Konzertimpressionen und -rezensionen

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  • #12075825  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

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    27. Mai 2023 – Konzerthaus Berlin

    RUNDFUNK-SINFONIEORCHESTER BERLIN (Aufz. des Konzerts am 11.06.23 20.00 Dlf Kultur)
    LAHAV SHANI Dirigent
    MARTIN FRÖST Klarinette

    György Ligeti – „Atmosphères“ für Orchester
    Aaron Copland – Konzert für Klarinette, Streicher, Harfe und Klavier

    Sergej Prokofjew – „Romeo und Julia“, Auszüge aus der Ballettmusik op. 64

    Gestern wieder ein Abokonzert des RSB. Die erste Hälfte fand ich großartig. Dass im Programm an Ligetis Geburtstag (28. Mai 1923) erinnert wurde, fand ich wirklich gut. Seit Jahresanfang laufen im Radio ab und an Specials, auch zu „Atmosphères“. Besonders eines auf BR Klassik, in welchem Tom Sora, Musiktheoretiker und Komponist, der zu den Klangflächen eine Arbeit verfasste, aber auch versuchte, Laien einen Einblick zu geben, bleibt mir da in Erinnerung.

    Danach folgte das Klarinettenkonzert von Copland mit Martin Fröst. Ich hörte es 2019 mal mit Sebastian Manz im Radio und erinnere noch, dass mich diese sehr ruhige/pastorale Stimmung am Anfang einnahm. Auch gestern fühlte ich mich gleich reingezogen… Martin Fröst kommunizierte dann besonders im 2. Satz stark mit seinen Partnern im Orchester und am Dirgierpult. Unter Lahav Shanis Händen klang das RSB gestern sehr klar.

    Das war auch der Grund, warum ich mich entschied, zur 2. Hälfte zu bleiben – mit den Auszügen aus Prokofjews Ballettmusik zu „Romeo und Julia“. Mit meiner Intuition, dass mir das zu lang werden würde, lag ich dann auch richtig. Wie viele andere Dirigenten bildete er ja eine Suite aus den Suiten. Er lag dann bei 45min… anfangs fand ich’s dann doch interessanter als gedacht, leider wurde es dann hinten raus etwas langatmig. Die Texte zu Prokofjew (Stimmung in Gesellschaft, seine Position, aber auch Zusammenarbeit mit Tänzer*innen, die sich nicht einfach gestaltete) im dig. Programmheft und auch in der abgespeckten Version, die vor Ort kostenfrei verteilt wird, fand ich allesamt interessant, so dass ich da nochmal in den Prokofjew-Büchern bei mir zu Hause nachlesen möchte.

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    #12075843  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Danke, das klingt sehr gut!

    Fröst habe ich Ende 2019 bei einer Kammermusik-Soirée der Tonhalle (die Reihe findet sonntags um 17 Uhr statt, damals noch in der Tonhalle-Maag, seither wieder in der Kleinen Tonhalle) – musste grad nachgucken, er spielte die erste Hälfte mit Roland Pöntinen am Klavier Französisches, nach der Pause mit dem Carillon Quartett, das aus Tonhalle-Musiker*innen besteht, Mozart … irgendwie hab ich an einige Konzerte, die in den Monaten vor dem ersten Lockdown stattfanden, wenig Erinnerung – als seien die Monate danach irgendwie überdeckt worden.

    Kleine Frage, da Du das nicht zum ersten Mal erwähnst: Gehst Du öfter in der Pause heim? Ich gehöre zu denen, die auch einen schlechten Film fast nicht vorzeitig abbrechen können – und bleibe bei Konzerten immer bis zum Schluss (okay, bei Jazzkonzerten mal gegen Ende des zweiten Sets raus, um noch eine Tram/Bahn zu erwischen kommt vor). Fällt mir irgendwie schwer nachzuvollziehen, dass die Neugierde nicht überwiegt, drum meine Frage: ist es Müdigkeit, sind es die Umstände, liegt es am Repertoire (dafür gehe ich noch nicht lang genug ins klassische Konzert, als dass sich da so starke Ermüdungserscheinungen eingestellt hätten … und das Konzert mit Faust/Herreweghe neulich war eine tolle Erinnerung daran, dass auch das klassischste Standardrepertoire mich immer noch völlig flashen kann, wenn’s so knallt wie an dem Abend).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12075847  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

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    Zum Thema verfrühter Konzertabgang (Klassik) : bei mir möglich falls entweder das Programm nach der Pause nicht interessiert oder (selten aber doch) vom Erlebnis her die Eindrücke des 1sten Programmteiles nicht zu toppen scheinen/verwässert werden sollen ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12075877  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Danke – kann ich nachvollziehen. Aber um bei Faust/Herreweghe neulich zu bleiben: da hätte ich wegen zweiterem (Verwässern) gehen müssen … um dann einen zweiten Teil zu verpassen, der genau so gut war. Da finde ich dann halt die Pause schon ganz Hilfreich. Meist bleibe ich dabei auch einfach sitzen und warte (oder stelle mich im Konzertsaal in eine stille Ecke) … ins Getümmel mag ich eh nicht, mir ja an sich das enge Sitzen schon ein Gräuel, aber für die immer wieder umwerfenden Erlebnisse halt eine Notwendigkeit ;-)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12075887  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

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    Solche Entscheidungen sind natürlich subjektiv …. ergo potentiell mit unterschiedlichen Folgen …. aber ich mache das nach dem Motto „don’t look back“ 😎….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12075895  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    soulpope
    Solche Entscheidungen sind natürlich subjektiv …. ergo potentiell mit unterschiedlichen Folgen …. aber ich mache das nach dem Motto „don’t look back“ 😎….

    Klar, geht ja (beides!) nicht anders – „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ :-)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12075911  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    gypsy-tail-wind

    soulpope Solche Entscheidungen sind natürlich subjektiv …. ergo potentiell mit unterschiedlichen Folgen …. aber ich mache das nach dem Motto „don’t look back“ 😎….

    Klar, geht ja (beides!) nicht anders – „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“

    :yes: :yes: ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12075917  | PERMALINK

    yaiza

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    gypsy-tail-wind… sind es die Umstände, liegt es am Repertoire

    ich denke, bei mir war es in diesem Jahr eine Mischung aus beidem. Ich kann’s insgesamt auch noch an einer Hand abzählen, aber es ist durchaus möglich, dass ich mir weiterhin immer mal die Freiheit nehme. Müdigkeit ist auf keinen Fall der Grund. Mit einem sterbenden Familienmitglied ging ich durch eine nervlich anstrengende Zeit. Beim Konzerthausorchester/Lintu blieb ich z.B. bis zum Schluss, Scriabins „Poème de l’Extase“ war mir dann zuviel; ähnlich KHO/Elim Chan – da blieb ich nur bis zum Schumann KK mit Francesco Piemontesi (das ich unbedingt hören wollte), auf Rimski-Korsakows „Sheherazade“ verzichtete ich für mich. Bei RSB/Jurowski Shostakovich 4 fand ich’s selbst schade, aber ich wusste, dass mir das Lärmende zu diesem Zeitpunkt nicht gut tun würde.

    Auch unabhängig von so anstrengenden Umständen, bin ich schonmal eher gegangen, einfach, weil mir die erste Hälfte genügte. Kurz vor der Pandemie beim Mandelring-Quartett auch direkt nach Bartók 3, da ich das Erlebnis so wie es war, im Ohr behalten wollte. Später als es dann länger keine Konzerte gab, musste ich schon darüber lächeln… stand aber weiter zu meiner Entscheidung.
    An sich ist das eine interessante Diskussion, z.B. auch unter Konzertgängern oder unter Radiomoderatoren (im rbb war das schon Schwerpunkt von Sendungen) … Gründe gibt’s ja viele (vor allem auch persönliche).

    --

    #12075921  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

    Beiträge: 5,405

    soulpopeZum Thema verfrühter Konzertabgang (Klassik) : bei mir möglich falls entweder das Programm nach der Pause nicht interessiert oder (selten aber doch) vom Erlebnis her die Eindrücke des 1sten Programmteiles nicht zu toppen scheinen/verwässert werden sollen ….

    jetzt erst gelesen — gut zusammengefasst, soulpope

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    #12075931  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    Danke – kann ich alles nachvollziehen. Ich bin da wohl auch bei widrigen Umständen anders gewickelt, drum wollte ich mal nachfragen.
    Und ich hoffe, Du hast inzwischen wieder ruhigere/bessere Zeiten!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12075935  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaiza

    soulpopeZum Thema verfrühter Konzertabgang (Klassik) : bei mir möglich falls entweder das Programm nach der Pause nicht interessiert oder (selten aber doch) vom Erlebnis her die Eindrücke des 1sten Programmteiles nicht zu toppen scheinen/verwässert werden sollen ….

    jetzt erst gelesen — gut zusammengefasst, soulpope

    :bye: ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12075967  | PERMALINK

    yaiza

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    gypsy-tail-wind
    Und ich hoffe, Du hast inzwischen wieder ruhigere/bessere Zeiten!

    Vielen Dank… und ja, es geht wieder aufwärts.

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    #12080803  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 02.06.2023

    Lessons in Love and Violence
    George Benjamin
    (*1960)
    Oper in zwei Teilen, Text von Martin Crimp
    Schweizer Erstaufführung

    Musikalische Leitung Ilan Volkov
    Inszenierung Evgeny Titov
    Bühnenbild Rufus Didwiszus
    Kostüme Falk Bauer
    Lichtgestaltung Martin Gebhardt
    Video Tieni Burkhalter
    Dramaturgie Claus Spahn

    König Edward II Lauri Vasar
    Isabel Jeanine De Bique
    Gaveston/Fremdling Björn Bürger
    Mortimer Mark Milhofer
    Junge, späterer König Edward III Sunnyboy Dladla
    Mädchen Nini Vlatković
    Zeuge 1 / Sängerin 1 / Frau 1 Isabelle Haile
    Zeuge 2 / Sängerin 2 / Frau 2 Josy Santos
    Zeuge 3 / Irrer Andrew Moore

    Philharmonia Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Was für eine phantastische Oper! In vielerlei Hinsicht genau das richtige Werk für unsere Tage. Blutrünstig zwar, dunkel und abgründig – doch eigentlich ein Stück über die Liebe. Oder: über die verlorene, die fehlende, die undenkbare, die abhandengekommene, die unmögliche Liebe. Und das – die verloren gegangene Liebe – scheint mir das grosse Problem unserer Zeit zu sein. Profit wird höher gewichtet als Menschenleben, die Staatsräson weicht die Staatlichkeit auf, es mangelt an Respekt, an Einsichtsvermögen und an so vielem mehr, vor allem an: Liebe. Das mag jetzt pathetisch gesprochen sein, vielleicht umso mehr, als es natürlich auch metaphorisch gesprochen ist: Wir finden es völlig in Ordnung, dass täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, so lange wir uns nur an der Mär der Besitzstandswahrung festklammern können. Wir empfinden es als Zumutung, als Vergreifen am heiligen Eigentum, wenn uns angesichts der drohenden Klimakatastrophe Vorschriften gemacht werden, gar Verzicht zum Thema wird. Wir eiern blind und wider besseres Wissen durch einen seit über drei Jahren anhaltenden „mass disabling event“ – und halten uns dabei auch noch für gute, soziale Menschen.

    Teil 1: Die Liebe in Crimps Bearbeitung der Marlowe-Vorlage ist die des Königs zu seinem Liebhaber Gaveston (Szene 1). Der zu Beginn rational wirkende Mortimer, der sich im Schoss der Königin vergnügt, wird vom König auf Bitte Gavestons zum Nichts degradiert, verbannt. Während der König die Regierungsgeschäfte vernachlässigt und im Land Elend herrscht, kehrt Mortimer mit „Zeugen“ zur Königin zurück, die über die Zustände im Land berichten (Szene 2). Theater im Theater: Gaveston und der König warten auf die Aufführung, der König bittet Gaveston, ihm aus der Hand zu lesen: „…where is my brother Gaveston?“ – „You know where I am: inside your life. I’ve no life out of it. I live where you are looking: in the palm of your hand.“ Die Aufführung beginnt: Davids Klagelied auf Jonathan. Gaveston wird von Mortimer abgeführt (Szene 3). König und Königin schlaflos im Bett – warum er einen Menschen liebe, den alle Welt hasst: „Because he loved me more than all the world.“ (Szene 4).

    Teil 2 (nach jeder Szene Vorhang, an dieser Stelle eine oder zwei Minuten Unterbruch, ohne dass das Licht angegangen ist): Nachdem der König sich als unrettbar entpuppt hat, schmieden Isabel und Mortimer neue Pläne. Der Sohn soll auf den Thron, doch erst muss er sich beweisen: ein Verrückter wird hereingeführt, dessen Katze ihm mitgeteilt habe, dass er König sei. Der Sohn will ihn – weil verrückt – nicht aburteilen, Mortimer erwürgt ihn, Isabel zwingt Edward III, zuzuschauen (Szene 5). Der König im Gefängnis, Mortimer besucht ihn, um die Krone zu holen. Ein Fremder erscheint, der König erkennt ihn als Gaveston; „how will I die?“ – der Fremde liest dem König aus der Hand. „But how will die? … I said how will I die? … I said tell me – tell me – how am I going to die?“ – „How? Don’t you see: the thread is already broken. You are already dead.“ – „No. Why do I feel nothing?“ – „The dead can’t feel.“ (Szene 6). Isabel wird vom neuen König zu einer Theateraufführung gebeten. Gespielt werde ein Stück über eine Frau und einen Mann, die einen König ermordet und das Kind der Frau auf den Thron gesetzt hätten: „where is Mortimer?“ – „but from under the earth echoes and and echoes out of the king is father’s agony. The child learns and offers dead man Mortimer no mercy.“ – „I said to you where is Mortimer?“ – diesem werde sein Verbrechen in den Körper geritzt, und nachdem gelesen habe, würden ihm die Augen ausgestochen: „With a scene then of a human being broken and broken by the rational application of human justice our entertainment begins.“ (Szene 7 – das die Schlussworte).

    Als Bühne gab es den auf den Fotos sichtbaren Raum mit den grünen psychedelischen Mustern, nicht als Innen- oder Aussenraum erkennbar, als Requisiten ein Bett (Szenen 1 und 4), ein Tisch mit Stühlen für die Königin und ihre beiden Kinder (Szene 2 – die Tochter bleibt stumm) sowie eine bis drei Theatertribünen (Szenen 3 und 5-7). Alles sehr einfach gehalten und vollkommen stringent aufgeführt. Wie in einem Brennglas wird alles gebündelt: Plot und Musik finden perfekt zusammen, die Musik bleibt dabei konventionellen Spieltechniken verhaftet, doch aus dem Gaben kam eine solche Menge an raffinierten Klängen und Einfällen, dass das wenigstens so betörend wirkte wie die grüne Bühne. Das Orchester spielte in grosser Besetzung auf: die Bässe konnte ich nicht alle sehen, aber sonst gab es bei den Streichern 10-8-8-8. Ich tippe auf 6 Bässe, dazu bis zu vier Bläser pro Instrument – bei den Klarinetten z.B. auch Alt- und Bassklarinette, am dritten Fagott auch Kontrafagott usw.), eine ganze Batterie an Schlagwerk, zwei Harfen, ein Cimbalom und eine Celesta.

    Das ist obsessive Musik, deren Sog man sich nur schwer entziehen kann – dabei kommt sie ohne untergründiges Murmeln aus, ist immer transparent und durchhörbar – und wie Volkov im Gespräch im Programmheft meint wohl an Debussy geschult. Da wird raffiniert geschichtet, kleinste Motive und Bewegungen werden hörbar. Tutti gibt es nur wenige, das Orchester übernimmt aber mit kurzen Zwischenspielen zwischen den Szenen selbst fast eine Rolle als Akteur ein. Das Ensemble überzeugte mich ebenfalls völlig. Statt weniger Rollen und eines Chores wie bei Benjamins früheren Opern gibt es ein paar Rollen mehr und einen stummen Chor, aus dem die drei Zeugen und zwei Frauen sich herauslösen – vielleicht im Gegenzug bleibt die Königstochter deshalb stumm? Die Besetzung war perfekt, und dass so viele PoC im Cast zu finden waren, ist natürlich in Sachen „Oper der Stunde“ direkt noch ein grosser Pluspunkt. Bereits gehört habe ich soweit ich es rekonstruieren kann bisher nur Vasar (als Amfortas in „Parsifal“) und Bürger (als Frédéric in der „Lakmé“ im April) – wie De Bique, Milhofer, Dladla wussten sie zu überzeugen. Und auch die drei kleineren Rollen waren hervorragend besetz – De Bique, Haile, Santos und Vlatkovic gaben ihre Hausdebüts.

    Um zu meinen einleitenden Worten zurückzukommen: Da gibt es einen tragischen König, der seiner Welt so ungeschützt begegnet, dass er gar nicht in der Lage scheint, seine Rolle auszufüllen. Mortimer, der Gegenspieler, wirkt zunächst als eine Art rationaler Gegenpart – er kämpft gegen das Dekadente des Königs. Und gegen die Liebe. Das Stück beginnt mit seinen Sätzen: „It’s nothing to do with loving a man. It’s love full stop that is poison.“ Im Lauf des Stückes wird er von der „korrekte[n] konservative[n] Person“ zu einem „Maniac, ja zu einem Faschisten“ (Benjamin im Programmheft). Passend dazu Titov (im gleichen Gespräch wie Volkov, Dramaturg Claus Spahn sprach mit ihnen gemeinsam): „Die Materie, die behandelt wird, ist tief und existenziell. Ich möchte, dass sich das auch im Raum spiegelt. Er sollte die Offenheit haben, Unerklärliches und Nichtfassbares zu beherbergen. Und er muss die richtige Temperatur haben. – [Spahn:] Was ist die richtige Temperatur? – Glühend heiss und frostig kalt.“ Und das ist in meinen Augen und Ohren perfekt gelungen. Ein grossartiger Abend, von A bis Z überzeugend, und am Ende überwältigend gut.

    (Auf den Fotos von links: Mädchen, Zeugin 1 oder 2, Edward III, Mortimer, Edward II, [Dirigent Volkov,] Isabel, Gaveston, Zeugin 2 oder 1, Zeuge 3/Verrückter.)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12080925  | PERMALINK

    soulpope
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    Beiträge: 56,400

    @ „gypsy“ : komplettes Neuland für mich, danke für die Einblicke ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12080999  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Für mich auch! „Written on Skin“ hab ich irgendwo auf DVD (ungesehen, wie fast alle Oper-DVDs, kaufe drum auch keine mehr), sonst nur ein paar kleine Solo-Stücke (Marino Formenti auf seiner CD „Notturni ‚… was sie die Welt nannten…'“ und Carolin Widmann auf ihrem ECM-Album von neulich). Hab mir angewöhnt, die eine zeitgenössische Oper pro Saison einfach anzuschauen – es gäbe ja ordentlich viel davon, aber aufgeführt wird wenig, das Publikum ist meist auch eher spärlich (Lachenmann oder Holliger waren da wenig überraschend Ausnahmen … und Kurtág in Mailand war natürlich auch bestens besucht – aber die Pandemie und/oder Pereira scheinen die zeitgenössische Oper in Mailand, die dort zum Saisonende im Herbst gespielt wurde, gekappt zu haben). Kommende Saison gibt es hier „Amerika“ von Haubenstock-Ramati, darauf freue ich mich schon :-)

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