Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 01.01.2020

Vesselina Kasarova Mezzosopran (c)
Richard Galliano Akkordeon (b)
Zürcher Kammerorchester (Willi Zimmermann, Konzertmeister) (a)

Jacques Offenbach «Barcarole» aus «Les contes d’Hoffmann» (a, b, c)
Richard Galliano «La valse à Margaux» (a, b)
Stefano Donaudy «O del mio amato ben» (a, c)
Ástor Piazzolla «Oblivion» (a, b)
Gerardo Matos Rodríguez «La Cumparsita» (a, b)
Richard Galliano «Aria» (a, b)
Ástor Piazzolla «Otoño porteño» (a, b)

Georges Bizet «Habanera» aus «Carmen» (a, c)
Ástor Piazzolla «Libertango» (b)
Eduardo Di Capua «Vieni sul mar» (a, c)
Richard Galliano Allegro energico aus «Opale Concerto» (a, b)
Ástor Piazzolla «Melodia en La Menor» (a)
Gioacchino Rossini «Canzonetta spagnuola» (a, c)

E: Gioachino Rossini/Robert Lucas de Pearsall Duetto buffo dei due gatti (a, b, c)

Am Neujahrstag ging es zum Konzert des Zürcher Kammerorchesters, wieder einmal ohne Dirigent und mit Willi Zimmermann als Konzertmeister (er dirigierte bei einigen Stücken zwischendurch, spielte aber immer mit). Das Programm wurde kurzfristig ein wenig umgestellt, Kasarova sang zwei Stücke weniger und ersetzte im zweiten Teil eines – die „Habanera“ war nicht vorgesehen, wurde aber durch ihren eindrücklichen Gesang zu einem der schönsten, intensivsten Momente des Konzertes. Das Konzert fand am Vorabend schon im KKL in Luzern statt, und ich fragte mich, ob es danach etwas zu munter zu und herging und Kasarova ihre Beiträge deshalb etwas kürzen musste? Ihrem Gesang hörte ich allerdings nichts an, im Gegenteil fand ich ihre Stimme – aus der ersten Reihe – fast schon beängstigend intensiv. Eine beeindruckende Stimme jedenfalls, mit einer voluminösen Tiefe, in der auch kaum noch zu unterscheiden ist, ob die Stimme nun von einer Frau oder einem Mann stammt. Die beiden Solisten traten nur im ersten Stück und in der Zugabe gemeinsam auf, doch fand ich den Ablauf des Programmes trotzdem recht stimmig. Galliano öffnete die eine oder andere Nummer solo, spielte nur in den gerade erwähnten zwei ab Noten und improvisierte wohl auch ein klein wenig, natürlich in festen Bahnen, das geht ja mit Orchester nicht anders. Ein Stück spielte Galliano solo, ein anderes das Orchester ohne Galliano – ich glaube ich hab das oben richtig hingekriegt mit den Buchstaben hinter den Stücken, aber dafür stimmt wohl etwas in der Reihenfolge nicht, denn das Galliano-Solo stand vor einem mit Orchester oder vor demjenigen ohne Solisten, sicher nicht zwischen zweien von Kasarova. Aber durch die nur via Aushang kommunizierten Umstellungen und meine Kritzeleien auf dem Zettel mit dem eigentlich vorgesehenen Programm ist das gerade nicht mehr so leicht zu rekonstruieren – und spielt ja auch keine Rolle.

Galliano gefiel mir hervorragend – hatte ihn noch nie live gehört und hätte ihn auch gerne in einem Jazzkontext mal gehört (das Trio-Album „Ruby My Dear“ mit Larry Grenadier/Clarence Penn ist wohl mein liebstes), aber es passte auch so. Die Piazzolla-Stücke und seine Originals fand ich fast alle super, das Allegro energico aus einem Konzert (?) wohl eine Spur zu ambitioniert. Etwas weniger toll ist halt, dass in jedem Konzert, das irgendwas mit Tango zu tun hat, auch stets „La cumparsita“ erklingen muss – aber das gespielte Arrangement (keine Ahnung von wem, andere der Stücke wurden gemäss Website – auch dazu im Programm, das am Abend gar nicht mehr verteilt wurde, kein Wort, kümmert das Festpublikum wohl auch nicht weiter, ist aber dennoch nicht grad guter Service – von Massimiliano Matesic symphonisch bearbeitet: die „Barcarolle“ von Offenbach, Rossinis „Canzonetta spagnula“ und die napolitanischen Lieder von Donaudy und Di Capua, ein weiteres solches, „Marechiare“ von Tosti, sowie «Melodiya», aus Bulgarische Volklieder für Mezzosopran und Streichorchester wurden weggelassen, statt der „Habanera“ war Rossinis „La Danza“ im Programm gestanden).

Für die Zugabe spielte Galliano dann eine Art blasbares Mini-Akkordeon (das auch sehr viel schöner klang als eine Plastic-Melodica): er übernahm die zweite Stimme im Katzen-Duett von Rossini, in dem Kasarova noch einmal zu Höchstform auflief. Ein sehr charmanter Ausklang für einen für meinen Geschmack etwas kurz geratenen Abend (mit kurzen einleitenden Worten – die man sich bitte gerne schenken mag, liebes ZKO! – viel Applaus, Auf- und Abgängen der Solistinnen und Zugabe knapp zwei Stunden), der sich aber mehr als gelohnt hat.

Zürich, Opernhaus – 02.01.2020

La Cenerentola
Melodramma giocoso in zwei Akten von Gioachino Rossini (1792-1868)
Libretto von Giacopo Ferretti

Musikalische Leitung Gianluca Capuano
Inszenierung Cesare Lievi
Bühnenbild und Kostüme Luigi Perego
Lichtgestaltung Gigi Saccomandi
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger

Angelina, genannt Cenerentola Cecilia Bartoli
Don Ramiro, Prinz von Salerno Javier Camarena
Dandini, sein Diener Oliver Widmer
Don Magnifico, Vater von Clorinda und Tisbe Alessandro Corbelli
Clorinda Rebeca Olvera
Tisbe Liliana Nikiteanu
Alidoro, Philosoph, Don Ramiros Lehrer Stanislav Vorobyov

Orchestra La Scintilla
Continuo: Andrea del Bianco, Hammerklavier
Chor der Oper Zürich

Gestern ging ich dann völlig unvorbereitet in die „Cenerentola“ – einzig eine Aufzeichnung im Fernesehen hatte ich von der Oper mal angeschaut, das Programmheft im voraus zu kaufen schaffte ich nicht mehr – und so war ich schon mal überrascht, im Graben La Scintilla, das Originalklang-Ensemble, anzutreffen. Das ist zwar die Regel, wenn Bartoli in Zürich auftritt, wenigstens in den letzten Jahren, wo ich das verfolgt habe, aber bei Rossini hätte ich nun doch eher mit der Philharmonia, also dem regulären Orchester der Oper Zürich gerechnet. Am Pult stand Gianluca Capuano, der auch auf der wunderbaren aktuellen CD von Bartoli auf dem letzten Stück mit ihren Musiciens du Prince-Monaco zu hören ist (Bartoli wird ja in Monaco künftig auch als Intendantin tätig sein). Die derzeit für drei Aufführungen wieder gespielte Inszenierung steht in Zürich seit einem Vierteljahrhundert immer mal wieder auf dem Spielplan, und sie immer schon sang Bartoli darin die Angelina. Mit Javier Camarena hatte sie dieses Mal einen hervorragenden Partner in der Rolle des (verkleideten) Prinzen dabei, ihr Ehemann Oliver Widmer sang die Rolle des Kammerdieners (mit dem der Prinz die Rollen tauscht) ebenfalls hervorragend, und sehr gut waren auch die anderen vier, wobei Olvera kurzfristig einsprang (sie gehört wie Nikiteanu zum Ensemble). Im Gegensatz zu den letzten Aufführung mit Bartoli kam die „Cenerentola“ eher bescheiden daher, eine schnörkellose Inszenierung mit einem in kleinen Varianten mehr oder weniger stabilen Bühnenbild – umso wichtiger, dass das Personal auf der Bühne die Rollen auch zu füllen weiss. Dass man bei Bartoli diesbezüglich keine Bedenken haben muss, ist klar, aber ich fand gestern wirklich alle sieben, und auch den nur mit Männerstimmen bestückten Chor sehr gut. Aus dem Graben klang vielleicht mal ein Ton der Bläser etwas schief, aber La Scintilla ist vom Klangbild her wunderbar. Die Lautstärke fehlt mir jedenfalls nicht (sie spielen ja nicht, wenn Verdi oder Puccini aufgeführt wird), gerade wenn der Reichtum an Klangfarben so gross ist. Auch das Continuo war hervorragend – und der Unterschied zu Donizetti (s.o.) interessant, denn letzterer setzte in „Don Pasquale“ auch die Rezitative für Orchester.

Schon vor der Pause gab es riesigen Applaus, sodass die SängerInnen gleich zweimal vor den Vorhang traten, ganz zum Schluss gabe eine Standing Ovation – und dann noch, was ich jetzt gerade in Genf schon, aber davor noch gar nie erlebt hatte: eine Zugabe. Mit Capuano auf der Bühne wurde das Sextett aus der achten Szene wiederholt („Questo à un nono avviluppato“) wiederholt. Eine schöne Auflockerungsübung, nachdem Bartoli davor ihre grosse Schlussarie so wunderbar gesungen hat, dass es wirklich atemberaubend war. Jedenfalls nach diesem zweiten Abend erst recht ein Jahresauftakt nach Mass!

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