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AutorBeiträge
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for aunt louise (1993)
ich springe zurück, weil ich endlich ein exemplar dieser cd erhalten habe. und wie ich mir das erhofft habe, ist FOR AUNT LOUISE ein bisschen das FOUR AND MORE zum MY FUNNY VALENTINE von LOVE & SORROW. das ist jetzt eine jazz-nerd-insider-referenz, aber liest hier jemand anderes mit? jedenfalls wird mir jetzt erst die tiefe und vielschichtigkeit dieser sessions bewusst, die eben ein ruhiges und ein feuriges album abwarfen – und das feuer fehlte mir bislang.
„asiatic races“ ist der einzige, nun ja, standard hier (einer, den ich immer sehr mochte), ansonsten gibt es ältere und neuere originale von murray, hicks und vom pianisten curtis clark, das murray in den 70ern schon aufnahm. und ein einfacher blues, der hier als traditional geführt wird. was hier passiert, ist nicht ganz einfach zu beschreiben. murray ist in schwergewichtsstimmung, sucht die explosion, bewegt masse, will den furor. ein bisschen nervt das, aber man kann das auch anders hören: als erotisches spiel der herausforderung seiner unfassbar tollen begleitband, die sich nur dann ins schwitzen begibt, wenn der leader sie herumgekriegt hat. ein permanentes ansticheln, pieksen, reiben an der laszivität von muhammad also, an der eleganz von hicks und hopkins, murray will sie verführen, will den sauna-aufguss, die produktivität erhöhen. das ist faszinierend zu verfolgen, weil ja auch ohne anstrengung permanent was tolles in der rhythm section passiert – allein zwischen den beiden händen und füßen des drummers, der gleichzeitig swingt, groovt, gerade und ungerade, synkopiert und square spielt (ein nächstes projekt, habe ich heute beschlossen: rudimentär durch die karriere von muhammad hindurch, von melvin sparks bis jamie xx). und so federn sie um den bulldozer herum, machen sich einen spaß und erliegen ihm doch.
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WerbungMuhammad ist ein krasses Projekt, aber super interessant…
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.d.d. jackson, paired down, vol. 1 & 2 (1996)
zurück ins jahr 1996 und zu murrays beteiligung an diesem duett-programm des kollegen jackson, auf insgesamt 3 stücken. ich habe aber auch die anderen gehört, vol. 1 kannte ich auch noch gar nicht. sehr beeindruckend insgesamt, die vielen sounds, tonalitäten, energien, für die jackson perfekte kompositionen geschrieben hat; auch er selbst macht hier keinen unsinn. kann niemanden so recht herausheben, das ist einfach inspiriert und recht melancholisch glimmende musik aus einem feld, das ich mag – so wie auch alle hier beteiligten, die hier zuhause sind oder nach hause eingeladen werden. mit ausnahme vielleicht von james carter, der sich hier aber auch von seiner facettenreichsten seite zeigt. und ray anderson ist tatsächlich richtig gut. beeindruckend, wie solch ein gemischtes programm wieder auf die charismatische ausstrahlung desjenigen zurückwirkt, der das alles zusammengestellt hat.
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das ist eher eine schöne kleine petitesse – david murray in einem kurzen freien impro-jam mit den roots, „dave vs. US“, das dann tatsächlich auf dem dritten album ILLADELPH HALFLIFE (1996) landete:
es gibt auch noch ein (ordentlich produziertes) stück mit steve coleman, graham haynes und cassandra wilson, aber die waren ja auch schon auf dem vorgänger dabei.
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Ich hab mal den Index nachgeführt … hoffe, ich habe nichts übersehen (Live at the Village Vanguard neulich schon, das steht jetzt auch drin). Die Diskussion über Idris Muhammad ufert hier inzwischen etwas aus – soll ich sie in den Drummer-Faden schieben (mit einem Zitat des „Aunt Louise“-Posts zum Einstieg für den Kontext?) oder doch lieber hier stehen lassen?
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbadanke! ich fänd ja tatsächlich einen muhammad-faden gut, es sind ja scheinbar genug leute hier interessiert.
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redbeansandrice
Muhammad ist ein krasses Projekt, aber super interessant…Gute Idee, ich hab die zugehörigen Posts direkt in einen neuen Faden ausgelagert, aber diesen hier nicht, damit der ideelle Thread-Ersteller die Benachrichtigungen kriegt.
https://forum.rollingstone.de/foren/topic/idris-muhammad-2/
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbamurray /takase, valencia (1997/2002)
ich bin im jahr 1997 (2 gemeinschaftsprojekte, 2 leader-alben). im april treten murray und takase in münchen auf, erst fünf jahre später erscheint der mitschnitt auf sound hills. dass murray herausforderungen mag, ist bekannt, das virtuose und dichte spiel von takase verschließt ihm manchmal den raum, den er dann wieder zu erobern hat. dazwischen nehmen sich beide zeit für lange unbegleitete soloflüge, die aber ziemlich strukturiert bleiben und das gegenüber nicht abhängen. ich finde die kombination der beiden immer noch ziemlich unwahrscheinlich, aber irgendwas haben sie miteinander gefunden. time ist hier auch kein problem – in den momenten, in denen sie sich auf einen gemeinsamen rhythmus einigen, beim neuen tango von murray, „like a kiss that never ends“, zum beispiel, sind sie ziemlich knackig zusammen.
(die stückzuschreibungen sind übrigens z.t. falsch, „like a kiss“ ist eigentlich „hope-scope“, „valerie“ dagegen „like a kiss“, beim letzten stück weiß ich’s nicht).
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kahil el’zabar trio, love outside of dreams (1997/2002)
noch eine neuauflage einer langjährigen musikalischen beziehung, aber wichtiger ist dieses schöne album wohl vor allem deswegen, weil murray hier zum letzten mal mit fred hopkins zu hören ist, der 2 jahre später stirbt, 1999, da ist die delmark-cd noch nicht draußen. damit geht etwas zuende, was mindestens bei den wildflowers-sessions angefangen hat. hopkins ist mal wieder umwerfend hier, egal ob er licks spielt oder frei assoziiert, der ton ist schlank, felxibel und sehr präsent. wie immer bei el’zabar ist das programm abwechslungsreich, er singt, spielt auch conga und daumenklavier, verneigt sich vor ellington genauso wie vor steve mccall, und murray spielt einfach durch. ein bisschen nervt er, hier, so mitte/ende der 90er, die soli haben nicht mehr die zwingende dramaturgie wie z.b. auf FAST LIFE, er brettert so durch, reiht seine falsetto-ausflüchte auf knopfdruck hintereinander, spielt mir latent zu viel, aber bei el’zabar hat er halt auch die hauptarbeit. und er klingt nie müde, er hat scheinbar immer lust und energie.
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creole (1997)
murrays nächstes leader-album wurde schon bei der enja-umfrage diskutiert, und ist sehr viel schlüssiger als der vorgänger FO DEUK REVUE. statt nach senegal und nachher ins new yorker studio geht es hier mit der us-amerikanischen band nach guadeloupe, zur anrufung der rebellischen gwo-ka-trommel und mit abstechern auf die kapverdischen inseln, was ja auch noch die pointe hat, dass murray hier wurzelrecherchen über sein vorbild gonsalves hätte machen können. die vertrauten kollegen (d.d. jackson, james newton, ray drummond, billy hart) verzahnen sich wunderbar mit den guadelouper lokalcracks, die musik hat aber nichts exotistisches, auch keinen behelfsweisen rückzug auf den kleinsten gemeinsamen nenner, im gegenteil, es ist interessant, wie z.b. jemand wie james newton hier plötzlich glänzen kann. und murray selbst spielt hier auch sehr konzentriert und integrativ.
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speaking in tongues (1997)
bevor ich wieder für eine woche untertauche, schließe ich noch schnell das murray-jahr 1997 ab. dieses leaderalbum hatte wie die beiden vorgänger auch eine enja-ausgabe und setzt die reihe mit projekten über das afroamerikanische musikkontinuum fort, ist natürlich gleichzeitig eine rekapitalutaion von murrays frühester musikalischer sozialisierung. er geht es hier weniger ernst an als z.b. auf „spirituals“ 10 jahre vorher, obwohl z.b. das damalige arrangement von „nobody knows…“ hier wieder aufgewärmt wird. das ist eher eine lockere unterhaltung mit fontella bass (die ja sehr interessant zwischen gospel und free-jazz-kollektiven balancierte und kurz vorher auch mit dem world saxophone quartet aufnahm), in einem recht poppigen sound (stanley franks, g, jimane nelson, org & p, pookie jenkins, eb, ranzell merritt, dm), in der band hat nur hugh ragin ein verbindung zu den jazzigeren murray-bands der zeit. ich finde das hübsch, aber es bekommt weder als gospel-, noch als jazz-album tiefe, die man aber auch nicht suchen muss, um das spielerische des projekts wertzuschätzen.
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mich hat das seinerzeit bei Murray tatsächlich einige Jahre blockiert, dass Creole doch recht toll ist und die anderen beiden Alben – von denen ich annahm, dass das die nächsten Puzzlestücke sein müssten – es nicht so richtig sind… stattdessen hätte ich einfach wahllos irgendwo anders weitermachen sollen…
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.redbeansandricemich hat das seinerzeit bei Murray tatsächlich einige Jahre blockiert, dass Creole doch recht toll ist und die anderen beiden Alben – von denen ich annahm, dass das die nächsten Puzzlestücke sein müssten – es nicht so richtig sind… stattdessen hätte ich einfach wahllos irgendwo anders weitermachen sollen…
6 tage später aufgegriffen: ja, das ist schon manchmal merkwürdig, bei mir war es eigentlich noch schlimmer, ich hatte damals FO DEUK REVUE gehört und bin zu den beiden anderen gar nicht mehr vorgestoßen, weil ich dachte, murray bräuchte ich nicht mehr.
jeri brown, zaius / i’ve got your number (1998)
wir sind im januar 1998, an drei aufnahmetagen entstehen zwei alben von jeri brown, bei denen david murray ein bisschen mitspielt und sich diesen job mit don braden teilt. die sängerin war auch auf dem justin-time-label, ihr pianist hier ist john hicks, also kein wunder. co-produzenten neben brown sind die beiden bassisten curtis lundy und avery sharpe, man kann nachvollziehen, wohin diese band zieht (drummer ist sangoma everett), da ist dann leon thomas als gaststar die krönung, der unvergleichlich cool hier jodelt, scattet und text singt, sehr viel aura verbreitet, ohne dabei mätzchen zu machen. was man für die leaderin leider nicht sagen kann: man spürt, dass sie sich generell schnell langweilt, also denkt sie sich für quasi jedes stück eine bestimmte technik, einen anderen zugang aus, ohne dabei besonders viel aura auszustrahlen. es gibt soli von murray, braden und hicks, die wirklich fantastisch sind, aber es ist ein blödes zeichen, wenn man die ganze zeit dabei hofft, dass die sängerin nicht allzufrüh wieder einsteigt. sie ist natürlich technisch perfekt, aber weil sie halt immer was anderes macht, versemmelt sie einige stücke komplett, während sie andere sehr respektabel auf den punkt bringt. man kann aber jetzt auch nicht sagen, dass man gerne ein leon-thomas-album mit murray und hicks hören würde, denn diese kombination hat ja die produzentin jeri brown erst ermöglicht. was ich schon damals gerne gehört habe, ist der closer vom zweiten opener, „what goes around“, auf dem murray allerdings nicht mitspielt.
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seasons (1998)
das hidden treasure in der murray-diskografie, bei dem man auf dem papier denkt: hier passt doch nichts zusammen. murray mit richard hanna, richard davis und victor lewis (ok, der passt), ein jahreszeitenprogramm aus der tin pan alley, das merkwürdige pow-wow-label, lauter eigenartige arrangements („autumn in new york“ als schnelle samba), ein „less-is-more“-zugang des leaders (steht so in den liner notes, die insgesamt ziemlich gaga sind), „let it snow“ als closer – wie kann das so gut funktionieren? hier sind tatsächlich feine ohren nötig, die die doppeldeutigkeiten und untiefen des inside-playing wertschätzen, die man hier serviert bekommt. und tatsächlich auch fehler und schiefgang: hanna kann z.b. keine samba, davis witzigerweise aber schon, murray strauchelt bei den changes ordentlich, was ihn nicht daran hindert, genau dort seine herausforderung zu suchen und nicht darüber hinweg zu spielen. am ende ist das alles auf kreative weise rutschig, gleichzeitig total ernsthaft, und ruft nebenher aus den vorlagen heraus allerhand aus der jazzgeschichte auf, unterschiedliche rhythmen, harmonien, zugänge, verschiedene formen des glamours, entertainments, der showpraktiken. am ende wundert man sich wieder mal, was man aus guten songs alles machen kann.
in der euphorie der erstbegegnung schrieb ich hier damals sowas:
musste nochmal kurz auf den broadway. da sitzt nämlich das büro von pow wow records, für das murray 1998 dieses merkwürdige album aus jahreszeitengebundenen standards aufgenommen hat. also: frühling mit loesser (so kam ich drauf) und rodgers/hart, sommer mit legrand/bergman und herbert/dubin, herbst mit weil/anderson, duke und dubin/warren, winter mit thornhill/thornhill und cahn/styne. dafür hat der außerordentlich gechillte murray sich ein unterstützendes trio aus roland hanna (dessen „seasons“, für sarah vaughan geschrieben, hier als einführung dient), richard davis und dem unendlich lässigen victor lewis zusammengestellt. und man merkt, dass diese band zeit zum üben und zusammenfinden und arrangieren hatte. die versionen überraschen, obwohl sie sehr unaufgeregt daher kommen. der fast-weihnachts-song „spring will be a little late this year“ entsteigt einer gewitterwolke, „autumn in new york“ wurde offenbar in einem barrio aufgenommen, der „snowfall“ tritt als elegante cocktail-party auf. die band ist spitze, murray klang selten besser (mike marciano hat aufgenommen), aber es ist roland hanna, der hier wirklich überzeugt: er wienert theaterbühnen, hebt samtvorhänge, tanzt die showtreppe rauf und wieder runter, bevor der suchscheinwerfer ihn findet. ganz tolles album, habe ich damals komplett übersehen, als ich großer murray-fan war. let it snow, let it snow, let it snow!
da sind ein paar fehler drin, u.a. war ich damals ja gar kein großer murray-fan mehr. aber ansonsten hab ich das heute wieder genauso gehört. roland hanna wird nicht mein lieblingspianist, dazu finde ich ihn rhythmisch zu steif, aber wenn es um wirklich tiefe auseinandersetzung mit dem great american songbook geht, hat er einiges zu sagen. hier ist er absolut einzigartig.
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hugh ragin, an afternoon in harlem (1998)
bis kurz vor schluss eine spannende quartettaufnahme (mit craig taborn, jaribu shahid und bruce cox), die sich von einem quasi blue-note-hearalike in frei verkantete gefilde bewegt, mit postmodernen brüchen und blendender virtuosität (die mich bei ragin oft – genau wie aktuell bei peter evans – abwechselnd berauscht und ermüdet) zu einer ziemlich eigenwilligen musik geformt, die sich absurderweise irgendwie selbstverständlich anhört. in den letzten beiden stücken (wobei das letzte fast 20 minuten lang ist) verschiebt sich die scharfkantige braxtonsche anlage nochmal zu einem arkestra-space-march, mit murray an der grummelnden bassklarinette und cyrille an den pseudo-pauken und amiri baraka in der rolle des botschafters vom mars. ragin will ich immer mal mehr auf dem schirm haben, tatsächlich habe ich ein sehr gutes album von ihm (dieses), aber eben: rausch & ermüdung. und was murray angeht, muss man das hier nicht haben, sein auftritt ist ein kleiner freundschaftsdienst.
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Schlagwörter: David Murray, Tenorsax
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