Startseite › Foren › Kulturgut › Print-Pop, Musikbücher und andere Literatur sowie Zeitschriften › Die Drucksachen › Lesefrüchte › Re: Lesefrüchte
Es ist eine alte Erfahrung, daß sich das ‚Deutsche Volksblatt‘ jüdischem Annoncenbedürfnis nicht unzugänglich erweist. Das antisemitische Programm wird hier auf die strenge Obsorge des Administrators reduciert, der darauf zu sehen hat, daß die etwa einlaufenden Dukaten nicht beschnitten sind. Immerhin konnte man bisher Herrn Vergani den Vorwurf der Inconsequenz nicht ersparen, wenn er in volkswirtschaftlichen Einschaltungen die Namen der Taussig, Bauer und Feilchenfeld von Rufzeichen unbehelligt ließ oder wenn er über dem Mahnworte: Kauft nur bei Christen! eine warme Empfehlung der neuesten Operette des Herrn Landesberg, ein begeistertes Lob Gabor Steiner’s placierte. Das soll nun offenbar anders werden. Jüdische Reclamen werden zwar durchaus nicht zurückgewiesen, aber mit einer antisemitischen Pointe versehen, die den rassenreinen Abonnenten über die Herkunft der jeweiligen Notiz täuscht und gegen die der Auftraggeber umsoweniger einzuwenden hat, als gerade durch die Vermischung eines Lobs der Ware mit einem Angriff auf den Händler der werthvolle Eindruck der Objectivität und unbefangenen Gerechtigkeit erzeugt wird. So las der Kenner am 28. December mit wachsender Heiterkeit den folgenden »Angriff«:
»[Ein neuer Staubreinigungsapparat]. Ein jüdischer Wiener Tapezierer, Siegmund J., befasst sich seit einiger Zeit mit der Einführung eines aus England kommenden neuerfundenen Staub-Exhaustors, über welchen die Judenpresse nicht genug Worte des Entzückens und der Reclame finden kann. Wir haben gestern Gelegenheit gehabt, den neuen Apparat, den der englische Erfinder ‚The Vacuum Cleaner‘ genannt hat, in den Ausstellungsräumen des Hagen-Bunds, wo die angeblich sensationelle Erfindung vor einem Kreise von Journalisten und Interessenten demonstriert wurde, in Thätigkeit zu sehen …«
Nun folgt wohl die Enthüllung »dieses neuesten Judenschwindels«? Man höre:
»Im Vestibul stand ein etwa mannshoher Kasten auf kleinen Rädern, von welchen Gummischläuche in die Ausstellungsräume gelegt waren. Am Ende des jeweilig benutzten Schlauchs ist ein mit einer schmalen und etwa 10 Centimeter langen Oeffnung versehenes metallenes Aufsatzrohr angebracht. Dieses wurde auf staubbedeckte Fauteuils, Teppiche und Kleider angesetzt und draußen im Vestibul die Luftpumpe mittelst eines elektrischen Motors in Thätigkeit gesetzt. Mit der von der Luftpumpe durch den Schlauch aufgesaugten und abgeführten Luft geht nun der Staub auf den betreffenden Gegenständen überall dort, wo man das Rohr ansetzt, mit, so daß die Gegenstände ohne Staubentwicklung nicht nur vom Staub selbst, sondern auch von den kleinen Thierchen, wie Flöhe und Wanzen, die sich etwa eingenistet, gereinigt werden. Wie intensiv der Staub abgeht, haben wir in einem Glasrohr gesehen, welches zwischen zwei Schläuchen eingeschraubt worden war. Man sieht da, wie die durchziehende graue Staubwolke continuierlich dichter wird, je mehr Staub auf dem betreffenden, zu reinigenden Möbelstück, Gobelins etc., ist. Jedenfalls haben die Juden alle Ursache, über diese Erfindung entzückt zu sein, denn bequemer als durch diesen Exhaustor können sie wohl die kleinen Thierchen in ihren Wohnungen und Kleidern nicht mehr los werden. Hoffentlich bringen sie den Apparat recht oft in Anwendung.«
Ob Herr Jaray die Notiz – für jedes Parteiblatt in entsprechender Adaptierung – selbst verfasst hat? Jedenfalls spricht sie in gleicher Weise für die Entwicklungsfähigkeit des Reclamewesens und – des Antisemitismus … Das Lob des jüdischen Wiener Kleiderhändlers R. ließe sich vielleicht auf die folgende Art den unentwegtesten Bekennern Gregorigs und Verehrern Vergani’scher Satire mundgerecht machen:
»[Ä großes Geschrei] wird jetzt in der Judenpresse mit dem neuesten Abonnementsystem des berühmten (?) Kleiderhauses R. (!) gemacht. Wir hatten Gelegenheit, uns von der Qualität der angeblich billigsten und dauerhaftesten Anzüge zu überzeugen. (Folgt Beschreibung) … Die Pantalons sind so gearbeitet, daß sie die ausgeprägtesten Säbelbeine verdecken, und die Façon der Saccos leidet nicht im geringsten unter der lebhaften Geberdensprache, die unsere geehrten Mitbürger mosaischer Confession nun einmal gewohnt sind. Diese hätten somit alle Ursache, über das neue Abonnement, das ihr Stammesgenosse R. eingeführt hat, entzückt zu sein. Aber natürlich werden sie von ihrer vortrefflichen (?) Eigenart nicht lassen können und versuchen, von dem ohnedies spottbilligen Preise noch etwas herunterzuhandeln.«
(Die Fackel: Nr. 126, 10.01.1903, S. 16-18)
--
"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=