Musik aus unterschiedlichen Kulturkreisen – was hört man / worauf verzichtet man

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Musik aus unterschiedlichen Kulturkreisen – was hört man / worauf verzichtet man

Ansicht von 15 Beiträgen - 1 bis 15 (von insgesamt 37)
  • Autor
    Beiträge
  • #58787  | PERMALINK

    dougsahm
    Moderator

    Registriert seit: 26.08.2002

    Beiträge: 17,863

    Schwierig für mich einleitend die richtigen Worte zu finden ….

    Frage 1:

    Es gab mal vorwiegend im PN-Bereich eine Mini-Diskussion, inwiefern man Musik aus einem Kulturkreis, den man sich nicht durch eigeninitiative Beschäftigung (sei es Bereisen oder mindestens Literatur) sich erschlossen hat, überhaupt bewerten und genießen kann.

    Ich meine ja. Sonst würden zumindest bei meinen Hörverhalten afrikanische Musik, südamerikanische Musik, Balkanmusik und ggfs sogar Reggae unter den Tisch fallen. Tun sie aber nicht. Dick schreiben möchte ich: Ich stimme zu, dass Reisen und anderweitige Informationsbeschaffung natürlich förderlich sind. Aber sind sie eine Bedingung, ohne die es nicht geht (Hauptfrage) ?

    Frage 2:
    Weil manchmal letztere Meinung vertreten wird, konzentrieren sich manche auf den angloamerikanischen Bereich. Und noch spezieller liegen dann liegen dann wiederum vereinzelt ALLGEMEINE unterschiedliche Vorlieben entweder für die Interpreten der USA oder der Insel … woran könnte das denn nun wieder liegen (Nebenfrage) ?

    Allgemein:
    Oder sind unterschiedliche Personen einfach unterschiedlich disponiert ? Letzteres habe ich mir vor einigen Wochen gedacht bei dem Konzert-Bericht zu Calexico in Berlin, bei dem die hierzulande unbekannte Balkan-Vorband wohl von einen Großteil der Besucher abgefeiert wurde, den Berichterstatter jedoch nervte. Wäre der Berichterstatter angetan gewesen, wenn er schon mehrmals den Balkan bereist hätte ? Wahrscheinlich nicht – Spekulation.

    Schwingt bei den spitzen Fingern, sich mit Musik aus anderen Kulturkreisen auseinanderzusetzen auch ein bisschen die unbewusste Scheu mit, sich mit unbekannten Klängen zu beschäftigen ? Wohl nicht in allen Fällen, denn der Zugang zu Free Jazz ist mindestens genauso anspruchsvoll.

    Ich habe noch weitere offene Fragen, aber möchte es dabei mal belassen, weil sich sonst eh jeder wieder einen Absatz mit Nebenfragen herauspickt. Falls es eine ordentliche Diskussion gibt, im Lauf der nächsten Tage mehr Überlegungen. Deshalb noch mal die einleitende zentrale Frage:
    Es gab mal vorwiegend im PN-Bereich eine Mini-Diskussion, inwiefern man Musik aus einem Kulturkreis, den man sich nicht durch eigeninitiative Beschäftigung (sei es Bereisen oder mindestens Literatur) sich erschlossen hat, überhaupt bewerten und genießen kann.

    --

    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #6916561  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    Doug, deine virtuelle Kompetenz lässt zu wünschen übrig. (Das war jetzt ein Insider;-))

    Zu deiner doppelten Eingangsfrage.
    Ich glaube, man kann sich überhaupt keine Musik erschließen, wenn man sich nicht eigeninitiativ mit ihr beschäftigt. Wobei es auf das Fettgedruckte sehr wohl ankommt und nicht leichtfertig dahergesagt ist.
    Alles andere und weitere (z.B. Reisen) sind dann Abstufungen und Vertiefungen dieser Beschäftigung. Und wer nicht stehen bleiben will, gräbt halt tiefer.
    Es mag noch ein wichtiges Element hinzukommen. So sehr ich mich manchmal auch forschend, entdeckend, bewertend und genießend auf die Suche mache, so sehr ist mein Suchen letztlich doch geleitet von Zielen, die ich liebe, mit denen ich mich gern beschäftige, zu denen ich eine große Nähe verspüre.
    Zu Balkanmusik z.B. habe ich keine Nähe, also suche und forsche ich auch nicht darin herum. Und bewerte sie auch nicht. Meine Kriterien wäre nicht die, die dieser Musik gerecht werden würden.

    Soviel bisher. Ich wollte mich kurz fassen, doug. ,-)

    --

    FAVOURITES
    #6916563  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    dougsahm
    Es gab mal vorwiegend im PN-Bereich eine Mini-Diskussion, inwiefern man Musik aus einem Kulturkreis, den man sich nicht durch eigeninitiative Beschäftigung (sei es Bereisen oder mindestens Literatur) sich erschlossen hat, überhaupt bewerten und genießen kann.

    Ich meine ja. Sonst würden zumindest bei meinen Hörverhalten afrikanische Musik, südamerikanische Musik, Balkanmusik und ggfs sogar Reggae unter den Tisch fallen. Tun sie aber nicht. Dick schreiben möchte ich: Ich stimme zu, dass Reisen und anderweitige Informationsbeschaffung natürlich förderlich sind. Aber sind sie eine Bedingung, ohne die es nicht geht (Hauptfrage) ?

    Frage 2:
    Weil manchmal letztere Meinung vertreten wird, konzentrieren sich manche auf den angloamerikanischen Bereich. Und noch spezieller liegen dann liegen dann wiederum vereinzelt ALLGEMEINE unterschiedliche Vorlieben entweder für die Interpreten der USA oder der Insel … woran könnte das denn nun wieder liegen (Nebenfrage) ?

    Der Zusammenhang zwischen „bewerten“ und „genießen“ erschließt sich mir nicht ganz, daher orientiert sich meine Antwort am Faktor des „Genießens“.

    Wenn man die Frage ganz streng nimmt, geht sie eigentlich von falschen Voraussetzungen aus. Es ist doch offensichtlich so, dass Menschen viel Musik aus Kulturkreisen hören, die sie nicht kennen. Das würden sie ja nicht tun, wenn sie die Musik nicht schätzten. Die Frage ist also eigentlich, ob Menschen Musik aus fremden Kulturkreisen hören sollten. Oder tue ich Dir damit Unrecht, dougsahm?

    Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, Musik nicht zu genießen, die aus fremden Kulturkreisen stammt. Es gibt nun sehr viele Kulturkreise auf der Welt und nur mit ganz wenigen kann man sich in einem Leben vertraut machen. Außerdem unterschätzen viele häufig die Distanz selbst zu nahen und anscheinend vertrauten Kulturkreisen (wer das mal austesten will, fahre mal mit 170km/h über Schweizer Autobahnen oder trinke in den USA ein Bier unverhüllt in der Öffentlichkeit). Neben der kulturellen gibt es außerdem eine historische Distanz. Wer kann schon ernsthaft behaupten, ihm sei das New Orleans der 20er Jahre vertraut?

    Wenn ich gerne lateinamerikanische Musik höre, ich aber kein Spanisch oder Portugiesisch kann, noch nie dort war und mich auch noch nie für diese Länder interessiert habe, wieso sollte ich denn nicht dennoch diese Musik mögen? Ist Musik nicht ein Kulturgult, das Grenzen überspringt bzw. Gemeinsamkeiten über Grenzen hinweg schafft? Wieso lieben die Finnen den Tango so sehr? Wieso spielt man in Europa Jazz? Wieso klingt der afro-amerikanische und der afrikanische Blues (A. F. Touré) so ähnlich? Haben die Finnen erst kollektiv Volkshochschulkurse belegt und dann per Volksabstimmung entschieden, dass sie ab sofort nach Tango verrückt sind?

    Natürlich nicht, es handelt sich um kulturellen Austausch und der ist seit Jahrtausenden eine Grundkonstante menschlicher Gesellschaft. Er ist nicht nur erwünscht, sondern geradezu notwendig für die Entstehung von Kultur, ihrer Verfeinerung und Entwicklung! Von wem übernahmen die Griechen das Alphabet? Mit welchen Zahlen schreiben wir? Aus welcher Sprache stammt das Wort „Fenster“?

    Wer sich also für Musik aus Lampukistan interessiert, ohne zu wissen, wo das liegt, der verstößt nicht gegen das eherne Gesetz, dass ethnokulturelle Studien die Voraussetzung für Musik (oder Kultur-)Genuss sind, sondern der handelt einfach ganz zwangsläufig. Wenn man sich aufgrund von Musik mit einem Land näher beschäftigen will – super! Aber das ist keine Voraussetzung. Wer einfach nur Spaß haben oder gut unterhalten sein will, der versündigt sich nicht an irgendetwas oder irgendwem, wenn ihm völlig schnuppe ist, wo Miles Davis geboren wurde oder wie alt Brian Jones wurde. Dass wir hier im Forum darüber hinausgehen wollen, ändert daran nichts.

    Die Antwort auf die zweite Frage ist – aus meiner Sicht – viel schwieriger. Daher stelle ich sie mal zurück und warte ab, was sich aus der Diskussion zu Frage 1 noch ergibt.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #6916565  | PERMALINK

    anne-pohl

    Registriert seit: 12.07.2002

    Beiträge: 5,438

    dougsahmFrage 1:

    inwiefern man Musik aus einem Kulturkreis, den man sich nicht durch eigeninitiative Beschäftigung (sei es Bereisen oder mindestens Literatur) sich erschlossen hat, überhaupt bewerten und genießen kann.

    Geniessen kann man doch jede Musik, die einen anspricht. Das Ansprechen kann ja auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Ich bin z.B. immer wieder begeistert, wenn ich hier in Ottensen mongolische Obertonmusik höre. Nicht nur wegen des Gesangs, sondern weil auch die anderen Instrumente interessant sind und weil nicht nur ihr Klang, sondern auch die Songstrukturen mich manchmal an Blues oder Country erinnern. Bewerten kann ich die Musik nicht, ich kenne nämlich bislang nur diese eine Band.

    Frage 2:
    Weil manchmal letztere Meinung vertreten wird, konzentrieren sich manche auf den angloamerikanischen Bereich. Und noch spezieller liegen dann liegen dann wiederum vereinzelt ALLGEMEINE unterschiedliche Vorlieben entweder für die Interpreten der USA oder der Insel … woran könnte das denn nun wieder liegen (Nebenfrage) ?

    Ich bin mit Volksmusik aufgewachsen, und die habe ich nicht im Musikantenstadl, sondern in den Appalachen wiedergefunden. (Etwas verkürzt …)

    --

    #6916567  | PERMALINK

    zappa1
    Yellow Shark

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 87,195

    Anne Pohl
    Ich bin mit Volksmusik aufgewachsen, und die habe ich nicht im Musikantenstadl, sondern in den Appalachen wiedergefunden. (Etwas verkürzt …)

    Gut nachvollziehbar und deckt sich ein wenig mit der Geschichte, die ich vor paar Jahren mal in ähnlichem Zusammenhang hier im Forum gepostet habe. Uli wird sich erinnern…ich hatte die Geschichte ja von ihm…;-)

    Klick!

    .

    --

    „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe) "Allerhand Durcheinand #100, 04.06.2024, 22:00 Uhr https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/8993-240606-allerhand-durcheinand-102  
    #6916569  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Grundsätzlich möchte ich Deine Frage mit Ja beantworten, dougsahm.

    Natürlich kann ich Musik aus einem mir fremden Kulturkreis genießen und bewerten. Inwieweit ich sie allerdings wirklich verstehe und ihr mit meiner Bewertung gerecht werde, kann ich nur beurteilen, wenn ich mich auch mit dem entsprechenden Kulturkreis intensiv beschäftige.

    An anderer Stelle im Forum wird ja gerade über den emotionalen Zugang zu Musik diskutiert. Ob mir eine Musik gefällt, ob ich sie gern höre und dabei vielleicht sogar Lust verspüre, mich näher mit ihr zu beschäftigen, das hängt nicht unwesentlich von meinen Emotionen beim Hören ab. Außerdem spielt dabei meine musikalische Sozialisation eine Rolle, meine Hörgewohnheiten und meine Bereitschaft und Fähigkeit, Musik vorurteilsfrei wahrzunehmen.

    Wenn ich jetzt Deine Beispiele Balkan Musik oder afrikanische Musik nehme, dann kann ich zumindest für mich sagen, dass ich mit beiden nicht viel anfangen kann. Das liegt vor allem daran, dass mir die Musik fremd ist, dass ich sie selten höre; und wenn dann eher zufällig. Wenn ich mich nun intensiv mit dieser Musik beschäftigen würde und auch viel über die Kultur der jeweiligen Länder und die Funktion der Musik dort, über gesellschaftliche Zusammenhänge und Geschichte lesen würde, womöglich sogar die Länder bereiste, ich würde sicher besser verstehen. Ich würde vielleicht auch die Musik besser einordnen und bewerten können. Einen emotionalen Zugang hätte ich trotzdem nicht unbedingt. Und vielleicht würde mir die Musik dann immer noch nicht gefallen.

    Ich glaube die Voraussetzung für den Zugang zu Musik ist zunächst die Emotion, die spontane positive Reaktion auf eine Musik. Zumindest aber muss irgendetwas an der Musik mein Interesse wecken. Das kann auch ein ungewöhnlicher Klang sein, ein Rhythmus oder ein Instrument, dass mich fasziniert. Und die nähere Beschäftigung führt dann zu Verstehen und noch größerer Zuneigung, oder auch im Gegenteil zu Entzauberung und dem Erlahmen des Interesses.

    Um ein anderes Beispiel zu bringen. Meine große Zuneigung zu finnischer Pop- und Rockmusik ist natürlich vor dem Hintergrund meiner Beziehung zu diesem Land zu sehen. Ich hatte mich zwar bereits für finnische Popmusik interessiert bevor ich meine finnische Frau kennen lernte und auch das Land bereiste und die Sprache lernte, aber das war ein recht allgemeines Interesse wie ich es damals auch der Popmusik aus anderen nicht angloamerikanischen Ländern entgegen brachte. Inzwischen betrachte ich mich als Experten für Popmusik aus Finnland. Und das hat eben vor allem damit zu tun, dass ich mich sehr lange und intensiv nicht nur mit der Musik sondern vor allem auch der Kultur und den Menschen dieses Landes beschäftigt habe. Ich behaupte sogar, dass meine Zuneigung zu finnischer Popmusik und mein Verständnis derselben ohne diese intensive Beschäftigung so nicht möglich wäre. Das geht andererseits so weit, dass ich mir selbst manchmal eine gewisse Voreingenommenheit oder Betriebsblindheit bescheinigen würde. Ich muss mich regelrecht zwingen, finnische Musik auch aus der Perspektive des Nicht-Finnen zu hören. Vor allem bei finnischsprachiger Musik neige ich dazu, die Texte höher zu bewerten, als ich das bei anderer fremdsprachiger Musik täte (vorausgesetzt natürlich ich verstehe den Text). Allerdings achte ich bei Popmusik aus Finnland generell auch immer auf den Text, was ich bei anderer internationaler Popmusik nicht gleich in dem Maße tue.
    Im Gegensatz dazu bin ich jedoch bei deutschsprachiger Popmusik besonders kritisch. Der Grund dafür ist klar. Ich verstehe Texte in meiner Muttersprache am besten und unmittelbar. Eventuelle Peinlichkeiten fallen mir unwillkürlich auf.

    Aber zurück zur Eingangsfrage.

    1. Genuss und Wertschätzung von Musik ist auch ohne nähere Kenntnis kultureller Zusammenhänge möglich.

    2. Was jemand gerne hört, womit sie/er sich näher beschäftigen will, das hängt m.E. entscheidend von der persönlichen Disposition ab.

    3. Eine intensive Beschäftigung mit dem kulturellen Background ist für den umfassenden Zugang zu und das Verstehen von Musik unabdingbar.

    --

    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #6916571  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,711

    Mikko[…]
    1. Genuss und Wertschätzung von Musik ist auch ohne nähere Kenntnis kultureller Zusammenhänge möglich.

    2. Was jemand gerne hört, womit sie/er sich näher beschäftigen will, das hängt m.E. entscheidend von der persönlichen Disposition ab.

    3. Eine intensive Beschäftigung mit dem kulturellen Background ist für den umfassenden Zugang zu und das Verstehen von Musik unabdingbar.

    Das fasst es ganz gut zusammen, danke. Ich würde das „bewerten“ auch als „verstehen“ interpretieren.
    Als Beispiel: ich habe mir in den späteren 80ern die Joy Division Best of „Substance“ gekauft, die Musik hat mir sehr gefallen (ich nehme das Beispiel, weil ich vorher wenig bis gar nichts mit Post-Punk zu tun hatte). Verstehen (allein die Texte), einordnen, Ähnliches hören, „sich auskennen“ hätte mehr erfordert und ein Besuch Manchesters/Englands (zu einem früheren Zeitpunkt) hätte sicherlich auch nicht geschadet, im Gegenteil.

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #6916573  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    lathoDas fasst es ganz gut zusammen, danke. Ich würde das „bewerten“ auch als „verstehen“ interpretieren.

    Richtig. Daher schrieb ich weiter oben auch, dass ein „Bewerten“ ohne Kenntnis kultureller Hintergründe zwiespältig ist.

    --

    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #6916575  | PERMALINK

    tolomoquinkolom

    Registriert seit: 07.08.2008

    Beiträge: 8,651

    Den Zugang den Mikko zur finnischen Musik hat, kann man nur beneiden. Was sich aus biographischen Gründen entwickelt hat, ist allerdings eher nicht die Regel. Aber auch ohne Sprachkenntnisse kann man sich den spezifischen Eigenarten und Stimmungen dieses Landes nähern und einen Erfahrungsgewinn über die Musik erfahren. Wer sich z.B. mit Wimme, Numminen oder Hande Nurmio auseinandersetzt, wird feststellen, dass ausschließlich über deren Musik, unabhängig vom Text, bereits ein gefühlter Eindruck dieser Region entsteht. Man könnte dies auch eine intuitive Erfahrung nennen.

    Die Zuneigung der Finnen zum Tango scheint mir klar. Der Tango ist eine Sprache, die ohne Worte verstanden wird. So etwas kommt wortkargen Finnen natürlich entgegen. Außerdem sehe ich hier Zusammenhänge mit ihrer eigenen traditionellen Musik und der Saudade der Portugiesen, die ja bekanntlich auch diese Ader für Wehmut und ein Faible für Tango besitzen.

    Bei der von Doug angesprochenen Reggae-Musik sollte nicht unberücksichtigt bleiben, die Spezialisten wissen dies, dass Reggae-Platten die auf dem europäischen Markt auftauchten nicht immer die originäre Reggae-Musik war, die in Jamaica gespielt wurde. Dieser Anpassung an vorwiegend angloamerikanischen bzw. europäischen Musikgeschmack begegnet man auch im Bereich der Weltmusik. Produktionen aus Mittel- & Lateinamerika oder Afrika entstehen meist unter diesem Aspekt.

    --

    #6916577  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    MikkoGrundsätzlich möchte ich Deine Frage mit Ja beantworten, dougsahm. Natürlich kann ich Musik aus einem mir fremden Kulturkreis genießen und bewerten. Inwieweit ich sie allerdings wirklich verstehe und ihr mit meiner Bewertung gerecht werde, kann ich nur beurteilen, wenn ich mich auch mit dem entsprechenden Kulturkreis intensiv beschäftige.

    1. Genuss und Wertschätzung von Musik ist auch ohne nähere Kenntnis kultureller Zusammenhänge möglich.

    3. Eine intensive Beschäftigung mit dem kulturellen Background ist für den umfassenden Zugang zu und das Verstehen von Musik unabdingbar.

    So schnell sind Fragen im Philosophicum sonst kaum so präzise beantwortet worden. Man könnte noch nachfragen, was der „umfassende Zugang“ denn alles umfasst und wie „intensiv“ die Beschäftigung sein muss. Was man wissen und kennen sollte, um etwas zu verstehen, eine „Musikszene“, eine Tradition usw., hängt wohl davon ab, um welche Musik es gerade geht. Hier ist vor allem von „traditioneller Musik“ und Folk die Rede, oder?

    Ich selber habe es mal mit Blasmusik von Roma-Orchestern aus dem Süden Serbiens probiert. Die Rhythmen sind teils ungewohnt (gehört auch zum Reiz der Sache); soweit ich weiß, liegt das am türkischen Einfluss auf die Musik des Balkans. Der kulturelle Hintergrund ist nicht so fremdartig: traditionell wird die Musik bei Hochzeiten, Dorffesten usw. gespielt – Situationen, die man auch als Mitteleuropäer kennt. Kriterien? Musikantentum wohl, und es muss Lebensfreude rüberkommen. Mit Bewertungen halte ich mich lieber zurück: Ich kenne noch nicht viel, habe wenig Vergleichsmöglichkeiten, wenig Gelegenheit gehabt, mir Maßstäbe für „gute Musik“ in dem Bereich zu bilden.

    --

    To Hell with Poverty
    #6916579  | PERMALINK

    dougsahm
    Moderator

    Registriert seit: 26.08.2002

    Beiträge: 17,863

    ((es fehlen noch Statements von 2 Personen, durch deren Zuspruch ich diesen Thread startete. Darauf warte ich noch, bevor ich wieder Inhaltliches schreibe. Zur Info))

    --

    #6916581  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    Noch ein Gedanke: Manchmal finde ich es ganz gut, die Sprache nicht zu verstehen – das erleichtert es Atheisten wie mir, religiöses Liedgut ohne Abneigung zu hören. Einer meiner „Weltmusik“-Favoriten sind die Devotional Songs von Nusrat Fateh Ali Khan: Der erste Song des Albums heißt gleich „Allah Hoo Allah Hoo“. Alla gut! Ich verzichte auf den „umfassenden Zugang“ (Kenntnis des Sufismus usw.) und lasse mich lieber nur von der Musik ansprechen: große Stimme, feine Melodien, geschickte Arrangements, farbenreicher Sound. Vor allem ist die Musik energiegeladen und auf Ekstase angelegt: Es geht ums Feiern! Das verstehe ich unmittelbar, es überspringt die kulturelle Grenze. Den Zugang dazu muss ich mir nicht erst durch Reisen öffnen.

    --

    To Hell with Poverty
    #6916583  | PERMALINK

    wa
    The Horst of all Horsts

    Registriert seit: 18.06.2003

    Beiträge: 24,683

    dougsahm((es fehlen noch Statements von 2 Personen, durch deren Zuspruch ich diesen Thread startete. Darauf warte ich noch, bevor ich wieder Inhaltliches schreibe. Zur Info))

    Da fühle ich mich doch angesprochen. Kommt heute abend.

    --

    What's a sweetheart like me doing in a dump like this?
    #6916585  | PERMALINK

    tolomoquinkolom

    Registriert seit: 07.08.2008

    Beiträge: 8,651

    Go1Noch ein Gedanke: Manchmal finde ich es ganz gut, die Sprache nicht zu verstehen – das erleichtert es Atheisten wie mir, religiöses Liedgut ohne Abneigung zu hören. Einer meiner „Weltmusik“-Favoriten sind die Devotional Songs von Nusrat Fateh Ali Khan: Der erste Song des Albums heißt gleich „Allah Hoo Allah Hoo“. Alla gut! Ich verzichte auf den „umfassenden Zugang“ (Kenntnis des Sufismus usw.) und lasse mich lieber nur von der Musik ansprechen: große Stimme, feine Melodien, geschickte Arrangements, farbenreicher Sound. Vor allem ist die Musik energiegeladen und auf Ekstase angelegt: Es geht ums Feiern! Das verstehe ich unmittelbar, es überspringt die kulturelle Grenze. Den Zugang dazu muss ich mir nicht erst durch Reisen öffnen.

    Das sehe ich auch so. Die Sprache als Barriere beim Musikhören wird oft überschätzt.

    Persönliches Beispiel zu afrikanischer Musik:
    Auf “Gaiende” (aka “The Lion”) von Youssou N’Dour gibt es einen Song, der mir sehr viel bedeutet. Ich kann diese Bedeutung allerdings nicht wirklich erklären und ein Auseindersetzen mit einem anderen Kulturkreis fand nicht statt. Aber beim intuitiven Hören von “Macoy” entsteht eine emotionale Verbindung, die nicht auf dem Verstehen der in Wolof vorgetragenen Geschichte (Griot) bassiert und auch ohne weiterführende Kenntnisse zu Senegal funktioniert.

    --

    #6916587  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    Heikel, heikel, finde ich das.
    Religiöse oder politische Ekstase etc. sind Elemente, denen ich nicht einfach trauen, denen ich mich auch nicht hingeben will. Wenn ich also weiß/höre, dass solcherlei Aspekte in der Musik vorhanden sind, will ich schon sehr genau wissen, ob ich mir das antun will. Da Musik ein Hure, für die vielfältigsten Zwecke also nutzbar ist, erscheint es mir da und dort um so dringender, die Hintergründe zu kennen.
    Was ich akzeptieren will, was nicht, wo ich Grenzen setze, wo nicht, das ist dann wieder eine andere Frage.

    --

    FAVOURITES
Ansicht von 15 Beiträgen - 1 bis 15 (von insgesamt 37)

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.