Antwort auf: Enja Records

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Eddie Harris / Wendell Harrison – The Battle of the Tenors | Der Titel ist irreführend: das Konzert beim Montreux-Detroit Jazz Festival vom 4. September 1994 (Ford Stage, Hart Plaza, Detroit, vom Radiosender WEMU Ypsilanti aufgenommen) war eine ausgesprochen freundliche Angelegenheit. Die CD erschien 1998 als Hommage an Harris bei Enja, das Logo von Harrisons Rebirth-Label ist auf der Rückseite ebenfalls zu finden.

Harris stiess als Gast zur Band von Wendell Harrison, in der nur Ralphe Armstrong an der Bassgitarre wirklich gut ist. Die Drums von Tom Starr sind leider recht langweilig und die Gitarre von Alex Rigowski auch eher sachdienlich. Harrison selbst ist zufrieden damit, dem älteren Gast die Bühne zu überlassen, wann immer der will … und der will und ist in ziemlich guter Form. Los geht es tatsächlich mit einer halben Battle über „Tenor Madness“. Die Saxophonisten sind leicht auseinanderzuhalten: Harris ist der mit dem leichten Ton, der kreisenden Phrasierung, den jumpenden Linien, dem unglaublichen intrinsischen Beat, währen Harrison einen schweren Sound bevorzugt. In den folgen Stücken übernimmt Harris dann mehr und mehr das Spotlight, bis er in „Vocalese“ drei Minuten improvisiert – als Intro zu „Eddie Who?“, das er singend und am Klavier präsentiert, während Harrison zur Klarinette greift – zu dem Zeitpunkt längst sein Hauptinstrument – und ein tolles Solo beiträgt. Als Zugabe folgt noch das viertelstündige „Ampedextrious“ – Harris weiterhin an Klavier und Gesang, Harrison an der Klarinette. Das ist ein Mitschnitt, der durchaus Spass macht, aber ganz bestimmt kein grosses Album oder so – da hätte sich recht leicht etwas Besseres finden lassen, dünkt mich. Andererseits ist 1998 noch ein paar Jahre vor dem Highspeed-Internet und den ganzen Trading-Seiten, die die Vernetzung unter Sammlern so viel einfacher machte. Und klar: würde man eher bei Weber erwarten, kam aber bei Winckelmann …

Ray Anderson Lapis Lazuli Band – Funkorific | Die nächste Runde ist auch wieder irgendwie funky und doch kein Funk: Vom 18. bis 22. Januar 1988 jammte Ray Anderson Lapis Lazuli Band in den Avatar Studios in New York (Jim Anderson): Ray Anderson (tb, voc), Amina Claudine Myers (org, p, voc), Jerome Harris (g), Lonnie Plaxico (b, elb), Tommy Campbell (d). Myers passt ja die Tage gerade, auch wenn der Kontext hier ein völlig anderer ist. Ansonsten sind das ja nicht die kleinsten Namen: Harris spielte lange mit Sonny Rollins Bass, zu dessen Band auch Campbell mal gehörte, der zudem u.a. mit Clifford Jordan, den Roots oder der Mingus Big Band gespielt hat. Und klar: Harris und Campbell waren schon bei „Don’t Mow Your Lawn“ dabei, dem letzten Anderson-Album, das ich gehört habe. Lonnie Plaxico brauchte man damals kaum vorzustellen. Wie es um Myers stand, kann ich schlecht einschätzen, mir ist sie auf diesem Album, das ich in der zweiten Hälfte der Neunziger gekauft habe, jedenfalls zum ersten Mal begegnet, ohne dass ich mit dem Namen da schon irgendwas verbunden hätte.

Lost geht es erstmal instrumental mit Plaxico am Kontrabass. Die Band mit Orgel und Gitarre wirkt sehr gut integriert – ich weiss nicht, ob die damals auch Gigs spielten oder tourten, falls nicht fanden sie im Studio sehr gut zusammen. Im dritten Stück, „Mirror Mirror“ gibt’s dann E-Bass und Gesang von Myers, danach ein vokales Growl-Solo von Anderson, der dann Background-Gesang beisteuert. Ich fand ihn damals umwerfend – und mag ihn auch heute noch ganz gerne. Einordnen kann ich ihn gar nicht … ob er sowas wie der Jazz-Tom-Waits der Downtown-Szene war? An vierter Stelle dann das schon von „Don’t Mow Your Lawn“ bekannte „Damaged But Good“, das durchaus das Zeug zum Standard hätte – dieses Mal im Duett von Anderson mit Myers, und die ist in Sachen Gesang definitiv ein Gewinn!

In der Mitte steht das instrumentale „Hammond Egg“, in dem Myers an der Orgel im Mittelpunkt steht – lässig, entspannt, von der Band ebenso begleitet: ein paar zurückhaltende Gitarrenakkorde, trockener Kontrabass, ein satter Backbeat von den Drums. Im Zwiebelprinzip geht es jetzt umgekehrt weiter: auf zwei Songs folgen wieder zwei Instrumentals. In „Monkey Talk“ singt Anderson, während Myers am Klavier sitzt und einen schönes Solo spielt – Plaxico hier wieder am Kontrabass. Aufs Posaunensolo folgt ein Scat-Solo, bevor Anderson nochmal ein paar von Ravens Zeilen singt. „I’m Not a Spy“ mochte ich damals sehr: ein langsamer Orgel-Blues mit einem toller Posaunensolo zum Einstieg, bevor Anderson und Myers im Wechsel zu singen beginnen. „Funkorific“ ist dann ein Blues über einen unregelmässigen Groove (ein paar gekürzte Takte oder sowas, in den Soli dann aber ganz normal 4/4 in 12taktiger Form), Campbell trommelt einen New Orleans-Beat, die Orgel faucht, die Gitarre streut kurze Riffs ein, der Kontrabass walkt … und darüber hebt Anderson ab, bevor Myers nochmal an der Orgel zu hören ist und die Band mit Campbell dass Stück zu Ende rifft. „Willie and Muddy“ (Dixon und Waters, nehme ich an) macht dann den Abschluss, mit 11 Minuten ca. doppelt so lange wie die acht bisherigen Stücke. Kontrabass-Intro, langramer Groove, viel Platz für Soli, hier dann auch mal für die Gitarre von Harris, die mir aber klanglich nicht so wirklich gefallen will.

Jackie Raven, die die Songtexte zu Andersons Songs beisteuerte, musste ich gerade endlich mal googeln – und dann wird auch klar, warum es in den Nullern stiller um Anderson wurde:

Jackie Raven, 51, Dancer and Promoter of Tap

By Jennifer Dunning
Sept. 22, 2002 (New York Times, September 22, 2002, Section 1, Page 39)

Jackie Raven, a performer and promoter of tap dancing, died on Aug. 19 at her home in Setauket on Long Island. She was 51.

The cause was breast cancer, said her husband, the trombonist Ray Anderson.

Ms. Raven began dancing fairly late in life as a student in Japanese studies at Barnard College. On a trip to Japan she had what she called a cosmic vision of becoming a tap dancer.

Back in New York, she studied with Jane Goldberg and Cookie Cook. „Tap is like a disease in a way,“ she said in a 1987 interview with The New York Times. „It gets you. And then that’s it.“

Ms. Raven, who had a master’s degree in linguistics from the State University of New York at Brockport, was a primary force in the tap dance revivals of the 1970’s and 80’s in New York.

She promoted Albert Gibson of the Three Chocateers and performed in his Gibson Girls chorus line. She also promoted George Hillman, who performed in the Broadway musical „Black and Blue,“ and Ralph Brown, who had been a headline dancer with the Dizzy Gillespie Big Band.

Ms. Raven was a charter member of Brenda Bufalino’s American Tap Dance Orchestra. In 1981 Ms. Raven founded the N.Y.C. Tapworks trio with Neil Applebaum, a dance-trained wrestler with a master’s degree in child development. The trio was completed by Clara Hetherington, a hospital neuropsychophysiology technician.

The three performed a varied repertory of traditional tap steps, Latin and jump-rope numbers, as well as dances choreographed by Bill Irwin, Leon Collins and Ms. Bufalino.

In addition to her husband, Ms. Raven is survived by a son, Raven Anderson, and a daughter, Anabel Anderson, both of Setauket, and a sister, Deborah Libaire of Bellport, N.Y.</p>

Quelle:
https://www.nytimes.com/2002/09/22/nyregion/jackie-raven-51-dancer-and-promoter-of-tap.html

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba