Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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So wirklich klärend ist das aber zum gesprochenen Text auf „Left Alone Revisited“ nicht, oder? Zumindest nicht eindeutig, denn aus dem vorangehenden Absatz heraus kann „last words“ auch als Metapher für das ganze Album verstanden werden.

Zum Album von Braff komme ich dann auch noch die Tage … meine liebste Combo von ihm ist wohl nach wie vor das BraffOesterRohrer-Trio, das ich 2006 im kleinen Rahmen in einem euphorischen Konzert gehört habe. Ein altes Upright, ein kleines Drumkit und der Kontrabass so eng zusammen, dass sie alle auf einem dieser Teppiche, die in Clubs gerne unterm Drum-Set liegen Platz gehabt hätten. Und so eng, ja symbiotisch war die Musik dann auch. Leider finde ich das auf den Alben (ähnliche wie mit Konitz/Swallow/Motian oder – anderswo vorhin geschrieben – Julian Lage) nicht annähernd so intensiv wieder.

Vorhin lief mal noch das hier:

Ray Anderson Pocket Brass Band – Where Home Is | Noch so eine ca. 22jährige CD-R, die aber ebenfalls einwandfrei spielt (um 2001 oder 2002 herum war ich mal ein Jahr oder so Mitglied bei der grossen Publikumsbibliothek hier, das reichte, um die 20 oder 25 Jazz-CDs zu kopieren, die mich interessierten … so gross war die Auswahl da nicht, ich hab nachher nie mehr geguckt, ob sich das geändert hatte). Das hier ist eigentlich ein Lew Soloff-Album – der Trompeter ist in diesem Rahme irre gut und fliegt immer wieder über den Grooves. Zu hören sind sonst noch Anderson an der Posaune, (kein Gesang hier), Matt Perrine am Sousaphone und Bobby Previte, der sich als mit allen Wassern gewaschener Second-Line-Drummer präsentieren kann. Sieben längere Sütcke, vier von Anderson, einmal Ellington („The Mooche“), einmal Monk („I Mean You“) und zum Abschluss Scott Joplin mit „The Pineapple Rag“ (der hat wohl mehrere „strains“, für heutige Ohren klingt das wie eine Suite oder ein Medley). Und klar: ohne die breite Soundpalette von Anderson wäre das nicht halb so gut, das ist auch eine tolle Band mit drei Bläsern, deren Sounds sich toll vermischen, was auch in Kollektivimprovisationen zur Geltung kommt. Macht sehr viel Spass – aber ist, wie alles von Anderson heute, keine Lieblingsmusik (die zwei Hat-Alben mit Doran/Bennink müsste ich dann auch mal wieder einlegen … und wo ich gerade Marty Ehrlich etwas vertiefe auch da Willisau-Konzert mit dem gemeinsamen Quartett, von 2009 und damit meine jüngste Anderson-Einspielung).

Aufgenommen wurde das Album am 3. und 4. November 1998 in Lausanne – mir fehlen hier Kopien vom Booklet und Discogs ist nicht hilfreich, bei Allmusic sehe ich den Namen des Tonmeister, Benoît Corboz, und tippe daher aufs Studio du Flon (in dem z.B. Erik Truffaz viele seiner Alben aufgenommen hat).

David Murray – Speaking in Tongues | An diese Stelle noch einen verspäteten Dank für die Murray-Besternung @vorgarten! Dass Murray hier – die zweite von drei Justin Time-Übernahmen oder Co-Produktionen mit Murray – „Teufelsmusik“ spielt („there has always existed fear throughout the african american churches that jazz music was some kind of devil’s music“ steht auf der Rückseite des Booklets in einem Kreis) passt auch gut zum Film, den ich der nachmittäglichen Kino-Pause gerade gesehen habe – dort gibt es gläubige Schwarze, ein Limonadenfestival, Paraden und ein Begräbnis mit ein paar schönen durchaus gospeligen Momenten auf der Tonspur (Trivia: im Cast ist auch einer der Komponisten von „Sleepy Time Down South“ mit dabei, Clarence Muse, dessen Biographie sich sowieso interessant liest).

Manchmal scheint Murray hier wirklich in Zungen zu sprechen. Sein Solo in „Missionary“ klingt länger fast wie ein fliessendes Altsax, erst mit der Zeit kommt sein körniger Ton hervor, irgendwann geht es ab ins Falsett … aber den so typischen Sound im tiefen Register kriegt man hier kaum, eigentlich nur, wenn Murray ein paar Honks einstreut. Anderswo dürfen Hugh Ragin mit seiner strahlenden Trompete oder Fontella Bass mit ihren grossartigen Stimme sprechen – Ragin in „Blessed Assurance“ auch allein mit dem Klavier von Jimane Nelson. Es gibt Gospel-Hymnen und auch zwei Originals: „Missionary“ von Murray und „Jimane’s Creation“ von Nelson, der hier vor allem an der Orgel überhaupt ziemlich wichtig für den ganzen Sound ist (das Solo in „Missionary!“). Das ist schon ziemlich toll, aber für meinen Geschmack irgendwie auch etwas zu glatt geraten. Es fehlen die Texturen, die das Treffen auf Guadeloupe so toll machen, es fehlt ein wenig an Reibung, das flutscht irgendwie etwas zu leicht durch, trotz vieler toller Momente. Einer der schönsten ist sicher Murrays an der Bassklarinette in „Amazing Grace“ (Nelson am Klimperklavier und der heulenden Orgel, Gitarre und Bassgitarre sehr funky … aber die Drums – nicht nur hier – leider ähnlich eintönig und flach wie beim Harris/Harrison-Album).

Entstanden ist das Album in René Amelines Studio Ferber in Paris (im Booklet steht „Forber“ – zur Geschichte des Studios mehr hier in französischer Sprache aber inkl. einige Fotos) am 5. Dezember 1997. Ameline wirkte als Tonmeister, zur Band gehörten neben Murray (ts, bcl), Ragin (t), Nelson (org, p, synth) und Bass (voc) auch Stanley Franks (g), Clarence „Pookie“ Jenkins (elb), Ranzell Merritt (d) und Leopoldo E. Flemming (perc).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba