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Die Fackel
NR. 117 WIEN, ENDE SEPTEMBER 1902 IV. JAHR
Der Parlamentarismus.
Eine Studie von Joseph Schöffel.
II.
Wer Bismarck’s Werk »Gedanken und Erinnerungen« aufmerksam liest, dem wirft sich unwillkürlich die Frage auf: was würde der große Kanzler thun, wenn er Kanzler der Habsburgischen Monarchie wäre und nicht nur die Intriguen politisierender Frauen und Priester, nicht nur die Umtriebe conservativer, liberaler, clericaler und radicaler Parteien zu bekämpfen, sondern auch mit der Oesterreich-Ungarn allein eigenthümlichen Nationalitätenmisère, mit dem erbitterten Hass der diesen Staat bewohnenden, gleichberechtigten zehn Nationen unter- und gegeneinander und mit ihren centrifugalen Bestrebungen zu rechnen hätte?
Ich glaube, dieser geniale Staatsmann hätte zu dem von ihm empfohlenen Mittel seine Zuflucht genommen, – zur Dictatur!
Bei uns geht das nicht! Wir sind gemüthlicher! Wir besitzen, wie Kürnberger sagt, eine geradezu niederträchtige Gemüthlichkeit! Wir wurscht’ln seit fünfzig Jahren fort und werden fortwurscht’ln, bis wir ausgewurscht’lt haben.
Daß dem so ist, beweist der Leidensweg, den die Monarchie seit dem Jahre 1848 zurückgelegt hat, – beweist die groteske, fratzenhafte parlamentarische Posse, die in Oesterreich seit 40 Jahren aufgeführt wird.
Nach der Revolution vom Jahre 1848, die das Pulver nicht erfunden hat, zu dem sie begnadigt wurde, folgte eine kurze blutige Zeit militärischer Dictatur, nach welcher der liberale Advocat und Barrikadenminister Bach das Staatsruder ergriff und den Versuch wagte, die historischen Königreiche und Länder, aus welchen die Habsburgische Monarchie zusammengesetzt ist, verschwinden zu machen, das Reich nach französischem Muster in Departements einzutheilen und die verschiedenen Nationalitäten als Oesterreicher abzustempeln.
Diese Ab- oder Umstempelung wurde jedoch durch den Minister des Auswärtigen Fürsten Schwarzenberg gestört, der, wie Bismarck in seinen »Gedanken und Erinnerungen« ironisch bemerkt, den Ehrgeiz hatte, die Welt über die Undankbarkeit Oesterreichs staunen zu machen. »Nous etonnerons le monde de notre ingratitude« schrieb Schwarzenberg und ließ Russland, das in Kriege mit England und Frankreich verwickelt war, aus Undankbarkeit für die durch Russlands Hilfe im Jahre 1849 erfolgte Niederwerfung der Revolution in Ungarn, durch den Aufmarsch von 600,000 Mann an der russischen Grenze bedrohen und die Moldau und Wallachei, welche die Russen räumen mußten, occupieren. Diese ingratitude, diese böse That, die fortzeugend Böses mußte gebären, kostete dem Staate nicht nur die Kleinigkeit von 1000 Millionen Gulden, sie kostete nicht nur das Leben von über 100.000 Mann, die, ohne einen Schuss zu hören, an der russischen Grenze und in den Donaufürstenthümern der Cholera, dem Typhus, der Malaria zum Opfer fielen, sondern sie zog auch in weiterer Folge den Krieg mit Frankreich und Italien und den Verlust der Lombardei nach sich.
Im Schrecken ob dieser Katastrophe gebar Oesterreich ein bureaukratisches Machwerk, eine politische Missgeburt, die jeder Lebensfähigkeit entbehrte, – die Verfassung! Schmerling, der Vater dieser Verfassung, träumte, daß die Völker Oesterreichs dieses sein Kind mit Enthusiasmus begrüßen und in das Parlament, das die Wiener gleich Anfangs »Schmerlingtheater« benannten, mit Freuden eintreten würden. Allein mehr als die Hälfte der Monarchie hat diesen octroyierten Wechselbalg einer Verfassung nicht als legitim anerkannt, und Ungarn wies die Zumuthung, in dieses Parlament einzutreten, mit Hohngelächter zurück.
Schmerling sprach sein berühmtes »Wir können warten«, und während dieses Wartens unterhielt sich die Gesellschaft im Reichsrath, den Kürnberger als »ostindische Handelscompagnie« und den seine Mitglieder als ein »luogo di trafico« bezeichneten, mit langathmigen Debatten über Staatsrecht, wobei sie das Staatswohl gänzlich vergaßen.
Nicht drei Jahre dauerte diese Komödie! Als Schmerling zur Einsicht kam, daß seine Träume Schäume waren, daß er in einen Sumpf gerathen sei, fasste er den Entschluß, die Misère im Innern durch eine große auswärtige That zu sanieren.
So kam der Fürstentag in Frankfurt zu Stande, der die erste Etappe zum Kriege zwischen Oesterreich und Preußen bildete.
Mittlerweile war das parlamentarische Siechthum so weit vorgeschritten, daß die Krone sich veranlasst sah, im Jahre 1865 die Verfassung zu sistieren, und den Grafen Belcredi beauftragte, den verfahrenen Staatskarren aus dem Dreck zu ziehen.
Graf Belcredi wurde bei dieser Arbeit, die er unter der Devise: »Bahn frei!« auf sich genommen hatte, wieder durch den Krieg mit Preußen und Italien, welcher den Verlust Venedigs und die Ausschließung Oesterreichs aus dem deutschen Bunde zur Folge hatte, überrumpelt! Er gieng und überließ die Arbeit dem Grafen Beust, der zu diesem Zweck aus dem Ausland verschrieben wurde.
Graf Beust, der von den österreichischen Verhältnissen keinen Dunst hatte, gieng rasch an die Arbeit. Er capitulierte einfach Ungarn gegenüber, d.i. er schloss einen Ausgleich mit Ungarn auf die Dauer von 10 Jahren, der nach Ablauf dieser Frist erneuert werden konnte. Ungarn wurde ein selbstständiger, nur durch eine Nabelschnur, die ihm die nöthige Nahrung zuführen sollte, mit Oesterreich verbundener Staat. Oesterreich, das nach der vom Grafen Beust geschaffenen Decemberverfassung auch den Namen eingebüßt hatte und dafür als die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder benamset wurde, übernahm zur Sühne aller seit dem Jahre 1848 von seinen Regierungen verübten Dummheiten und Sünden die Verzinsung von fünf Milliarden Staatsschulden, wozu Ungarn gnädigst einen kleinen Theil beisteuerte, und verpflichtete sich, wenigstens siebzig Percent der gemeinsamen Lasten auf seine Schultern zu nehmen und dafür Ungarn einen siebzigpercentigen Einfluss auf alle gemeinsamen, die Armee und die Vertretung des Staates nach Außen betreffenden Angelegenheiten einzuräumen.
Kürnberger schrieb mir damals als Antwort auf ein an ihn gerichtetes Schreiben die denkwürdigen Worte: »Zwanzig Jahre nach der Capitulation Görgeys bei Világos haben wir vor Ungarn capituliert! Ungarn hat uns den Frieden dictiert und den Strick seiner in Arad gehenkten Märtyrer uns um den Hals geworfen! Wir nennen das gemüthlich einen ‚Ausgleich‘ und glauben mit dieser Selbstaufopferung den Frieden im Lande hergestellt zu haben. – Sancta Simplicitas! Dieser Ausgleich wird, sorglos, wie ein Insect seine Eier, weitere Ausgleiche erzeugen! Dem Ausgleich mit Ungarn wird der böhmische, der polnische und der italienische folgen, bis Oesterreich ausgeglichen, d.h. ausgeglitten und den Frieden des Grabes gefunden haben wird. Requiescat in pace!«
Der Gang der Dinge zeigt, wie Kürnberger Recht hatte.
Drei Jahre nach dem Ausgleich mit Ungarn verlassen die Polen den Reichsrath, nachdem die Czechen ihn bereits zwei Jahre früher verlassen haben.
Dem Memorandenstreit im Ministerium Hasner folgt das Ministerium Potocky, diesem Graf Hohenwart. Man pendelte zwischen den Forderungen der Czechen und der Polen hin und her und entschloss sich endlich zu einem Ausgleich mit Galizien, das rechtlos an Oesterreich gekommen war, während Böhmen ein Landrecht, wenn auch ein längst veraltetes, aber immerhin ein Landrecht besaß.
Der Ausgleich mit Galizien räumte diesem Lande nicht nur besondere autonome Rechte ein, sondern lieferte der Gesetzgebung des galizischen Landtags auch das gesammte Unterrichtswesen dieses Landes aus, während die galizische Delegation im Reichsrath über das Unterrichtswesen der anderen Königreiche und Länder mitberathen und mitbeschließen konnte. Nicht genug an dem, übernahmen die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder, die alle Kosten der staatlichen Investitionen in Galizien bezahlen müssen, weil das Land nicht einmal seine eigenen Verwaltungskosten zu decken vermag, außer ihrer eigenen auch noch die Zahlung der gesammten galizischen Grundentlastung.
[…]
Die auf die Schmerlingverfassung basierte Volksvertretung, welche dem Princip nach den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen soll, ist eine ungeheuerliche Lüge, eine Fälschung sondergleichen!
Diese Volksvertretung, benannt Reichsrath, besteht nämlich aus zwei Kammern, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Das Herrenhaus setzt sich aus erblichen und ernannten Mitgliedern zusammen. Zu den erblichen Mitgliedern gehört die höchste Geburtsaristokratie, zu lebenslänglichen Mitgliedern werden Angehörige der Plutokratie, pensionierte Minister und Sectionschefs und einige Gelehrte ernannt.
Das Abgeordnetenhaus wurde aus den Landtagen gewählt. Die Landtage bestanden und bestehen noch aus sogenannten Virilisten, aus Abgeordneten des Großgrundbesitzes, welche den fünften Theil, aus Abgeordneten der Städte und der Handelskammern, welche nicht ganz die Hälfte, und aus den Abgeordneten der Landgemeinden, mit indirecter Wahl, welche ein Viertheil sämmtlicher Abgeordneten der Landtage bildeten. Dieses Sammelsurium von persönlichen und Cliqueninteressen besteht heute noch unverändert fort und geriert sich als Volksvertretung!
Die Czechen, welche weder die Schmerlingsche, noch die durch den Dualismus geschaffene Decemberverfassung anerkannten, haben, wie bereits erwähnt, im Jahre 1868 den Reichsrath verlassen, was zur Folge hatte, daß der Reichsrath zuerst zu dem jedem Constitutionalismus hohnsprechenden, dem Ekel aller Zeiten verfallenen Chabrus, der abermals Millionen absorbierte, griff, um eine Majorität im böhmischen Großgrundbesitz zu schaffen, und sodann, als dieser Kunstgriff misslang, im Jahre 1869 ein Nothwahlgesetz votierte, um durch directe Reichsrathswahlen die Plätze der absenten Czechen zu besetzen.
Als auch dieses Mittel fehlschlug, griff man zu einem Gewaltstreich, der ein flagranter Verfassungsbruch war. Nach dem klaren Wortlaut der Verfassung ist zu einer Verfassungsänderung die Zustimmung der Zweidrittelmajorität erforderlich. Ungeachtet dessen wurden die Wahlen in den Reichsrath, die verfassungsmäßig den Landtagen zustanden, mit einfacher Majorität in directe Reichsrathswahlen verwandelt und damit allen seit jener Zeit stattgehabten Reichsrathssessionen der Stempel der Ungesetzlichkeit aufgedrückt.
Nach Ablauf der 10jährigen Giltigkeitsdauer des Ausgleichs mit Ungarn, mittelst welcher die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder zu Clientelstaaten Ungarns herabgesunken waren, lieferte man dem ungarischen Chauvinismus auch die Militärgrenze, welche eine wahre Culturoase inmitten des asiatischen Theiles von Europa bildete und der Dynastie im Nothfalle 112 Bataillone zu je 6 Compagnien Janitscharen, die nur den Kaiser und seinen Willen kannten, zur Verfügung stellte, gegen ein Präcipuum von 2 Percent aus.
Die Wirren im Reichsrath, in welchem die Czechen infolge der directen Reichsrathswahlen wieder erschienen waren, dauerten in erhöhtem Maße fort.
Graf Taaffe, der so geschickt als möglich manövrierte, welches Manöver er selbst als Fortwurschtelei bezeichnete, versuchte es, durch Beseitigung der Interessen- und Cliquenvertretung, d.i. durch Einführung des allgemeinen directen Wahlrechts, die parlamentarische Fäulnis, die zum Himmel stank, zu sanieren. Diese Idee, die in allen anderen parlamentarisch misshandelten Staaten Europas bereits durchgeführt war, wurde von den um ihr Mandat besorgten Parlamentariern, sowie von der im Solde der Plutokratie stehenden Presse gesteinigt! Die parlamentarischen Quacksalber konnten und wollten sich zu ihr nicht aufraffen und begnügten sich, um doch etwas zu thun und der geehrten, richtiger gesagt, geschundenen Wählerschaft die Augen auszuwischen, den privilegierten Wahlcurien das allgemeine Wahlrecht als eine neue Curie in Form eines cul de Paris anzuhängen und sich mit diesem Aufputz vor der ganzen Welt lächerlich zu machen.
Nach Taaffes Abgang zerfielen die alten erbgesessenen Parteien in ungezählte Fractionen. Die alte Verfassungspartei, die Staatspartei, wie sie sich mit Vorliebe nannte, die Stütze der Verfassung, die Seele der parlamentarischen Lüge in Oesterreich, die wohlgemästet in Betrachtung ihrer Gottähnlichkeit versunken war, wurde zerschmettert. Neue Parteien und Fractionen traten ämterhungrig und beutegierig an Stelle der Gesättigten, und die parlamentarische Anarchie war fertig.
Die Ministerien wechselten mit den Jahreszeiten.
Der militärischerseits, wegen seiner als Statthalter in Galizien bei Durchführung der Militäreinquartierung bewiesenen Energie, so sehr empfohlene Graf Badeni schlug dem Jauchenfass des Parlamentarismus den Boden ein. – Das Parlament wurde ein brodelnder Hexenkessel, der krachend und schäumend Zoten, Flüche und Schimpfworte ausspie, wie sie selbst in den gemeinsten und widerlichsten Pöbelkneipengelagen kaum gehört werden, – welches Delirium man als »Obstruction« bezeichnete.
Mit Hilfe des Nothhelferparagraphs, den die Väter der Verfassung in weiser Vorsicht dessen, was da kommen konnte, geschaffen haben, musste das Reich durch vier Jahre regiert und auch der abgelaufene Ausgleich mit Ungarn von Jahr zu Jahr verlängert werden.
Den parlamentarischen Dilettantenministerien mit ihren Fürsten und Grafen, welche in der Adelsdomäne Oesterreich durch Geburt berufen sind, an der Spitze der Reichs- und Landesregierungen zu stehen und Reich und Land weise zu verwirren, folgte nun ein aus Beamten zusammengesetztes Ministerium.
An der Spitze dieses Beamtenministeriums steht ein Mann, ohne hoffähige Ahnen, aber von reinem Charakter, dessen Talent, dessen Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit es gelungen ist, durch wirtschaftliche und sociale Zugeständnisse, und leider auch durch schwere finanzielle Opfer, die Tobsucht im Parlament so weit zu beruhigen, daß dieses im Stande war, das Budget des laufenden Jahres innerhalb der Zeit von acht Monaten zu beschließen.
Nun steht der Abschluß des dritten Ausgleichs mit Ungarn, der seit vier Jahren ein Provisorium ist, auf der Tagesordnung! – Eine wahre Sisyphusarbeit!!
Ungarn, das bei jedem Ausgleich durch die Drohung der vollständigen Trennung und Errichtung einer Zollgrenze zwischen Oesterreich und Ungarn, wie sie vor dem Jahre 1848, ohne Schaden für Oesterreich und ohne Schädigung der Großmachtstellung der Monarchie, bestand, stets neue Vortheile für sich zu erringen wusste und trotzdem die wenigen für Oesterreich günstigen Vertragsbestimmungen in echt orientalischer Weise durch eigenmächtige administrative Maßregeln zunichte gemacht hat, – will und wird, bauend auf die Zerfahrenheit der österreichischen Verhältnisse, bauend auf das Zustandekommen eines Compromisses im österreichischen Reichsrath, der ja seit seinem Bestehen nichts anderes gethan hat, als sich zu compromittieren, – die bisher errungenen politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Vortheile nicht preisgeben; es wird auf der Aufrechterhaltung des Thun-Badenischen Ausgleichssubstrats, mittelst welcher es seine im Entstehen begriffene Industrie auf Kosten und Gefahr der österreichischen so weit kräftigen kann, daß sie im Stande ist, den eigenen Bedarf im Lande zu decken, bestehen, um dann nach Verlauf von zehn Jahren dem magyarischen Chauvinismus Rechnung zu tragen und die gänzliche Trennung von Oesterreich zu bewerkstelligen.
Es wird diese Trennung bewerkstelligen, obgleich selbst ungarische Patrioten sich der Einsicht nicht verschließen können, daß der letzte Tag der Zusammengehörigkeit Ungarns mit Oesterreich zugleich der letzte Tag des magyarischen Ungarn – das eine kleine Insel im slavischen Meere bildet – und seiner parlamentarischen Einrichtungen sein wird.
Dessenungeachtet werden von dem Ministerpräsidenten der diesseitigen Reichshälfte, Dr. von Koerber, geradezu übermenschliche, Körper und Geist aufreibende Anstrengungen gemacht, um wenigstens Scheinconcessionen zu erringen, die Ungarn nach wie vor zu umgehen und illusorisch zu machen wissen wird.
Gelingt es Dr. von Koerber, diesen dritten Ausgleich mit Ungarn mit Ach und Krach zustande zu bringen und damit Ungarn für weitere zehn Jahre die Macht und die Mittel zu bieten, den Tanzbären »Oesterreich« am Nasenring zu führen und nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, so wird doch dieses mühselig zustande gekommene Werk im Reichsrath zweifelsohne auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen; denn abgesehen von den zahlreichen politischen, nationalen und socialen Fractionen, die schon aus Parteirücksichten sich scheuen werden, einer Verlängerung der Capitulationsacte gegenüber Ungarn zuzustimmen, – werden die Czechen die günstige Gelegenheit nicht unbenützt vorübergehen lassen, um wie die Ungarn nach der Schlacht von Königgrätz, – wie die Galizianer beim zweiten Ausgleich mit Ungarn, nunmehr ihren Ausgleich zu erzwingen, dessen Zustandekommen selbstverständlich wieder die Deutschen bis auf das äußerste zu verhindern suchen werden. Allein, selbst wenn es dem Talent Koerbers gelingen sollte, einen Ausgleich zwischen Czechen und Deutschen und ein Compromiss mit den anderen Nationalitäten und politischen und socialen Fractionen zustande zu bringen und auf diese Weise den dritten Ausgleich mit Ungarn im Reichsrath durchzudrücken, also das Unmögliche möglich zu machen, – das infolge der Obstructionen an Miserere erkrankte, seit seiner Geburt lebensschwache Parlament wird er nicht retten, so sehr er sich auch bemüht, diese die Schamtheile des Absolutismus deckende Hülle zu erhalten.
Schon heute faseln ja die parlamentarischen Condottieri in ihren Blättern, daß ein parlamentarisches Regime wieder ins Leben gerufen und das Beamtenministerium gestürzt werden müsse. Diese Condottieri können die Zeit nicht mehr erwarten, daß ihnen wieder Ministergehalte und der Anspruch auf lebenslänglichen Bezug derselben in den von ihnen eigens zu diesem Zwecke geschaffenen Versorgungsanstalten (Reichsgericht, Verwaltungsgerichtshof u.s.w.) gesichert werden. Sie können es nicht erwarten, daß sie die Macht in die Hände bekommen, um ihrer Sippschaft, ihren Zutreibern zu fetten Sinecuren, zu Orden und Auszeichnungen zu verhelfen, wie sie es überall üben, wo sie die Macht hiezu besitzen.
Sie sind freigebig, diese Herren, über alle Maßen! Sie werden nicht nur die Zahl der Ressortminister, wie in verschiedenen Blättern angedeutet wurde, durch Creierung von Ministerien für Wasserstraßen, für freie Künste etc. vermehren, sondern auch den polnischen und czechischen Landsmannministern einen deutschen, slovenischen und italienischen Landsmannminister zugesellen. Sie werden die ihnen nachdrängenden Aspiranten auf Ministerposten einstweilen mit Sectionschefs- und Hofrathsposten befriedigen und für den parlamentarischen Tross durch Umwandlung der Diäten in nach oben abgerundete Besoldungen sorgen. Das alles werden sie thun, wenn sie zur Macht gelangen, denn es kostet ihnen ja nichts und geschieht ja nur für und durch das Volk, das in demselben Maße abmagert, als seine Führer fett werden.
Nicht um das Vaterland ist es diesen Strebern zu thun, sondern um ihr eigenes armseliges Ich! Nicht um das Wohl des Volkes, das zu vertreten sie vorgeben, sondern um ihren dreimal heiligen Gott, den Bauch, den sie allein verehren und anbeten! Und um dieses Cultus willen soll Oesterreich wieder mit einem parlamentarischen Regime beglückt werden, von welchem selbst die Führer der liberalen Partei in Deutschland erklären, daß es in Deutschland nie eingeführt und von der liberalen Partei nie angestrebt wurde, weil es in Deutschland unmöglich ist!
Das parlamentarische Regime ist nichts als eine vielköpfige Tyrannis und war in Oesterreich, so lange es bestand, eine ununterbrochene Reihe eben so unsinniger wie brutaler Gewaltthaten, die ein absolutes Regime zu vollbringen sich gescheut hätte.
Der österreichische Parlamentarismus ist aber an und für sich eine ungeheuere Lüge!
Der Reichsrath und die Landtage sind keine Volksvertretungen, denn sie repräsentieren nicht die Mehrheit des Volkes, sondern eine kleine Minorität desselben, da außer den aus den alten Ständeverfassungen in die Schmerling’sche Verfassung herübergenommenen privilegierten Ständen, welche einen bedeutenden, zumeist ausschlaggebenden Theil der gesetzgebenden Körper bilden, die Hälfte der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht aus dem Grunde keinen Gebrauch macht, weil sie das parlamentarische Getriebe anekelt! – Von der anderen, mit Hilfe bezahlter Zutreiber zur Wahl gepressten Hälfte wird zumeist der von dem parlamentarischen Condottiere bezeichnete Abgeordnete mit einer verschwindend kleinen Majorität gewählt und geriert sich dann als Vertrauensmann der gesammten Wählerschaft seines Wahlbezirkes, während er thatsächlich kaum von einem Viertel der Wählerschaft seines Bezirkes auf Befehl des Parteiführers mit dem Mandat als Abgeordneter betraut wurde. Von einer oft nur eine oder zwei Stimmen betragenden Majorität der auf solche Weise gewählten Abgeordneten werden dann Gesetze beschlossen, die als der Ausdruck des Willens der Mehrheit des Volkes erklärt werden! Die Minoritäten, welche aber thatsächlich siebenachtel der Bevölkerung repräsentieren, sind mundtodt und müssen schweigend von einer künstlich hergestellten, gefälschten Majorität in den gesetzgebenden Körpern auf sich herumtrampeln lassen.
Diese Vertretungen einer verschwindend kleinen Minorität des Volkes waren und sind außer Stande, eine ernste Controle der Regierung, durch welche man ihre Existenzberechtigung nachzuweisen sich bemüht, zu bilden, – sie sind bloß ein fadenscheiniges und zudem kostspieliges Feigenblatt des Absolutismus, der dadurch jeder Verantwortlichkeit enthoben wird. Ihre Thätigkeit äußert sich nur in einer sittlichen Corrumpierung des Volkes, das, wie der italienische Unterrichtsminister Bonghi sagt, immer mehr und mehr einem thatkräftigen Wirken entfremdet wird und einem sittlichen Nihilismus verfällt. Ihre Wirksamkeit äußert sich ferner nur in Zersetzung der Verwaltung und der Justiz, indem jeder einzelne Abgeordnete auf Hintertreppen für sich und seine Committenten Ausnahmen vom Gesetze und allerlei Vortheile und Benefizien auf Kosten der Allgemeinheit zu erhaschen sucht. Dieser gemeinschädlichen, unhaltbaren, widernatürlichen, innerlich verlogenen parlamentarischen Fiction muß ein Ende gemacht werden, bevor es zu spät ist, und ich hoffe, vertrauend auf den Genius Oesterreichs, daß man sich endlich zu einer männlichen That entschließen wird.
Oder man lasse nichts unversucht und rufe an Stelle der jetzigen marastischen Verfassung eine neue Verfassung mit einem Parlament in’s Leben, das auf dem allgemeinen Wahlrecht mit proportioneller Vertretung der Minoritäten basiert ist. Oesterreich, das die gewagtesten und lächerlichsten parlamentarischen Sprünge und Experimente seit 40 Jahren ertragen hat, ohne darüber zu Grunde zu gehen, wird auch diesen Versuch überleben!
Gelingt auch dieser Versuch nicht – wovon ich überzeugt bin –, dann ist der Beweis geliefert, daß der Parlamentarismus, der sich in allen festländischen Staaten überlebt hat, in Oesterreich mit seinen eigenthümlichen Verhältnissen überhaupt unmöglich ist!
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=