nicht… kenne beider Sprechstimmen nicht wirklich und bei Shepp steht halt „voice“ in den Credits; aber klar, das muss in diesem speziellen Fall gar nichts heissen!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaWo das eigentlich stehen müsste ist in Pims Waldron Blog… Ich hab mich natürlich am meisten über den Murray Text gefreut… Und direkt Teofilo Chantre angeschaltet…
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.redbeansandriceWo das eigentlich stehen müsste ist in Pims Waldron Blog…
This date really remains one of my all time favorite records by Mal, if not one of my very favorite jazz records. The chemistry with Archie Shepp is immense. He had worked before with Mal, not on official records but on gigs and there are several bootlegs circulating. And of course the recording with Tchangodei which was an official one but is pretty rare. Shepp’s raw and bluesy lyricism fits so incredibly well with Mal’s deep emotional statements on the piano. It’s like they activate the most lyrical part in each other and this whole music breaths nothing more than pure feeling.
(…)
These are some very great last words by this remarkable pianist.
Where’s the love that’s made to fill my heart
Where’s the one from whom I’ll never part
First they hurt me, then desert me
I’m left alone, all aloneWhere’s the house that I can call my home
Where’s the place from which I’ll never roam
Town or city, It’s a pity
I’m left alone, all aloneSeek and find they always say
But up till now it’s not that way
Maybe fate has let her pass me by
Or perhaps we’ll meet before I die
Hearts will open, but until then
I’m left alone, all alonevon hier.
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malcolm braff, inside (2011)
schlimmstes cover der labelgeschichte? malcolm braff kenne ich gar nicht, aber dass steve colemans langjähriger e-bassist reggie washington hier dabei ist, hatte mich interessiert. das ist ein originell performendes trio, sehr stark inspiriert von iyer/crump/gilmore, vor allem, was so virtuos verkomplizierte metren über bekannte stücken angeht (hier sexy mf von prince und baden powells berimbau), ein um die ecke gedachter funk, den jemand wie washington im schlaf spielt, der hier aber vor allem das aushängeschild des drummers lukas koenig ist. braff überzeugt mich in diesem setting nicht allzu sehr, aber es gibt ein paar solostücke von ihm im völlig anderen register, die ich wiederum ganz spannend finde. die frage wäre halt, wie man das besser verbinden könnte. aber insgesamt eine ziemlich aktuelle form des jazzklaviertrios.
charlie mariano, deep in a dream (2002)
dazu hat gypsy schon euphorisch geschrieben, ich kann das nachvollziehen. ich bin allerdings kein fan des tons von mariano – oder vielleicht generell kein mariano-fan -, deshalb bleibe ich ein bisschen außen vor. die produktion ist erste sahne, die arrangements finde ich mal besser und mal schlechter, aber keinen durchschnitt. ein gut abgehangenes alterswerk, mit biss und eigenwilligkeit, deshalb passt es gut zu shepp/waldron, die ich gestern noch gehört habe.
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So wirklich klärend ist das aber zum gesprochenen Text auf „Left Alone Revisited“ nicht, oder? Zumindest nicht eindeutig, denn aus dem vorangehenden Absatz heraus kann „last words“ auch als Metapher für das ganze Album verstanden werden.
Zum Album von Braff komme ich dann auch noch die Tage … meine liebste Combo von ihm ist wohl nach wie vor das BraffOesterRohrer-Trio, das ich 2006 im kleinen Rahmen in einem euphorischen Konzert gehört habe. Ein altes Upright, ein kleines Drumkit und der Kontrabass so eng zusammen, dass sie alle auf einem dieser Teppiche, die in Clubs gerne unterm Drum-Set liegen Platz gehabt hätten. Und so eng, ja symbiotisch war die Musik dann auch. Leider finde ich das auf den Alben (ähnliche wie mit Konitz/Swallow/Motian oder – anderswo vorhin geschrieben – Julian Lage) nicht annähernd so intensiv wieder.
Vorhin lief mal noch das hier:
Ray Anderson Pocket Brass Band – Where Home Is | Noch so eine ca. 22jährige CD-R, die aber ebenfalls einwandfrei spielt (um 2001 oder 2002 herum war ich mal ein Jahr oder so Mitglied bei der grossen Publikumsbibliothek hier, das reichte, um die 20 oder 25 Jazz-CDs zu kopieren, die mich interessierten … so gross war die Auswahl da nicht, ich hab nachher nie mehr geguckt, ob sich das geändert hatte). Das hier ist eigentlich ein Lew Soloff-Album – der Trompeter ist in diesem Rahme irre gut und fliegt immer wieder über den Grooves. Zu hören sind sonst noch Anderson an der Posaune, (kein Gesang hier), Matt Perrine am Sousaphone und Bobby Previte, der sich als mit allen Wassern gewaschener Second-Line-Drummer präsentieren kann. Sieben längere Sütcke, vier von Anderson, einmal Ellington („The Mooche“), einmal Monk („I Mean You“) und zum Abschluss Scott Joplin mit „The Pineapple Rag“ (der hat wohl mehrere „strains“, für heutige Ohren klingt das wie eine Suite oder ein Medley). Und klar: ohne die breite Soundpalette von Anderson wäre das nicht halb so gut, das ist auch eine tolle Band mit drei Bläsern, deren Sounds sich toll vermischen, was auch in Kollektivimprovisationen zur Geltung kommt. Macht sehr viel Spass – aber ist, wie alles von Anderson heute, keine Lieblingsmusik (die zwei Hat-Alben mit Doran/Bennink müsste ich dann auch mal wieder einlegen … und wo ich gerade Marty Ehrlich etwas vertiefe auch da Willisau-Konzert mit dem gemeinsamen Quartett, von 2009 und damit meine jüngste Anderson-Einspielung).
Aufgenommen wurde das Album am 3. und 4. November 1998 in Lausanne – mir fehlen hier Kopien vom Booklet und Discogs ist nicht hilfreich, bei Allmusic sehe ich den Namen des Tonmeister, Benoît Corboz, und tippe daher aufs Studio du Flon (in dem z.B. Erik Truffaz viele seiner Alben aufgenommen hat).
David Murray – Speaking in Tongues | An diese Stelle noch einen verspäteten Dank für die Murray-Besternung @vorgarten! Dass Murray hier – die zweite von drei Justin Time-Übernahmen oder Co-Produktionen mit Murray – „Teufelsmusik“ spielt („there has always existed fear throughout the african american churches that jazz music was some kind of devil’s music“ steht auf der Rückseite des Booklets in einem Kreis) passt auch gut zum Film, den ich der nachmittäglichen Kino-Pause gerade gesehen habe – dort gibt es gläubige Schwarze, ein Limonadenfestival, Paraden und ein Begräbnis mit ein paar schönen durchaus gospeligen Momenten auf der Tonspur (Trivia: im Cast ist auch einer der Komponisten von „Sleepy Time Down South“ mit dabei, Clarence Muse, dessen Biographie sich sowieso interessant liest).
Manchmal scheint Murray hier wirklich in Zungen zu sprechen. Sein Solo in „Missionary“ klingt länger fast wie ein fliessendes Altsax, erst mit der Zeit kommt sein körniger Ton hervor, irgendwann geht es ab ins Falsett … aber den so typischen Sound im tiefen Register kriegt man hier kaum, eigentlich nur, wenn Murray ein paar Honks einstreut. Anderswo dürfen Hugh Ragin mit seiner strahlenden Trompete oder Fontella Bass mit ihren grossartigen Stimme sprechen – Ragin in „Blessed Assurance“ auch allein mit dem Klavier von Jimane Nelson. Es gibt Gospel-Hymnen und auch zwei Originals: „Missionary“ von Murray und „Jimane’s Creation“ von Nelson, der hier vor allem an der Orgel überhaupt ziemlich wichtig für den ganzen Sound ist (das Solo in „Missionary!“). Das ist schon ziemlich toll, aber für meinen Geschmack irgendwie auch etwas zu glatt geraten. Es fehlen die Texturen, die das Treffen auf Guadeloupe so toll machen, es fehlt ein wenig an Reibung, das flutscht irgendwie etwas zu leicht durch, trotz vieler toller Momente. Einer der schönsten ist sicher Murrays an der Bassklarinette in „Amazing Grace“ (Nelson am Klimperklavier und der heulenden Orgel, Gitarre und Bassgitarre sehr funky … aber die Drums – nicht nur hier – leider ähnlich eintönig und flach wie beim Harris/Harrison-Album).
Entstanden ist das Album in René Amelines Studio Ferber in Paris (im Booklet steht „Forber“ – zur Geschichte des Studios mehr hier in französischer Sprache aber inkl. einige Fotos) am 5. Dezember 1997. Ameline wirkte als Tonmeister, zur Band gehörten neben Murray (ts, bcl), Ragin (t), Nelson (org, p, synth) und Bass (voc) auch Stanley Franks (g), Clarence „Pookie“ Jenkins (elb), Ranzell Merritt (d) und Leopoldo E. Flemming (perc).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-windSo wirklich klärend ist das aber zum gesprochenen Text auf „Left Alone Revisited“ nicht, oder?
nein, aber ich brauche da auch keine klärung, weil ich shepps sprechstimme kenne (der voice-credit bezieht sich auf den gesungenen blues zwischendrin).
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vorgarten
gypsy-tail-windSo wirklich klärend ist das aber zum gesprochenen Text auf „Left Alone Revisited“ nicht, oder?
nein, aber ich brauche da auch keine klärung, weil ich shepps sprechstimme kenne (der voice-credit bezieht sich auf den gesungenen blues zwischendrin).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
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