Re: Sun Ra

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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vorgartenblast first ist ja eigentlich ein noise label, aber der chef paul smith war (ist?) ein großer sun ra fan. ich finde nichts darüber, wie er an diese aufnahmen gekommen ist, jedenfalls erschien diese cd zu einer zeit, als es extrem schwierig war, überhaupt ra-alben zu finden. für einige war die kompilation ein guter einstieg. mehreres, u.a. die von mir erwähnten stücke, gibt es wirklich nur darauf, was heißt, dass smith zugang zu den originalbändern gehabt haben muss. der sound ist nicht soo übel, alles, was hunter im workshop aufgenommen hat, klingt mal besser, mal schlechter, meistens ok, manches ist durch verschiedene remaster-durchgänge tatsächlich besser geworden, wie ich an der itunes-edition gerade feststelle.

Es dürfte auch eins meiner ersten Sun Ra-Alben gewesen sein. Ich hatte von Sun Ra so gut wie keine Ahnung (eigentlich auch keine Ahnung von Jazz) aber der Name Sun Ra tauchte in den 90ern öfter mal z.B. in der SPEX auf, nicht zuletzt, weil Musiker aus dem Noise-Bereich wiederum den Namen Sun Ra hier und dort mal fallen ließen. Sonic Youth engagierten Sun Ra & His Arkestra mal als ihre „Vorgruppe“. Dadurch erlangte Sun Ra einen gewissen Kultstatus – obwohl kein Mensch die Musik kannte. So kann man sich die Verbindung Rock-Avantgarde < -> Sun Ra vielleicht erklären.

vorgartenstimmt, davon (The Singles) habe ich nur die erste disc, die little-mack-single ist auf der zweiten (a- und b-seite).

(…)

ist wohl keine überzeugungstat, ra hat zu diesem zeitpunkt alles an jobs angenommen, was er kriegen konnte. das gilmore-solo ist so herausfordernd unterkomplex (fast nur auf einem ton!), dass ich nicht weiß, ob er das überhaupt ist… trotzdem macht sowas natürlich großen spaß, sofern man nicht ganze calypso-pop-alben hören muss (how low can you go?)

Was The Singles betrifft, kann ich helfen.

Ich neige ja zu der Interpretation, dass Sun Ra und die Seinen – vielleicht aus eigenem Antrieb, vielleicht aus wirtschaftlichem Druck, wahrscheinlich aber aus einer Mischung von beidem – eine große Offenheit gegenüber verschiedensten musikalischen Stilen hatten und vielleicht aus dieser Haltung wiederum Stilgrenzen zwar sehr gut kannten, aber eher als Herausforderung zum Überspringen sahen. Ich meine bei Sun Ra ja auch die parallele Existenz von gemeinhin als altmodisch geltender Swingmusik und völlig abgespacetem synthetischen Noise zu hören, ohne dass es da eine hierarchische Wertung gibt. Insofern ist diese Limbo-Aufnahme mit dem Solo in seiner fast schon demonstrativen Einfachheit ein kleines, sicher nicht essentielles aber hübsches Mosaiksteinchen im großen Bild des Sun Ra-schen Kosmos. Die The Singles Compi finde ich in diesem Zusammenhang auch sehr gut.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)