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Grundsätzlich möchte ich Deine Frage mit Ja beantworten, dougsahm.
Natürlich kann ich Musik aus einem mir fremden Kulturkreis genießen und bewerten. Inwieweit ich sie allerdings wirklich verstehe und ihr mit meiner Bewertung gerecht werde, kann ich nur beurteilen, wenn ich mich auch mit dem entsprechenden Kulturkreis intensiv beschäftige.
An anderer Stelle im Forum wird ja gerade über den emotionalen Zugang zu Musik diskutiert. Ob mir eine Musik gefällt, ob ich sie gern höre und dabei vielleicht sogar Lust verspüre, mich näher mit ihr zu beschäftigen, das hängt nicht unwesentlich von meinen Emotionen beim Hören ab. Außerdem spielt dabei meine musikalische Sozialisation eine Rolle, meine Hörgewohnheiten und meine Bereitschaft und Fähigkeit, Musik vorurteilsfrei wahrzunehmen.
Wenn ich jetzt Deine Beispiele Balkan Musik oder afrikanische Musik nehme, dann kann ich zumindest für mich sagen, dass ich mit beiden nicht viel anfangen kann. Das liegt vor allem daran, dass mir die Musik fremd ist, dass ich sie selten höre; und wenn dann eher zufällig. Wenn ich mich nun intensiv mit dieser Musik beschäftigen würde und auch viel über die Kultur der jeweiligen Länder und die Funktion der Musik dort, über gesellschaftliche Zusammenhänge und Geschichte lesen würde, womöglich sogar die Länder bereiste, ich würde sicher besser verstehen. Ich würde vielleicht auch die Musik besser einordnen und bewerten können. Einen emotionalen Zugang hätte ich trotzdem nicht unbedingt. Und vielleicht würde mir die Musik dann immer noch nicht gefallen.
Ich glaube die Voraussetzung für den Zugang zu Musik ist zunächst die Emotion, die spontane positive Reaktion auf eine Musik. Zumindest aber muss irgendetwas an der Musik mein Interesse wecken. Das kann auch ein ungewöhnlicher Klang sein, ein Rhythmus oder ein Instrument, dass mich fasziniert. Und die nähere Beschäftigung führt dann zu Verstehen und noch größerer Zuneigung, oder auch im Gegenteil zu Entzauberung und dem Erlahmen des Interesses.
Um ein anderes Beispiel zu bringen. Meine große Zuneigung zu finnischer Pop- und Rockmusik ist natürlich vor dem Hintergrund meiner Beziehung zu diesem Land zu sehen. Ich hatte mich zwar bereits für finnische Popmusik interessiert bevor ich meine finnische Frau kennen lernte und auch das Land bereiste und die Sprache lernte, aber das war ein recht allgemeines Interesse wie ich es damals auch der Popmusik aus anderen nicht angloamerikanischen Ländern entgegen brachte. Inzwischen betrachte ich mich als Experten für Popmusik aus Finnland. Und das hat eben vor allem damit zu tun, dass ich mich sehr lange und intensiv nicht nur mit der Musik sondern vor allem auch der Kultur und den Menschen dieses Landes beschäftigt habe. Ich behaupte sogar, dass meine Zuneigung zu finnischer Popmusik und mein Verständnis derselben ohne diese intensive Beschäftigung so nicht möglich wäre. Das geht andererseits so weit, dass ich mir selbst manchmal eine gewisse Voreingenommenheit oder Betriebsblindheit bescheinigen würde. Ich muss mich regelrecht zwingen, finnische Musik auch aus der Perspektive des Nicht-Finnen zu hören. Vor allem bei finnischsprachiger Musik neige ich dazu, die Texte höher zu bewerten, als ich das bei anderer fremdsprachiger Musik täte (vorausgesetzt natürlich ich verstehe den Text). Allerdings achte ich bei Popmusik aus Finnland generell auch immer auf den Text, was ich bei anderer internationaler Popmusik nicht gleich in dem Maße tue.
Im Gegensatz dazu bin ich jedoch bei deutschsprachiger Popmusik besonders kritisch. Der Grund dafür ist klar. Ich verstehe Texte in meiner Muttersprache am besten und unmittelbar. Eventuelle Peinlichkeiten fallen mir unwillkürlich auf.
Aber zurück zur Eingangsfrage.
1. Genuss und Wertschätzung von Musik ist auch ohne nähere Kenntnis kultureller Zusammenhänge möglich.
2. Was jemand gerne hört, womit sie/er sich näher beschäftigen will, das hängt m.E. entscheidend von der persönlichen Disposition ab.
3. Eine intensive Beschäftigung mit dem kulturellen Background ist für den umfassenden Zugang zu und das Verstehen von Musik unabdingbar.
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