Sun Ra

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  • #5165919  | PERMALINK

    vorgarten

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    ich finde hunter auf den aufnahmen jetzt nicht so schlecht. wenn ich das richtig überblicke, war er bis in die 80er beim arkestra dabei – allerdings tatsächlich oft nur als zweiter drummer. ich werde ja bald hören, wie er sich entwickelt (wobei ich mich ehrlicherweise mehr auf die aufnahmen mit clifford jarvis freue, die bald kommen).

    außer dem arkestra gibt es wohl kaum aufnahmen von ihm. im interview sagt er, dass der berühmte captain dyett in chicago ihn für einen guten drummer hielt – und dass sun ra ihn dazu gebracht hat, seinen stil zu ändern (wie bei anderen auch, marshall allen z.b.)

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    #5165921  | PERMALINK

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    #5165923  | PERMALINK

    vorgarten

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    reverb time! (aufnahmen aus 1962)

    ein gong, ein daumenklavier, ein wortloses wehklagen. eine erwartungsvolle stille, plötzlich ein neuer raum, in dem das elektronische rauschen sich um den hörer herum ausbreitet wie anschwellender zikadengesang, einzelne schläge in echokammern multipliziert werden, immer wieder stille, die von einzelnen percussionsounds durchbrochen wird. am ende nochmal ein gong, der den spuk beendet.
    „cluster of galaxies“ ist das erste von mehreren stücken, in denen ra und hunter den zufällig entdeckten reverb-effekt ihres aufnahmegeräts einsetzen, mit denen ein artifizieller hall ein ebenso artifizielles echo auslöst. (ich habe nicht ganz verstanden, wie das funktioniert haben soll – hunter hat aufnahmen mit kopfhörer abgehört, eingang und ausgang verbunden und den entstehenden effekt mit dem lautstärkeregler gesteuert). das tolle natürlich, dass das nicht als filter über der gesamten aufnahme liegt, sondern punktuell, überraschend, musikalisch eingesetzt wird. (szwed spricht von „low budget musique concrete“.) interessant auch, dass ra und hunter das zunächst auf percussionsstücke begrenzen, in denen sich die identität des tatsächlich gespielten nicht auf den persönlichen stil des musikers zurückführen lässt. „cluster of galaxies“ und „solar drums“ sind in ihrer tollen dramatik von stille, verfremdung und verdichtung wie weltraumtrips von einer arkestra-welt in die nächste.


    (das ist die kurzversion)

    die arkestra-welten, die das relativ homogene album ART FORMS OF DIMENSIONS TOMORROW ansonsten anfliegt, sind auch ziemlich deparat. wieder wurde „ankh“ eingespielt, diesmal mit freigestellter klavierbegleitung, die im unteren frequenzbereich gegen die charmante paradenmelodie anarbeitet, die wiederum durch handklatscher unterstützt wird. in den solopassagen haben der schüchterne posaunist ali hassan, der beseelte pat patrick ihre mühe, sich gegen den repetitiv störrischen ra am klavier durchzusetzen. wann immer der mit boykins und dem neuen drummer c. scoby stroman allein agieren darf, stellt sich sofort eine viel filigranere kommunikation ein, die sich selbst eigentlich genug ist.
    das schlagzeuglose „the outer heavens“ lebt dagegen völlig von freiradikalen einzelstimmen, die erst aus der distanz ein ganzes bilden. patrick spielt hier klarinette, außerdem gibt es einen gasttrompeter namens manny smith. so selbstbewusst sich die autarken soloflüge ereignen, so klug setzen alle musiker hier pausen, die das scheinbare chaos durchgehend spannend machen.
    das siebenminütige „infinity oft he universe“ schließlich baut einen rollenden vamp auf, der sich allmählich von der percussion (u.a. clifford jarvis) zum ausbruch provozieren lässt, bevor ihm von hunter der saft abgedreht wird. später kommen kurz noch die bassklarinette von john gilmore und der gasttrompete clifford thornton zum einsatz.
    der rest sind zwei stücke aus der BAD & BEAUTIFUL „session“, eine neue version von „light on a satellite“, ohne die gefühlvolle leadstimme von phil cohran diesmal, sondern mit einem aggressiven voicing von ra, dem auch ein tolles solo gelingt, bevor gilmore ein bisschen mitspielt und das ganze ausgefaded wird. „kosmos in blue“ ist dagegen ein schöner, einfacher midtempo-blues, in dem hunter als drummer sehr schöne akzente setzt (auch ein paar solistische fours), ansonsten vor allem ra und gilmore wieder sehr ideenreich solieren. hiermit ist allerdings der größte gegensatz zu den reverb-experimenten des gleichen albums gesetzt: weniger abflug in den kosmos, viel mehr tiefe verwurzelung in southside chicago ist kaum denkbar.

    bedeutend mehr kosmosreisen bietet das zweite album mit aufnahmen aus 1962 an, SECRETS OF THE SUN (wie auch ART FORMS 1965 veröffentlicht). stroman bleibt auch hier erster drummer, während hunter auf percussion und reverb-effekte reduziert bleibt. gleich zwei neue trompeter tauchen auf, eddie gale und al evans – letzterer wird nach diesen aufnahmen ein neues festes arkestra-mitglied. ein verrückter gastauftritt ist im ersten stück „friendly galaxy“ zu verzeichnen: der gitarrist calvin newborn steigt ein und verbreitet für einen kurzen moment jazz in großbuchstaben. allerdings ist stroman, der seinerzeit nicht nur als drummer, sondern auch als tänzer und dichter bekannt war, auch nicht die einzige village-hipsterfigur auf diesen aufnahmen – sein cousin art jenkins, dem sun ra verboten hatte, klassischen jazzgesang beizusteuern, improvisiert auf „solar differentials“ wortlos in den schalltrichter eines widderhorns und bleibt dem arkestra ein paar jahrzehnte erhalten. zum ersten mal hört man hier das tolle „love in outer space“ mit einem expressiven gilmore-solo auf der bassklarinette. zum ersten mal hier überhaupt far out gespielte soli, vor allem von gilmore und ra. doch das groovende fundament ist noch selbstgenügsam und intakt, boykins ist immer präsent und unbeirrbar und stroman tänzelt tatsächlich elegant um ihn herum (ganz toll in „reflects motion“). das ganze endet in einer reverb-percussion-etüde („solar symbols“).

    1962 ist das jahr, in dem sich dem arkestra endlich auftrittsmöglichkeiten in new york erschließen. allerdings machen die klassischen jazz spots einen großen bogen um das gold und orange kostümierte arkestra – sie bleiben in der nachbarschaft des greenwich village. die kleinen cafés, in denen sie auftreten, sind heute mythische orte der 60er-jahre-alternativkultur: frühe folkkneipen, die hin und wieder von schrägen jazzmusikern besucht wurden, beatliteraten den vatermord rezitierten, und die später der kuschelige underground von warhol, morrisey, nico, velvet underground bis hin zu david lynch wurden: das cafe bizarre in der 3rd street, das cafe wha?, das les deux mégots in der 7th, schlielich ein kleiner laden in der legendären macdougal street, in dem ein junger mann namens farrell sanders kellnerte, den ra später in pharoah umtaufte. fast zwangsläufig begegnet ra dem avantgardefilm-guru jonas mekas, der dem arkestra ein konzert nach einer filmvorführung organisiert (vor dem hunter aber leider das drumkit gestohlen wird). zum ersten mal überhaupt tauchen sie damit in zeitungen auf – ernst genommen werden sie dort natürlich trotzdem nicht.

    der kern des arkestras zog 1962 in das herz der sogenannten alphabet city, 48 east 3rd st., ein haus, das nun „sun palace“ hieß: im hinteren bereich wohnte ra und hatte seine wände gold, silbern und orange behangen und besprüht, der rest der ersten etage war probenraum mit übernachtungsmöglichkeit, und auf der zweiten wohnten gilmore und patrick.

    doch das village war auch touristenfalle und zuflucht für bürgerkinder. hier sind 12 minuten über einen sonntag im village anfang der sechziger, in den letzten minuten kann man einen afroamerikanischen dichter im cafe bizarre vorlesen sehen:

    https://archive.org/details/Greenwic1960

    und hier ein tolles foto des innenraums, in dem das arkestra als „the outerspace men“ für 2 dollar & hamburger pro musiker monatelang gastierten – unter falschen spinnweben und verrutschtem gothic:

    im village war das arkestra eine schillernde farbe unter vielen. der relativ freie mix aus schwarz und weiß dürfte für die musiker ohnehin etwas neues gewesen sein. doch wenig später kam die politische aufladung, sun ra bekommt einen förderer in amiri baraka und das arkestra wird tatsächlich nicht nur teil der alternativen szene, sondern auch teil der alternativen jazzszene.

    zuletzt geändert von vorgarten

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    #5165925  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,141

    vorgarten(…)
    „cluster of galaxies“ ist das erste von mehreren stücken, in denen ra und hunter den zufällig entdeckten reverb-effekt ihres aufnahmegeräts einsetzen, mit denen ein artifizieller hall ein ebenso artifizielles echo auslöst. (ich habe nicht ganz verstanden, wie das funktioniert haben soll – hunter hat aufnahmen mit kopfhörer abgehört, eingang und ausgang verbunden und den entstehenden effekt mit dem lautstärkeregler gesteuert). das tolle natürlich, dass das nicht als filter über der gesamten aufnahme liegt, sondern punktuell, überraschend, musikalisch eingesetzt wird. (szwed spricht von „low budget musique concrete“.)
    (…)

    (das ist die kurzversion)

    Toll, wie lässig und experimentell Sun Ra mit Genre-Grenzen umgeht oder Genres sogar völlig ignoriert. Und schon damals das Interesse an elektronischer Klangverfremdung und studio wizardry. Zu der Zeit muss sich im Greenwich Village aber auch alles mit allem vermixt haben. Viele Jahre später ist Sun Ra ja sogar mit John Cage aufgetreten. Da kann man auch mal minutenlang Stille hören, bzw. das Knistern und das Rauschen des Vinyls. Andererseits hat sich Sun Ra mit solchen Experimenten wohl auch zwischen sämtliche Stühle gesetzt, was seinem Mainstream-Erfolg sicher kaum zuträglich war.

    vorgarten1962 ist das jahr, in dem sich dem arkestra endlich auftrittsmöglichkeiten in new york erschließen. allerdings machen die klassischen jazz spots einen großen bogen um das gold und orange kostümierte arkestra – sie bleiben in der nachbarschaft des greenwich village. die kleinen cafés, in denen sie auftreten, sind heute mythische orte der 60er-jahre-alternativkultur: frühe folkkneipen, die hin und wieder von schrägen jazzmusikern besucht wurden, beatliteraten den vatermord rezitierten, und die später der kuschelige underground von warhol, morrisey, nico, velvet underground bis hin zu david lynch wurden: das cafe bizarre in der 3rd street, das cafe wha?, das les deux mégots in der 7th, schlielich ein kleiner laden in der legendären macdougal street, in dem ein junger mann namens farrell sanders kellnerte, den ra später in pharoah umtaufte. fast zwangsläufig begegnet ra dem avantgardefilm-guru jonas mekas, der dem arkestra ein konzert nach einer filmvorführung organisiert (vor dem hunter aber leider das drumkit gestohlen wird). zum ersten mal überhaupt tauchen sie damit in zeitungen auf – ernst genommen werden sie dort natürlich trotzdem nicht.
    (…)
    doch das village war auch touristenfalle und zuflucht für bürgerkinder. hier sind 12 minuten über einen sonntag im village anfang der sechziger, in den letzten minuten kann man einen afroamerikanischen dichter im cafe bizarre vorlesen sehen:

    https://archive.org/details/Greenwic1960

    und hier ein tolles foto des innenraums, in dem das arkestra als „the outerspace men“ für 2 dollar & hamburger pro musiker monatelang gastierten – unter falschen spinnweben und verrutschtem gothic:

    Das sieht so aus / hört sich so an wie eine Mischung aus Montemartre, Schwabing und Kreuzberg in den 70ern/80ern und Prenzlauer Berg der frühen 90er. „Nichts wie hin!“, würde ich sagen. ;-)

    Ob das wirklich immer so kuschelig war in Andy Warhols Factory? Das war sicher finanziell ganz gut ausgestattet und ein Spielplatz für gefallene Bürgerkinder, eine Zuflucht für Außenseiter, Exzentriker und Narzissten, die aber vermutlich auch nicht immer so gut mit sich selbst und anderen klar kamen und unter denen eine „rather high mortality rate“ (Lou Reed) herrschte. Warhol selbst wäre Ende der 60er fast Opfer eines dieser entgleisten Bürgerkinder geworden.

    Aber wie auch bei Sun Ra gibt es bei Andy Warhol – und da noch viel ausgeprägter – das Spiel mit den verschiedenen Kunstformen: Malerei, Film, Musik, Leben, Kunst & Kommerz werden lustvoll miteinander vermixt. Und vielleicht sind die frühen VU gar nicht mal so weit vom frühen Arkestra entfernt.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #5165927  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    redbeansandricediese hier ist ja leider nicht mehr online. Es gibt im Prinzip natürlich das Buch von Campbell und Trent (zweite Ausgabe von 2000), das nicht ganz billig ist, aber vllt per Fernleihe bestellbar ist ? (Kenn ich mich nicht mit aus, die Bayrische Staatsbibliothek hat es zB)

    In Sachen Ra-Diskografie: Ich weiss zwar nicht mehr genau, woran ich letztes Mal bei der Suche gescheitert bin, aber: weiteres Rumprobieren mit archive.org brachte diesen link zu einer alten Version von Moudrys homepage, auf der Discography und Tapeography intakt sind…

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    .
    #5165929  | PERMALINK

    vorgarten

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    großartig, vielen dank!!

    --

    #5165931  | PERMALINK

    vorgarten

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    neue sun-ra-alben sind für den herbst angekündigt:
    http://www.billboard.com/biz/articles/6575897/new-sun-ra-recordings-to-be-released-this-fall-exclusive

    heute wäre er übrigens 101 geworden.

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    #5165933  | PERMALINK

    vorgarten

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    1962/63 – verstreute aufnahmen aus dem choreographers workshop

    der unablässige output des arkestras in dieser zeit ist selbst vom eigenen label nicht gut dokumentiert worden. erst WHEN SUN COMES OUT kam wieder zeitnah (1963) zu den aufnahmen auf el saturn records heraus. anderes material aus 1962 und 63 liegt verstreut vor, taucht jetzt erst auf, ist auch mir noch unbekannt.

    vier stücke aus 1962 (wahrscheinlich) landeten auf einer obskuren veröffentlichung des britischen blast first labels: OUT THERE A MINUTE (1989). campbell und trent sorgen in diesem fall für eine überzeugende diskografische einordnung. das arkestra besteht nach wie vor aus ra, gilmore, allen, patrick, boykins und dem drummer c. scoby stroman. bei „somewhere in space“ hört man auch ein paar laute von art jenkins (natürlich als „space voice“ geführt). das stück ist ein langer vamp aus zwei akkorden und einem aufreizend minimalistischen pattern von stroman – mit dezent freien soli. ein bisschen arkestra standard, wenn man so sagen darf – gemächlich schreitend, hier und da ausbrechend, aber immer wieder in den fluss hineinfindend. „dark clouds with silver linings“ spiegelt die zweite seite der band wieder, midtempo-hardbop, ein schönes, leicht vertracktes thema, ein tolles tenorsolo von gilmore. standards und jazz im eigentlichen sinne sind hier noch sehr präsent. von reverb-effekten kein spur und ra ist die ganze zeit am akustischen klavier zu hören.

    bei „journey onward“ ist al evans auf dem flügelhorn mit dabei. das düstere und viel freiere stück fängt mit paukenschlägen und gilmores freiem flug auf der bassklarinette an, die immer wieder einen orientalischen anstrich bekommt. dann übernehmen bongos (wahrscheinlich patrick) und andere percussions, und al evans spielt ein paar latin-phrasen, auf die ras klavier dankbar antwortet. aber irgendwie fasert das stück aus, ist mehr jam als konzentrierte einspielung. eigenartig dann das vierte stück, „out there a minute“, wo patricks bariton im hintergrund wegdämmert, ra immer wieder zu einem sehr abstrakten solo ansetzt, das thema sich in kreisen und wellen immer wieder in den schwanz beisst.

    der nächste diskografische eintrag ist eine studioaufnahme, die das arkestra mit dem r&b-sänger little mack aufnahm und auf 7‘‘ presste ( er bezahlte, el saturn brachte sie heraus). die a-seite „tell her to come on home“ gibt es im netz, mir gefällt die trancehafte monotonie darin sehr gut, auch der sänger phrasiert toll, am ende gibt es ein bisschen freiheit für gilmore & ra, aber die funktionalität der musiker ist wichtiger. ra war sehr begeistert von little mack, der angeblich die tonarten seiner songs je nach akustik des raums verändern konnte.

    zu dieser zeit entstanden dann auch wieder relativ konservative aufnahmen mit gitarrist calvin newborn, die 1975 auf einer seite des album WHAT’S NEW landeten.

    das titelstück ist tatsächlich der standard von burke/haggart und wir bekommen pure alte gilmore magic, mit quietschendem mundstück und entschiedenem in-playing. al evans und newborn steuern eher langweilig soli bei (mit evans kann ich mich sowieso nicht so richtig anfreunden), tommy hunter hält unaufdringlich den swing. die beiden stücke „wanderlust“ (von newborn) und „jukin‘“ (von evans) kenne ich nicht, dafür aber die arkestra-version von „autumn in new york“, als reduzierte quartett-aufnahme (ra, gilmore, boykins, hunter), in der es ra komplett wegschwemmt. das ist ganz ergreifend und dabei sehr fantasievoll gespielt, mit großen und kleinen gesten im wechsel, rhythmisch völlig fluide, im unbedingten willen, die komposition für ihre schönheit abzufeiern. gilmore danach sehr smoky, als würde er die akkorde des stücks als wolkenbett benutzen, so leicht macht er sich darin breit. ganz wunderbar auch ras begleitung hier, die beiden spielen unglaublich toll zusammen, immer eigentlich. wozu auch gehört, dass das piano einfach auch mal schweigt und gilmore einfach sich mit boykins zurückzieht, dann accapella ausatmet, bevor ra (mit einem stride-moment) wieder völlig woanders einsetzt. ein ganz tolles stück.

    danach entstehen vier zentrale alben aus der frühen new yorker zeit, die den weg des arkestras in die zunehmende abstraktion und den free jazz nachzeichnen, zu dessen erster welle es gehörte: THE INVISIBLE SHIELD, WHEN SUN COMES OUT, WHEN ANGELS SPEAK OF LOVE und COSMIC TONES FOR MENTAL THERAPY. darüber später. dazwischen gibt es noch eine studioaufnahme mit roz croney, der „queen of the limbo“, an der ra, gilmore, allen, patrick und boykins beteiligt waren: IT’S LIMBO TIME bzw. HOW LOW CAN YOU GO ?(für das label dauntless). ra hatte damals die einfachen themen von curly williams für die musiker notieren müssen und ausgearbeitet, die anderen arkestramitglieder durften ein bisschen mitspielen. das einzige stück, was ich daraus kenne, hat ein hübsches gilmore-solo auf der bassklarinette und befindet sich hier.

    zuletzt geändert von vorgarten

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    #5165935  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    vorgarten

    vier stücke aus 1962 (wahrscheinlich) landeten auf einer obskuren veröffentlichung des britischen blast first labels: OUT THERE A MINUTE (1989).

    Die hatte ich mal. Bei einem Second Hand Laden in der Bergmannstraße für irgendwas anderes eingetauscht. Später wiederum fiel diese Sun Ra CD einer brutalen Selektion in meinen Plattenregal zum Opfer. Das ist in meiner Erinnerung eine etwas fahrig gemachte Resteverwertung, Aufnahmen aus dem Proberaum oder anderswo, einiges davon schön, anderes wohl bloß für Komplettisten interessant. Nett, aber nicht essentiell.

    der nächste diskografische eintrag ist eine studioaufnahme, die das arkestra mit dem r&b-sänger little mack aufnahm und auf 7‘‘ presste ( er bezahlte, el saturn brachte sie heraus). die a-seite „tell her to come on home“ gibt es im netz, mir gefällt die trancehafte monotonie darin sehr gut, auch der sänger phrasiert toll, am ende gibt es ein bisschen freiheit für gilmore & ra, aber die funktionalität der musiker ist wichtiger. ra war sehr begeistert von little mack, der angeblich die tonarten seiner songs je nach akustik des raums verändern konnte.

    Das Stück ist wie ein paar andere Aufnahmen von Little Mack auch auf der The Singles-Compilation enthalten. Amüsant!

    Das höre ich mir demnächst mal genauer an. Jetzt ist es zu spät und ich bin zu müde.

    dazwischen gibt es noch eine studioaufnahme mit roz croney, der „queen of the limbo“, an der ra, gilmore, allen, patrick und boykins beteiligt waren: IT’S LIMBO TIME bzw. HOW LOW CAN YOU GO ?(für das label dauntless). (…) das einzige stück, was ich daraus kenne, hat ein hübsches gilmore-solo auf der bassklarinette und befindet sich hier.

    Das macht Spaß! Immer wieder schön, zu hören, wie Sun Ra Stilgrenzen lustvoll übersprang, E und U zum Teufel schickte und keinerlei Berührungsängste zeigte. Ich denke auch das ist eine ganz typische Fähigkeit von Sun Ra. Auch dafür liebe ich ihn!

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #5165937  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    FriedrichDie hatte ich mal. Bei einem Second Hand Laden in der Bergmannstraße für irgendwas anderes eingetauscht. Später wiederum fiel diese Sun Ra CD einer brutalen Selektion in meinen Plattenregal zum Opfer. Das ist in meiner Erinnerung eine etwas fahrig gemachte Resteverwertung, Aufnahmen aus dem Proberaum oder anderswo, einiges davon schön, anderes wohl bloß für Komplettisten interessant. Nett, aber nicht essentiell.

    blast first ist ja eigentlich ein noise label, aber der chef paul smith war (ist?) ein großer sun ra fan. ich finde nichts darüber, wie er an diese aufnahmen gekommen ist, jedenfalls erschien diese cd zu einer zeit, als es extrem schwierig war, überhaupt ra-alben zu finden. für einige war die kompilation ein guter einstieg. mehreres, u.a. die von mir erwähnten stücke, gibt es wirklich nur darauf, was heißt, dass smith zugang zu den originalbändern gehabt haben muss. der sound ist nicht soo übel, alles, was hunter im workshop aufgenommen hat, klingt mal besser, mal schlechter, meistens ok, manches ist durch verschiedene remaster-durchgänge tatsächlich besser geworden, wie ich an der itunes-edition gerade feststelle.

    FriedrichDas Stück ist wie ein paar andere Aufnahmen von Little Mack auch auf der The Singles-Compilation enthalten. Amüsant!

    stimmt, davon habe ich nur die erste disc, die little-mack-single ist auf der zweiten (a- und b-seite).

    FriedrichDas macht Spaß! Immer wieder schön, zu hören, wie Sun Ra Stilgrenzen lustvoll übersprang, E und U zum Teufel schickte und keinerlei Berührungsängste zeigte. Ich denke auch das ist eine ganz typische Fähigkeit von Sun Ra. Auch dafür liebe ich ihn!

    ist wohl keine überzeugungstat, ra hat zu diesem zeitpunkt alles an jobs angenommen, was er kriegen konnte. das gilmore-solo ist so herausfordernd unterkomplex (fast nur auf einem ton!), dass ich nicht weiß, ob er das überhaupt ist… trotzdem macht sowas natürlich großen spaß, sofern man nicht ganze calypso-pop-alben hören muss (how low can you go?)

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    #5165939  | PERMALINK

    vorgarten

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    1962/63 : der weg in die abstraktion

    im choreographers workshop wird neues material eingespielt. eine seite von THE INVISIBLE SHIELD kommt zustande (1974 dann mit material von 1970 auf seite zwei veröffentlicht). wir trauen unseren ohren nicht: es sind wieder standards. zum teil die gleichen, die das arkestra in chicago schon (ziemlich toll) für HOLIDAY FOR SOUL DANCE eingespielt hat. „sometimes I’m happy“, „time after time“, „but not for me“, „easy to love“, „sunny side up“. gerade sun ra balanciert dabei auf einer schmalen linie zwischen in und out, während jemand wie gilmore diesen spagat mühelos hinbekommt. personell gibt es hier ein paar signifikante veränderungen: der ziemlich heiße und sehr polyrhythmische swing mit dominanter bassdrum kommt von clifford jarvis (mit boykins zusammen ein ziemlicher knaller), allen und patrick fehlen, und dann macht ein neuer trompeter auf sich aufmerksam, der mit verblüffender virtuosität recht traditionell spielt, aber tolle melodische wendungen hinbekommt und eine herausforderung vor allem für gilmore wird: walter miller. dessen eigenartige karriere neben seinen gigs als jazztrompeter eine beachtliche anthropologen-laufbahn umfasste, lehrtätigkeit u.a. in harvard, und ein wohl klassisches buch über jugendgangs in amerikanischen großstädten. wenn man ihn spielen hört, glaubt man kaum, dass er neben trompete üben noch zeit hatte, eine koryphäe zu werden. mit sun ra hat er angeblich schon in den 30ern gespielt.

    die standard-einspielungen jedenfalls machen großen spaß, sind komplett uptempo, klingen auch in der itunes-remastered-version ziemlich toll. das spannendste aber ist wohl, wie sich sun ra selbst in diesem idiom bewegt, das ihm viel zu eng geworden scheint. auf einem stück wechselt lex humphries hinter die drums; und dann gibt es noch eine neue einspielung der sun-ra-komposition „state street“, die eher nach 30ern als nach 60ern klingt. den violinisten darauf hat man eine zeit lang sogar als stuff smith identifiziert (es ist aber michael white). da sind dann auch evans, allen und patrick wieder dabei.

    völlig anders hört sich das arkestra auf WHEN SUN COMES OUT an. dominant ist vor allem die percussion (alle arkestramitglieder sind in der rhythm section aktiv), während die bläser und der pianist freier spielen als jemals zuvor. auf „calling planet earth“ scheint pat patrick sein baritonsax fast sprengen zu wollen, gilmore beendet seine soli plötzlich mit doppeltönen, ra spielt rasend schnelle cluster, selbst walter miller befreit sein spiel von allen melodischen ketten, ohne weniger virtuos zu wirken. als wichtiger neuzugang kommt ein 17-jähriger meisterschüler von marshall allen, danny davis, als zweiter altsaxophonist dazu, der sich mit allen regelrechte battles liefert (live sollen sie sich dabei einen auch körperlichen pseudo-kampf geliefert haben). am anfang gibt es den mysteriösen sirenengesang einer dame namens theda barbara, als bonus ist ein 1993 aufgetauchtes stück in der itunes-remastered-version zu finden, auf dem gilmore über einem teppich aus diversen percussioninstrumenten (u.a. den kuhglocken der freundin von tommy hunter) spielt. auch reverbs gibt es diesmal und eine neue version von „we travel the spaceways“, in dem alles einen entschiedenen schritt dissonanter gesetzt ist. das arkestra besinnt und radikalisiert sich auf WHEN SUN COMES OUT. selbst die hardbop-nahen stücke wie das tolle „dancing shadows“ klingt, von clifford jarvis angefeuert, eher nach verwinkeltem miles-2nd-quintet als nach 1963. trotzdem taucht vieles arkestra-spezifische als echo auf – flötensoli über exotischer percussion, chorgesang, swing, grandioses showmanship der solisten.

    auf WHEN ANGELS SPEAK OF LOVE (1963, veröffentlicht 1966) ist der absprung in die freie improvisation geschafft. auch wenn es noch einzelne komponierte themen gibt, liegt der fokus jetzt auf einem transgressiven powerplay, für das vor allem marshall allen und danny davis zuständig sind. auch gilmore geht sehr weit in die atonalität hinein, bleibt dabei aber strukturierter. walter miller hält ziemlich gut mit, sitzt auch sicher im material, wirkt aber farbloser als in festeren formen. einiges wirkt dann insgesamt auch eher fahrig, wenig auf den punkt – man weiß nicht genau, was die haltung dahinter ist: spielen sie sich aus der gravitation hinaus, ist es eher ein energetisches konzept oder ein aufgreifenden der immer spürbareren musikalischen entwicklungen um sie herum, am vorabend des new thing? auf zwei stücken setzt hunter wieder die reverb-effekte ein, diesmal flexibler, vor allem, wenn keine durchgehende percussion am werk ist. das zweite nimmt die gesamte b-seite ein, „next stop mars“, mit fast 18 minuten das bisher längste der ra-diskografie. ein space chant, dann spielen ra und boykins frei durch. etwas konfuse soli der bläser und von ra, gilmore ist der einzige, dem etwas interessantes einfällt. pat patrick ist nur auf dem titelstück (einer schönen rubato-„ballade“) zu hören, entweder hatte er andere jobs oder spielt nur percussion.

    WHEN ANGELS wurde 1963 in einer stückzahl von 150 gepresst, auf denen das arkestra wahrscheinlich noch zu einem gutteil sitzen blieb. erst 2000 gab es die cd-wiederveröffentlichung von evidence.

    COSMIC TONES FOR MENTAL THERAPY (veröffentlicht 1967) schließlich ist interessanter und auch geheimnisvoller. das arkestra bleibt im freien bereich, allerdings ist die percussion interessanter gestaltet und hunters reverb-einsatz ist auch viel origineller. manchmal schaltet er den effekt für die dauer eines solos einfach aus, grundsätzlich setzt er ihn auch bei gerade grooves ein, die dadurch sehr komplex und dreidimensional werden. marshall allen spielt eine etwas überirdische oboe, gilmore bassklarinette, außerdem sind noch bernard pettaway (bassposaune), robert cummings (bassklarinette) und james jacson (flöte) dabei – dafür fehlt ein trompeter.

    ganz großartig sind drei stücke, auf denen ra hammond-orgel spielt, die nicht teil des inventars des choreographers workshop war. tommy hunter, damals drummer im orgeltrio von sarah mc lawler war, vermittelte einen probe- und aufnahmetag im tip top club in brooklyn. auf „adventure-equation“ hört man 2 mal ein telefon klingeln. das stück stampft paradenhaft voran, gilmore spielt ein wunderbar gesangliches bassklarinettensolo, das völlig tonal bleibt, hunters reverbs am anfang und ende verschieben den gerade rhythmus in den weltraum. noch toller „moon dance“, auf einem sexy bass-lick gegründet, mit ganz tollen fills von jarvis und einer spleenigen, tollen, aufgekratzten orgel von ra. diese verbindung von sophistication und freiem spiel war 1963 sicherlich sehr neu.

    ein ziemlicher trip, den das arkestra auf seinen proberaum-aufnahmen da 1962 und 63 hinlegt, vom standard zum new thing zu proto-psychedelia. auftrittsmöglichkeiten gab es nach wie vor weniger: ein längeres engagement im playhouse (einem kleinen café im greenwich village, in dem pharoah sanders arbeitete) und 4 wochen im les deux megots. 1964 wurde es schließlich so schlimm, dass arkestramitglieder andere jobs annahmen, u.a. gilmore bei blakey.

    hier die kernband im choreographers workshop: patrick, ra, allen, gilmore und boykins.

    zuletzt geändert von vorgarten

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    #5165941  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,141

    vorgartenblast first ist ja eigentlich ein noise label, aber der chef paul smith war (ist?) ein großer sun ra fan. ich finde nichts darüber, wie er an diese aufnahmen gekommen ist, jedenfalls erschien diese cd zu einer zeit, als es extrem schwierig war, überhaupt ra-alben zu finden. für einige war die kompilation ein guter einstieg. mehreres, u.a. die von mir erwähnten stücke, gibt es wirklich nur darauf, was heißt, dass smith zugang zu den originalbändern gehabt haben muss. der sound ist nicht soo übel, alles, was hunter im workshop aufgenommen hat, klingt mal besser, mal schlechter, meistens ok, manches ist durch verschiedene remaster-durchgänge tatsächlich besser geworden, wie ich an der itunes-edition gerade feststelle.

    Es dürfte auch eins meiner ersten Sun Ra-Alben gewesen sein. Ich hatte von Sun Ra so gut wie keine Ahnung (eigentlich auch keine Ahnung von Jazz) aber der Name Sun Ra tauchte in den 90ern öfter mal z.B. in der SPEX auf, nicht zuletzt, weil Musiker aus dem Noise-Bereich wiederum den Namen Sun Ra hier und dort mal fallen ließen. Sonic Youth engagierten Sun Ra & His Arkestra mal als ihre „Vorgruppe“. Dadurch erlangte Sun Ra einen gewissen Kultstatus – obwohl kein Mensch die Musik kannte. So kann man sich die Verbindung Rock-Avantgarde < -> Sun Ra vielleicht erklären.

    vorgartenstimmt, davon (The Singles) habe ich nur die erste disc, die little-mack-single ist auf der zweiten (a- und b-seite).

    (…)

    ist wohl keine überzeugungstat, ra hat zu diesem zeitpunkt alles an jobs angenommen, was er kriegen konnte. das gilmore-solo ist so herausfordernd unterkomplex (fast nur auf einem ton!), dass ich nicht weiß, ob er das überhaupt ist… trotzdem macht sowas natürlich großen spaß, sofern man nicht ganze calypso-pop-alben hören muss (how low can you go?)

    Was The Singles betrifft, kann ich helfen.

    Ich neige ja zu der Interpretation, dass Sun Ra und die Seinen – vielleicht aus eigenem Antrieb, vielleicht aus wirtschaftlichem Druck, wahrscheinlich aber aus einer Mischung von beidem – eine große Offenheit gegenüber verschiedensten musikalischen Stilen hatten und vielleicht aus dieser Haltung wiederum Stilgrenzen zwar sehr gut kannten, aber eher als Herausforderung zum Überspringen sahen. Ich meine bei Sun Ra ja auch die parallele Existenz von gemeinhin als altmodisch geltender Swingmusik und völlig abgespacetem synthetischen Noise zu hören, ohne dass es da eine hierarchische Wertung gibt. Insofern ist diese Limbo-Aufnahme mit dem Solo in seiner fast schon demonstrativen Einfachheit ein kleines, sicher nicht essentielles aber hübsches Mosaiksteinchen im großen Bild des Sun Ra-schen Kosmos. Die The Singles Compi finde ich in diesem Zusammenhang auch sehr gut.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #5165943  | PERMALINK

    vorgarten

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    Beiträge: 12,585

    pre/free. OUTER PLANES OF THERE recordings (1964)

    1964 ist die situation für sun ra und das arkestra auf einem neuen tiefpunkt angelangt. von seinem spirituellen und geschäftlichen mitstreiter alton abraham, der natürlich immer noch in chicago sitzt und dort das saturn-label „betreut“, entfremdet sich ra immer mehr. seit kurzem nimmt abraham sogar andere bands und musiker für el saturn auf, r&b, muhal richard abrams und eine single in tagalog. ra lernt in new york zwei produzenten und toningenieure kennen, mit denen er in den nächsten 30 jahren immer mehr zusammen arbeiten wird: fred vargas und warren allen smith, ein schwules paar, das seit 1961 das audiosonic studio betreibt, zunächst im brill-gebäude am times square (in kluger direkter broadway-nähe), später, als „variety recording studio“ in der west 46th street. zu direkten jobs führt das aber erstmal nicht.

    die musiker müssen sich wohl oder übel nach anderen jobs umsehen. auftritte für das arkestra sind nach wie vor rar. marshall allen und pat patrick arbeiten mit dem nigerianischen ausnahme-drummer olatunji zusammen, dessen afrikanisches totaltheater im zuge einer afro-mode (harry belafonte landete gerade in den popcharts, olantunjis drum-alben kamen gut an) zu jobs führte, unter anderem bei der new yorker world fair. im mai des jahres geht tommy hunter nach schweden, um dort an einer filmhochschule zu studieren. im august 1964 schließlich verlässt john gilmore das arkestra, um wayne shorters nachfolger bei art blakeys jazz messengers zu werden (er kehrt ende märz 1965 zurück).

    zuvor aber entsteht noch ein außerordentlich geschlossenes album, dessen material bis auf ein stück in einer session aufgenommen zu sein scheint und das arkestra in einer reflexiven, melancholischen intensität dokumentiert: OTHER PLANES OF THERE, 1966 von ra und abraham auf el saturn veröffentlicht.

    OTHER PLANES war eines der ersten alben, die ich von ra gehört habe – nach LANQUIDITY, aber vor den älteren sachen aus chicago. ich mag es vom ersten bis zum letzten ton sehr gerne, ohne dass darauf etwas tatsächlich spektakuläres passieren würde. die tonqualität ist schlecht, dumpf und wenig ausbalanciert, verhallt, etwas depressiv in den raum geworfen, als ob niemand damit rechnen würde, dass jemand eventuell zuhören möchte. trotzdem ist das kein jam, kein versuchsweises zusammenfügen von material und stimmen, die im raum sind. das arkestra nimmt sich sehr bewusst freiheiten, wechselt reflektiert zwischen aggressiven und nachdenklichen momenten, hört sich zu, setzt ideen ingang und fängt sie an anderer stelle wieder auf.

    zur kernbesetzung ra – gilmore – allen – davis – patrick – boykins kommen drei posaunisten (teddy nance, bernard pettaway und ali hassan), der trompeter walter miller aus birmingham ist wieder dabei, an den drums sitzen roger blank und lex humphries.

    das titelstück geht mit 22 minuten über die gesamte erste seite. aus einem ungreifbaren, kollektiv gespielten akkord (ist das der berüchtigte „space chord“?) entwickelt sich eine suitenhafte abfolge von soli, die immer wieder ins kollektiv fließen. zwischendurch einige spontan klingende duo-passagen, manchmal als übergang zwischen den soli. jeder einzelne musiker bekommt einen auftritt, der aber in keinem fall suchend, wirklich frei absolviert wird, sondern vorüberlegt scheint, das gesamte stück und seine notwendige dramatisierung im langen bogen vor augen. sehr gut gefällt mir walter miller, der ein bisschen chet-baker-hafte verlorenheit setzt, boykins greift das auf, setzt aber immer entschiedenere stopps in seinem soli ein, schließlich steigen alle bläser ein und steigern die intensität, aus der aber wieder nur die einsäm quäkende oboe von marshall allen übrigebleibt. aus einem versonnenen moment von ra steigt dagegen der überblasene krawall von john gilmore empor, und die wiederum dadurch initiierte klavierklangwand macht raum für ein sehr klar strukturiertes motivisches posaunen-solo. letzte aggressionsschübe kommen schließlich von beiden altsaxophonisten, diesmal auch mit voll einsteigenden drums. immer, wenn das kollektiv einfällt, bleibt es meist auf einem akkord, woran man sieht, wie vorstrukturiert das alles ist. das finale mündet folgerichtig wieder in den akkord des anfangs. ohne themen, durchgängig im rubato, werden diese 22 minuten keinen augenblick lang langweilig, kommt niemals der eindruck auf, dass etwas beliebiges stattfinden würde. ra webt alles zusammen, jeder moment ist ein präzises echo auf den moment davor.

    „ich spiele keine freie musik, denn es gibt keine freiheit im universum. wäre man frei, könnte man einfach irgendwas spielen, es käme nicht darauf an und würde nicht auf dich zurückfallen. aber: alles fällt immer auf dich zurück. deshalb warne ich meine musiker immer: achtet genau darauf, was ihr spielt. jede note, jeder beat, sei gewiss, fällt auf dich zurück. und wenn du etwas spielst, das du selbst nicht verstehst, dann ist das schlecht für dich und schlecht für die menschen.“ (sun ra)

    „sound spectra“ eröffnet die zweite seite mit einem schlagzeugsolo, das in einem tollen multirhythmischen angebot ausläuft, in das walter miller einsteigt. fanfare, aggressives wegrutschen und lyrisches innehalten. ra und boykins kommen dazu, in einem offensiv dagegengesetzten rhythmus. ein groove liegt in der luft, der aber nicht losgeht. miller zitiert „it ain’t necesserily so“. die dichte steigt durch zunehmende percussion, aber der groove geht immer noch nicht los. die besen des drummers spielen am ende wieder für sich. ein paar schläge auf strafferes fell im raum und im reverb als echo. auch hier: wie genau das gebaut, zusammengesetzt ist.

    „sketch“. auch hier führt der titel auf eine falsche fährte. ra stellt akkorde vor, gilmore ein veritables thema. walking-bass und swing-begleitung. der straight-ahead-ansatz läuft aber gleich wohlkalkuliert aus dem ruder, erst durch das immer dissonantere ra-solo, dann folgt ein unglaublich klar strukturiertes, in immer weitere umlaufbahnen geratenes gilmore-solo, das eine vom raum zurückgeworfene klangwand bildet, bevor die band im swing wieder zurückfedert.

    im genauen bewusstsein für damatische kontraste folgt danach das große, durchatmende, dunkel funkelnde patrick-solo „pleasure“ (war mal ein bft-beitrag von mir). es klingt wie eine komplett ausgeschriebene ballade, aber patrick mäandert an einer melodielinie eher entlang, als dass er sie spielt – und sein ton wird dabei immer klagender, existentieller. ohne zu zerbrechen, vereinzeln die stimmen am ende, bis nur noch ein paar suchende töne in der hohen klavierlage von der bühne treten. das alles in unter vier minuten.

    „spiral galaxy“ ist nochmal was ganz anderes, auch hörbar aus einer anderen session. es setzt sich einer dieser arkestra-space-märsche ingang, auf einer ambivalenten, aber klar nach vorne gerichteten percussion-bewegung. boykins spielt dagegen ein sehr eindeutiges ostinato. patricks bariton grummelt unten dagegen an, ras klavier ist irgendwo hinten und kaum zu vernehmen. kollektive crys der bläser laden den groove auf, allen spielt wieder oboe, davis diesmal flöte. am ende hört man virtuell ein publikum, denn diese musik hat wieder einen show-appeal, ist für zuhörende menschen gemacht. es bleibt am ende der eindruck, dass diese band wirklich weiß, was sie macht – und dass alles, was sie produziert, auf sie zurückfallen wird.

    auf den straßen ist natürlich einiges los. auch wenn sun ra längst bestreitet, einmal in birmingham geboren worden zu sein, weiß man natürlich, dass martin luther king dort, in der „metropole der rassentrennung“, ein paar monate zuvor 8 tage im gefängnis gesessen hat.

    schließlich beginnt am 14. und 15. juni 1964 im cellar cafe, organisiert von bill dixon und dem filmemacher peter sabino, eine konzertreihe, die später zur sogenannten „oktoberrevolution im jazz“ und dem „new thing“ führen sollte. sun ra und das arkestra sind von anfang an dabei. pharoah sanders ist der neue tenorsaxofonist. und bernard stollman, der chef des ESP-labels wird auf das arkestra aufmerksam. sun ra, der zwar nicht in jazzclubs gebucht wird, der aber schon lange im kontakt mit avantgardisten von coltrane bis sharrock und rahsaan kirk steht, ist mittendrin – und doch wieder nicht. aber dazu später.

    zuletzt geändert von vorgarten

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    #5165945  | PERMALINK

    Anonym
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    Kennt jemand diese neue Veröffentlichung des Sun Ra Archestra unter Leitung von Marshall Allen? Ich habe sehr positive Rezensionen darüber gelesen.

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    #5165947  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

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    Nö, aber ich würde ca. 250 Sun Ra-Alben kaufen vorher … und das aktuelle Arkestra live hören gehen (keine Ahnung, wie lange man das noch kann).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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