Antwort auf: Enja Records

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Lee Konitz / Steve Swallow / Paul Motian – Three Guys | Dieses Trio spielte das erste Jazzkonzert, das mich wirklich umgehauen hat: 7. Mai 1998 im alten Jazz-Container in Uster, einer alten Fabrikhalle, die mit Sofas vollgestellt war. Wir sassen da glaub ich zu dritt weit vorn auf einem der alten Sofas. Der freundliche ältere Herr mit dem Saxophon spielte unverstärkt, der Mann an den Drums, den wir von den Aufnahmen des Bill Evans Trios kannten, langte ordentlich zu, aber Konitz konnte sich behaupten, ohne je laut zu werden. Das war meine erste Lektion in Sachen „projection“. Swallow stoisch an der Bassgitarre, wie immer trocken aber enorm musikalisch. Die CD habe ich dann erst viele Jahre später gekauft (und entsprechend eine normale Jewel-Case-Ausgabe, nicht das originale Digipack) – weil ein Tonträger mit so einem Konzerterlebnis einfach nicht mithalten kann. Am 4. und 5. Mai, also direkt bevor ich das Trio hörte, nahmen die drei im alten Radiostudio in Zürich das Album auf (Martin Pearson ist – bzw. war, das Radio zog weg – dort der Tonmeister, er erlangte wenig später etwas Bekanntheit, weil er für ein paar von Keith Jarretts ECM-Alben verantwortlich zeichnete). Konitz hat lakonische Liner Notes geschrieben (und sieht auf dem Foto von Ssirus W. Pakzad, der da schon längst einer der Hausphotographen Enjas war, noch ziemlich jung aus – er war ja auch erst 71, aber dem gerade 19 gewordenen jungen Ich kam er damals wie ein Greis vor), die ich netterweise nicht abtippen muss:

Auf dem Programm die Konitz’schen Evergreens: „It’s You“ (seine Variante von „It’s You or No One“), „Thingin'“ („All the Things You Are“), „A Minor Blue in F“, aber natürlich auch Stücke von Swallow und Motian. Vom Bassisten der Klassiker „Eiderdown“ sowie „Ladies‘ Waders“, von Motian neben „From Time to Time“ auch die Hommage an Jim Pepper, „Johnny Broken Wing“. Dazu kommt eine wunderbare Version von Jobims „Luiza“ und Aren/Mercers „Come Rain or Come Shine“. Das war glaub ich auch ziemlich exakt das Repertoire beim Konzert – und klar, „Come Rain or Come Shine“ kannten wir von „A Portrait in Jazz“. Das alles wirkt total frisch, ganz gemäss Konitz‘ Credo der spontanen Improvisation … die natürlich nicht mehr ganz so spontan sein kann, wenn man Jahrzehnte lang dasselbe Zeug spielt. Aber irgendwie klappte das bei ihm halt trotzdem, bis hin zum denkwürdigen letzten Konzert, das ich im Oktober 2012 hörte. Das Trio klingt sehr warm, der eigenwillige Sound und Beat von Motian – recht beckenlastig, hell – und das spröde und doch wunderbar dahinfliessende Saxophon von Konitz werden durch den Bass von Swallow irgendwie gekittet. Ich mag dieses Album inzwischen sehr – aber von der Erinnerung an das prägende Konzerterlebnis trennen kann ich es natürlich nach wie vor nicht.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #153: Enja Records - Entdeckungen – 11.06., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba