Konzertimpressionen und -rezensionen

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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    yaizaensemble unitedberlin – Weihnachtslieder des 21. Jahrhunderts 7.12.2019, Konzerthaus Berlin, Werner-Otto-Saal Ich war bisher schon öfters mal bei Veranstaltungen des ensemble unitedberlin. Das Ensemble widmet sich mit großer Hingabe der Neuen Musik, zuletzt spielten sie das Fagottkonzert und ‚Concordanza‘ von Gubaidulina sowie ‚Melodien‘ von Ligeti. Für den gestrigen Abend waren moderne Weihnachtslieder angekündigt. Zu erleben war ein ganz wundervoller Abend mit Bariton: Dietrich Henschel Er hatte Aufträge an 12 Komponisten vergeben, die das Weihnachtsfest ganz unterschiedlich beleuchteten. Ob nun nostalgisch, kritisch, satirisch, sakral – für Abwechslung war gesorgt. Es begann ganz zart melodiös mit einer Violine à la Korngold, dann kamen immer mehr Instrumente dazu und wurde immer experimenteller, sehr schön aufgebaut… Dirigiert wurde das ganze von Vladimir Jurowski. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm und war eine tolle Überraschung, ihn in kleinerem Rahmen (ca. 200 Zuhörer) zu erleben und passiert wohl auch nicht mehr allzu oft. Das lag womöglich auch daran, dass es sich um die Uraufführung der Lieder handelte und er, wie ich erst im Nachhinein las, das Projekt zusammen mit Henschel konzipierte. Der Zyklus wird noch einmal unter anderer Leitung in der Tonhalle Düsseldorf aufgeführt. Komponiert wurden die Lieder von: Karim Al-Zand, Detlev Glanert, Vannessa Lann, Jobst Liebrecht, Jamie Man, Matan Porat, Olga Rayeva, Michèle Reverdy, José-Maria Sanchez-Verdú, Annette Schlünz, Manfred Trojahn und Arno Waschk

    Klingt spannend …. und Henschel ist schon sehr klass ….

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 02.12.2019

    Cappella Gabetta
    Andrés Gabetta
    Leitung und Violine
    Sergei Nakariakov Trompete und Flügelhorn

    Henry Purcell Curtain Tune on a Ground, aus „Timon of Athens“ (1695)
    Antonio Vivaldi „Le quattro stagioni“, Violinkonzerte op. 8 Nr. 1-4: La primavera (RV 269), L’estate (RV 315)
    Johann Baptist Georg Neruda Trompetenkonzert Es-Dur

    Lorenzo Gaetano Zavateri Concerto D-Dur op. 1 Nr. 10 „Pastorale“
    Antonio Vivaldi „Le quattro stagioni“, Violinkonzerte op. 8 Nr. 1-4: L’autunno (RV 293), L’inverno (RV 2979)
    Johann Sebastian Bach Air aus der Ouvertüre Nr. 3 D-Dur BWV 1068
    Antonio Vivaldi Cellokonzert c-Moll RV 401 (Bearbeitung für Trompete)

    Auch die letzten Tage waren wieder reich an Musik, es gab Barockes, Klassisches und Musik aus dem 20. Jahrhundert. Los ging es am Montagabend. Es war der sechste Abend mit Live-Musik in Folge – klick und klick – ein zugegeben beklopptes Tempo, aber auch wunderbar, keine Frage!

    Die Capella Gabetta, einst von Andrés und seiner Schwester Sol gegründet und längst von Andrés geführt, hörte ich vor exakt zwei Jahren schon einmal – und war damals vom Ensemble nicht sehr angetan, es gab immer wieder Intonationsprobleme. Nichts davon dieses Mal. Es wurde gewissenhaft nachgestimmt, wann immer das nötig war. Dass die Jahreszeiten von Vivaldi den Hauptteil ausmachen sollten, war mir erst ein paar Tage davor bewusst geworden, als das Programmheft in der Post lag. Sie wären auch im Rahmen der vier Jubiläumskonzerte von La Scintilla, dem Alte-Musik-Ensemble der Zürcher Oper, mit Riccardo Minasi in der Saison 2018/19 auf dem Programm gestanden, doch das war das eine der Konzerte, das ich ausgelassen hatte. Minasi ist sicherlich ein charismatischerer, „heisserer“ Solist als Gabetta, doch dieser passte meines Erachtens gerade weil er sich fast mehr auf das Ensemble denn auf seinen grossen Solo-Auftritt konzentrierte, sehr, sehr gut. Sein Ton rauh und kratzig im einen Moment, Augenblicke später glänzend, auftrumpfend, singend. Sehr agil wirkte das alles, so war es schon mit dem mündlich angekündigten „Curtain“ von Purcell losgegangen – eine Programmänderung, die ich ein wenig bedauerte, denn angekündigt war Evaristo Felice Dall’Abacos Concerto a più istrumenti D-Dur op. 5 Nr. 6 – und Dall’Abaco hört man nun wahrlich nicht täglich im Konzert. Aber sei’s drum, der Abend wurde dadurch auch etwas kürzer, was meiner akkumulierten Müdigkeit entgegenkam.

    Direkt vor der Pause hatte der russische Trompeter Sergei Nakariakov, der als Headliner des Konzertes angekündigt war, das Teil der „Neuen Konzertreihe Zürich“ war. Im Trompetenkonzert E-sDur von Neruda spielte er eine glänzende Trompete, später bei Bach und der Adaption des Cellokonzerts c-Moll (RV 401) von Vivaldi ein Flügelhorn mit unglaublich warmem Ton – moderne Instrumente wohlgemerkt (beim letzten Konzert der Capella Gabetta kam eine alte Trompete zum Einsatz). Ein brillianter Musiker, zweifellos, aber einmal mehr dünkten mich – wie das öfter mal der Fall ist – die Solopassagen für die Trompete oft etwas gar nett, fast ans Harmlose grenzend. Woran dieses Empfinden liegt, ist mir nicht ganz klar, ich mag es nicht fehlenden Schattierungen in den Interpretationen anlasten – eher mag es daran liegen, dass mein Ohr da nicht sehr fein abgestimmt ist, obwohl ich ja selbst einst ein Blasinstrument spielte (allerdings nie in einem Orchester). Aber gut, Nakariakov war super – und ich sehe, dass er auf den Live-Aufnahmen vom ersten Klavierkonzert Schostakowitschs von Martha Argerich (sowohl aus Lugano wie jüngst aus Hamburg) den Trompetenpart spielt, da hole ich gleich etwas hervor für ein baldiges Nachhören. Vor der zweiten Hälfte der Jahreszeiten und dem Abschluss mit Nakariakov, der mit Bach ganz wunderbar begonnen hatte – definitiv die zwingendste, folgerichtigste Musik des Abends – gab es zum Auftakt noch ein Konzert für zwei Violinen von Zavateri, für das Francesco Coletti, der Stimmführer der zweiten Geigen, nach vorn trat. Das war für mich vielleicht der schönste Teil des Programmes, weil abseits der ausgetretenen Pfade (was für Neruda gleichermassen gilt, klar, aber eben: etwas gar nett).

    Ein überraschend rundes, gelungenes Konzert, alles in allem, auf das ich in dieser Güte gar nicht vorbereitet war – schön!

    Zürich, Tonhalle-Maag – 04.12.2019

    Berliner Barock Solisten
    Willi Zimmermann
    Violine und Leitung
    Julia Fischer Violine
    Nils Mönkemeyer Viola

    Carl Philipp Emanuel Bach
    Sinfonie Es-Dur Wq 179 H. 654
    Cellokonzert a-Moll Wq 170 H. 432 (Bearbeitung für Viola)

    Wolfgang Amadeus Mozart
    Adagio und Fuge c-Moll KV 546 für Streicher
    Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 für Violine, Viola und Orchester
    E: Adagio, aus Duo G-Dur KV 423 für Violine und Viola

    Die Woche war also schon einmal gut gestartet, zwei Tage später, inzwischen wieder einigermassen ausgeschlafen, hörte ich das erste von zwei Konzerten diese Woche mit Willi Zimmermann als Konzertmeister. Er amtiert als solcher beim Zürcher Kammerorchester (s.u.), aber auch bei den Berliner Barock Solisten, einem Ensemble aus MusikerInnen, die 1995 von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker gegründet wurden und seither historisch informiert aber auf modernen Instrumenten Musik des Barocks – und offensichtlich der Klassik – spielen. Das Ensemble war erstmals zu Gast in der Tonhalle und brachte mit Julia Fischer und Nils Mönkemeyer zwei Solisten mit, die ich unbedingt hören musste. Bei Fischer hatte ich ja schon mehrfach die Gelegenheit, Mönkemeyer habe ich bisher verpasst (er war schon zweimal mit dem Julia Fischer Quartett hier, und auch als Solist mit dem Tonhalle-Orchester sowie bei einem weiteren Kammermusikprogramm – das alles fand aber entweder statt, bevor ich anfing, in klassische Konzerte zu gehen oder aber bevor Mönkemeyers Name mir vertraut wurde, was leider noch gar nicht lange her ist).

    Um es vorwegzunehmen: ein phantastisches Konzert! Los ging es mit Bach (dem Bach, den man damals eben meinte, wenn man „Bach“ sagte), zuerst eine Symphonie, dann das Cellokonzert Wq 1970/H. 432 in einer Bearbeitung für Viola solo. Und schon dieser erste Konzertteil war hervorragend, das Orchester spielte mit beeindruckender Präzision und dabei doch grösster Lebendigkeit. Das Cellokonzert (das CPE Bach auch jeweils für Cembalo und Flöte eingerichtet hat) bot dann Mönkemeyer die Gelegenheit, zu glänzen. Nicht mit dem schimmernden, beweglichen Ton der Violine, nein mit dem dunkleren Timbre seiner Bratsche, das wunderbar voll und warm klingt. Dass er dabei öfter mit dem ersten Cello in einen Dialog trat, passte natürlich sehr gut. Ich zog gerade die Einspielung der Cellokonzerte CPE Bachs hervor, die letztes Jahr bei Harmonia Mundi erschein (Queyras mit dem Ensemble Resonanz unter Riccardo Minasi) – sie überzeugte mich damals nicht so recht, aber vielleicht finde ich ja jetzt einen besseren Zugang.

    Nach der Pause folgte die Fuge mit eröffnendem Adagio KV 546 von Mozart, ein beeindruckendes Stück in einer guten Aufführung, der die nötige Getriebenheit innewohnte (auch wenn ich das Ding lieber in kleinerer Besetzung, gerne im Streichquartett, höre) – gefiel mir in der Aufführung der Berliner wohl nochmal eine Spur besser als mit dem ZKO, das es bei seiner Saisoneröffnung spielte. Dann folgte das erwartete, jedenfalls erhoffte Highlight, Mozarts Sinfonia concertante für Violine und Bratsche KV 364, die ich noch nie live hören konnte. Julia Fischer und Mönkemeyer waren buchstäblich ein Herz und eine Seele, perfekt aufeinander abgestimmt auch wenn ein Accelerando oder ein Ritardando angesagt war. Ebenso perfekt das Zusammenspiel mit dem Orchester, mit dem die zwei Solostimmen ja immer wieder verschmelzen, um dann wieder aus dem Ensemble emporzusteigen. Dass – zum Glück inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit – im Stehen gespielt wurde (die Celli natürlich nicht, aber die sassen dafür etwas erhöht) machte das ganze noch etwas lebendiger, den Austausch zwischen Solisten und Ensemble noch dichter. Das Orchester klang auch hier bezaubernd – ein satter, warmer, aber doch total transparenter, gradliniger Klang, da und dort ein wenig Vibrato, stets mit grösster Geschmackssicherheit eingesetzt.

    Eine Zugabe musste dann natürlich auch noch her, die Wahl fiel auf das Adagio aus dem Duo G-Dur KV 423 von Mozart, das Fischer/Mönkemeyer auch bereits für Mönkemeyers schöne CD „Mozart with Friends“ (Kammermusik mit dem Pianisten William Youn sowie Fischer und der Klarinettistin Sabine Meyer) eingespielt haben. Ein wunderbares Konzert!

    Zürich, Tonhalle-Maag – 06.12.2019

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Joshua Weilerstein
    Leitung
    Alisa Weilerstein Violoncello

    Benjamin Britten Sinfonie op. 68 für Violoncello und Orchester

    Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 11 g-Moll op. 103 „Das Jahr 1905“

    Weiter ging es am Freitag mit einem ganz anderen Programm, für das der Saal sich leider deutlich weniger gut füllte – aber das war zu erwarten, sowohl was das Programm wie die zwei Gäste angeht. Die Cellistin Alisa Weilerstein hat zwar inzwischen einiges Aufsehen erregt mit ihren Aufnahmen der Cellokonzerte von Elgar und Elliot Carter (mit Barenboim) sowie Dvorák (mit Belohlávek) und einem Solo-Album (u.a. Kodály und Golijov), doch weder sie noch ihr Bruder Joshua dürften hierzulande weitherum bekannt sein, und wenn Britten und Schostakowitsch gespielt werden, statt Brahms und Beethoven oder besinnlicher Weinhachtsmusik, kommt das wohl auch nicht gerade besser an. Schade, denn das Konzert hatte es in sich!

    Brittens Symphonie für Cello und Orchester entstand in den frühen Sechzigern auf Anregung von Mstislav Rostropovich hin, der sie im März 1964 auch uraufführte und schon nach einer ersten Durchsicht des Kopfsatzes gesagt haben soll, das Werk sei „das Beste, was je für Cello komponiert wurde“. Weilerstein, die 2010 mit Pintschers „Reflections on Narcissus“ beim Tonhalle-Orchester debütiert hat und zuletzte 2014 zu Besuch war (ich habe sie zum ersten Mal im Konzert gehört), machte sich jedenfalls zur überzeugenden Anwältin des ordentlich sperrigen, ziemlich düsteren, mir davor völlig unbekannten Werkes (Einspielungen mit Rostropovich/Britten und Isserlis/Hickox sind da, aber wie überhaupt mit den Briten – Vaughan Williams, Elgar, Holst, Walton – bin ich auch mit Britten noch nicht sehr vertraut). Das Zusammenspiel von Orchester und Solostimme überzeugte mich, neben düstern und gespenstischen Momenten gibt es auch Aufhellungen, aber auch eine Ausweglosigkeit, die im letzten Satz teilweise aufgehoben, aufgelöst wird – aber nicht ohne dass davor im elegischen Adagio und der folgenden impulsiven Kadenz (begleitet von der Pauke) eine Leere präsentiert wird, die gleichermassen verdichtet wird. Der Schlusssatz in Form einer Passacaglia mit Variationen sorgt für einen möglicherweise versöhnlichen, jedenfalls etwas wärmeren Ausklang. Weilerstein wurde zu recht bejubelt und spielte dann noch eine kurze Zugabe, die vermutlich einer von Bachs Cello-Suiten entnommen war.

    Nach der Pause folgte Schostakowitschs elfte Symphonie, lang und wuchtig, aufbrausend immer wieder, vielleicht manchmal nicht genügend differenziert dargeboten. Joshua Weilerstein, der im Juni bei Konzerten mit Igudesmann & Joo beim Orchester debütiert hatte, wandte sich übrigens nach der Pause ans Publikum und sprach ein paar Sätze zum Werk und seiner Sichtweise – sehr sympathisch. Er dirigierte viel aktiver als davor bei Britten, wo es seine Schwester war, die den Gang des Stückes bestimmte und oft auch zu führen schien – und das ganz ohne verschwesternde Blicke ins Orchester. Joshua Weilerstein ist Jahrgang 1987 und leitet derzeit das Orchestre de Chambre de Lausanne. Er wirkt auf dem Podium eher noch jünger, scheint aber doch ziemlich genau zu wissen, wo es lang gehen soll. Die Kritik in der NZZ (seit gestern früh online, vermutlich morgen im Print) mag ich nicht teilen, dass es viel zu laut und undifferenziert war – es war laut, ja, aber es gab doch einen kontinuierlichen Steigerungslauf, in dem der dritte Satz mit seiner wunderbaren Bratschen-Klage vorübergehend etwas Entspannung bot – allerdings wie bei Britten auch hier eine Entspannung in der Leere, eine Klage des Verlusts, tieftraurig und erschütternd. Erst im letzten Satz wendet auch dieses Werk, viel deutlicher als bei Britten noch, heroisch geradezu, ein Freiheitslied als Basis verwendend.

    Hier die erwähnte Rezension, etwas oberflächlich-schwatzhaft mal wieder:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/tonhalle-konzert-joshua-weilerstein-mit-schostakowitsch-eine-stunde-sturmgelaeut-macht-noch-keine-revolution-ld.1526968

    Zürich, Tonhalle-Maag – 07.12.2019

    Zürcher Kammerorchester
    Sir Roger Norrington
    Ehrendirigent

    Joseph Haydn
    Sinfonie c-Moll Hob. I:95
    Streichquartett D-Dur op. 64 Nr. 5 Hob. III:63 „Lerchenquartett“

    Sinfonie B-Dur Hob. I:92 „Oxford“

    Gestern ging es schon wieder ins Konzert, und zwar mit dem Zürcher Kammerorchester, das unter Roger Norrington, seinem einstigen Chef- und heutigen Ehrendirigenten, ein reines Haydn-Programm bot. Zwei Symphonien waren angekündigt, wobei statt Nr. 98 am Ende Nr. 92 gespielt wurde. Den Auftakt machte Nr. 95, danach erklang das „Lerchen“-Quartett mit Konzertmeister Willi Zimmermann an der ersten Geige. Daria Zappa Matesic, Stimmführerin der zweiten Geige, Ryszard Gorblewski und Nicola Mosca, die Stimmführer der Bratschen und Celli vervollständigten das Quartett. Dass die vier zwischendurch mal noch rasch ein Streichquartett auf so hohem Niveau raushauen, war beeindruckend.

    Norrington liess in den Symphonien nach jedem Satz applaudieren und meinte nach der Pause, als er ein paar Sätze sagte, dass dies zu Haydns Zeiten sowieso, aber noch bis hinein in die 1910er Jahre durchaus üblich gewesen wäre. Er sagte auch ein paar Sätze zu Haydn, erwähnte, dass dessen Musik viel leichter klinge, als sie zu spielen sei, und lobte das ZKO als ein ganz hervorragendes Orchester. Dass dieses sehr gerne mit Norrington auftritt, konnte ich vor knapp zwei Jahren schon einmal bei einem Konzert mit Isabelle Faust und Musik von Schumann und Schubert erleben).

    Norrington ist 85 Jahre alt, er war erkältet, seine Anreise unter den Umständen wohl beschwerlich, sein Gang auf die Bühne auch ziemlich schwer, dass er im Sitzen dirigierte, hatte ich erwartet, doch das schränkte ihn nicht ein. Und den Schalk hat er noch immer, hie und da blickte er ins Publikum, sichtlich erfreut über das, was er da gerade (mit)veranstaltete. Das ZKO spielte schnörkellos – und es muss den Vergleich mit den Berliner Barock Solisten überhaupt nicht scheuen. Der Klang mag etwas weniger satt und rund sein, dafür wirkt es lebendiger, bietet aber dieselbe durchsichtige Klarheit, die Haydns Musik so dringend braucht.

    Dass vor der Pause ein Quartett erklang, so Norrington in seiner Ansage nach der Pause, entspreche durchaus den Gepflogenheiten zu Haydns Zeiten. Klar, das war mir bekannt – auch bekannt ist, dass Konzerte damals viel länger dauerten, und ich hätte gerne noch weiter gehört, eine Klaviersonate dazwischen und ein paar Arien bitteschön, und am Ende nochmal eine Symphonie, vielleicht doch noch Nr. 98? Jedenfalls ein sehr schönes Programm, dessen vordergründige Schlichtheit täuschen konnte über den Gehalt und die Tiefe, die bei Haydn eben doch immer da ist.

    Weiter geht es bis zu Weihnachten mit nochmal einem halben Dutzend Konzerten/Opernbesuchen. Am Mittwoch sehe ich doch noch die Ballettaufführung zu Verdis „Missa da Requiem“ im Opernhaus, am Freitag dann Mozart (KV 543) und Bruckner (Nr. 4) mit Blomstedt in der Tonhalle, kommende Sonntag eine Kammermusik-Soirée mit Martin Fröst (Debussy, Poulenc, Chausson, Mozart), die folgende Woche dann auch für mich noch weihnachtliche Klänge, wenn das Collegium Vocale Gent unter Prégardien père die Kantaten I-III und VI aus Bachs Weihnachtsoratorium bietet (das Solistenquartett ist zum auf der Zunge zergehen lassen: Blazikova, Potter, Prégardien fils, Kooij). Am Wochenende vor Weihnachten sehe ich in der Oper dann noch Donizettis „Don Pasquale“ (Premiere ist heute, Rezensionen wohl ab morgen online) und Haydns „Die Schöpfung“ ebendort mit La Scintilla und La Cetra unter Riccardo Minasi (die Solist*innen sind Rebecca Bottone, Mauro Peter und Morgan Pearse – ich gehe davon aus, dass Peter hier im Gegensatz zu seinem Auftritt als Belshazzar in Händels Oratorium wieder glänzen wird). Das Jahr endet dann mit meinem ersten Opernbesuch in Genf am 29. Dezember (Rameaus „Les Indes galantes“, geleitet von Leonardo Garcia Alarcón).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Ganz zu Ende ist das Jahr noch nicht, morgen Abend geht es in die Oper für „Don Pasquale“, übermorgen ins Matinee-Konzert mit Haydns „Die Schöpfung“ (La Scintilla unter Riccardo Minasi), und am 29. dann nach Genf in Rameaus „Les Indes galantes“ … aber bevor ich alles vergesse, ein paar Zeilen zu den Aufführungen der letzten Tage.

    Zürich, Opernhaus – 11.12.2019

    Verdi: Messa de Requiem
    Requiem von Giuseppe Verdi (1813-1901)

    Musikalische Leitung Karina Canellakis
    Choreografie und Inszenierung Christian Spuck
    Bühnenbild Christian Schmidt
    Künstlerische Mitarbeit Bühnenbild Florian Schaaf
    Kostüme Emma Ryott
    Lichtgestaltung Martin Gebhardt
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
    Dramaturgie Michael Küster, Claus Spahn

    Sopran Guanqun Yu
    Mezzosopran Yulia Matochkina
    Tenor Stephen Costello
    Bass Georg Zeppenfeld
    Ballett Zürich
    Junior Ballett
    Chor der Oper Zürich
    Zusatzchor der Oper Zürich
    Chorzuzüger
    Philharmonia Zürich

    Phänomenal! Das Ding wurde zum Glück am Stück durchgespielt, was etwa 90 Minuten dauerte (die Bühne beanspruchte hie und da etwas Zeit, die auf einer Tonaufnahme entfällt). Wunderbar anzuschauen, wie sich Chor, Solisten und Ballettensemble auf der Bühne gemeinsam bewegten, sich ineinander schoben, um sich in immer wieder neuen Kombinationen neu aufzustellen, von Massenszenen über Tatzelwürmer bis hin zu den grossen Solo-Auftritten für Tanz und Stimmen. Spuck begreift Verdis Requiem nicht nach dem deutschen Missverständnis als „dramatisches“ oder gar „opernhaftes“ Werk, im Gegenteil wirken seine Bilder sehr organisch mit der Musik zusammen, das Ergebnis ist eine Aufführung aus einem Guss, ein Requeiem, das ja sowieso das eines heiteren Agnostikers war (und Manzoni gewidmet war, dem Dichter und Freund, nicht etwa irgendeinem Holzjesus), das in seiner Offenheit quasi allegemeingültig, allumfassend wird, gerade in dieser Aufführung, in der Schummerlicht und Farbtöne zwischen Ocker und Schwarz dominierten. Orchester und Chor waren beeindruckend, die Solisten ebenfalls sehr gut.

    Ich bin jedenfalls froh, dass ich hingegangen bin, bin ja nicht so wirklich der Ballett-Fan, aber nach dem „Mädchen“ war ich einmal mehr überzeugt (und bereue erneut, dass ich Spucks Arbeit zu Zenders Bearbeitung der „Winterreise“ verpasst habe – wenn davon, wie jetzt von Verdis Requiem – dereinst eine Wiederaufnahme folgt, gehe ich auf jeden Fall hin).

    Zürich, Tonhalle-Maag – 13.12.2019

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Herbert Blomstedt
    Leitung

    Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 34 C-Dur (KV 338)

    Anton Bruckner Sinfonie Nr. 4 Es-Dur «Romantische»

    Der reine Wahnsinn, was an diesem Abend zu erleben war! Mit welcher Bescheidenheit Blomstedt ans Werk geht (ein Pult stand vor ihm, aber es blieb leer oder die Noten, falls sie dort lagen, unbeachtet), wie er ohne Stab und ohne grosse Gesten den überwältigenden Apparat von Bruckner ins Rollen bringt, wie quasi aus dem Kleinen das ganz Grosse erscheint – das ist unglaublich faszinierend zu erleben. Dabei gelang es obendrein, die Stimmen, die Register perfekt abzustimmen. Das Orchester sass (im Gegensatz zum Abend mit den Weilersteins, s.o.) wieder in der alten Aufstellung mit den zweiten Geigen vorne rechts, hintern den ersten die Celli und dahinter ein ganzer Wall von Bässen. Dabei war wohl gar nicht die Präzision das entscheidende, sondern die Präsenz, das gemeinsame Atmen, das über kleinste Verschiebungen, die es an diesem dritten und letzten Abend hie und da gab, locker hinweggehen konnte, ohne dass dem brillanten Resultat nur der geringste Abbruch getan worden wäre. Ich hatte die Vierte ja bei einem denkwürdigen Abend mit Bernard Haitink vor zwei Jahren schon gehört (denkwürdig, weil es der allerletzte Auftritt von Maria João Pires mit Orchester auf europäischem Boden – bisher hielt sie sich soweit ich weiss auch daran), aber nicht einmal ihm gelang es, mir das Werk wirklich zu entschlüsseln, wie es Blomstedt nun hoffentlich für alle Zeiten erledigte.

    Zum Auftakt gab es davor Mozart, glänzend, durchsichtig, tänzerisch und vor allem sehr farbig. Und schon hier spielte das Orchester auf allerhöchstem Niveau. Auf jeden Fall ein denkwürdiger Abend – und wo Blomstedt in so guter Form ist (er hatte im Gegensatz zu Dohnányi oder Norrington neulich keinen Stuhl auf dem Podium, bewältigte die Stufen im Alleingang und ging dann auch noch durchs Orchester, um sich bei allen Registern bzw. ihren Solisten zu bedanken), hoffe ich natürlich auf ein baldiges Wiedersehen – denn seine Konzerte mit dem Tonhalle-Orchester gehören auf jeden Fall zum besten, was ich bisher hören konnte!

    Die NZZ hat berichtet
    https://www.nzz.ch/feuilleton/tonhalle-orchester-und-herbert-blomstedt-so-jugendlich-klingt-ein-rausch-in-es-dur-ld.1528099

    Und auch auf Seen and Heard International ist ein Bericht erschienen:
    https://seenandheard-international.com/2019/12/blomstedt-guides-a-wondrous-horn-section-through-a-stellar-bruckner-four-in-zurich/

    Kammermusik-Soirée mit Martin Fröst, Roland Pöntinen und dem Carillon Qaurtett – Zürich, Tonhalle-Maag – 15.12.2019

    Martin Fröst Klarinette
    Roland Pöntinen Klavier

    Carillon Quartett
    Andreas Janke Violine
    Elisabeth Bundies Violine
    Katja Fuchs Viola
    Christian Proske Violoncello

    Claude Debussy «Première Rhapsodie» für Klarinette und Klavier
    Francis Poulenc Klarinettensonate
    Ernest Chausson «Andante et Allegro» für Klarinette und Klavier

    Wolfgang Amadeus Mozart Klarinettenquintett A-Dur KV 581

    Am frühen Sonntagabend war ich dann schon wieder in der Tonhalle – diesmal, um Martin Fröst zu hören, den ich im Rahmen eines Orchesterkonzertes (mit Coplands Klarinettenkonzert) verpasst hatte. Kammermusik – der Saal war zwar besser besetzt als üblich (vielleicht wegen des Carillon Quartetts, das aus dem ersten Konzertmeister und drei weiteren Mitgliedern des Tonhalle-Orchesters besteht?), aber warum zu Kammermusikkonzerten nicht mehr Leute gehen, ich werde es nie begreifen (Berichte sind entsprechend denn auch keine erschienen, soweit ich das überblicke).

    Die erste Konzerthälfte war dem französischen Repertoire gewidmet, der Ablauf jedoch nicht ganz chronologisch. Die Rhapsodie von Debussy kannte ich natürlich, aber bisher bloss in der Fassung für Klarinette und Orchester (in der grossen Debussy-Box auf Warner wird sie wohl in beiden Versionen zu hören sein, muss ich mal nachschauen). Fröst und Pöntinen spielten das Ding in grösster Einigkeit, Fröst blätterte oft gar nicht erst in seinen Noten, bewegte sich freier als üblich, was noch die dramatische Wirkung verstärkte. Sein Ton wunderbar, agil und beweglich und doch klangschön und voll. Poulencs späte Sonate, ein klassizistisches Stück, bildete dann den Kern der ersten Konzerthälfte, die mit dem kaum aufgeführten zweisätzigen Werk von Chausson endete.

    Nicht das ganze Publikum war so erfreut über diesen sehr interessanten Programmblock, wie ich in der Pause zu überhören nicht umhin kam – auch das unverständlich, aber there we go again … in der zweiten Hälfte folgte Mozarts Klarinettenquintett, dass Fröst dazu hinsitzen musste, fand ich eigentlich schade (die Streicher könnten doch auch stehen, das Cello auf ein kleines Podest?). Jedenfalls wirkte das alles schon vor dem ersten Ton in der Tat viel „klassischer“, was wohl den biedermeierlichen Eindruck des schönen Werks von Mozart noch verstärkte. Das Quartett fand ich überzeugend, vielleicht spielte Jahnke da und dort mit einer Prise Schmelz zuviel, aber alles in allem fand ich die vier und ihr Zusammenspiel wirklich gut, Linien und Motive werden herausgearbeitet, Fäden werden ersichtlich, die Gewichte zwischen den Stimmen fortwährend in einem stimmigen Einklang gehalten. Fröst hatte leichtes Spiel, er brauchte sich eigentlich nur draufzusetzen und wenn er in Dialog mit der Geige trat, machte es fast den Eindruck, als könne er ein wenig entspannen – was noch mehr der Fall war, wenn er Pause hatte.

    Alles in sich total stimmig, aber für mich nach dem superben ersten Konzertteil auf hohem Niveau etwas enttäuschend, weil halt das Werk an sich eine Spur zu harmlos, zu sehr aufs innige Muszieren, das Schwelgen, und nicht etwa auf Überraschung oder gar Virtuosität aus ist. Fröst machte aber auch diesbezüglich alles richtig, spielte zurückhaltend, eine Spur kühler wohl, als üblich – denn die Wärme und die Emotionen sind ja wie immer bei Mozart eh schon da, werden sie in der Umsetzung noch betont, wirkt das rasch als ein Zuviel. Diese Falle umging Fröst souverän, das Quartett fast immer auch … aber ich hätte doch gerne mehr von der Musik gehört, die im ersten Konzertblock erklang.

    (Letzteres kann ich nachholen, denn heute erstand ich die CD „Musique française pour clarinette et piano“ von Frédéric Rapin/Jean-Luc Hottinger (auf Doron mit einem wie üblich potthässlichen Cover erschienen, 2003 aufgenommen). Da sind nicht nur alle drei gespielten Werke zu finden sondern auch noch die Klarinettensonate von Saint-Saëns, die Sonatine von Honegger sowie kürzere Stücke von Debussy, Pierné und Widor.)

    Neue Konzertreihe Zürich: Weihnachtsoratorium – Zürich, Tonhalle-Maag – 17.12.2019

    Collegium Vocale Gent
    Christoph Prégardien
    Leitung
    Miriam Feuersinger Sopran
    Alex Potter Altus
    Julian Prégardien Tenor
    Peter Kooij Bass

    Johann Sebastian Bach «Weihnachts-Oratorium» BWV 248
    Kantaten I und II

    Kantaten III und VI

    Und wieder zweit Tage später, am Dienstagabend, war ich bereits zurück in der Tonhalle-Maag. Das Weihnachts-Oratorium von Bach war angekündigt, mit Hana Blazíková, die aber leider absagte – erst am Mittag des Konzertes wurde der Wechsel, ich war darüber ziemlich enttäuscht, aber Feuersinger erwies sich als perfekte Einspringerin (sie führt das Oratorium diese Tage in anderem Kontext auch gerade auf, wie ich ihrer Website entnehmen konnte).

    Dass Prégardien Senior dirigierte und nicht mitsang fand ich insofern schade, als ich ihn noch nie im Konzert erlebt hatte – aber er machte eine gute Figur – und vor allem war sein Sohn als Tenorsolist wohl unter den allesamt superben Leistungen dann wohl doch derjenige, der allein schon wegen seines grossen Anteils (als Evangelist) doch ein wenig herausragte.

    Der Chor kam in kleiner Besetzung, die Solisten gesellten sich dazu und brachten ihn so auf 16 Köpfe. Für ihre Soli kamen sie jeweils nach vorn oder stellten sich auch mal zu zweit auf ein Podest, das den Sopranen vorgelagert hinter den Geigen stand. Auch das Orchester war natürlich klein besetzt – und hervorragend obendrein. Die Konzertmeistern Christine Busch glänzte in der dritten Kantate in ihrem Solo, sowohl Holz- wie Blechbläser überzeugten in ihren exponierten Stellen, an der kleinen Orgel sass Maude Gratton (sie hat u.a. eine bei Mirare erschienene, exzellente CD mit Clavierkonzerten Wilhelm Friedemann Bachs vorgelegt und spielt auch mit Leuten wie Bruno Cocset oder Philippe Pierlot).

    Die vier Gesangssolisten fand ich wie schon gesagt super. Kooij braucht man einem Bach-Publikum schon lange nicht mehr vorzustellen. Prégardien überzeugte sowohl stimmlich wie auch technisch: warm und kompakt klingt er, mit guter Tiefe – und obendrein meisterte er die eine Arie mit schwierigen Koloraturen mit einer lässigen Beiläufigkeit. Potter war besonders in der Arie „Schliesse, mein Herze, dies selige Wunder“ sehr berührend, seine Stimme ganz ohne die Spitzen, die bei anderen Countertenören oft das Vergnügen etwas dämmen. Feuersinger hat keine grosse Stimme, aber eine sehr schöne, schlanke, was mit ihrem schlichten, schnörkellosen Gesang eine perfekte Mischung ergibt. Sie berührt dabei mit ihrer Direktheit, ihrer völligen Ungekünsteltheit.

    Was mich frappierte: Die jeweils einstündigen Blöcke des Konzertes gingen im Nu vorüber. Die Abwechslung durch die stets wechselnden Besetzungen – Choräle, Arien, Duette in stets wechselnder Begleitung, mal nur mit Continuo, mit Streichern, mit den Bläsern in allen möglichen Kombinationen usw. – und die Qualität der Musik überhaupt macht das Ganze so gut, dass ich obwohl völlig übermüdet tatsächlich gerne auch die zwei fehlenden Kantaten gehört hätte … aber auch so ein umwerfend gutes Konzert und locker das Highlight unter allen bisher gehörten „weihnächtlichen“ Konzertprogrammen (die gehörten eigentlich eh verboten, wenn es nach mir ginge), egal ob nun Regula Mühlemann oder Nuria Rial oder sonstwer geschätztes mitwirkte.

    Bericht der NZZ:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/bach-weihnachtsoratorium-tonhalle-der-geist-eines-abwesenden-schwebt-im-raum-ld.1529444

    Und auch hier wieder einer von Seen and Heard International (mit der ich eher nicht so ganz einverstanden bin, was Feuersinger, das Volumen – ich sass halt wie fast immer ganz vorn, gerade bei Ensembles mit Originalinstrumenten empfehle ich das sowieso immer! – und die arrogante Haltung des „what you do not know, you do not miss“ angeht – das können Sie besser, Herr Rhodes!):
    https://seenandheard-international.com/2019/12/the-pregardiens-and-collegium-vocale-gent-bring-most-of-bachs-christmas-oratorio-to-zurich/

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    yaiza

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    Piano Salon Christophori

    30.12.2019 Franz Schubert-Winterreise

    Bariton: Martin Hässler

    Klavier: Daniel Heide

    Ganz bewegt wurde das Publikum vom Gründer und Inhaber des Piano Salons (in einer Werkhalle auf einem ehem. Gelände der Verkehrsbetriebe in Berlin-Wedding) zum Konzert zum Jahresende begrüßt. Er bedankte sich bei seiner tollen Crew, symbolisch bei den Künstlern und dem treuen Publikum, das diese vielen Konzerte auch 2019 wieder ermöglichte (180 im Jahr).

    Und dann ging es mit Martin Hässler und Daniel Heide auf die Winterreise. Es ist immer wieder ein Erlebnis, diese 24 Lieder von ‚Gute Nacht‘ bis ‚Der Leiermann‘ zu hören, besonders im Piano Salon, der besonders in der dunklen Jahreszeit wie ein großer beheizter Schuppen wirkt.  200 Zuhörer, die fast ohne Regung einem Sänger und dem Begleiter am Klavier lauschen und von draußen drangen die Geräusche der Großstadt, inkl. Polizeieinsatz und den Vor-Silvester-Knallern ein – ich selbst habe dabei das „wirkt wie aus der Zeit gefallen“ im Kopf.  Es baut sich einfach eine besondere Stimmung auf. Viel gäbe es zu berichten, mir fallen immer wieder andere Sachen auf. Der Vortrag von Martin Hässler gefiel mir sehr gut. Und Daniel Heide ist sowieso ein toller Begleiter. Es macht Spaß, die vielen Details zu hören und es ist angenehm, ihm dabei zuzuschauen.

    Nach langem Applaus gaben sie ausnahmsweise eine Zugabe und wiederholten den „Frühlingstraum“, den sie den 2019 verstorbenen Sängern Theo Adam (10.01.19) und Peter Schreier (25.12.19) widmeten.

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    gypsy-tail-wind
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    Ich hinke schon wieder fünf Konzerte und Opern hinterher … nur ein paar Zeilen zu den letzten im alten und den ersten im neuen Jahr.

    Zürich, Opernhaus – 21.12.2019

    Don Pasquale
    Dramma buffo in drei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
    Libretto von Giovanni Domenico Ruffini und Gaetano Donizetti

    Musikalische Leitung Enrique Mazzola
    Inszenierung Christof Loy
    Bühnenbild Johannes Leiacker
    Kostüme Barbara Drosihn
    Lichtgestaltung Franck Evin
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
    Dramaturgie Kathrin Brunner

    Don Pasquale Johannes Martin Kränzle
    Dr. Malatesta Konstantin Shushakov
    Ernesto Mingjie Lei
    Norina Julie Fuchs
    Carlotto Dean Murphy
    Sergio R. A. Güther
    Ugo David Földszin
    Clara Ursula Deuker

    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich

    Solo-Trompete Laurent Tinguely

    Am Wochenende vor Weihnachten ging ich gleich zweimal nacheinander in die Oper – zuerst gab es die gefeierte neue Aufführung von Donizettis „Don Pasquale“ unter der der Leitung des Belcanto-Spezialisten Enrique Mazzola und in der sehr guten Regie von Christof Loy. Julie Fuchs braucht man in Zürich nicht mehr vorzustellen, sie war zuletzt in „Il turco in Italia“ zu erleben und hat einerseits eine sehr schöne, schlanke, vielleicht allerdings etwas eindimensionale Stimme, andererseits ist sie auf der Bühne daheim und überzeugt meist auch schauspielerisch. Die grosse Sensation hier war aber Johannes Martin Kränzle, der den Titelhelden mit leichter Stimme gab, nicht als plumpe Buffo-Darbietung sondern als durchaus nachvollziehbare, sehr ambivalente Figur – was auch dem Regiekonzept von Loy entsprach. Dass Kränzle überhaupt wieder singt, grenzt an ein Wunder – mir war die Vorgeschichte nicht präsent, soweit ich mich erinnern kann, hörte ich ihn zum ersten Mal – mehr zu seiner Erkrankung hier:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/johannes-martin-kraenzle-spezialist-fuer-ambivalente-charaktere-ld.1526324
    Mit Kränzle wurde aus dem Stück also keine oberflächliche Komödie, und das kam auch der Musik sehr zu gute. Die schlankere Stimme – die Titelrolle wird in der Regel mit einem Bass besetzt – passte denn, wie auch Fuchs, geradezu ideal zum Ansatz von Mazzola, der mit den angeblichen Traditionen aufräumt (die erst nach Donizetti entstanden sind, aber sich bis heute in vielen Köpfen halten) und zu schnelleren Tempi, einem schlankeren Spiel zurückkehrt – und dafür eben entsprechend wendige SängerInnen braucht. Kränzle war ein paar Male geradezu atemberaubend, wenn er gegen Ende im schnellsten Tempo atemberaubende Stakkato-Passagen raushaute. Fuchs gefiel mir stimmlich wohl so gut, wie zuvor noch nie (oder vielleicht beim Rameau/Gluck-Konzert). Das war am Ende ein überaus stimmiger Abend, bei dem auch die weiteren Rollen gut gesungen waren, allen voran der Ernesto von Mingjie Lei. Einen der schönsten Momente – der bei Loy auch glaubwürdig funktionierte – fand ich zweifellos das Liebesduett, das Pasquale und Norina singen, nachdem ihre Trennung besiegelt ist.

    Hier der Bericht der NZZ:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/ein-mann-in-den-nicht-mehr-allerbesten-jahren-ld.1527343
    Wobei noch anzumerken ist, dass der Klassik-Rezensent der NZZ am Sonntag (separate Redaktionen) gar nicht einverstanden war und bei Kränzle gerade das Gewicht vermisste … und ich muss wohl mal eine jüngere Aufnahme der Oper suchen gehen, die von Muti (mit Freni) sieht gut aus.

    Zürich, Opernhaus – 22.12.2019

    Haydn – Die Schöpfung
    2. Philharmonisches Konzert / 1. La Scintilla-Konzert

    Sopran (Gabriel / Eva) Rebecca Bottone
    Tenor (Uriel) Mauro Peter
    Bariton (Raphael / Adam) Morgan Pearse
    Orchestra La Scintilla
    La Cetra Vokalensemble

    Dirigent Riccardo Minasi

    Joseph Haydn Die Schöpfung, Oratorium Hob. XXI:2

    Wenige Stunden später sass ich wieder auf demselben Platz, ganz oben, mit relativ gutem Blick im Verhältnis zum Preis … eine Matinee (Beginn um 11:15) an einem Sonntag ein paar Tage vor Weihnachten ist natürlich praktisch ausverkauft, und mit Mauro Peter war ein weiterer Publikumsliebling am Start. Mich zog es hin wegen der Kombination von Scintilla/Minasi/Haydn – letzte Saison dirigierte Minasi ja alle vier Konzerte des Jubiläumssaison von La Scintilla, dem Originalklang-Ensemble der Oper Zürich, und bei drei davon war ich zur Stelle und jedes Mal überzeugt vom Ergebnis. Und das war auch dieses Mal nicht anders – was wohl tatsächlich sehr viel mit dem Orchester zu tun hatte. Denn wie abwechslungsreich das alles gesetzt ist, wie raffiniert sich die verschiedenen Teile an- und ineinanderfügen, wie der Chor beigezogen, einzelne Instrumentengruppen, das machte aus der (mit Pause) etwa zweieinhalbstündigen Aufführung ein äusserst abwechslungsreiches Erlebnis. Minasi hielt dabei stets die Fäden in der Hand, dirigierte energisch aber äusserst differenziert, das Orchester klang durchsichtig und warm, der kleine Chor war hervorragend (er besteht aus AbsolventInnen der Schola Cantorum Basiliensis, die Einstudierung hatte Carlos Federico Sepúlveda, der Maesto al Coro und zugleich einer der Sänger im Bass-Register, inne), die Solistin und die beiden Solisten überzeugten, besonders der australische Bariton Morgan Pearse. im Gegensatz zum Rezensten, der für Seen and Heard International berichtet hat und der im Parkett auf den teuren Plätzen sass:

    War die Balance oben wieder einmal viel besser, fast immer sogar sehr gut abgestimmt. Dass die Stimme von Rebecca Bottone hie und da etwas spitz klang, ist sicher so, doch am Ende fand ich sie doch sehr gut. Mauro Peter hatte neulich in „Belshazzar“ nicht so recht überzeugt, doch die Partie in der „Der Schöpfung“ passte perfekt, er sang mit vollem Ton und viel Wärme, auf die Höhe kam es dabei nicht an, denn die scheint bei ihm nicht die grosse Stärke zu sein. Ein wunderbarer Ausklang der letzten vernünftigen Woche des Jahres …

    Genf, Grand Théâtre – 29.12.2019

    LES INDES GALANTES
    Opéra-ballet by Jean-Philippe Rameau
    Libretto by Louis Fuzelier

    Musical Director Leonardo García Alarcón
    Musical direction Assistant Fabian Schofrin
    Musical direction Assistant Rodrigo Calveyra
    Stage director Lydia Steier
    Stage direction Assistant Maurice Lenhard
    Assistant mise en scène Luc Birraux
    Choreographer Demis Volpi
    Scenographer Heike Scheele
    Costumes designer Katharina Schlipf
    Set designing Assistant Annika Tritschler
    Lighting Designer Olaf Freese
    Dramaturgy Krystian Lada
    Choir director Alan Woodbridge

    Hébé / Émilie / Zima Kristina Mkhitaryan
    Amour / Zaïre Roberta Mameli
    Phani Claire de Sévigné
    Fatime Amina Edris
    Bellone / Osman / Adario Renato Dolcini
    Ali Gianluca Buratto
    Don Carlos / Damon Anicio Zorzi Giustiniani
    Huascar / Don Alvaro François Lis
    Valère / Tacmas Cyril Auvity

    Cappella Mediterranea
    Grand Théâtre de Genève Ballet
    Grand Théâtre de Genève Chorus

    Den Ausklang machte dann letzten Sonntag eine Fahrt nach Genf, wo ich in der Nachmittagsvorstellung die Dernière von „Les Indes galantes“ sah. Der neue Intendant in Genf ist ein Zürcher, und er will aus der Oper in Genf das erste Haus der Schweiz leiten, wie er bei seinem Antritt kämpferisch angesagt hat (mehr dazu hier). Die Aufführung des Stückes, dessen Titel in heutige Sprache übertragen sowas wie „exotische Erotizismen“ heisst, war ein ziemliches Fest. Die Bühne ist als Lazarett angelegt, die Kostüme usw. legen die Zeit des ersten Weltkriegs nahe (eine ähnliche Idee, aber ganz anders umgesetzt, gab es letztes Jahr in Zürich im „Parsifal„). Das Spiel – angesiedelt in einem Theater, das dem Grand Théâtre de Genève nachempfunden ist – öffnet mit dem Prolog: Hébé (Kristina Mkhitaryan, stimmlich manchmal etwas schrill, aber doch sehr gut) und ihre Anhänger geben sich gerade die Fleischeslust hin, als Bellone, die Göttin des Krieges und der Krieger auftritt und die Jungen dazu auffordert, den Ruhm des Krieges zu erringen. Die zwei Göttinen – Bellone wird von einem Mann gesungen (wie der unten angefügten NZZ-Rezension zu entnehmen ist in diesem Fall mit Renato Dolcini einem Bartoli-Schüler) – spielen also um das Wohl der Menschheit. Hébé ruft dabei Amor an (Roberta Mameli in dieser Hosenrollen, die für mich herausragendste Stimme des Abends) und bittet ihn um Unterstützung.

    Vier „Entrées“ markieren in der Folge die Stationen des Dramas bzw. stellen an sich jede für sich ein eigenes Mini-Drama dar, in denen verschiedene exotische – und eben erotisch aufgeladene – Weltgegenden und ihre EinwohnerInnen zum Zuge kommen. Geht es zunächst in die Türkei – der grosszügige Pascha (gesungen auch von Dolcini) lässt am Ende die Sklavin, die er liebt (Mkhitaryan), die aber einen anderen liebt, samt ihres Liebhabers frei), führt die zweite Szenerie zu den Inkas in Peru. Ein spanischer Offizier liebt die Inka-Prinzessin Phani (fabelhaft gesungen von Claire de Sévigné) – doch auch der Inka-Priester Huascar (Dolcini) liebt die Prinzessin – doch seine Sonnenzeremonie wird von einem Erdbeben unterbrochen, das laut Huascar heisse, dass die Götter wünschten, dass Phani zu seiner Frau werde. Der geliebte Spanier erklärt dieser, dass das Erdbeben ein Trick gewesen sei – dann bricht der Vulkan aus und Huascar wird von brennenden Steinen erschlagen. Nach der Pause geht es zum Prinzen Tacmas (Cyril Auvity, auch ein Sänger, den ich sehr schätze, aber noch nie live gehört hatte), der die Sklavin Zaïre liebt (die zweite Rolle von Mameli), die aber seinem Favoriten Ali gehört (der superber Gianluca Buratto), wobei Tacmas selbst die hübsche Sklavin Fatime sein eigen nennt – und damit ist auch alles schon klar, es gibt Verkleidungen (cross-dressing galore) und Prüfungen und am Ende kommen die „richtigen Paare“ zusammen (wobei das „niedere Paar“ hinter einer Säule des inzwischen kriegsversehrten Theaters zugange geht). Im vierten und letzten Teil geht es erneut in die „neue Welt“, doch dieses Mal zu den „Wilden“ Nordamerikas: der Krieger Addario (natürlich wieder Dolcini) liebt Zima (Mkhitaryan), die Tochter des lokalen Chiefs, fürchtet aber seine Rivalen, den Spanier Don Alvar und den Franzosen Damon – doch Zima entscheidet sich für Addario – und mit der Versöhnung, bei der auch die Europäer mitwirken, kommt es zugleich zur Versöhnung von Hébé und Bellone, die ja von denselben beiden DarstellerInnen gesungen wurden. An den Schluss stellt die Aufführung dann den Ohrwurm „Les sauvages“ (auch als Cembalo-Stück bekannt), das sonst früher im vierten Teil erklingt. Weil es die Derniere war spielten Leonardo Garcia Alarcón und seine superbe Capella Mediterranea als Zugabe dann noch jene Musik, die eigentlich am Ende von Rameaus Opéra-ballet steht (2018 hat György Vashegyi bei Glossa eine neue Einspielung vorgelegt, die ich aber noch nicht angehört habe, das Line-Up ist mit Chantal Santon-Jeffery, Katherine Watson, Véronique Gens, Reinoud Van Mechelen etc. jedenfalls erstklassig … da gibt es aber eine viel spätere Fassung mit drei Entrées, die dritte wurde wohl da wieder gestrichen, hat drum auch auf zwei CDs Platz – muss das ganze jedenfalls mal in Ruhe zuhause nachhören, vielleicht halt in einer älteren Einspielung, aber welche Versionen dort vorliegen, weiss ich nicht, die von Vashegyi lag halt grad griffbereit).

    Die Aufführung als Ganzes fand ich hervorragend, dass die Ballet-Kompagnie der Oper Genf mitwirkte, dass das gesamte Ensemble praktisch permanent auf der Bühne stand (der Chor manchmal in den Bögen der oberen Stockwerke des Theaters, den Logen, die es im GTG gar nicht gibt), machte die Aufführung auch visuell zum Ereignis. Wie alles ineinandergriff, wie Bühne und Musik, SolistInnen, Chor, Continuo (u.a. mit Quito Gato, Monica Pustilnik und Alix Verzier), Orchester (am ersten Pult Florence Malgoire) zusammenwirkten, war wunderbar. Dass bei der Dauer (inklusive Zugabe und Pause wurden dreieinhalb Stunden daraus) die Spannung nicht ganz ohne Unterbrüche gehalten werden kann, ist klar – liegt aber sicher auch an der Montage der Vorlage, die viel für Aug und Ohr bieten will, aber eben keinen wirklich geschlossenen dramatischen Bogen anstrebt.

    Der Ausflug hat sich jedenfalls gelohnt, ich bin gespannt auf den zweiten im Juli, wenn Messiaens „Saint François d’Assise“ aufgeführt wird (mit dem OSR unter Jonathan Nott, und wieder mit de Sévigné, die Titelrolle singt Kyle Ketelsen, den ich in Zürich jüngst als Rodolfo in „La sonnambula“ und davor auch schon als Golaud in „Pelléas et Mélisande“ gehört habe).

    Rezension der NZZ:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/rameau-les-indes-galantes-in-genf-lasst-die-friedenspfeife-kreisen-ld.1528784

    zuletzt geändert von gypsy-tail-wind

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle-Maag – 01.01.2020

    Vesselina Kasarova Mezzosopran (c)
    Richard Galliano Akkordeon (b)
    Zürcher Kammerorchester (Willi Zimmermann, Konzertmeister) (a)

    Jacques Offenbach «Barcarole» aus «Les contes d’Hoffmann» (a, b, c)
    Richard Galliano «La valse à Margaux» (a, b)
    Stefano Donaudy «O del mio amato ben» (a, c)
    Ástor Piazzolla «Oblivion» (a, b)
    Gerardo Matos Rodríguez «La Cumparsita» (a, b)
    Richard Galliano «Aria» (a, b)
    Ástor Piazzolla «Otoño porteño» (a, b)

    Georges Bizet «Habanera» aus «Carmen» (a, c)
    Ástor Piazzolla «Libertango» (b)
    Eduardo Di Capua «Vieni sul mar» (a, c)
    Richard Galliano Allegro energico aus «Opale Concerto» (a, b)
    Ástor Piazzolla «Melodia en La Menor» (a)
    Gioacchino Rossini «Canzonetta spagnuola» (a, c)

    E: Gioachino Rossini/Robert Lucas de Pearsall Duetto buffo dei due gatti (a, b, c)

    Am Neujahrstag ging es zum Konzert des Zürcher Kammerorchesters, wieder einmal ohne Dirigent und mit Willi Zimmermann als Konzertmeister (er dirigierte bei einigen Stücken zwischendurch, spielte aber immer mit). Das Programm wurde kurzfristig ein wenig umgestellt, Kasarova sang zwei Stücke weniger und ersetzte im zweiten Teil eines – die „Habanera“ war nicht vorgesehen, wurde aber durch ihren eindrücklichen Gesang zu einem der schönsten, intensivsten Momente des Konzertes. Das Konzert fand am Vorabend schon im KKL in Luzern statt, und ich fragte mich, ob es danach etwas zu munter zu und herging und Kasarova ihre Beiträge deshalb etwas kürzen musste? Ihrem Gesang hörte ich allerdings nichts an, im Gegenteil fand ich ihre Stimme – aus der ersten Reihe – fast schon beängstigend intensiv. Eine beeindruckende Stimme jedenfalls, mit einer voluminösen Tiefe, in der auch kaum noch zu unterscheiden ist, ob die Stimme nun von einer Frau oder einem Mann stammt. Die beiden Solisten traten nur im ersten Stück und in der Zugabe gemeinsam auf, doch fand ich den Ablauf des Programmes trotzdem recht stimmig. Galliano öffnete die eine oder andere Nummer solo, spielte nur in den gerade erwähnten zwei ab Noten und improvisierte wohl auch ein klein wenig, natürlich in festen Bahnen, das geht ja mit Orchester nicht anders. Ein Stück spielte Galliano solo, ein anderes das Orchester ohne Galliano – ich glaube ich hab das oben richtig hingekriegt mit den Buchstaben hinter den Stücken, aber dafür stimmt wohl etwas in der Reihenfolge nicht, denn das Galliano-Solo stand vor einem mit Orchester oder vor demjenigen ohne Solisten, sicher nicht zwischen zweien von Kasarova. Aber durch die nur via Aushang kommunizierten Umstellungen und meine Kritzeleien auf dem Zettel mit dem eigentlich vorgesehenen Programm ist das gerade nicht mehr so leicht zu rekonstruieren – und spielt ja auch keine Rolle.

    Galliano gefiel mir hervorragend – hatte ihn noch nie live gehört und hätte ihn auch gerne in einem Jazzkontext mal gehört (das Trio-Album „Ruby My Dear“ mit Larry Grenadier/Clarence Penn ist wohl mein liebstes), aber es passte auch so. Die Piazzolla-Stücke und seine Originals fand ich fast alle super, das Allegro energico aus einem Konzert (?) wohl eine Spur zu ambitioniert. Etwas weniger toll ist halt, dass in jedem Konzert, das irgendwas mit Tango zu tun hat, auch stets „La cumparsita“ erklingen muss – aber das gespielte Arrangement (keine Ahnung von wem, andere der Stücke wurden gemäss Website – auch dazu im Programm, das am Abend gar nicht mehr verteilt wurde, kein Wort, kümmert das Festpublikum wohl auch nicht weiter, ist aber dennoch nicht grad guter Service – von Massimiliano Matesic symphonisch bearbeitet: die „Barcarolle“ von Offenbach, Rossinis „Canzonetta spagnula“ und die napolitanischen Lieder von Donaudy und Di Capua, ein weiteres solches, „Marechiare“ von Tosti, sowie «Melodiya», aus Bulgarische Volklieder für Mezzosopran und Streichorchester wurden weggelassen, statt der „Habanera“ war Rossinis „La Danza“ im Programm gestanden).

    Für die Zugabe spielte Galliano dann eine Art blasbares Mini-Akkordeon (das auch sehr viel schöner klang als eine Plastic-Melodica): er übernahm die zweite Stimme im Katzen-Duett von Rossini, in dem Kasarova noch einmal zu Höchstform auflief. Ein sehr charmanter Ausklang für einen für meinen Geschmack etwas kurz geratenen Abend (mit kurzen einleitenden Worten – die man sich bitte gerne schenken mag, liebes ZKO! – viel Applaus, Auf- und Abgängen der Solistinnen und Zugabe knapp zwei Stunden), der sich aber mehr als gelohnt hat.

    Zürich, Opernhaus – 02.01.2020

    La Cenerentola
    Melodramma giocoso in zwei Akten von Gioachino Rossini (1792-1868)
    Libretto von Giacopo Ferretti

    Musikalische Leitung Gianluca Capuano
    Inszenierung Cesare Lievi
    Bühnenbild und Kostüme Luigi Perego
    Lichtgestaltung Gigi Saccomandi
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger

    Angelina, genannt Cenerentola Cecilia Bartoli
    Don Ramiro, Prinz von Salerno Javier Camarena
    Dandini, sein Diener Oliver Widmer
    Don Magnifico, Vater von Clorinda und Tisbe Alessandro Corbelli
    Clorinda Rebeca Olvera
    Tisbe Liliana Nikiteanu
    Alidoro, Philosoph, Don Ramiros Lehrer Stanislav Vorobyov

    Orchestra La Scintilla
    Continuo: Andrea del Bianco, Hammerklavier
    Chor der Oper Zürich

    Gestern ging ich dann völlig unvorbereitet in die „Cenerentola“ – einzig eine Aufzeichnung im Fernesehen hatte ich von der Oper mal angeschaut, das Programmheft im voraus zu kaufen schaffte ich nicht mehr – und so war ich schon mal überrascht, im Graben La Scintilla, das Originalklang-Ensemble, anzutreffen. Das ist zwar die Regel, wenn Bartoli in Zürich auftritt, wenigstens in den letzten Jahren, wo ich das verfolgt habe, aber bei Rossini hätte ich nun doch eher mit der Philharmonia, also dem regulären Orchester der Oper Zürich gerechnet. Am Pult stand Gianluca Capuano, der auch auf der wunderbaren aktuellen CD von Bartoli auf dem letzten Stück mit ihren Musiciens du Prince-Monaco zu hören ist (Bartoli wird ja in Monaco künftig auch als Intendantin tätig sein). Die derzeit für drei Aufführungen wieder gespielte Inszenierung steht in Zürich seit einem Vierteljahrhundert immer mal wieder auf dem Spielplan, und sie immer schon sang Bartoli darin die Angelina. Mit Javier Camarena hatte sie dieses Mal einen hervorragenden Partner in der Rolle des (verkleideten) Prinzen dabei, ihr Ehemann Oliver Widmer sang die Rolle des Kammerdieners (mit dem der Prinz die Rollen tauscht) ebenfalls hervorragend, und sehr gut waren auch die anderen vier, wobei Olvera kurzfristig einsprang (sie gehört wie Nikiteanu zum Ensemble). Im Gegensatz zu den letzten Aufführung mit Bartoli kam die „Cenerentola“ eher bescheiden daher, eine schnörkellose Inszenierung mit einem in kleinen Varianten mehr oder weniger stabilen Bühnenbild – umso wichtiger, dass das Personal auf der Bühne die Rollen auch zu füllen weiss. Dass man bei Bartoli diesbezüglich keine Bedenken haben muss, ist klar, aber ich fand gestern wirklich alle sieben, und auch den nur mit Männerstimmen bestückten Chor sehr gut. Aus dem Graben klang vielleicht mal ein Ton der Bläser etwas schief, aber La Scintilla ist vom Klangbild her wunderbar. Die Lautstärke fehlt mir jedenfalls nicht (sie spielen ja nicht, wenn Verdi oder Puccini aufgeführt wird), gerade wenn der Reichtum an Klangfarben so gross ist. Auch das Continuo war hervorragend – und der Unterschied zu Donizetti (s.o.) interessant, denn letzterer setzte in „Don Pasquale“ auch die Rezitative für Orchester.

    Schon vor der Pause gab es riesigen Applaus, sodass die SängerInnen gleich zweimal vor den Vorhang traten, ganz zum Schluss gabe eine Standing Ovation – und dann noch, was ich jetzt gerade in Genf schon, aber davor noch gar nie erlebt hatte: eine Zugabe. Mit Capuano auf der Bühne wurde das Sextett aus der achten Szene wiederholt („Questo à un nono avviluppato“) wiederholt. Eine schöne Auflockerungsübung, nachdem Bartoli davor ihre grosse Schlussarie so wunderbar gesungen hat, dass es wirklich atemberaubend war. Jedenfalls nach diesem zweiten Abend erst recht ein Jahresauftakt nach Mass!

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    Zürich, Tonhalle-Maag – 09.01.2020

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Paavo Järvi
    Chefdirigent und Music Director

    Pjotr I. Tschaikowsky Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 17 „Kleinrussische“
    Béla Bartók Tanz-Suite Sz 77

    Pjotr I. Tschaikowsky Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64

    Ist inzwischen schon etwas lange her … aber das erste Konzert des Tonhalle-Orchesters im neuen Jahr war einmal mehr sehr überzeugend. Ich fand gerade die zweite Symphonie unglaublich frisch, was auch mit dem überaus engagiert zur Sache gehenden Orchester zu tun hat. Järvi wirkte einmal mehr fordernd und zugleich äussert präzis, das übertrug sich auf das Orchester. Von den Tschaikowsky -Symphonien werden ja Live-Aufnahmen gemacht – und an der Kante seines Notenpults war jetzt eine Schaumgummiwurst befestigt, weil er öfter mal mit dem Dirigierstab draufknallt, auf CD will niemand solche Nebengeräusche hören.

    Die Gegenüberstellung der „Kleinrussischen“ mit Bartók machte Sinn, denn Tschaikowsky verarbeitet in ihr ukrainische (Damals: kleinrussische) Volksmelodien. Das gelingt ihm noch keinesfalls so organisch wie es Bartók später beherrschte – doch wie gesagt, das Werk überzeugte mich sehr. Auch Bartók und nach der Pause eine sehr stringente Sichtweise der Fünften von Tschaikowsky überzeugten sehr, wie in der „Pathétique“ einige Wochen zuvor hängte er auch hier die Mittelsätze direkt aneinander. Überhaupt hält Järvi gerne die Pausen zwischen den Sätzen kurz, wohl damit die Konzentration nicht abflacht. Mir gefällt das sehr gut, der rachitische und sonstwie psychotische Teil des Publikums lässt sich vom Husten und Aufmerksamkeitserheischungsräuspern dadurch aber nicht abhalten … es gibt ja schon Gründe, warum die Konzertsaison im Sommer pausiert (vgl. yaizas Ausführungen gestern im Hörthread), aber manchmal denke ich halt schon auch, dass Konzerte im Winter nicht optimal sind.

    Hier der ausführlichere Bericht der NZZ über den ersten Abend:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/tschaikowsky-zyklus-in-der-tonhalle-paavo-jaervi-und-der-wildfang-ld.1532922

    Derzeit ist etwas Flaute, aber die zweite Wochenhälfte bin ich dann in Wels und höre Anthony Braxton. Und nach meiner Rückkehr gibt es u.a. den „Fidelio“ an der Oper, ein Kammermusikprogramm mit MusikerInnen des ZKO und ev. auch noch ein Konzert mit Heinz Holliger (an der Oboe und als Komponist) im Rahmen der Swiss Chamber Concerts. Im Februar wird das Programm dann wieder dicht, mit u.a. Vilde Frang (Schstakowitsch 1 in der Tonhalle), András Schiff (WTC II), Glucks „Iphigénie en Tauride“ mit Bartoli und dem „Wozzeck“ mit Christian Gerhaher.

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    yaiza

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    gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 09.01.2020 Tonhalle-Orchester Zürich Paavo Järvi Chefdirigent und Music Director Pjotr I. Tschaikowsky Sinfonie Nr. 2 c-Moll op. 17 „Kleinrussische“ Béla Bartók Tanz-Suite Sz 77 — Pjotr I. Tschaikowsky Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 I

    Überhaupt hält Järvi gerne die Pausen zwischen den Sätzen kurz, wohl damit die Konzentration nicht abflacht. Mir gefällt das sehr gut, der rachitische und sonstwie psychotische Teil des Publikums lässt sich vom Husten und Aufmerksamkeitserheischungsräuspern dadurch aber nicht abhalten … es gibt ja schon Gründe, warum die Konzertsaison im Sommer pausiert (vgl. yaizas Ausführungen gestern im Hörthread), aber manchmal denke ich halt schon auch, dass Konzerte im Winter nicht optimal sind.

    Ich kann auch von einem schönen Konzert (gestern) berichten…  nur kurz vorab: durch den bisher nicht angekommenen Winter in Berlin halten sich Erkältungen in Grenzen und bei den letzten beiden Konzerten war es wirklich mucksmäuschenstill – ganz wunderbar. Von den Sinfonien sind mir nur die späteren im Ohr, die 2 höre ich mal interessehalber nach…

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    #10990295  | PERMALINK

    yaiza

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    Konzerthaus Berlin 31.01.2020
    Konzerthausorchester, Dirigent: Dmitrij Kitajenko

    Prokofjew Romeo und Julia- Suite Nr. 1 und 2 (Auszüge)
    Tschaikowsky Variationen über ein Rokoko-Thema (Violoncello: Anastasia Kobekina), „Manfred-Sinfonie“

    Dmitrij Kitajenko war von 2012-17 1. Gastdirigent im Konzerthaus. In den nächsten Tagen geht er auf eine Gastspielreise mit dem Konzerthausorchester und Anastasia Kobekina. Vorher waren noch drei Abende im Konzerthaus angesetzt. Zu hören war o.g. russisches Programm, allerdings mit Einflüssen quer aus Europa — von Shakespeare bis Byron; auf Orte bezogen: Italien, Österreich und der Schweiz. Die Stimmung im Publikum war gespannt und erwartungsvoll. Kitajenko wurde mit riesigem Applaus begrüßt. Im Jahre 1940 geboren, geht er nun auch auf die 80 zu. Er ist nicht mehr gut zu Fuß, ließ sich aber keinen Stuhl hinstellen. Ohne großes Gewese ging’s mit Auszügen aus der Balletmusik Romeo und Julia los, ein knalliger Beginn. Auf den Auftritt von Anastasia Kobekina war ich sehr gespannt, die junge Cellistin (25) studiert derzeit noch in Paris, spielt hier im kleinen Rahmen im Pianosalon (solo und auch demnächst mit Klavierbegleiterin in einem Schubert-Projekt) und es ist irgendwie auch schön, sie in einer großen Spielstätte zu sehen. Die Rokoko-Variationen sind ja eigentlich ein großer Spaß; Kobekina spielte elegant, da fehlte das „kühne“. (**Nun standen diese Variationen auch beim für mich denkwürdigen Abend des rumänischen Jugendorchesters im letzten Juli, geleitet von Cristian Mandeal, auf dem Programm und der Stimmführer der Celli spielte diese „zum Wegfliegen“ – davon muss ich auch erstmal wieder runter ;D **). Das Publikum war jedenfalls hellauf begeistert und schenkte ihr langanhaltenden Applaus und sie uns eine Bach-Zugabe. Ich wünsche ihr für die Gastspiele (Salzburg, Rotterdam, Eindhoven) auch alles Gute.
    Im zweiten Teil war die „Manfred-Sinfonie“ zu hören. Ich habe mich gefreut, dass sie gespielt wird (#4-6 sind häufiger in Berlin zu hören). Alles in allem nach der Pause nochmal ein echter Ritt, Spieldauer fast bis zu einer Stunde. Im Saal war es (wie schon oben beschrieben) ganz ganz still und so konnte man ohne Ablenkung mit auf die Reise der Programmsinfonie/sinf. Dichtung gehen. In „Manfred“ ist ja mächtig was los und Kitajenko (er gilt als Experte für russisches Repertoire) hielt das Orchester zusammen. * Am Ende war er auch ziemlich geschafft, kam aber noch mehrere Male auf die Bühne. Und bei der angekratzten 80 liegt ja auch immer so eine leichte Abschiedsstimmung in der Luft.

    Tagesspiegel „Russischer Abend auf altmeisterliche Art“ fasst es gut zusammen.

    Am letzten Sonntag (26.01.) war ich auch beim KH-Orchester. Ich hatte lange überlegt ja/nein. Mich dann aber doch entschieden, die Chance auf’s Beethoven VK (mit Nikolaj Szeps-Znaider) zu nutzen. Iván Fischer (lange Chefirigent, jetzt Ehrendirigent) war mal wieder auf Stippvisite da. Er hat noch eine eigene Reihe „Mittendrin“ mit 3 Veranstaltungen oder so. Das Violinkonzert war großartig und ein Ergebnis von einer schon langen Zusammenarbeit und Kennens von Orchester+Dirigent+Solist. Hier passte das Virtuose und Szeps-Znaider (lange auch schon als Dirigent tätig) spielte wirklich beeindruckend. Irgendwie wollte er nach Beethoven auch keine Zugabe geben und machte noch einen Scherz à la „Was soll nach Beethoven denn kommen“, woraufhin einige aus dem Publikum gleich „Brahms“ riefen ;-) „Gerne gerne“, aber er müsste ja doch recht schnell zum Flieger… (Zur Zeit ist er auf Gastspiel mit seinem Orchester aus Lyon in Russland) Für Bach war aber noch Zeit. Im zweiten Teil wurde „Also sprach Zarathustra“ gespielt. Ich blieb, stellte aber wieder fest, dass Strauss mir nicht liegt. Ich hatte das schön öfters mal festgestellt. Es ist mir ein „zuviel an allem“. Dennoch war es, glaube ich, gut gespielt. Aufgrund des sehr populären Stücks waren auch -sonst ungewöhnlich- viele Teenies im Saal.

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    #10990873  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 29.01.2020

    Fidelio
    Oper in zwei Aufzügen von Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
    Libretto von Joseph Ferdinand Sonnleithner und Georg Friedrich Treitschke

    Musikalische Leitung Markus Poschner
    Inszenierung Andreas Homoki
    Bühnenbild Henrik Ahr
    Kostüme Barbara Drosihn
    Lichtgestaltung Franck Evin
    Video-Design Alexander du Prel
    Choreinstudierung Janko Kastelic
    Dramaturgie Werner Hintze

    Don Fernando Oliver Widmer
    Don Pizarro Wolfgang Koch
    Florestan Andreas Schager
    Leonore Anja Kampe
    Rocco Dimitry Ivashchenko
    Marzelline Mélissa Petit
    Jaquino Spencer Lang
    Erster Gefangener Thomas Erlank
    Zweiter Gefangener Oleg Davydov

    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich
    Zusatzchor der Oper Zürich
    SoprAlti der Oper Zürich

    Zwiespältige Sache, die Aufführung von „Fidelio“, die in der Saison 2013/14 erstmals gezeigt wurde. Homoki verlegt das Quartett bzw. seinen ersten Teil an den Anfang, Leonore stirbt, dann folgt nach einer halben Ouvertüre als Rückblende, als Traum, als was auch immer, die Handlung von vorne. Das Quartett wird dann natürlich zu Ende gesungen und der Rest folgt auch noch. Die Bühne leer, ein Schmaler Raum im Querformat, die Rückwand herabklappbar, der Chor, das Volk und die Gefangenen, bewegt sich so öfter in einer leichten Schräglage, kommt von und geht nach hinten wieder ab. Das ist alles sehr in Ordnung, denn irgendwie muss man mit dem Stoff ja umgehen, Gefangene in KZ-Kleidung brauchen wir nicht mehr, ein Bezug auf die Flüchtlinge im Mittelmeer oder was weiss ich, was Regisseure halt alles für superbe Ideen haben, muss für mich auch nicht sein – die Wirkung des Stückes und seines Konflikts wurde durch die Leere Bühne nämlich verstärkt. Dass die Dialoge fehlten, fand ich hingegen eine ziemlich gute Idee (bei der Jacobs-Aufnahme der „Leonore“, die Ende letzten Jahres erschien, fiel mir – trotz sprachlicher Anpassung, wenn ich das richtig erinnere – wieder mal auf, sperrig, umständlich, langfädig … Homoki projizierte Schlüsselworter und -phrasen sowie Ortsangaben und mehr an die Rückwand, und das reichte. So konnte das ganze auch in zwei Stunden ohne Pause (super!) geboten werden.

    Dafür war der Einstieg mit dem Quartett schwierig – so mitten rein, laut, heftig … und das blieb auch noch eine Weile ein Problem. Die Musik ist – trotz recht klein besetztem Orchester – so wuchtig, dass die Stimmen sich nicht immer durchzusetzen vermochten, gerade Wolfgang Koch blieb bei seinem Hausdebut leider ziemlich fahl – seine Stimme reichte einfach nicht, um den Raum zu füllen. Die anderen Hausdebütanten hatten keine solchen Probleme, Ivashenkos Rocco war sehr gut, Schagers Florestan … nunja. Doch zuerst zu Anja Kampe, die schon 2013 die Leonore sang. Sie war schwer beeindruckend, eine grosse Stimme mit Strahlkraft, aber auch zu leisen Tönen in der Lage, eine immense Bandbreite jedenfalls, und ein vollkommen überzeugender Auftritt. In der ersten Hälfte, dem Singspiel-Teil, war Mélissa Petit eine nahezu perfekte Partnerin: die beiden Stimmen passten wunderbar, der Rocco von Ivashenko passte ebenfalls sehr gut dazu – was auch für den in Zürich gern gesehenen Spencer Lang als Jaquino gilt). Einzig wenn Kampe in die Vollen ging, verblasste Petits kleinere Stimme daneben. Doch ihre Stimme ist mir viel lieber als eine, wie die von Kampe – ich hörte sie in Zürich v.a. zweimal in frz. Barock-Opern, als Créuse in Charpentiers „Médée“ und als Aricie in Rameaus „Hippolyte et Aricie“, aber auch als Sophie in „Werther“.

    Mir schien auch nach dem Quartett – die Überleitung folgt aus dem Trompetensignal zur passenden Stelle zu Beginn des letzten Drittels der dritten Leonore-Ouvertüre – noch eine Weile die Balance zwischen Graben und Bühnen nicht optimal, doch das Singspiel macht es einem ja dann schon sehr leicht, in die Musik zu finden – ob Beethoven nun was von Gesangsstimmen verstanden haben mag oder nicht, ist mir dabei eigentlich egal, denn für die zwei Soprane schrieb er unfassbar schöne Musik (Janowitz/Popp in der Bernstein-Einspielung!). Im zweiten Teil, der ernsten, tragischen Oper dann, hat Florestan seinen grossen Auftritt. Und klar braucht das eine gewichtige Stimme, aber der Heldentenor von Schager war mir doch entschieden zu viel. Er kann so ca. zwischen ff und ffff differenzieren und hat darunter nur eine leer Hülle von Stimme – und vermied daher wohl leiseres Singen nach Möglichkeit. Es war, als ob das Volumen erst ab einer gewissen – lauten! – Lautstärke dazukomme, davor war quasi nichts dran an der Stimme. Kampe war ihm aber zum Glück absolut gewachsen, Ivashchenko und dann auch Oliver Widmer hatten damit ebenfalls keine Mühe, aber Koch eben schon.

    Musikalisch entwickelte das Ding aber ungeheuren Sog, die kleinen Probleme in der Lautstärken-Abstimmung vergass ich darob am Ende völlig (ausser, dass Pizarro halt nicht so gut zu hören war, das blieb), und beim Wandel zur Kantate war das ganze eigentlich nur noch ein Ritt, von dem man hoffte, er möge noch etwas länger andauern. Zwiespältig also, aber dennoch beeindruckend!

    Zürich, ZKO-Haus – 02.02.2020
    Kammermusik@ZKO – Matinée Française

    Daria Zappa Matesic Violine
    Inès Morin Violine
    Stefania Verità Violoncello
    Emanuele Forni Theorbe
    Naoki Kitaya Cembalo

    François Couperin Sonate, aus: Second Ordre «L’Espagnole» in c-Moll (Les Nations)
    Robert de Visée Prelude, La Mascarade und Assez de Pleurs, aus: Manuskript «Madame Vaudry de Saizenay» in g-Moll
    Jean-Philippe Rameau Cinquième concert in d-Moll, aus: Pièces de clavecin en concerts
    Francesco Corbetta Caprice de chacone in C-Dur, aus: La Guitarre Royalle
    Jean-Marie Leclair Deuxième récréation de musique in g-Moll op. 8
    André Chéron Passacaille, aus: Sixième sonate in A-Dur (Sonates en trio)
    E: Jean-Philippe Rameau Le Tambourin, aus: Troisième concert, Pieces de clavecin en concert

    Vorhin war ich beim Kammermusik-Konzert, das der Cembalist des Zürcher Kammerorchesters zusammen mit Kolleginnen und dem Theorben- und Gitarren-Spezialisten Emanuele Forni veranstaltete. Er sagte nach der Couperin-Sonate auch ein paar Worte zur Musik und kündete am Ende die Zugabe an. An der ersten Stimme wechselten sich Zappa und Morin ab, erstere spielte bei Couperin und Leclair die erste, Morin übernahm bei Rameau und Chéron. Die Stücke von de Visée und Corbetta waren Solos von Forni, der in Zürich öfter auftaucht, wenn eine Theorbe gefragt ist, sei es in Kammermusik- oder Orchester/Chor/Opern-Aufführungen. De Visée spielte er an der Theorbe, Corbetta an einer kleinen Gitarre – beides alte Instrumente (oder entsprechende Nachbauten). Dass die drei Streicherinnen (Cello ohne Dorn, immerhin) moderne Instrumente mit Stahlsaiten spielte und das Cembalo ordentlich laut war, half der Balance nicht immer (Forni ging etwas unter, wenn er nicht gerade mit der ganzen Hand alle Saiten der kleinen Gitarre schrammelte, wie bei Leclair und Chéron zu hören – bei Leclair begann er an der Theorbe und wechselte dann).

    Ich mag da keine grossen Worte schreiben, aber es wurde rasch klar, wie gut diese Leute sind, wie sie eben auch mit Kammermusik im kleinen Rahmen bestens zu recht kommen, diese mit viel Elan präsentieren. Vor allem die zwei Geigen harmonierten hervorragend, was besonders bei der virtuosen Musik von Leclair wunderbar anzuhören war. Chérons Passacaille war wohl das unerwartete (weil mir völlig unbekannte) Highlight zum Schluss – er war zwar nur zwei Jahre älter, aber Lehrer von Leclair. Dass nach der dramatischen Steigerung am Ende von Leclair und dann der irren Passacaille noch Rameaus „Le tambourin“ als Zugabe geboten wurde, passte perfekt. Davor, bei Couperin und Rameau, beeindruckte vor allem der Farbenreichtum, ein schimmerndes Prisma, in stetiger Bewegung.

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    yaiza

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    gypsy-tail-wind Zürich, ZKO-Haus – 02.02.2020 Kammermusik@ZKO – Matinée Française

    magisches Datum :D   „Matinées“ könnte man demnächst vielleicht auch vermehrt im Konzerthaus erleben. Die Abo-Kunden wurden angeschrieben und dazu befragt… Wann ist da bei Euch der Start? 11.00 Uhr? Bin mal gespannt, was da rauskommt. Für Kammermusik könnte das passen, für Sinfonien (und danach wurde auch gefragt) wäre mir das wohl zu früh… vermutlich wollen sie zusätzliches Angebot schaffen (in den Tageszeitungen las ich über neue Kennzahlen bzgl. Auslastungen und vermehrten Befragungen zur Zufriedenheit der Besucher in den Spielstätten.) Der Kuchen wird halt nicht größer…

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    #10991709  | PERMALINK

    yaiza

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    Adi Neuhaus      Pianosalon Christophori, Bln-Wedding, 20.02.2020

    Waldszenen (Schumann), Mazurken und Ballade Nr. 4 (Chopin); Transkriptionen von zwei Schubert-Liedern (Liszt), Variationen über ein Thema von Corelli (Rachmaninow)

    Adrian Neuhaus, er tritt unter Adi Neuhaus auf, studiert er an der UdK in Berlin und gab gestern ein wirklich schönes Konzert. Er änderte das Programm kurzfristig ab. Die Waldszenen waren die einzigen, die auch in der Ankündigung zu finden waren und kontrastreich gespielt wurden. Besonders gut hat mir die zweite Hälfte mit den Liszt-Transkriptionen von Der Müller und der Bach sowie Gretchen am Spinnrade gefallen. Gerade bei ersterem war die Singstimme sehr schön eingearbeitet… Liszt wird zumindest im Pianosalon sehr selten gespielt, und wenn dann meist im Zsh. mit Beethoven. Ich habe auch mal einige Bearbeitungen aus der Winterreise auf CD gehört (allerdings auf Hammerklavier), ich werde mal schauen, was sich da zum Weiterhören finden lässt. Da hat er mich auf den Geschmack gebracht. (Die Musiklehrer hinter mir empfahlen mir schonmal Howard Shelley.) Zum Schluss dann Rachmaninow und die Variationen über ein Thema von Corelli – ein sehr schöner Ausklang. In der Einleitung wurde nochmal erwähnt, dass diese Variationen bei der Uraufführung 1931 in Montreal und dann später in den USA beim Publikum nicht gut ankamen und er je nach Publikum Variationen wegließ. Adi Neuhaus hatte gestern ein sehr aufmerksames und absolut ruhiges Publikum. Nach dem Verklingen des letzten Tons breitete sich noch eine angenehme Stille aus bis dann der lange Applaus losging. Als Zugabe beschenkte er uns noch mit Bach… (da habe ich gerade auch einen „Lauf“ :D). Das Konzert war recht spontan angekündigt, und ich bin wirklich froh, dass ich die Zeit hatte, dorthin zu gehen.

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    #10991871  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    @yaiza Ja, in diesem Fall (Zürcher Kammerorchester) um 11 Uhr, Tonhalle (selten bzw. an anderen Spielorten für die Reihe Literatur und Musik) und Opernhaus beginnen um 11:15, in der Tonhalle selbst sind die Kammermusik-Konzerte als Soirées meist Sonntags um 17 Uhr, und um die Zeit gibt es ähnliches auch in Winterthur beim Musikkollegium.

    Bei mir geht es morgen weiter mit Gluck, „Orphée et Euridyce“ – hier der Premierenbericht der NZZ, den ich noch nicht zu lesen schaffte:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/opernhaus-zuerich-iphigenie-en-tauride-deiner-familie-entkommst-du-im-leben-nicht-ld.1538154

    Donnerstag dann beim Tonhalle-Orchester Vilde Frang mit Rafael Payare am Pult mit Bartók (Mandarin Suite), Schostakowitsch (VC1) und Dvorák (Nr. 7). Und Sonntag (um 18:30 in der Tonhalle, aber nicht vom Tonhalle-Orchester veranstaltet, dann begänne es um 17 Uhr) gibt es András Schiff mit dem zweiten Buch des WTC.

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    yaiza

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    @gypsy-tail-wind: vielen Dank für die Infos…   Mit Bartók werdet ihr ja regelmäßig bedacht… :good:

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    #10992067  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    yaiza
    @.gypsy-tail-wind: vielen Dank für die Infos… Mit Bartók werdet ihr ja regelmäßig bedacht… :good:

    Ja, das stimmt – aber in der Regel eher mit solchen nicht ganz schwergewichtigen Werken … VC2 gab’s aber vor einigen Jahren mal (Julia Fischer, überraschend gut fand ich, seither hab ich bei mehreren Konzerten begriffen, dass sie wohl viel mehr Schärfe drauf hat, als man ihren Aufnahmen auf den ersten Blick anhört) und dann besonders auch mal das Konzert für Orchester. Dieses würde ich aber heute, wo mich dünkt, dass ich so viel mehr weiss als damals vor 5, 6 Jahren, enorm gerne nochmal im Konzert hören!

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