Lesefrüchte

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  • #8674715  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Ralf Husmann schreibt als Akif Pirinçci über den Eurovision Song Contest.

    Wenn einer den ganzen Tag lang furzt, nutzt es nichts, ihm einen Wunderbaum in die Hose zu hängen. So ist es auch mit dem Eurovision Song Contest. Der Vergleich macht keinen Sinn, zeigt aber, dass von mir eine Sprache gesprochen wird, die mehr Eier hat als eine Legebatterie Hühner. Dieser „Gesangswettbewerb“ ist für mich eins dieser Tuntenhochämter, das folgerichtig im Homo-TV der ARD übertragen wird. Live. Von unseren Gebühren. Es ist ein in Lametta verpackter, bunt angestrahlter Haufen Scheiße. Dabei zeigt sich beim ESC im Kleinen, was auch im Großen gilt: Die Europäische Idee ist so sinnvoll wie friedliches Boxen oder eine Frauenquote im Puff. Ob in der EU oder beim ESC, es gilt: Alle dürfen mitmachen, Hauptsache, Deutschland zahlt. Als wäre aus Armenien oder Albanien schon mal brauchbare Musik gekommen! Oder überhaupt irgendwas außer Steinen und Eseln. Wer je gehört hat, wie ein Imam vom Minarett röhrt, weiß, dass sich muslimisch und musikalisch ausschließen. Selbst Cat Stevens hat seine guten Lieder gemacht, bevor er Muslim wurde. Es gibt Völker, die genetisch nicht dazu in der Lage sind, Musik zu machen. Böse Menschen haben keine Lieder. Das ist eine Binse beziehungsweise ein Fakt. Und Fakten gehören auf den Tisch beziehungsweise in ein Buch, denn Bücher verkaufen sich besser als Tische. Donnerwetter, werden Sie sagen, da ist ja einer mal richtig sauer! Da hat ja einer so richtig den Mokka auf! Aber das ist Quatsch. Ich vereine nur das Beste aus allen Welten. Aus Russland das Schwulenfeindliche und das steinzeitlich-konservative Beharren auf der guten, alten Zeit; und aus Amerika die Idee, mit diesem Zeug auch noch Geld zu machen. Dass erst ein Türke kommen muss, um den Deutschen mal Fox News und Tea-Party-Gequatsche näherzubringen, zeigt doch, wie beschissen es um die Innovationskraft in diesem rot-grün versifften Land bestellt ist. Hier setzt der Mainstream immer noch auf Schnickschnack wie Logik, Argumente und ähnlich windelweichen Blödsinn, während Putin und Palin sich schlapplachen. Sarrazin, Lucke und die ganzen anderen Schattenparker schnallen natürlich auch nix. Die kommen ja immer noch mit Nebensätzen und Ideen. Als würde das Fußvolk mehr wahrnehmen als Reizwörter und Schlüsselbegriffe. Deutsche Bahn – Drecksladen, kriegen nicht mal den Berliner Flughafen fertig, kein Wunder, den hat ja auch der schwule Oberbürgermeister entworfen, statt die wirklichen Probleme anzugehen. Zack, so was unterschreibt jeder. So ist es beim ESC auch. Alles voller Ausländer, die einem die Hucke vollsingen, und die Weiber machen noch nicht mal anständig die Beine breit, wollen dafür aber zwölf Punkte. Das ganze Ostpack kungelt da untereinander was aus. Für das Geld könnte man hier schon Kindergärten bauen und Pflegeheime. Bums! Wieder ein Problem abgehakt. Wenn Sie noch ein Thema haben, über das ich mich für Sie aufregen soll, dann schreiben Sie mir einfach. Ich garantiere Ihnen eine blitzsaubere Tirade innerhalb eines Arbeitstags.

    (KulturSPIEGEL 5/2014, S. 6)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    #8674717  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Liebe Fackel!

    Der lebhafte Streit der Meinungen, der über der Frage, ob eine Zeitung Ehre besitzt oder nicht, entbrannt ist, gibt mir den Anlass, Ihnen meine Ansicht als Mathematiker bekannt zu geben, nachdem schon so viele Juristen, ohne eine endgiltige Klärung der Sachlage herbeizuführen, gesprochen haben. Den juridischen Spitzfindigkeiten gegenüber hat die mathematische Methode – und ich werde zeigen, dass das Thema mathematisch fassbar ist – den Vorzug der klaren, folgerichtigen Entwicklung, die zu einem unanfechtbaren Resultat führt. Der mathematische Calcül muss zunächst die Administration einer Zeitung, den Körper ihrer technischen Herstellung und Versendung, ebenso das papierne Zeitungsblatt als Dinge, die ja ohnedies nicht in Frage kommen, aus der Betrachtung ausscheiden. Nur der Kopf der Unternehmung, die Redaction, fühlt sich in der Ehrenfrage getroffen und gekränkt; darum müssen wir auch nur ihre geistigen Fonds und Leistungen zu gliedern und mathematisch zu werthen trachten. Dies geschieht durch die nachstehende Anordnung der redactionellen Producte:
    1) Annoncen, Empfehlungen, Anpreisungen, Verwerthung von Kaiserworten etc. – Setzen wir den Werth derselben gleich A, so wächst dieser mit der Dichte der Annoncen d, mit dem Volumen der Zeitung V und ist abhängig von einem Geschicklichkeits-, respective Täuschungscoëfficienten c, mit welchem der jeweilige Reclamezweck verdeckt werden soll. Aus diesen Grössen ergeben sich die Formeln:
    d V = M, in Worten: Dichte × Volumen = Masse, und
    M c = A, in Worten: Masse × Täuschungscoëfficient = Geldwerth der angeführten Leistungen. Dieser wird von den Auftraggebern entrichtet, vom Journal empfangen. Der Ehrenpunkt als Factor oder Coëfficient kommt in den Gleichungen nicht vor.
    2) Mittheilungen uud Nachrichten. – Diese müssen gegliedert werden:
    a) in Mittheilungen objectiver Art, nackte Thatsachen mit dem positiven Nachrichtenwerth + w‘ ohne Ehre;
    b) in subjective, verdrehte oder entstellte Nachrichten mit dem negativen Schädlichkeitswerth – w“, der bei unbeabsichtigten Entstellungen Ehrenindifferenz, bei beabsichtigten Entstellungen ausgesprochene Ehrlosigkeit besitzt;
    c) in dumme und unnütze Nachrichten (z.B. dass Herr Eisner von Eisenhof irgendwo anwesend war) mit dem Mittheilungswerth Null.
    Den Gesammtwerth W = w‘ – w“ + 0 empfängt das Publicum gegen Bezahlung des Zeitungsblattes. Diese Gleichung enthält demnach gleichfalls die Grösse »Ehre« nicht. Da die unter b) eingereihten gefälschten Nachrichten auf Grund des § 19 zwangsweise berichtigt werden können, so entfällt auch hier jede freiwillige Ehrenregung, die nicht einmal dann vorhanden ist wenn der Betroffene die Berichtigung bezahlt.
    3) Leitartikel, Beurtheilungen und Belehrungen aller Art und Abfassungen, welche sittliche Eigenschaften und ehrenhafte Gesinnung voraussetzen. – Die ehrenhafte Gesinnung G ist unter normalen Umständen eine Function der sittlichen Eigenschaften E, kann daher allgemein durch die Formel: G = f (E) (lies: ehrenhafte Gesinnung ist eine Function der sittlichen Eigenschaften) ausgedrückt werden. Es kann jedoch leicht bewiesen werden, dass diese Formel im gegebenen Falle in Oesterreich nicht anwendbar ist. Die Gesinnung des Journalisten muss zunächst als variable Grösse v aufgefasst werden, die zwischen Grenzwerthen v[SUB]o = 0 (Gesinnungslosigkeit) und v[SUB]m = Maximum (Parteiverblödung) in allen Zwischenwerthen veränderlich ist und die Elasticitätsveränderung der Gesinnung darstellt. Das Motiv der Veränderlichkeit ist die treibende Kraft K, die wieder von jener variablen Summe abhängt, die eine Finanzgruppe oder politische Partei zur Verfügung stellt. Wo also nach dem Hook’schen Gesetz die Veränderung der Gesinnung wie jede Elasticitätsänderung abhängig ist von der sie in Anspruch nehmenden Geldkraft, dort eliminiert sich der Factor »ehrenhaft« von selbst, der nur entweder den starren, dem Charakter nach unveränderlichen Materien zukommt oder solchen Veränderungen der Gesinnung, die auf Ueberzeugung und geänderten Lebensauffassungen beruhen, somit ehrliche, zwangsweise sich vollziehende Naturerscheinungen sind. Die Gesinnung einer Zeitung ist daher nicht eine Function der sittlichen Eigenschaften, nach Formel G = f (E), sondern eine Function der richtunggebenden Subventionen S und Cameraderien C, muss daher durch die Formel G = f (S C) (lies: Gesinnung ist die Function der Subvention und Cameraderie) ausgedrückt werden.
    Da in den mathematischen Schlüssen und Formeln laut 1), 2), 3), welche alle geistigen Relationen der Zeitungen zusammenfassen, der Factor »Ehre« entweder gar nicht vorkommt oder aus den Gleichungen von selbst herausfällt, so erscheint die Frage, ob eine Zeitung ehrlos ist oder nicht, vollkommen aufgeklärt und keiner Erörterung bedürftig. Was zu beweisen war.
    Ein Mathematiker.

    (Die Fackel: Nr. 101, 28.04.1902, S. 21-23)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674719  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,569

    Hal CrovesRalf Husmann schreibt als Akif Pirinçci über den Eurovision Song Contest.

    […]

    Trifft’s eigentlich ganz gut.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #8674721  | PERMALINK

    natsume

    Registriert seit: 24.07.2005

    Beiträge: 5,562

    Hal CrovesRalf Husmann schreibt als Akif Pirinçci über den Eurovision Song Contest.

    Mal sehen, wo er das wieder abgeschrieben hat.

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    #8674723  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,108

    … there’s something profoundly otherworldly yet curiously sexy about the record, and you just know Captain Kirk kept a copy handy to set the mood while banging green-skinned alien chicks aboard the U.S.S. Enterprise.

    (Jason Ankeny über Carol Stevens‘ Album „That Satin Doll“)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #8674725  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Die Fackel

    NR. 117 WIEN, ENDE SEPTEMBER 1902 IV. JAHR

    Der Parlamentarismus.

    Eine Studie von Joseph Schöffel.

    II.
    Wer Bismarck’s Werk »Gedanken und Erinnerungen« aufmerksam liest, dem wirft sich unwillkürlich die Frage auf: was würde der große Kanzler thun, wenn er Kanzler der Habsburgischen Monarchie wäre und nicht nur die Intriguen politisierender Frauen und Priester, nicht nur die Umtriebe conservativer, liberaler, clericaler und radicaler Parteien zu bekämpfen, sondern auch mit der Oesterreich-Ungarn allein eigenthümlichen Nationalitätenmisère, mit dem erbitterten Hass der diesen Staat bewohnenden, gleichberechtigten zehn Nationen unter- und gegeneinander und mit ihren centrifugalen Bestrebungen zu rechnen hätte?
    Ich glaube, dieser geniale Staatsmann hätte zu dem von ihm empfohlenen Mittel seine Zuflucht genommen, – zur Dictatur!
    Bei uns geht das nicht! Wir sind gemüthlicher! Wir besitzen, wie Kürnberger sagt, eine geradezu niederträchtige Gemüthlichkeit! Wir wurscht’ln seit fünfzig Jahren fort und werden fortwurscht’ln, bis wir ausgewurscht’lt haben.
    Daß dem so ist, beweist der Leidensweg, den die Monarchie seit dem Jahre 1848 zurückgelegt hat, – beweist die groteske, fratzenhafte parlamentarische Posse, die in Oesterreich seit 40 Jahren aufgeführt wird.
    Nach der Revolution vom Jahre 1848, die das Pulver nicht erfunden hat, zu dem sie begnadigt wurde, folgte eine kurze blutige Zeit militärischer Dictatur, nach welcher der liberale Advocat und Barrikadenminister Bach das Staatsruder ergriff und den Versuch wagte, die historischen Königreiche und Länder, aus welchen die Habsburgische Monarchie zusammengesetzt ist, verschwinden zu machen, das Reich nach französischem Muster in Departements einzutheilen und die verschiedenen Nationalitäten als Oesterreicher abzustempeln.
    Diese Ab- oder Umstempelung wurde jedoch durch den Minister des Auswärtigen Fürsten Schwarzenberg gestört, der, wie Bismarck in seinen »Gedanken und Erinnerungen« ironisch bemerkt, den Ehrgeiz hatte, die Welt über die Undankbarkeit Oesterreichs staunen zu machen. »Nous etonnerons le monde de notre ingratitude« schrieb Schwarzenberg und ließ Russland, das in Kriege mit England und Frankreich verwickelt war, aus Undankbarkeit für die durch Russlands Hilfe im Jahre 1849 erfolgte Niederwerfung der Revolution in Ungarn, durch den Aufmarsch von 600,000 Mann an der russischen Grenze bedrohen und die Moldau und Wallachei, welche die Russen räumen mußten, occupieren. Diese ingratitude, diese böse That, die fortzeugend Böses mußte gebären, kostete dem Staate nicht nur die Kleinigkeit von 1000 Millionen Gulden, sie kostete nicht nur das Leben von über 100.000 Mann, die, ohne einen Schuss zu hören, an der russischen Grenze und in den Donaufürstenthümern der Cholera, dem Typhus, der Malaria zum Opfer fielen, sondern sie zog auch in weiterer Folge den Krieg mit Frankreich und Italien und den Verlust der Lombardei nach sich.
    Im Schrecken ob dieser Katastrophe gebar Oesterreich ein bureaukratisches Machwerk, eine politische Missgeburt, die jeder Lebensfähigkeit entbehrte, – die Verfassung! Schmerling, der Vater dieser Verfassung, träumte, daß die Völker Oesterreichs dieses sein Kind mit Enthusiasmus begrüßen und in das Parlament, das die Wiener gleich Anfangs »Schmerlingtheater« benannten, mit Freuden eintreten würden. Allein mehr als die Hälfte der Monarchie hat diesen octroyierten Wechselbalg einer Verfassung nicht als legitim anerkannt, und Ungarn wies die Zumuthung, in dieses Parlament einzutreten, mit Hohngelächter zurück.
    Schmerling sprach sein berühmtes »Wir können warten«, und während dieses Wartens unterhielt sich die Gesellschaft im Reichsrath, den Kürnberger als »ostindische Handelscompagnie« und den seine Mitglieder als ein »luogo di trafico« bezeichneten, mit langathmigen Debatten über Staatsrecht, wobei sie das Staatswohl gänzlich vergaßen.
    Nicht drei Jahre dauerte diese Komödie! Als Schmerling zur Einsicht kam, daß seine Träume Schäume waren, daß er in einen Sumpf gerathen sei, fasste er den Entschluß, die Misère im Innern durch eine große auswärtige That zu sanieren.
    So kam der Fürstentag in Frankfurt zu Stande, der die erste Etappe zum Kriege zwischen Oesterreich und Preußen bildete.
    Mittlerweile war das parlamentarische Siechthum so weit vorgeschritten, daß die Krone sich veranlasst sah, im Jahre 1865 die Verfassung zu sistieren, und den Grafen Belcredi beauftragte, den verfahrenen Staatskarren aus dem Dreck zu ziehen.
    Graf Belcredi wurde bei dieser Arbeit, die er unter der Devise: »Bahn frei!« auf sich genommen hatte, wieder durch den Krieg mit Preußen und Italien, welcher den Verlust Venedigs und die Ausschließung Oesterreichs aus dem deutschen Bunde zur Folge hatte, überrumpelt! Er gieng und überließ die Arbeit dem Grafen Beust, der zu diesem Zweck aus dem Ausland verschrieben wurde.
    Graf Beust, der von den österreichischen Verhältnissen keinen Dunst hatte, gieng rasch an die Arbeit. Er capitulierte einfach Ungarn gegenüber, d.i. er schloss einen Ausgleich mit Ungarn auf die Dauer von 10 Jahren, der nach Ablauf dieser Frist erneuert werden konnte. Ungarn wurde ein selbstständiger, nur durch eine Nabelschnur, die ihm die nöthige Nahrung zuführen sollte, mit Oesterreich verbundener Staat. Oesterreich, das nach der vom Grafen Beust geschaffenen Decemberverfassung auch den Namen eingebüßt hatte und dafür als die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder benamset wurde, übernahm zur Sühne aller seit dem Jahre 1848 von seinen Regierungen verübten Dummheiten und Sünden die Verzinsung von fünf Milliarden Staatsschulden, wozu Ungarn gnädigst einen kleinen Theil beisteuerte, und verpflichtete sich, wenigstens siebzig Percent der gemeinsamen Lasten auf seine Schultern zu nehmen und dafür Ungarn einen siebzigpercentigen Einfluss auf alle gemeinsamen, die Armee und die Vertretung des Staates nach Außen betreffenden Angelegenheiten einzuräumen.
    Kürnberger schrieb mir damals als Antwort auf ein an ihn gerichtetes Schreiben die denkwürdigen Worte: »Zwanzig Jahre nach der Capitulation Görgeys bei Világos haben wir vor Ungarn capituliert! Ungarn hat uns den Frieden dictiert und den Strick seiner in Arad gehenkten Märtyrer uns um den Hals geworfen! Wir nennen das gemüthlich einen ‚Ausgleich‘ und glauben mit dieser Selbstaufopferung den Frieden im Lande hergestellt zu haben. – Sancta Simplicitas! Dieser Ausgleich wird, sorglos, wie ein Insect seine Eier, weitere Ausgleiche erzeugen! Dem Ausgleich mit Ungarn wird der böhmische, der polnische und der italienische folgen, bis Oesterreich ausgeglichen, d.h. ausgeglitten und den Frieden des Grabes gefunden haben wird. Requiescat in pace!«
    Der Gang der Dinge zeigt, wie Kürnberger Recht hatte.
    Drei Jahre nach dem Ausgleich mit Ungarn verlassen die Polen den Reichsrath, nachdem die Czechen ihn bereits zwei Jahre früher verlassen haben.
    Dem Memorandenstreit im Ministerium Hasner folgt das Ministerium Potocky, diesem Graf Hohenwart. Man pendelte zwischen den Forderungen der Czechen und der Polen hin und her und entschloss sich endlich zu einem Ausgleich mit Galizien, das rechtlos an Oesterreich gekommen war, während Böhmen ein Landrecht, wenn auch ein längst veraltetes, aber immerhin ein Landrecht besaß.
    Der Ausgleich mit Galizien räumte diesem Lande nicht nur besondere autonome Rechte ein, sondern lieferte der Gesetzgebung des galizischen Landtags auch das gesammte Unterrichtswesen dieses Landes aus, während die galizische Delegation im Reichsrath über das Unterrichtswesen der anderen Königreiche und Länder mitberathen und mitbeschließen konnte. Nicht genug an dem, übernahmen die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder, die alle Kosten der staatlichen Investitionen in Galizien bezahlen müssen, weil das Land nicht einmal seine eigenen Verwaltungskosten zu decken vermag, außer ihrer eigenen auch noch die Zahlung der gesammten galizischen Grundentlastung.

    […]

    Die auf die Schmerlingverfassung basierte Volksvertretung, welche dem Princip nach den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen soll, ist eine ungeheuerliche Lüge, eine Fälschung sondergleichen!
    Diese Volksvertretung, benannt Reichsrath, besteht nämlich aus zwei Kammern, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Das Herrenhaus setzt sich aus erblichen und ernannten Mitgliedern zusammen. Zu den erblichen Mitgliedern gehört die höchste Geburtsaristokratie, zu lebenslänglichen Mitgliedern werden Angehörige der Plutokratie, pensionierte Minister und Sectionschefs und einige Gelehrte ernannt.
    Das Abgeordnetenhaus wurde aus den Landtagen gewählt. Die Landtage bestanden und bestehen noch aus sogenannten Virilisten, aus Abgeordneten des Großgrundbesitzes, welche den fünften Theil, aus Abgeordneten der Städte und der Handelskammern, welche nicht ganz die Hälfte, und aus den Abgeordneten der Landgemeinden, mit indirecter Wahl, welche ein Viertheil sämmtlicher Abgeordneten der Landtage bildeten. Dieses Sammelsurium von persönlichen und Cliqueninteressen besteht heute noch unverändert fort und geriert sich als Volksvertretung!
    Die Czechen, welche weder die Schmerlingsche, noch die durch den Dualismus geschaffene Decemberverfassung anerkannten, haben, wie bereits erwähnt, im Jahre 1868 den Reichsrath verlassen, was zur Folge hatte, daß der Reichsrath zuerst zu dem jedem Constitutionalismus hohnsprechenden, dem Ekel aller Zeiten verfallenen Chabrus, der abermals Millionen absorbierte, griff, um eine Majorität im böhmischen Großgrundbesitz zu schaffen, und sodann, als dieser Kunstgriff misslang, im Jahre 1869 ein Nothwahlgesetz votierte, um durch directe Reichsrathswahlen die Plätze der absenten Czechen zu besetzen.
    Als auch dieses Mittel fehlschlug, griff man zu einem Gewaltstreich, der ein flagranter Verfassungsbruch war. Nach dem klaren Wortlaut der Verfassung ist zu einer Verfassungsänderung die Zustimmung der Zweidrittelmajorität erforderlich. Ungeachtet dessen wurden die Wahlen in den Reichsrath, die verfassungsmäßig den Landtagen zustanden, mit einfacher Majorität in directe Reichsrathswahlen verwandelt und damit allen seit jener Zeit stattgehabten Reichsrathssessionen der Stempel der Ungesetzlichkeit aufgedrückt.
    Nach Ablauf der 10jährigen Giltigkeitsdauer des Ausgleichs mit Ungarn, mittelst welcher die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder zu Clientelstaaten Ungarns herabgesunken waren, lieferte man dem ungarischen Chauvinismus auch die Militärgrenze, welche eine wahre Culturoase inmitten des asiatischen Theiles von Europa bildete und der Dynastie im Nothfalle 112 Bataillone zu je 6 Compagnien Janitscharen, die nur den Kaiser und seinen Willen kannten, zur Verfügung stellte, gegen ein Präcipuum von 2 Percent aus.
    Die Wirren im Reichsrath, in welchem die Czechen infolge der directen Reichsrathswahlen wieder erschienen waren, dauerten in erhöhtem Maße fort.
    Graf Taaffe, der so geschickt als möglich manövrierte, welches Manöver er selbst als Fortwurschtelei bezeichnete, versuchte es, durch Beseitigung der Interessen- und Cliquenvertretung, d.i. durch Einführung des allgemeinen directen Wahlrechts, die parlamentarische Fäulnis, die zum Himmel stank, zu sanieren. Diese Idee, die in allen anderen parlamentarisch misshandelten Staaten Europas bereits durchgeführt war, wurde von den um ihr Mandat besorgten Parlamentariern, sowie von der im Solde der Plutokratie stehenden Presse gesteinigt! Die parlamentarischen Quacksalber konnten und wollten sich zu ihr nicht aufraffen und begnügten sich, um doch etwas zu thun und der geehrten, richtiger gesagt, geschundenen Wählerschaft die Augen auszuwischen, den privilegierten Wahlcurien das allgemeine Wahlrecht als eine neue Curie in Form eines cul de Paris anzuhängen und sich mit diesem Aufputz vor der ganzen Welt lächerlich zu machen.
    Nach Taaffes Abgang zerfielen die alten erbgesessenen Parteien in ungezählte Fractionen. Die alte Verfassungspartei, die Staatspartei, wie sie sich mit Vorliebe nannte, die Stütze der Verfassung, die Seele der parlamentarischen Lüge in Oesterreich, die wohlgemästet in Betrachtung ihrer Gottähnlichkeit versunken war, wurde zerschmettert. Neue Parteien und Fractionen traten ämterhungrig und beutegierig an Stelle der Gesättigten, und die parlamentarische Anarchie war fertig.
    Die Ministerien wechselten mit den Jahreszeiten.
    Der militärischerseits, wegen seiner als Statthalter in Galizien bei Durchführung der Militäreinquartierung bewiesenen Energie, so sehr empfohlene Graf Badeni schlug dem Jauchenfass des Parlamentarismus den Boden ein. – Das Parlament wurde ein brodelnder Hexenkessel, der krachend und schäumend Zoten, Flüche und Schimpfworte ausspie, wie sie selbst in den gemeinsten und widerlichsten Pöbelkneipengelagen kaum gehört werden, – welches Delirium man als »Obstruction« bezeichnete.
    Mit Hilfe des Nothhelferparagraphs, den die Väter der Verfassung in weiser Vorsicht dessen, was da kommen konnte, geschaffen haben, musste das Reich durch vier Jahre regiert und auch der abgelaufene Ausgleich mit Ungarn von Jahr zu Jahr verlängert werden.
    Den parlamentarischen Dilettantenministerien mit ihren Fürsten und Grafen, welche in der Adelsdomäne Oesterreich durch Geburt berufen sind, an der Spitze der Reichs- und Landesregierungen zu stehen und Reich und Land weise zu verwirren, folgte nun ein aus Beamten zusammengesetztes Ministerium.
    An der Spitze dieses Beamtenministeriums steht ein Mann, ohne hoffähige Ahnen, aber von reinem Charakter, dessen Talent, dessen Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit es gelungen ist, durch wirtschaftliche und sociale Zugeständnisse, und leider auch durch schwere finanzielle Opfer, die Tobsucht im Parlament so weit zu beruhigen, daß dieses im Stande war, das Budget des laufenden Jahres innerhalb der Zeit von acht Monaten zu beschließen.
    Nun steht der Abschluß des dritten Ausgleichs mit Ungarn, der seit vier Jahren ein Provisorium ist, auf der Tagesordnung! – Eine wahre Sisyphusarbeit!!
    Ungarn, das bei jedem Ausgleich durch die Drohung der vollständigen Trennung und Errichtung einer Zollgrenze zwischen Oesterreich und Ungarn, wie sie vor dem Jahre 1848, ohne Schaden für Oesterreich und ohne Schädigung der Großmachtstellung der Monarchie, bestand, stets neue Vortheile für sich zu erringen wusste und trotzdem die wenigen für Oesterreich günstigen Vertragsbestimmungen in echt orientalischer Weise durch eigenmächtige administrative Maßregeln zunichte gemacht hat, – will und wird, bauend auf die Zerfahrenheit der österreichischen Verhältnisse, bauend auf das Zustandekommen eines Compromisses im österreichischen Reichsrath, der ja seit seinem Bestehen nichts anderes gethan hat, als sich zu compromittieren, – die bisher errungenen politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Vortheile nicht preisgeben; es wird auf der Aufrechterhaltung des Thun-Badenischen Ausgleichssubstrats, mittelst welcher es seine im Entstehen begriffene Industrie auf Kosten und Gefahr der österreichischen so weit kräftigen kann, daß sie im Stande ist, den eigenen Bedarf im Lande zu decken, bestehen, um dann nach Verlauf von zehn Jahren dem magyarischen Chauvinismus Rechnung zu tragen und die gänzliche Trennung von Oesterreich zu bewerkstelligen.
    Es wird diese Trennung bewerkstelligen, obgleich selbst ungarische Patrioten sich der Einsicht nicht verschließen können, daß der letzte Tag der Zusammengehörigkeit Ungarns mit Oesterreich zugleich der letzte Tag des magyarischen Ungarn – das eine kleine Insel im slavischen Meere bildet – und seiner parlamentarischen Einrichtungen sein wird.
    Dessenungeachtet werden von dem Ministerpräsidenten der diesseitigen Reichshälfte, Dr. von Koerber, geradezu übermenschliche, Körper und Geist aufreibende Anstrengungen gemacht, um wenigstens Scheinconcessionen zu erringen, die Ungarn nach wie vor zu umgehen und illusorisch zu machen wissen wird.
    Gelingt es Dr. von Koerber, diesen dritten Ausgleich mit Ungarn mit Ach und Krach zustande zu bringen und damit Ungarn für weitere zehn Jahre die Macht und die Mittel zu bieten, den Tanzbären »Oesterreich« am Nasenring zu führen und nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, so wird doch dieses mühselig zustande gekommene Werk im Reichsrath zweifelsohne auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen; denn abgesehen von den zahlreichen politischen, nationalen und socialen Fractionen, die schon aus Parteirücksichten sich scheuen werden, einer Verlängerung der Capitulationsacte gegenüber Ungarn zuzustimmen, – werden die Czechen die günstige Gelegenheit nicht unbenützt vorübergehen lassen, um wie die Ungarn nach der Schlacht von Königgrätz, – wie die Galizianer beim zweiten Ausgleich mit Ungarn, nunmehr ihren Ausgleich zu erzwingen, dessen Zustandekommen selbstverständlich wieder die Deutschen bis auf das äußerste zu verhindern suchen werden. Allein, selbst wenn es dem Talent Koerbers gelingen sollte, einen Ausgleich zwischen Czechen und Deutschen und ein Compromiss mit den anderen Nationalitäten und politischen und socialen Fractionen zustande zu bringen und auf diese Weise den dritten Ausgleich mit Ungarn im Reichsrath durchzudrücken, also das Unmögliche möglich zu machen, – das infolge der Obstructionen an Miserere erkrankte, seit seiner Geburt lebensschwache Parlament wird er nicht retten, so sehr er sich auch bemüht, diese die Schamtheile des Absolutismus deckende Hülle zu erhalten.
    Schon heute faseln ja die parlamentarischen Condottieri in ihren Blättern, daß ein parlamentarisches Regime wieder ins Leben gerufen und das Beamtenministerium gestürzt werden müsse. Diese Condottieri können die Zeit nicht mehr erwarten, daß ihnen wieder Ministergehalte und der Anspruch auf lebenslänglichen Bezug derselben in den von ihnen eigens zu diesem Zwecke geschaffenen Versorgungsanstalten (Reichsgericht, Verwaltungsgerichtshof u.s.w.) gesichert werden. Sie können es nicht erwarten, daß sie die Macht in die Hände bekommen, um ihrer Sippschaft, ihren Zutreibern zu fetten Sinecuren, zu Orden und Auszeichnungen zu verhelfen, wie sie es überall üben, wo sie die Macht hiezu besitzen.
    Sie sind freigebig, diese Herren, über alle Maßen! Sie werden nicht nur die Zahl der Ressortminister, wie in verschiedenen Blättern angedeutet wurde, durch Creierung von Ministerien für Wasserstraßen, für freie Künste etc. vermehren, sondern auch den polnischen und czechischen Landsmannministern einen deutschen, slovenischen und italienischen Landsmannminister zugesellen. Sie werden die ihnen nachdrängenden Aspiranten auf Ministerposten einstweilen mit Sectionschefs- und Hofrathsposten befriedigen und für den parlamentarischen Tross durch Umwandlung der Diäten in nach oben abgerundete Besoldungen sorgen. Das alles werden sie thun, wenn sie zur Macht gelangen, denn es kostet ihnen ja nichts und geschieht ja nur für und durch das Volk, das in demselben Maße abmagert, als seine Führer fett werden.
    Nicht um das Vaterland ist es diesen Strebern zu thun, sondern um ihr eigenes armseliges Ich! Nicht um das Wohl des Volkes, das zu vertreten sie vorgeben, sondern um ihren dreimal heiligen Gott, den Bauch, den sie allein verehren und anbeten! Und um dieses Cultus willen soll Oesterreich wieder mit einem parlamentarischen Regime beglückt werden, von welchem selbst die Führer der liberalen Partei in Deutschland erklären, daß es in Deutschland nie eingeführt und von der liberalen Partei nie angestrebt wurde, weil es in Deutschland unmöglich ist!
    Das parlamentarische Regime ist nichts als eine vielköpfige Tyrannis und war in Oesterreich, so lange es bestand, eine ununterbrochene Reihe eben so unsinniger wie brutaler Gewaltthaten, die ein absolutes Regime zu vollbringen sich gescheut hätte.
    Der österreichische Parlamentarismus ist aber an und für sich eine ungeheuere Lüge!
    Der Reichsrath und die Landtage sind keine Volksvertretungen, denn sie repräsentieren nicht die Mehrheit des Volkes, sondern eine kleine Minorität desselben, da außer den aus den alten Ständeverfassungen in die Schmerling’sche Verfassung herübergenommenen privilegierten Ständen, welche einen bedeutenden, zumeist ausschlaggebenden Theil der gesetzgebenden Körper bilden, die Hälfte der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht aus dem Grunde keinen Gebrauch macht, weil sie das parlamentarische Getriebe anekelt! – Von der anderen, mit Hilfe bezahlter Zutreiber zur Wahl gepressten Hälfte wird zumeist der von dem parlamentarischen Condottiere bezeichnete Abgeordnete mit einer verschwindend kleinen Majorität gewählt und geriert sich dann als Vertrauensmann der gesammten Wählerschaft seines Wahlbezirkes, während er thatsächlich kaum von einem Viertel der Wählerschaft seines Bezirkes auf Befehl des Parteiführers mit dem Mandat als Abgeordneter betraut wurde. Von einer oft nur eine oder zwei Stimmen betragenden Majorität der auf solche Weise gewählten Abgeordneten werden dann Gesetze beschlossen, die als der Ausdruck des Willens der Mehrheit des Volkes erklärt werden! Die Minoritäten, welche aber thatsächlich siebenachtel der Bevölkerung repräsentieren, sind mundtodt und müssen schweigend von einer künstlich hergestellten, gefälschten Majorität in den gesetzgebenden Körpern auf sich herumtrampeln lassen.
    Diese Vertretungen einer verschwindend kleinen Minorität des Volkes waren und sind außer Stande, eine ernste Controle der Regierung, durch welche man ihre Existenzberechtigung nachzuweisen sich bemüht, zu bilden, – sie sind bloß ein fadenscheiniges und zudem kostspieliges Feigenblatt des Absolutismus, der dadurch jeder Verantwortlichkeit enthoben wird. Ihre Thätigkeit äußert sich nur in einer sittlichen Corrumpierung des Volkes, das, wie der italienische Unterrichtsminister Bonghi sagt, immer mehr und mehr einem thatkräftigen Wirken entfremdet wird und einem sittlichen Nihilismus verfällt. Ihre Wirksamkeit äußert sich ferner nur in Zersetzung der Verwaltung und der Justiz, indem jeder einzelne Abgeordnete auf Hintertreppen für sich und seine Committenten Ausnahmen vom Gesetze und allerlei Vortheile und Benefizien auf Kosten der Allgemeinheit zu erhaschen sucht. Dieser gemeinschädlichen, unhaltbaren, widernatürlichen, innerlich verlogenen parlamentarischen Fiction muß ein Ende gemacht werden, bevor es zu spät ist, und ich hoffe, vertrauend auf den Genius Oesterreichs, daß man sich endlich zu einer männlichen That entschließen wird.
    Oder man lasse nichts unversucht und rufe an Stelle der jetzigen marastischen Verfassung eine neue Verfassung mit einem Parlament in’s Leben, das auf dem allgemeinen Wahlrecht mit proportioneller Vertretung der Minoritäten basiert ist. Oesterreich, das die gewagtesten und lächerlichsten parlamentarischen Sprünge und Experimente seit 40 Jahren ertragen hat, ohne darüber zu Grunde zu gehen, wird auch diesen Versuch überleben!
    Gelingt auch dieser Versuch nicht – wovon ich überzeugt bin –, dann ist der Beweis geliefert, daß der Parlamentarismus, der sich in allen festländischen Staaten überlebt hat, in Oesterreich mit seinen eigenthümlichen Verhältnissen überhaupt unmöglich ist!

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
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    [INDENT][INDENT][INDENT]»Die Redekunst also, o Gorgias, ist, wie mich dünkt, die Meisterschaft in einer Ueberredung, die Glauben, nicht Wissen über Gerechtes und Ungerechtes bezweckt …. Auch könnte wohl der Redner nicht so viele Menschen in kurzer Zeit über so wichtige Dinge belehren.«
    Sokrates in Plato’s »Gorgias«.

    [INDENT][INDENT][INDENT]»Wenn ich doch genug Rednergabe besäße, um Ihnen die Ueberzeugung beizubringen, daß Stefan Tippel kein Mörder ist!«
    Der Vertheidiger.

    Der September 1902 bleibt denkwürdig in der Entwicklung unserer Rechtspflege. Da hat uns ein aufgeklärter Zuckerbäcker das ganze veraltete Strafgesetz über den Haufen geworfen. Wäre der Conditoreibetrieb des Herrn Gfrorner für dreißig Tage etwa Herrn Baron Distler anvertraut, der Oberlandesgerichtsrath würde sich sicherlich nicht vermessen, grundstürzende Reformen in der Erzeugung von Indianerkrapfen und Pralinées durchzuführen. Aber der Conditor hat in diesem Monat die Gerechtigkeit täglich frisch auf’s Eis geführt. Ihm ward, – solche Wunder wirkt der heilige Geist der Demokratie – da er zum Geschwornenobmann erwählt wurde, auch die Fähigkeit zutheil, durch das Paragraphengestrüpp des Gesetzes und durch die dunkeln Gedanken- und Gefühlsgänge, auf denen Menschen straucheln, den graden Weg zu finden, und mit der Gabe, alles zu verstehen, ward ihm die Macht, alles zu verzeihen. In einem köstlichen Machtrausch hat Herr Gfrorner vier Wochen gelebt, von der Schmeichlerkunst* advocatorischer Rede zu immer neuen Großthaten verleitet und schließlich zu den größten: zur Freisprechung einer geständigen Diebin und eines geständigen Mörders. Der Zweifel des Vertheidigers Tippels an der eigenen Rednergabe war unbegründet; eine richtige Beurtheilung der Geschwornen hatte ihm gesagt, daß dort, wo ihnen die Lichtstrahlen des Denkens nicht mehr leuchten, noch die Wärmestrahlen des Herzens wirken würden, und er wendete sich mit den Worten an sie: »Sie haben es gewiss oft gelesen, daß – namentlich in Frankreich – Ehegatten ihrer verletzten Ehre Genüge leisten, indem sie nicht nur das schamlose Weib tödten, sondern auch den Nebenbuhler. Was aber andere Geschworne empfinden, das können die Wiener Geschwornen umso viel mehr empfinden; denn nebst der weisen Erkenntnis besitzen sie das goldene Wienerherz, jenen prächtigen Schatz, welchen gerade Sie manchem Unglücklichen in so schöner Weise eröffnet haben.« Das goldene Wienerherz hat sich nicht vergebens mahnen lassen, und die Geschwornen mögen, als sie den Mord an der Ehebrecherin verziehen, bedauert haben, daß sie nicht, gleich ihren glücklicheren Collegen in Frankreich, auch noch die Ermordung des Ehebrechers zu verzeihen hatten. Und doch wäre die Meinung irrig, daß sie das von Herrn Gfrorner verkündete Verdict in leerer Gefühlsduselei gefällt haben. Keinem Richter schulden die Geschwornen Rechenschaft über ihr Urtheil. Aber vor jenem Tribunal, in dem liberale Geister allzeit den höchsten Richter erkennen, vor dem Forum der Concordiapresse wird es seit einiger Zeit üblich, Geschwornenverdicte zu begründen. Und Herr Gfrorner hat, sowie nach dem Freispruch der Diebin im ‚Neuen Wiener Tagblatt‘, diesmal in der ‚Reichswehr‘ das Wort ergriffen, um seine und seiner Collegen Meinung ganz klar zu stellen. »Die Meisten von uns«, so bekennt er eingedenk der Rede des Vertheidigers, »hätten in einem solchen Falle nicht nur die Frau, sondern auch den Mann erschlagen. Durch einen (verdammenden) Urtheilsspruch hätten wir den Frauen Wiens förmlich einen Freibrief für den Ehebruch ausgestellt …. Es darf doch nicht so weit kommen, daß ein Weib ungestraft sich mit dem Arbeiter ihres Mannes in ehebrecherische Beziehungen einläßt.« Man muß Herrn Gfrorner für diese Worte der Aufklärung dankbar sein. Den Frauen Wiens sollte kein Freibrief für den Ehebruch, aber den Männern Wiens ein Freibrief für den Meuchelmord ausgestellt werden! Kein Weib wird fürder ungestraft die Ehe brechen, aber ungestraft soll fürder jeder Mann sein Weib, das die Ehe bricht, mit der Hacke erschlagen dürfen. Das klärt die Situation. Der Glaube, daß sich die Geschwornen bloß als weichherzige Männer benommen hätten, ist gründlich zerstört, und bewiesen ist vielmehr, daß sie sich als Richter und zwar als Nachrichter über eine Todte fühlten. Nicht Milde gegen den Angeklagten, sondern Strenge gegen sein Opfer sollte ihr Urtheil bedeuten, und während ihnen der Mann auf der Anklagebank durch jene dramatische Furcht, die nach Lessing das auf uns selbst bezogene Mitleid ist, zum Helden emporwuchs, haftete ihr Blick gebannt an dem Gespenst der Frau, das hinter seinem Rücken auftauchte. So konnte dem Mann – der ja übrigens seine Frau »nur peken« wollte und auf sie schon im Jahre 1885, da noch nicht die Ehe gebrochen, wohl aber ein Mittagessen nicht rechtzeitig fertig war, so mächtig einhieb, daß sie »zwei Monate krank lag und ihr Sprachvermögen verlor« – seine That nicht als Verbrechen zugerechnet werden. Der Rächer seiner Ehre, den die Franzosen im Mörder der Ehebrecherin sehen, war für die Wiener Geschwornen zugleich der Richter derer, die ihn entehrt hatte. Und auch ihr Henker. Aber weil die Formlosigkeit des hier vorausgesetzten Rechtsverfahrens, bei dem der Gatte die Untersuchung führt, anklagt, urtheilt, ohne eine Vertheidigung zuzulassen, und endlich das Urtheil auch eigenhändig vollzieht, die schwersten Bedenken erregt, müsste sogar der Zuckerbäcker selbst, der diesmal auf eigene Faust das Recht umdeutete, für die Zukunft eine Reform des Gesetzes verlangen: Wenn wirklich die Todesstrafe auf Ehebruch gesetzt sein soll, dann werde sie durch die Härte des Gesetzes verhängt, aber nicht zuerst durch den Gatten und nachträglich durch die gefühlvollen Mitbürger, die ihn freisprechen!

    Fußnoten

    * Den vier wahren Künsten, die das Wohlbefinden von Leib und Seele bewirken, entsprechen nach Plato vier Schmeichlerkünste: der Gymnastik die Putzkunst, der Heilkunde die Kochkunst (mitsammt der Zuckerbäckerei), der Gesetzgebung die Sophistik und der Rechtspflege die advocatorische Redekunst.

    (Die Fackel: Nr. 117, 07.10.1902, S. 18-21)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    tippst du das alles ab oder copy&paste?

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    hal-croves
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    Ich will nicht, daß die Talentlosigkeit mir zu Dank verpflichtet ist, und weise die in geheimen Circularen enthaltene Berufung auf die »Kampfschriftenliteratur«, die das Ansehen der ‚Neuen Freien Presse‘ erschüttert habe, mit der Indignation des Missverstandenen zurück, der sich neben den Pflichten ethischer Säuberung auch ein Recht auf ästhetische Reinlichkeit gewahrt wissen will und der grimmiger als den Feind einen compromittierenden Bundesgenossen hasst.

    (Die Fackel: Nr. 118, 17.10.1902, S. 4-5)

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    Wenn’s erlaubt ist, greife ich mal bei den schönen Crauserien etwas vor auf’s Jahr 1909, dann wird es auch musikalisch:

    „Schon als Kind war ich weniger darauf erpicht, das Leben aus den großen Werken der Kunst zu empfangen, als aus den kleinen Tatsachen des Lebens es zu ergänzen. Unbewußt ging ich den rechten Weg ins Leben, indem ich es mit jedem Schritt eroberte, anstatt es als eine Überlieferung an mich zu nehmen, mit der der junge Sinn nichts zu beginnen weiß. […] Ich war früh darauf aus, vom Menschen Aufschluß über den Menschen zu verlangen, und ich ließ eigentlich nur eine Form künstlerischer Mitteilung gelten, die mir das Wissenswerte unaufdringlich an den Mann zu bringen schien: das Plakat. Ein sentimentaler Gassenhauer, den am Sommersonntag ein Leierkasten vor unserem Landhaus spielte, hatte Macht über mein Gemüt; ich ließ ab, Fliegen zu fangen, und die Mysterien der Liebe gingen mir auf. Andere, die sich rühmen, daß der Tristan eine ähnliche Wirkung auf sie geübt habe, fangen noch heute Fliegen.“

    [Die Fackel: Nr. 283-284, 26.06.1909, 11. Jg., oder auch aus dem Beginn des neunten Bandes der alten Werkausgabe: „Unsterblicher Witz“, „Die Welt der Plakate“.]

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    hal-croves
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    Es ist eine alte Erfahrung, daß sich das ‚Deutsche Volksblatt‘ jüdischem Annoncenbedürfnis nicht unzugänglich erweist. Das antisemitische Programm wird hier auf die strenge Obsorge des Administrators reduciert, der darauf zu sehen hat, daß die etwa einlaufenden Dukaten nicht beschnitten sind. Immerhin konnte man bisher Herrn Vergani den Vorwurf der Inconsequenz nicht ersparen, wenn er in volkswirtschaftlichen Einschaltungen die Namen der Taussig, Bauer und Feilchenfeld von Rufzeichen unbehelligt ließ oder wenn er über dem Mahnworte: Kauft nur bei Christen! eine warme Empfehlung der neuesten Operette des Herrn Landesberg, ein begeistertes Lob Gabor Steiner’s placierte. Das soll nun offenbar anders werden. Jüdische Reclamen werden zwar durchaus nicht zurückgewiesen, aber mit einer antisemitischen Pointe versehen, die den rassenreinen Abonnenten über die Herkunft der jeweiligen Notiz täuscht und gegen die der Auftraggeber umsoweniger einzuwenden hat, als gerade durch die Vermischung eines Lobs der Ware mit einem Angriff auf den Händler der werthvolle Eindruck der Objectivität und unbefangenen Gerechtigkeit erzeugt wird. So las der Kenner am 28. December mit wachsender Heiterkeit den folgenden »Angriff«:
    »[Ein neuer Staubreinigungsapparat]. Ein jüdischer Wiener Tapezierer, Siegmund J., befasst sich seit einiger Zeit mit der Einführung eines aus England kommenden neuerfundenen Staub-Exhaustors, über welchen die Judenpresse nicht genug Worte des Entzückens und der Reclame finden kann. Wir haben gestern Gelegenheit gehabt, den neuen Apparat, den der englische Erfinder ‚The Vacuum Cleaner‘ genannt hat, in den Ausstellungsräumen des Hagen-Bunds, wo die angeblich sensationelle Erfindung vor einem Kreise von Journalisten und Interessenten demonstriert wurde, in Thätigkeit zu sehen …«
    Nun folgt wohl die Enthüllung »dieses neuesten Judenschwindels«? Man höre:
    »Im Vestibul stand ein etwa mannshoher Kasten auf kleinen Rädern, von welchen Gummischläuche in die Ausstellungsräume gelegt waren. Am Ende des jeweilig benutzten Schlauchs ist ein mit einer schmalen und etwa 10 Centimeter langen Oeffnung versehenes metallenes Aufsatzrohr angebracht. Dieses wurde auf staubbedeckte Fauteuils, Teppiche und Kleider angesetzt und draußen im Vestibul die Luftpumpe mittelst eines elektrischen Motors in Thätigkeit gesetzt. Mit der von der Luftpumpe durch den Schlauch aufgesaugten und abgeführten Luft geht nun der Staub auf den betreffenden Gegenständen überall dort, wo man das Rohr ansetzt, mit, so daß die Gegenstände ohne Staubentwicklung nicht nur vom Staub selbst, sondern auch von den kleinen Thierchen, wie Flöhe und Wanzen, die sich etwa eingenistet, gereinigt werden. Wie intensiv der Staub abgeht, haben wir in einem Glasrohr gesehen, welches zwischen zwei Schläuchen eingeschraubt worden war. Man sieht da, wie die durchziehende graue Staubwolke continuierlich dichter wird, je mehr Staub auf dem betreffenden, zu reinigenden Möbelstück, Gobelins etc., ist. Jedenfalls haben die Juden alle Ursache, über diese Erfindung entzückt zu sein, denn bequemer als durch diesen Exhaustor können sie wohl die kleinen Thierchen in ihren Wohnungen und Kleidern nicht mehr los werden. Hoffentlich bringen sie den Apparat recht oft in Anwendung.«
    Ob Herr Jaray die Notiz – für jedes Parteiblatt in entsprechender Adaptierung – selbst verfasst hat? Jedenfalls spricht sie in gleicher Weise für die Entwicklungsfähigkeit des Reclamewesens und – des Antisemitismus … Das Lob des jüdischen Wiener Kleiderhändlers R. ließe sich vielleicht auf die folgende Art den unentwegtesten Bekennern Gregorigs und Verehrern Vergani’scher Satire mundgerecht machen:
    »[Ä großes Geschrei] wird jetzt in der Judenpresse mit dem neuesten Abonnementsystem des berühmten (?) Kleiderhauses R. (!) gemacht. Wir hatten Gelegenheit, uns von der Qualität der angeblich billigsten und dauerhaftesten Anzüge zu überzeugen. (Folgt Beschreibung) … Die Pantalons sind so gearbeitet, daß sie die ausgeprägtesten Säbelbeine verdecken, und die Façon der Saccos leidet nicht im geringsten unter der lebhaften Geberdensprache, die unsere geehrten Mitbürger mosaischer Confession nun einmal gewohnt sind. Diese hätten somit alle Ursache, über das neue Abonnement, das ihr Stammesgenosse R. eingeführt hat, entzückt zu sein. Aber natürlich werden sie von ihrer vortrefflichen (?) Eigenart nicht lassen können und versuchen, von dem ohnedies spottbilligen Preise noch etwas herunterzuhandeln.«

    (Die Fackel: Nr. 126, 10.01.1903, S. 16-18)

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    hal-croves
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    Die Fackel

    NR. 133 WIEN, MITTE MÄRZ 1903 IV. JAHR

    Die antisociale Tendenz der Journaille muß sich nachgerade auch dem blödesten Auge offenbaren. Dort zumal, wo das Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Scriblerlaune und Gefährdung von Existenzen am crassesten ist: auf dem Gebiete des Bühnenwesens. Hier schonen die Kerle, wenn ihnen nur kein Witz in der Kehle stecken bleibt, weder das Privatleben noch das künstlerische Ansehen, weder das Schamgefühl noch die wirtschaftliche Sicherheit. Der Politiker kann sich wehren, der Bankdirector die Pauschalien sperren, wer immer der öffentlichen Kritik unterworfen ist, die schwachen Mittel anwenden, die ihm ein schlechtes Gesetz und ererbte Pressfurcht an die Hand geben: Der Schauspieler ist wehrlos. Solange das Publicumsgehirn eine mit Druckerschwärze gepichte Camera obscura bleibt, solange Theaterdirectoren Gagen und Gastspielhonorare nach der publicistischen Werthung bemessen, die sich ein ernstzunehmender Menschendarsteller von dem dümmsten Notizenbengel gefallen lassen muß, solange geht kein Riss durch das Weltganze, wenn Herr Sonnenthal aus seinem Wagen springt, um einen Revolverer letzter Sorte zu umarmen, wenn ein Girardi, den das gefestete Bewusstsein einer unbestrittenen Volksthümlichkeit erheben dürfte, im Comitézimmer der »Concordia« herumbänkelt, wenn die stolzeste Diva an den niedrigsten Coulissenschnüffler ein vertrauliches »Lieber Doctor!« verschwendet. Der Einzelne sagt sich mit Recht, daß er mit Hinauswurf und Fußtritt nicht gut anfangen könne, wenn er nicht sicher ist, daß ihm die Anderen folgen, und Solidaritätsbewusstsein gehört nur insofern zu den Tugenden der Bühnenangehörigen, als sie z.B. einstens allesammt auf den »Concordiaball« giengen, nachdem alle ihm fernzubleiben beschlossen hatten. Kein Kenner des Strafapparats, über den die Journaille verfügt, kein Einsichtiger kann ihnen die alljährliche Erniedrigung verargen; und wer beobachtet hat, wie die »Concordia« auch heuer wieder mit Circularen, deren animierende Tendenz von einem fast drohenden Ton getragen war, arbeitete, der wird die Präsenzliste des Schmöckeballs, soweit sie Theaterleute umfasst, sicherlich glaubhaft finden. Keinem Schauspieler, der vor der Contracterneuerung steht, darf man die Heroenlust zumuthen, die Rache des Ballcomités bei lebendigem Leib über sich ergehen zu lassen, und wenn man weiß, daß Theaterdirectoren bei willfährigen Redactionen sich telephonisch Tadel bestellen, um einen Vorwand für Entlassung oder Gageverminderung zu gewinnen, wenn man dieses Complot zwischen Ausbeutung und Corruption am Werke sieht, dann mag manche ethische Forderung übertrieben klingen. Wer unter einem Joch hindurch muß, kann die Nackensteife nicht bewahren.
    Die Affaire Hohenfels-Wanka, die alle Coulissenschnüffler beschäftigt hat, bietet die Anregung, einen Weg zu weisen, der neben dem Joch vorbeiführt. Es ist der Weg gerichtlicher Nothwehr. Ich denke nicht etwa an undankbare Beleidigungsklagen, die höchstens dazu führen, daß der für »Verrohung der Kritik« Gestrafte sich durch Todtschweigen und sonstige höfliche Berufsstörung hundertmal schwerer rächt. Wer hier den Anfang macht, lädt sich ein überflüssiges Martyrium auf. Mich interessiert ausschließlich die civilrechtliche Seite des Verhältnisses, das zwischen misshandelten Theaterleuten und ungehemmt ihre Macht missbrauchenden Pressleuten besteht. Viel öfter als in seiner Ehre ist der Schauspieler in seiner wirtschaftlichen Sicherheit durch den um eines Witzes, um einer Sensation, um einer Lüge willen Schreibenden bedroht. Herr Julius Bauer hat über den armen Debutanten zu schreiben, der bangend und hoffend an einer Lebenswende steht. Der Debutant gefällt ihm vielleicht ganz gut. Aber da erfährt er, der junge Mann sei früher einmal Zahnarzt gewesen, dankt seinem Schöpfer für die Eingebung und schreibt: »Wir werden ihn schmerzlos ziehen sehen«. Er dachte vielleicht noch darüber nach, ob er den Witz nicht anbringen und doch sein Urtheil bewahren könne, aber da dies ohne Gefährdung des Witzes nicht möglich gewesen wäre, mußte er sich entschließen, das Urtheil zu opfern. Das ist ein Beispiel für tausende. Hier ist’s ein Kalauer, dort eine Laune, hier stilistisches Abwechslungsbedürfnis, dort die Erinnerung an eine unterlassene Redactionsvisite. Immer aber bleiben Ursache und Wirkung incommensurabel, immer erschreckt der Gedanke, daß ein Wort eine Existenz aufs Spiel setzt. Und je größer die Gefahr ist, umso unbedenklicher wird von lndividuen, die zufällig in’s Verfügungsrecht über Druckerschwärze eingesetzt sind, mit Worten gespielt. Der Coulissenschnüffler, der nach einer Affaire lechzt, hat aus dem in einem Theatercafé geführten Gespräch: daß Frau Hohenfels mit Herrn Wanka zwar eine »Monna Vanna«-Probe durchgemacht hat, aber, da inzwischen Herr Reimers sich gesund meldete, nicht mit ihm auftreten wird, die Eigennamen erlauscht. Daraus entsteht die Notiz: Frau Hohenfels habe sich geweigert, mit Herrn Wanka in »Monna Vanna« aufzutreten; die Meldung wird mit dem Vorwurf der Uncollegialität gegen die Künstlerin garniert und stellt ihren am Auftreten gehinderten Partner empfindlich bloß. Drei Klatschblätter, die ‚Zeit‘, das ‚Neue Wiener Journal‘ und die ‚Sonn- und Montags-Zeitung‘, haben die Nachricht liebevoll einander abgenommen. Sie ist so dreist erfunden, daß sich die von der Berührung mit Zeitungsschmutz stets ferne Künstlerin entschließt, den Sachverhalt in zwei Blättern richtigzustellen, in deren Theatertheil die Lügennotiz bis dahin nicht gedrungen war. Glaubt man, daß auch nur eines der Lügen gestraften Klatschblätter die Berichtigung übernommen hat? Inzwischen aber können etliche Gastspielanträge von Provinztheaterdirectoren, die den jungen Heldendarsteller ihrem Publicum als Prinzivalli vorführen wollten und eifrige Leser des ‚Neuen Wiener Journal‘ sind, zu Wasser geworden sein. Der dem Schauspieler durch müßigen Zeitungsklatsch bereitete Schaden läßt sich in diesem wie in jedem anderen Falle mit der von der Civilprocessordnung erforderten Genauigkeit feststellen. Man versuche es einmal. Zu einer Beleidigungsklage gehört jenes Maß von Opfermuth, daß dem Einzelnen nicht zugemuthet werden kann; ihr Erfolg schadet dem Einen und nützt der Gesammtheit nichts. Ein Schadenersatzbegehren, in flagrantem Falle gestellt, erfordert nicht die geringste Courage und würde – außer dem persönlichen Erfolg – zwischen dem Stande und seinen Bedrückern mit einem Schlage die alten Bande lösen.

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
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    Die neue Orthographie.

    (Ein zeitgemäßes Citat.)

    »Ew. Wohlgeboren rühmlichst bekannter Eifer für unsere neue Orthographie oder, wie sie sie jetzt schicklicher nennen, Cäno- oder Kainographie, um sie nicht mit der alten, sogenannten Orthographie zu verwechseln, hat mich aufgemuntert, Denenselben einen Plan zur Bekanntmachung vorzulegen, der mit dem Kainographischen viele Aehnlichkeit hat, nämlich die Beinkleider abzuschaffen.« … »Daß es einem auffallend sein würde, jetzt einen Minister oder General ohne Beinkleider herumgehen zu sehen, das ist bloß die Ungewohnheit, lächerliches Vorurtheil. Es ist nicht mehr, als statt des einfältigen der und physisch jetzt där und füsisch zu schreiben, welches recht ist.« … »Was die Engländer in der Füsik, die Franzosen in der Metafüsik sind, sind die Deutschen unstreitig in der Ortokrafi. Das Süstem, das uns Herr K … hierüber gegeben hat, ist vortreflich. Fürz gleich nicht überall Ueberzeugung bei sich, so fürz doch auf Einigkeit, und hilfz nichz, so schatz doch auch nichz. Vorzüglich Dank ferdint Herr Mülius in Berlin, der auch in seinem zerdeutschten Gil Blas Hüpokrates schreibt, und also auch vermuthlich Filüppus und Hippotese schreiben würde. – – Neulich entstand bei einem Testament ein entsetzlicher und fast scandalöser Streit über folgende Worte: ‚Auch vermache ich das Heu von meinen Wiesen den jedesmaligen drei Stadtfarren zu O …‘ Es wurde nämlich gestritten, ob Testator die Prediger des Orts, oder die Bullen gemeint habe; und weil die letztern einen bessern Advocaten erhielten, als die erstern, so fiel das Heu dem Bullenstall zu. Der Advocat für die Prediger wusste nichts beizubringen, als daß man einem unvernünftigen Vieh nichts vermachen könne; nur sei bekanntlich Testator ein Anhänger von Herrn K … und dessen prosaischen Werken gewesen, und habe daher farren statt pfarrern geschrieben. Dagegen erwies der Advocat für die Bullen mit unwidersprechlichen Zeugnissen, Testator sei zwar ein eifriger K–ianer, aber, da er selbst Pfeiffer geheißen, auch ein hartnäckiger Vertheidiger des Pf gewesen, weshalb er wol oft Klopfstock und Trepfe gesagt, aber sich nie Feiffer unterzeichnet habe. Die Sache wäre also klar. Ueberdies habe der Selige bekanntlich nicht viel auf die dasigen Herren Prediger gehalten, und da die Wiesen gegen dreihundert Thaler abwerfen, so wäre es gar nicht wahrscheinlich, daß er sie gemeint hätte u.s.w.«

    Georg Christian Lichtenberg (1742–1799).

    (Die Fackel: Nr. 133, 26.03.1903, S. 22-23)

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    hal-croves
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    Liebe ‚Fackel‘!

    Der ganze Wahnsinn jener Sexualjustiz, die du in der Abhandlung »Sittlichkeit und Criminalität« gegeißelt hast, tobt in den zwei kurzen Sätzen, aus denen neulich die Anzeige eines schlichten Wiener Sicherheitswachmannes bestand. Sie lautet:
    »Ich kam im Stadtpark dazu, wie ein Mann einen Soldaten küsste. Ich kam leider zu früh und kann daher keinen Unzuchtsact melden.«

    (Die Fackel: Nr. 137, 11.05.1903, S. 18)

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