Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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  • #9118431  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Ich glaube nicht, dass ich mich in diesem Sinne schuldig gemacht habe – mir kam Deine Sichtweise da und dort bloss ziemlich einseitig vor: Konzept zentral und bei Motown genial, Musiker Austauschware … mag sein, dass das in manchen Fällen bei den Frontleuten stimmt, aber bei der Band wohl kaum … bzw. klar, man hätte für den einen oder anderen einen Ersatz finden können, musste man gewiss auch hie und da – aber das ändert nichts an der Tatsache, dass das Level der Musiker letzlich quasi das Rohmaterial ist, ohne den das Ganze nicht möglich gewesen wäre.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #9118433  | PERMALINK

    bullschuetz

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    Beiträge: 2,114

    gypsy tail windIch glaube bloss, der zentrale Punkt ist weiterhin: trotz all den Bemühungen von Label-, Produzenten-, A&R-, Songwriter-Seite: ohne talentierte Musiker wäre nichts draus geworden.

    Klar. Aber dass es nicht ohne Talent geht, gilt für jede Musik. Den Satz setze ich mal als Binsenweisheit voraus – danach aber wird es bei Motown erst richtig spannend, wenn man sich nämlich fragt: Inwiefern war die spezielle Motown-Struktur ambitionsermöglichend, talentfördernd, katalysierend etc pp? Und inwiefern war sie beengend, talentausbeuterisch, kreativitätsformatierend etc pp?

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    #9118435  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,114

    gypsy tail windMir kam Deine Sichtweise da und dort bloss ziemlich einseitig vor: Konzept zentral und bei Motown genial, Musiker Austauschware …

    Okay, verstehe. Nein, das wollte ich keinesfalls behaupten.

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    #9118437  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 44,759

    gypsy tail windIch glaube bloss, der zentrale Punkt ist weiterhin: trotz all den Bemühungen von Label-, Produzenten-, A&R-, Songwriter-Seite: ohne talentierte Musiker wäre nichts draus geworden. Das ist die Basis und ich denke das war es auch, worauf Go1 hinaus wollte.

    Die Frage ist eben, wie man es schafft, damit Geld zu verdienen.

    @nail: nochmal, es geht hier ja v.a. um Jazz, und die Formationen, die im Studio Platten einspielten waren ja in der Tat oft extra für die Sessions zusammengestellt …. aber dass die sonst nicht zusammen gespielt haben, nie hätten (wenn es das ist, was Du mit „zusammenfinden“ meinst), stimmt dennoch in sehr vielen Fällen schlichtweg nicht.

    Ich bezog mich vor allem auf das Motown-Beispiel. Im Jazz ist die Situation eine andere, das stimmt.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #9118439  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,124

    bullschuetzOkay, verstehe. Nein, das wollte ich keinesfalls behaupten.

    nail75Ich bezog mich vor allem auf das Motown-Beispiel. Im Jazz ist die Situation eine andere, das stimmt.

    Alles klar!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9118441  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

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    Beiträge: 5,625

    nail75Deine obige Sichtweise halte ich nicht nur für einseitig, sondern in dieser Absolutheit für falsch. Wenn man sich anhört, was Musiker zustandebringen, die sich keine Produzenten leisten können, dann ist es häufig so, dass die zusätzliche Freiheit ihnen keineswegs immer guttut.

    Du musst da schon den Kontext berücksichtigen, in dem meine Aussage steht. Ich widerspreche damit der These, „dass (…) ökonomisches Kalkül, Streben nach Gewinn, Marktdruck usw. … das Kunstschaffen … überhaupt erst möglich gemacht haben“. Und der folgende Satz führt ein Beispiel an, worin die größere Freiheit bestanden haben könnte: „Sie hätten dann jedenfalls weniger Konfektionsware produziert und weniger Zeit mit der Ausbeutung von Erfolgsformeln verschwendet.“ Ich meine nämlich schon, dass künstlerisches Talent hier nicht nur entwickelt, sondern teilweise auch verschwendet worden ist.

    „Künstlerische Freiheit“ heißt nach meinem Verständnis, dass die Künstler keinen anderen Imperativen als eben künstlerischen folgen müssen. Von Launen und Eitelkeiten ist das wohl zu unterscheiden. Wenn es, wie in Deinem Beispiel, der Produzent ist, der die künstlerische Stimmigkeit gegen den Geltungsdrang eines einzelnen Musikers durchsetzt, heißt das nur, dass auch er ein Teil des Kollektivs ist, das die infragestehende Leistung erbringt.

    Fähige Künstler sind übrigens auch fähig, sich selbst die Einschränkungen aufzuerlegen, die für ihr jeweiliges Vorhaben förderlich sind. Wie heißt es bei Goethe:

    F: Was fang ich mit der Regel an?
    A: Du stellst sie auf und folgst ihr dann.

    nail75Popmusik ist ohne Kommerz nicht denkbar.

    Diese Sichtweise halte ich nicht nur für einseitig, sondern in dieser Absolutheit für falsch. ;-) Denkbar ist das schon, nur noch nicht verwirklicht. Der bestehende Zustand ist aber nicht das Ende der Geschichte.

    gypsy tail windIch glaube bloss, der zentrale Punkt ist weiterhin: trotz all den Bemühungen von Label-, Produzenten-, A&R-, Songwriter-Seite: ohne talentierte Musiker wäre nichts draus geworden. Das ist die Basis und ich denke das war es auch, worauf Go1 hinaus wollte.

    So ähnlich. Es sind immer die versammelten Talente und Mühen einer bestimmten Kombination von Leuten, die die künstlerischen Leistungen möglich machen (und nicht das Gewinnstreben oder das ökonomische Kalkül). Zu dieser Kombination von Leuten (nennen wir sie: „das Kollektiv“) zählen in erster Linie die talentierten Musiker, Songschreiber und Produzenten, im weiteren Sinne aber auch die „facilitators“, die dazu beitragen, dass die richtigen Musiker zusammenkommen und ein Umfeld vorfinden, in dem sie schöpferisch tätig sein können, die jeweiligen „Musen“ usw. Mit diesem Hinweis hat Bullschuetz völlig recht – nur ist das gar kein Argument für seine These!

    Der Denkfehler geht so: Ein Kollektiv von Leuten erbringt durch die Kombination ihrer Tätigkeiten bestimmte Leistungen – und weil es eine Firma war (ein „Einzelkapital“), die diese Leute zusammengebracht hat, zum Zwecke des Geschäftemachens, schreibt man die Leistungen nun fälschlicherweise der Firma zu (dem Kapital) oder gar dem Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Dabei ist es immer nur das Kollektiv, das die Leistungen erbringt, die Leute, die da arbeiten und musizieren – und diese Leute könnten genauso auch ohne den Geschäftszweck zusammenarbeiten und ihre Talente verwirklichen. Die sachliche Voraussetzung ist nur, dass sie an die nötigen Produktions- und Lebensmittel herankommen.

    --

    To Hell with Poverty
    #9118443  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,114

    Go1Es sind immer die versammelten Talente und Mühen einer bestimmten Kombination von Leuten, die die künstlerischen Leistungen möglich machen (und nicht das Gewinnstreben oder das ökonomische Kalkül). Zu dieser Kombination von Leuten (nennen wir sie: „das Kollektiv“) zählen in erster Linie die talentierten Musiker, Songschreiber und Produzenten, im weiteren Sinne aber auch die „facilitators“, die dazu beitragen, dass die richtigen Musiker zusammenkommen und ein Umfeld vorfinden, in dem sie schöpferisch tätig sein können, die jeweiligen „Musen“ usw. Mit diesem Hinweis hat Bullschuetz völlig recht – nur ist das gar kein Argument für seine These!

    Der Denkfehler geht so: Ein Kollektiv von Leuten erbringt durch die Kombination ihrer Tätigkeiten bestimmte Leistungen – und weil es eine Firma war (ein „Einzelkapital“), die diese Leute zusammengebracht hat, zum Zwecke des Geschäftemachens, schreibt man die Leistungen nun fälschlicherweise der Firma zu (dem Kapital) oder gar dem Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Dabei ist es immer nur das Kollektiv, das die Leistungen erbringt, die Leute, die da arbeiten und musizieren – und diese Leute könnten genauso auch ohne den Geschäftszweck zusammenarbeiten und ihre Talente verwirklichen. Die sachliche Voraussetzung ist nur, dass sie an die nötigen Produktions- und Lebensmittel herankommen.

    Tut mir leid, ich finde, auf diese Art wird das Besondere an Motown wegerklärt. Ich schätze, ich muss das näher begründen – dafür fehlt mir heute Abend die Zeit. Ich bleibe dran. Ganz kurz vorerst nur: Natürlich hätten theoretisch die beteiligten Backing-Musiker, Produzenten, Songwriter, Sänger auch ohne Geschäftszweck zusammenarbeiten können. Praktisch wäre es in dieser Kombination aber mit ziemlicher Sicherheit nie dazu gekommen, wenn es nicht diese Firma gegeben hätte, die als Talentbündelungs-Unternehmen mit enormer Strahlkraft fungierte, das Puzzlespiel, wer zu wem passt, mit sicherem Instinkt betrieb und dabei immer einem Crossover-Markteroberungs-Ehrgeiz folgte, einer kommerziellen Ambition, die natürlich auch die musikalische Gestaltung prägte. Und das Ganze stand nun mal unterm Zeichen „Selbständiges Unternehmertum in schwarzer Hand“, es gehörte eben zum Antrieb gerade nicht nur, Musik zu machen, sondern auch das Prinzip „Schwarze Künstler, weiße Vermarkter und Geldverdiener“ zu durchbrechen.

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    #9118445  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,114

    Mit anderen Worten: Selbst wenn diese Leute alle nicht unterm Dach dieser Firma zusammengekommen wären (was ich mir schlechterdings nicht vorzustellen vermag, weil Motown ja gerade der erfolgversprechende und potente Fixstern war, der diese Talente anzog und teilweise entdeckte), sondern „einfach irgendwie so“ – sie hätten mit Sicherheit eine andere Musik gemacht.

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    #9118447  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,114

    Oder nochmal anders gesagt: Gerade der unglückliche Vergleich mit Alfred Lion zeigt doch den himmelweiten Unterschied. Lion war, wenn ich das richtig verstanden habe, wohl eher jemand, der Musikern, die er verehrte, gute Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellte, damit sie tun konnten, was sie tun wollten. Und Motown hat ganz sicher nicht nach diesem Prinzip funktioniert.

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    #9118449  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

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    Jetzt die Langfassung: Motown wollte „Hitsville USA“ sein, nicht Soulsville oder Artsville und auch nicht bloß Detroit, es musste schon Hitsville USA sein. Und Motown wollte „the sound of young america“ produzieren, nicht „the sound of black america“. Das waren die Ansagen, und die sollte man schon ernstnehmen, ganz egal, ob man die Ergebnisse gut oder schlecht findet. Es wären jedenfalls andere geworden, wenn es nicht diesen größeren Ambitionszusammenhang gegeben hätte.

    Es geht ja das Gerücht, Gordy habe sich an der Auto-Produktion orientiert – straffe Qualitätskontrolle, Innovationen entwickeln, erfolgreiche Linien variieren, hohe Produktionseffizienz, Schnelligkeit beim Nachliefern eines „Folgemodells“, Einhaltung von Produktionszyklen, die sich als marktkompatibel erwiesen haben; wer böse sein will, darf gerne auch „Fließbandproduktion“ dazu sagen.

    Und die Talententwicklung, der Aufbau von Acts lief auch nach sehr speziellen Prinzipien (ich verwende zur Beschreibung jetzt mal extrahässliche Vokabeln …): Man investierte in sie, bis sie sich amortisierten. Freundlicher ausgedrückt: Ließ sie Tourerfahrungen sammeln, begleitete sie, baute sie auf, bildete sie aus, verpasste ihnen Schliff, brachte sie mit kompetenten Lehrern, Produzenten, Partnern zusammen, suchte nach dem passenden – mal eher samtigen (Supremes), mal emotionswuchtigen (Four Tops) mal was weiß ich wie beschaffenen – Klangformat für sie.

    Gängelte man sie auch? Definitiv (weshalb ja mehr als einer irgendwann ausbrach – und manche wurden dabei noch größer, während andere nie wieder an frühere Erfolge anknüpfen konnten). Es gibt zu jedem Aspekt der spezifischen Motownkultur ein Pro und Contra, man kann jedes Detail bewundernswert oder schrecklich finden oder beides. Aber die Musik von Motown lässt sich nicht verstehen ohne diesen Hintergrund – man kann die Frage, die da bei der Produktion immer mitschwang, nicht einfach ausblenden: Wie muss das Produkt beschaffen sein, damit es dem Anspruch, aus „Hitsville USA“ zu sein, gerecht wird und damit es nicht nur den Sound of Black America, sondern of Young America widerspiegelt? Und so kamen die Geigen zum Gospel, die Tambourine aufs Schlagzeug, damit noch der letzte Tanzdepp den Offbeat spürte, das Orchestrale zum Erdigen, und neben Tanz- und Gesangsunterricht gab es Benimmkurse.

    Man muss das ja nicht alles gut finden, mir ist schon bewusst, dass das nicht dem Ideal des „freien Künstlers“ und seiner „künstlerischen Freiheit“ entspricht – aber das genau war doch mein Punkt: Auf genau diese besondere und womöglich durchaus fragwürdige Art ist eben etwas produziert worden, das eine ganz genuine klangliche Handschrift, etwas Besonderes hat. Zusammengefasst: Bei Motown wurde etwas produziert, das genau so, wie es klingt, deshalb klingt, weil verschiedene Faktoren, musikalische und außermusikalische, zusammenkamen; künstlerisches Talent, kommerzielle Ambition, arbeitsteilige und kapitalistische Produktionsweise, schwarzes Selbstbewusstsein, Crossover-Willen.

    Und daraus kann man dann zweierlei folgern: Wenn man die Motown-Musik großartig findet (was ich tue), kommt man nicht umhin, die Besonderheiten ihrer Entstehung zur Kenntnis zu nehmen und neben dem Talent der beteiligten Musiker als mitursächlich zu akzeptieren. Wenn man sich zu diesem Eingeständnis nicht durchringen will, bleibt einem nichts anders übrig, als die Motown-Musik sicherheitshalber lieber mal nicht so großartig zu finden und zu sagen: „Wenn diese armen Künstler nicht diesem Schweinekapitalisten Berry Gordy in die Hände gefallen wären, hätten sie noch viel, viel tollere Musik gemacht.“

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    #9118451  | PERMALINK

    go1
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    bullschuetzSelbst wenn diese Leute alle nicht unterm Dach dieser Firma zusammengekommen wären (…), sondern „einfach irgendwie so“ – sie hätten mit Sicherheit eine andere Musik gemacht.

    Das versteht sich von selbst. Aber sie wären nicht weniger kreativ gewesen und hätten nicht weniger gute Kunst geschaffen (wahrscheinlich aber weniger schlechte – siehe oben).

    bullschuetz…was ich mir schlechterdings nicht vorzustellen vermag, weil Motown ja gerade der erfolgversprechende und potente Fixstern war, der diese Talente anzog und teilweise entdeckte

    Die Umstände damals in Detroit waren eben so – aber es ist leicht, sich andere Umstände vorzustellen, die gleichartige Wirkungen gehabt hätten. Der Sache nach kommt es darauf an, einen Anziehungspunkt für Talente zu schaffen, mit Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten und einem Lebensunterhalt – und vor allem mit der nötigen Infrastruktur für künstlerische Kooperationen. Man hätte all die Talente genauso anziehen können, wenn die Mittel dafür aus öffentlichen Händen gekommen wären oder von privaten Stiftungen.

    Der Hauptpunkt bleibt, dass es die versammelten Talente selbst sind, die das Kunstschaffen möglich machen, ihre Fähigkeit zur gemeinsamen künstlerischen oder unterstützenden Arbeit – und nicht Gewinnstreben und ökonomisches Kalkül. Das gilt allgemein, also auch im Falle Motown. Über dessen Besonderheiten können wir uns gerne bei anderer Gelegenheit unterhalten. Oder besser gesagt: Ich werde gerne lesen, was Du dazu zu sagen hast.

    Nachtrag:

    bullschuetzDass es nicht ohne Talent geht, gilt für jede Musik. Den Satz setze ich mal als Binsenweisheit voraus – danach aber wird es bei Motown erst richtig spannend, wenn man sich nämlich fragt: Inwiefern war die spezielle Motown-Struktur ambitionsermöglichend, talentfördernd, katalysierend etc pp? Und inwiefern war sie beengend, talentausbeuterisch, kreativitätsformatierend etc pp?

    Diese Frage hast Du mit Deinen Hinweisen oben eigentlich schon selbst beantwortet: Die „Motown-Struktur“ war insoweit kreativitätsfördernd, wie sie die Funktionen erfüllt hat, die allgemein erfüllt sein müssen, um ein solches Kunstschaffen zu ermöglichen, nämlich:
    – mannigfache Talente anzuziehen und zu versammeln,
    – ihnen Zugang zu Produktions- und Lebensmitteln zu verschaffen und
    – Kooperationen zwischen Künstlern, die zueinander passen, zu ermöglichen.
    Diese Funktionen hätten aber auf andere Weise als bei Motown genauso gut oder sogar besser erfüllt werden können. Und natürlich verdankt sich das, was bei Motown geleistet worden ist, nicht einer ominösen „Struktur“, sondern der Arbeit der Leute dort – der Künstler und derjenigen, die sich um die Organisation gekümmert haben.

    Ansonsten war so ziemlich alles an Motown „kreativitätsformatierend“ – und das gilt besonders für die kommerziellen Ambitionen des Unternehmens. Der Versuch, mittels Produktion von Kulturwaren aus Geld mehr Geld zu machen – der kunstfremde Zweck -, garantiert, dass die genannten Funktionen nur unvollkommen erfüllt werden und die Förderung der Künstler untrennbar mit Nachteilen für sie verwoben ist – ein paar davon hast Du selbst genannt (das zum Abschluss mal als These von meiner Seite aus).

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    #9118453  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das Tamburin auf dem Drum-Set – oder eher in den Händen eines zusätzlichen Musikers – gab es bei Alfred Lion in den Sechzigern auch ziemlich oft ;-)

    Und ich glaube der obige Satz zu Lion greift schon etwas zu kurz, da steckt schon mehr dahinter – aber auf jeden Fall ist der Antrieb die immense Freude an der Musik, der Drang, festzuhalten und zu dokumentieren, was damals zu hören war (und dabei natürlich auch Studio-Formationen zusammenzustellen, die vorher und nachher so vielleicht nie mehr existierten – da halfen die bezahlten Proben natürlich ungemein). Es gibt ja dieses kleine Video von Ruth Lion, das ich neulich schon anderswo verlinkte, in dem sie berichtet, wie Lion, als er Jimmy Smith hörte, sein Label verkaufen wollte und mit Smith mitreisen, um diese phantastische Musik jeden Tag hören zu können.

    Vermutlich sind es solche Stories (es gibt genügend ganz andere), die mir beim Jazz so gut gefallen – und natürlich die Tatsache, dass es nicht um ein Produkt geht sondern um etwas, das eigentlich gar nicht greifbar ist, etwas, das im Moment seiner Entstehung bereits unwiderbringlich verloren ist, das Festhalten des Augenblickes …

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    go1
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    bullschuetzEs gibt zu jedem Aspekt der spezifischen Motownkultur ein Pro und Contra, man kann jedes Detail bewundernswert oder schrecklich finden oder beides.

    Diese Ambivalenz ist doch gerade charakteristisch. Das Pro ohne Contra hätte es nur unter ganz anderen gesellschaftlichen Verhältnissen geben können.

    bullschuetzWenn man die Motown-Musik großartig findet (was ich tue), kommt man nicht umhin, die Besonderheiten ihrer Entstehung zur Kenntnis zu nehmen und neben dem Talent der beteiligten Musiker als mitursächlich zu akzeptieren. Wenn man sich zu diesem Eingeständnis nicht durchringen will, bleibt einem nichts anders übrig, als die Motown-Musik sicherheitshalber lieber mal nicht so großartig zu finden und zu sagen: „Wenn diese armen Künstler nicht diesem Schweinekapitalisten Berry Gordy in die Hände gefallen wären, hätten sie noch viel, viel tollere Musik gemacht.“

    Das ist allerdings frech, Du Grobpolemiker. Ja, ich finde den Motown-Output insgesamt nicht so großartig wie Du und das war schon immer so. Live with it. Das liegt an der Musik und meinen musikalischen Wertvorstellungen, die sich offensichtlich von Deinen unterscheiden.

    --

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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    bullschuetz
    Und daraus kann man dann zweierlei folgern: Wenn man die Motown-Musik großartig findet (was ich tue), kommt man nicht umhin, die Besonderheiten ihrer Entstehung zur Kenntnis zu nehmen und neben dem Talent der beteiligten Musiker als mitursächlich zu akzeptieren. Wenn man sich zu diesem Eingeständnis nicht durchringen will, bleibt einem nichts anders übrig, als die Motown-Musik sicherheitshalber lieber mal nicht so großartig zu finden und zu sagen: „Wenn diese armen Künstler nicht diesem Schweinekapitalisten Berry Gordy in die Hände gefallen wären, hätten sie noch viel, viel tollere Musik gemacht.“

    Natürlich könnte man jetzt auch alternativ mutmaßen :

    „Wenn diese armen Künstler nicht diesem Schweinekapitalisten Berry Gordy in die Hände gefallen wären, hätten sie möglicherweise gar keine (professionell produzierte) Musik gemacht.“

    Das „System Motown“ gab es auch in kleineren Dimensionen (um jetzt beim Soul zu bleiben), als gutes Beispiel hier der „Fame Sound“, wo das Chef-Landei Rick Hall mit mit einer Partie von anderen Landeiern (Songwriter aka Dan Penn+Spooner Oldham, Musiker aka Fame Gang etc) einen Sound „zimmerten“, der zumindest im Süden am Puls der Zeit war – das Flieszband in Basisform waren die Demos, welche – ironischerweise oft unerreichbar für die eigentlichen „Stars“ – Dan Penn sang und die Gang mit dem „Haussound“ instrumental unterlegte…….Manches „ging auf“, Anderes nicht……und es gab genug SängerInnen, welch obzwar mit Talent gesegnet eben nie durch jene Tür im FAME Studio gingen (oder gehen durften ?!?!?), über der die Inschrift „FAME Studio – The Sound of Success“ (noch heute !!! btw vor ein paar Jahren, als yours truly dort wieder mal zu Besuch war….) eingraviert ist……

    Rick Hall und seine Frau Linda (welche selbst heute noch immer bereit ist, darauf hinzuweisen, wie „bedroht“ die FAME Studios nicht sind…..) hatten die Hand auf ALLEN relevanten Disc-Jockeys/Radio Stationen des Südens und so…….rollte die Sache…..

    Stellvertretend die verifizierte Anekdote, als der blinde Sänger Clarence Carter seine ersten Aufnahmesession im Fame Studio hatte und ihm ein „Souffleur“, der (während der Aufnahme !!!) den Text einflüstern musste, zuraunte „Sing Clarence, sing…this man (aka Rick Hall) can make you a rich man“……..nuff said.

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
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    bullschuetz

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    Go1Live with it.

    Das werde ich schon irgendwie hinkriegen. Falls ich Dir zu nahe getreten bin, bitte ich um Entschuldigung.

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