Antwort auf: Sun Ra

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vorgarten

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reverb time! (aufnahmen aus 1962)

ein gong, ein daumenklavier, ein wortloses wehklagen. eine erwartungsvolle stille, plötzlich ein neuer raum, in dem das elektronische rauschen sich um den hörer herum ausbreitet wie anschwellender zikadengesang, einzelne schläge in echokammern multipliziert werden, immer wieder stille, die von einzelnen percussionsounds durchbrochen wird. am ende nochmal ein gong, der den spuk beendet.
„cluster of galaxies“ ist das erste von mehreren stücken, in denen ra und hunter den zufällig entdeckten reverb-effekt ihres aufnahmegeräts einsetzen, mit denen ein artifizieller hall ein ebenso artifizielles echo auslöst. (ich habe nicht ganz verstanden, wie das funktioniert haben soll – hunter hat aufnahmen mit kopfhörer abgehört, eingang und ausgang verbunden und den entstehenden effekt mit dem lautstärkeregler gesteuert). das tolle natürlich, dass das nicht als filter über der gesamten aufnahme liegt, sondern punktuell, überraschend, musikalisch eingesetzt wird. (szwed spricht von „low budget musique concrete“.) interessant auch, dass ra und hunter das zunächst auf percussionsstücke begrenzen, in denen sich die identität des tatsächlich gespielten nicht auf den persönlichen stil des musikers zurückführen lässt. „cluster of galaxies“ und „solar drums“ sind in ihrer tollen dramatik von stille, verfremdung und verdichtung wie weltraumtrips von einer arkestra-welt in die nächste.


(das ist die kurzversion)

die arkestra-welten, die das relativ homogene album ART FORMS OF DIMENSIONS TOMORROW ansonsten anfliegt, sind auch ziemlich deparat. wieder wurde „ankh“ eingespielt, diesmal mit freigestellter klavierbegleitung, die im unteren frequenzbereich gegen die charmante paradenmelodie anarbeitet, die wiederum durch handklatscher unterstützt wird. in den solopassagen haben der schüchterne posaunist ali hassan, der beseelte pat patrick ihre mühe, sich gegen den repetitiv störrischen ra am klavier durchzusetzen. wann immer der mit boykins und dem neuen drummer c. scoby stroman allein agieren darf, stellt sich sofort eine viel filigranere kommunikation ein, die sich selbst eigentlich genug ist.
das schlagzeuglose „the outer heavens“ lebt dagegen völlig von freiradikalen einzelstimmen, die erst aus der distanz ein ganzes bilden. patrick spielt hier klarinette, außerdem gibt es einen gasttrompeter namens manny smith. so selbstbewusst sich die autarken soloflüge ereignen, so klug setzen alle musiker hier pausen, die das scheinbare chaos durchgehend spannend machen.
das siebenminütige „infinity oft he universe“ schließlich baut einen rollenden vamp auf, der sich allmählich von der percussion (u.a. clifford jarvis) zum ausbruch provozieren lässt, bevor ihm von hunter der saft abgedreht wird. später kommen kurz noch die bassklarinette von john gilmore und der gasttrompete clifford thornton zum einsatz.
der rest sind zwei stücke aus der BAD & BEAUTIFUL „session“, eine neue version von „light on a satellite“, ohne die gefühlvolle leadstimme von phil cohran diesmal, sondern mit einem aggressiven voicing von ra, dem auch ein tolles solo gelingt, bevor gilmore ein bisschen mitspielt und das ganze ausgefaded wird. „kosmos in blue“ ist dagegen ein schöner, einfacher midtempo-blues, in dem hunter als drummer sehr schöne akzente setzt (auch ein paar solistische fours), ansonsten vor allem ra und gilmore wieder sehr ideenreich solieren. hiermit ist allerdings der größte gegensatz zu den reverb-experimenten des gleichen albums gesetzt: weniger abflug in den kosmos, viel mehr tiefe verwurzelung in southside chicago ist kaum denkbar.

bedeutend mehr kosmosreisen bietet das zweite album mit aufnahmen aus 1962 an, SECRETS OF THE SUN (wie auch ART FORMS 1965 veröffentlicht). stroman bleibt auch hier erster drummer, während hunter auf percussion und reverb-effekte reduziert bleibt. gleich zwei neue trompeter tauchen auf, eddie gale und al evans – letzterer wird nach diesen aufnahmen ein neues festes arkestra-mitglied. ein verrückter gastauftritt ist im ersten stück „friendly galaxy“ zu verzeichnen: der gitarrist calvin newborn steigt ein und verbreitet für einen kurzen moment jazz in großbuchstaben. allerdings ist stroman, der seinerzeit nicht nur als drummer, sondern auch als tänzer und dichter bekannt war, auch nicht die einzige village-hipsterfigur auf diesen aufnahmen – sein cousin art jenkins, dem sun ra verboten hatte, klassischen jazzgesang beizusteuern, improvisiert auf „solar differentials“ wortlos in den schalltrichter eines widderhorns und bleibt dem arkestra ein paar jahrzehnte erhalten. zum ersten mal hört man hier das tolle „love in outer space“ mit einem expressiven gilmore-solo auf der bassklarinette. zum ersten mal hier überhaupt far out gespielte soli, vor allem von gilmore und ra. doch das groovende fundament ist noch selbstgenügsam und intakt, boykins ist immer präsent und unbeirrbar und stroman tänzelt tatsächlich elegant um ihn herum (ganz toll in „reflects motion“). das ganze endet in einer reverb-percussion-etüde („solar symbols“).

1962 ist das jahr, in dem sich dem arkestra endlich auftrittsmöglichkeiten in new york erschließen. allerdings machen die klassischen jazz spots einen großen bogen um das gold und orange kostümierte arkestra – sie bleiben in der nachbarschaft des greenwich village. die kleinen cafés, in denen sie auftreten, sind heute mythische orte der 60er-jahre-alternativkultur: frühe folkkneipen, die hin und wieder von schrägen jazzmusikern besucht wurden, beatliteraten den vatermord rezitierten, und die später der kuschelige underground von warhol, morrisey, nico, velvet underground bis hin zu david lynch wurden: das cafe bizarre in der 3rd street, das cafe wha?, das les deux mégots in der 7th, schlielich ein kleiner laden in der legendären macdougal street, in dem ein junger mann namens farrell sanders kellnerte, den ra später in pharoah umtaufte. fast zwangsläufig begegnet ra dem avantgardefilm-guru jonas mekas, der dem arkestra ein konzert nach einer filmvorführung organisiert (vor dem hunter aber leider das drumkit gestohlen wird). zum ersten mal überhaupt tauchen sie damit in zeitungen auf – ernst genommen werden sie dort natürlich trotzdem nicht.

der kern des arkestras zog 1962 in das herz der sogenannten alphabet city, 48 east 3rd st., ein haus, das nun „sun palace“ hieß: im hinteren bereich wohnte ra und hatte seine wände gold, silbern und orange behangen und besprüht, der rest der ersten etage war probenraum mit übernachtungsmöglichkeit, und auf der zweiten wohnten gilmore und patrick.

doch das village war auch touristenfalle und zuflucht für bürgerkinder. hier sind 12 minuten über einen sonntag im village anfang der sechziger, in den letzten minuten kann man einen afroamerikanischen dichter im cafe bizarre vorlesen sehen:

https://archive.org/details/Greenwic1960

und hier ein tolles foto des innenraums, in dem das arkestra als „the outerspace men“ für 2 dollar & hamburger pro musiker monatelang gastierten – unter falschen spinnweben und verrutschtem gothic:

im village war das arkestra eine schillernde farbe unter vielen. der relativ freie mix aus schwarz und weiß dürfte für die musiker ohnehin etwas neues gewesen sein. doch wenig später kam die politische aufladung, sun ra bekommt einen förderer in amiri baraka und das arkestra wird tatsächlich nicht nur teil der alternativen szene, sondern auch teil der alternativen jazzszene.

zuletzt geändert von vorgarten

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