Jazz-Glossen

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  • #7661517  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Pat Patricks Sohn Deval, Gouverneur von Massachussetts, hat den morgigen Tag zum Marion Brown Day erklärt :sonne:

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #7661519  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Larry KartI think I’ve mentioned before that I once saw organist Don Patterson play a longish solo with his tongue, in a convincing imitation of cunnilingus. That was also the first time I hear Von Freeman play. Quite an afternoon.

    :lol:

    Quelle

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #7661521  | PERMALINK

    fef

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    Eine Sache, bei der in mir immer wieder einmal ein richtiger Ärger hochsteigt, ist, wie man uns und die gesamte Jazz-Szene in unseren Landen mit diesem Euro-Jazz-Hype verarscht (hat). Alle haben sich das gefallen lassen. Nirgendwo las ich etwas dagegen. Blöd wie das Schlachtvieh.

    Mir kam das gerade hoch, weil ich folgende Aussage des Jazzkritikers Broecking zu Stuart Nicholsons Buch Is Jazz Dead? (Or has it moved to a new address) las: „Aus heutiger Sicht kann ich sagen, es war in seiner subtilen Abhängigkeit vom ECM- und ACT-Produktraster schlecht recherchiert und in dem Anspruch, Jazz als Globalisierungseffekt zu dechiffrieren, anmaßend. Ein Paradebeispiel war die von ACT veröffentlichte CD Great German Songbook, auf der sechs junge und damals durchaus vielversprechende deutsche Jazzmusiker wie der Schlagzeuger Eric Schaefer und der Saxofonist Florian Trübsbach staubige Stücke wie Kauf dir einen bunten Luftballon und Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen interpretierten – für Nicholson ein Beleg dafür, wie man die ‚große Tradition des deutschen Songs als eigene kulturelle Identität in der Musik‘ wiederfinde. Die damals beteiligten Musiker wenden sich heute peinlich berührt ab, wenn man sie auf jene Heldentat anspricht.“

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    #7661523  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,529

    Nun, es gab, gibt auch Leute, die solche Dinge tun, bei denen nicht alles bloss Vorgabe der Marketing-Abteilungen von ECM oder ACT ist (bei letzterem ist wohl das Marketing eh fast das beste am ganzen Label … bei allem Respekt für Siggi Loch, für die Doldinger Quartett Alben will ich ihm ewig dankbar sein, aber der Mann weiss einfach, wie man etwas verkauft – bloss müsste er seinem Schweizer Vertrieb mal vorstellig werden und denen erklären dass 25 Franken pro CD im Fall kein Sonderangebotspreis ist – um das etwas abzumildern: ich habe etwa ein halbes Dutzend ACT-CDs und finde die alle sehr gut, aber das ist ja auch nur ein Bruchteil des Kataloges, der teilweise in der Tat Eigenartiges umfässt).

    Wenn Mangelsdorff oder das Zentralquartett sich hinter deutsches Liedgut machen und das – so geschehen beim Zentralquartett – auf einem schweizer Label veröffentlichen (11 Songs – Aus Teutschen Landen, Intakt) dann habe ich damit (unabhängig vom Veröffentlichungsort natürlich) gar kein Problem. Den Einbezug eigener Musiken finde ich auf jeden Fall eine gute Sache, die mir auch anderswo, v.a. bei Italienern, immer wieder gut gefällt: Trovesi zuerst, aber auch die ganze Instabile Gang oder Marco Zurzolo aus Neapel … Enja hat sich da in den 90ern mit einigen sehr schönen Produktionen hervorgetan. Auch die ganze „folklore imaginaire“ Sache (Louis Sclavis) finde ich sehr spannend.

    Aber all das klappt nur dann, wenn das Resultat ein organisches ist, wenn Musik entsteht, die in sich stimmig ist – darüber gehen dann die Meinungen gewiss auch wieder auseinander, aber so ist das eben ;-)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #7661525  | PERMALINK

    fef

    Registriert seit: 05.04.2010

    Beiträge: 127

    Vor 35 Jahren lagen überall Doldinger-Platten in den Läden herum, aber mir war das damals schon viel zu langweilig – etwas für Leute, die halt etwas Gepflegteres als Rock wollten und richtig mit Jazz auch nichts anfangen konnten. Wozu heute wieder? – Ich bin kein Opern-Fan, aber wenn schon Oper, dann brauch ich doch nicht irgend so ein „Free“-Gedudel dazu. Das macht das doch alles nur schlechter und un-authentischer. – Diese „nicht vorhandene Folklore“: Wenn Sklavis auf der Bassklarinette in dieser andalusischen Art spielt, ist das ja ganz hübsch. Aber das ist eine wenige Minuten dauernde Einlage; sonst ist es ein Mischmasch, an dem der Jazz-Anteil aus Konventionellem mit „Free“-Gedudel besteht. … Alles Musik für Leute, die ein bisschen gebildet sein wollen, ein bisschen moderner als die puren Klassik-Anhänger, aber mit Jazz nicht wirklich etwas anfangen können.

    Eine ordentliche Sonny-Rollins-Scheibe, etwa Newk’s Time, ist so weit über all diesem Zeug, dass man nur den Kopf schütteln kann. Nichts vom Euro-Jazz ist ein paar Jahre später noch interessant (außer zum Lachen: Globe Unity Orchestra). Die Europäer haben andere Sachen, die viel besser sind, als diese müde Euro-Jazz-Suppe mit aufgewärmten Semmeln, zum Beispiel den hier kürzlich angeschütteten Paco de Lucia: Solea

    Nichts für ungut, mir war gerade danach, wieder einmal über diese Dinge zu schimpfen. Natürlich gibt es eine Menge anderer Sichtweisen auch.

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    #7661527  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    ich glaub gypsy meinte eher die doldinger scheiben von vor 50 Jahren (die ich auch ziemlich gut find, kein Newk’s Time, klar, aber sie haben ihren Platz) – vermute das waren nicht die, die vor 35 Jahren überall rumlagen…

    --

    .
    #7661529  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,529

    redbeansandriceich glaub gypsy meinte eher die doldinger scheiben von vor 50 Jahren (die ich auch ziemlich gut find, kein Newk’s Time, klar, aber sie haben ihren Platz) – vermute das waren nicht die, die vor 35 Jahren überall rumlagen…

    Yep! Absolut! Die hat Loch produziert – ob er mit der Hochglanzdünschisskacke, die Doldinger mit Passport danach gemacht hat, überhaupt etwas zu tun hatte, weiss ich nicht.

    Und Fef, bitte „Sclavis“, ja? – Wenigstens soviel Respekt, die Namen korrekt zu schreiben. Deine Meinung sei Dir unbenommen, aber diskutieren kann man auf einer solchen Basis natürlich nicht sehr gut.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #7661531  | PERMALINK

    fef

    Registriert seit: 05.04.2010

    Beiträge: 127

    Dass man nicht diskutieren kann, weil ich mich bei Sclavis vertippt habe, das ist aber wohl nicht Dein Ernst. Natürlich haben sie alle „ihren Platz“, wie Red Beans sagte, – aber wir sind uns einig: weit, weit unterhalb von Newk’s Time. Und es gibt tausend Musiker auf der Welt, die auch „ihren Platz“ haben, die wir aber nicht kennen, weil sie eben auf der großen Linie unbedeutend sind und weil sie uns zufälligerweise nicht von der heimischen Szene eingeredet werden. Mich ärgert speziell das Niveau, auf dem man verarscht. Da spielt einer mit hundertausendmal kopiertem Miles-Davis-Sound, naja, nicht ganz, ein bisschen nach Lester Bowie klingt es auch und halt manchmal ein bisschen „free“. Aber das ganze hat einen lahmen, klangfarben-betonten, romantischen Touch. Dann verkauft man das als die polnische Seele. Mit so einem nationalistischen Kitsch kommen sie einem daher. Man stelle sich vor, einer kommt aus Oklahoma und weil er nicht gerade der neue Killer auf der Trompete ist (was er nie war und jetzt schon gar nicht ist, weil er ein alter Mann ist), wird damit geworben, dass er die Seele von Oklahoma mit irgendwelchen schönen Seen und Bergen ausdrücke.

    Ich hab jahrelang Jazzzeitungen gekauft, obwohl ich längst kaum etwas Interessantes mehr darin gefunden habe. Ich wollte zumindest mitkriegen, was so läuft. Vor einem halben Jahr habe ich es aufgegeben. Ich habe jahrelang wöchentlich nachgeschaut, was es im TV an Jazz gibt. Ich finde nur mehr Käse und hab es weitgehend aufgegeben nachzuschauen. Ich krieg immer wieder per Mail von JazzThing News aus dem Jazz-Bereich: Entweder es wird ein deutscher Anfänger mit einem Preis geehrt oder es ist einer gestorben. Ich komm mir schon blöd vor, wenn ich diese Mails aufmache. Ich hab mir bis jetzt jährlich die Darmstädter Beiträge zu Jazzforschung gekauft und zuletzt eben diese Aussage von Broecking über den Stuart-Nicholson-Hype gelesen: Was ich in den letzten Büchern an Interessantem finde, dreht sich um diese Dinge, die mich ärgern. Mir tut das nicht gut.

    Irgendwie ist es bereits peinlich, Jazz-Fan zu sein. Mit all diesen Bestrebungen, den heimischen Jazz-Markt zu födern, haben sie die ganze Sache komplett hinuntergewirtschaftet. Wenn irgendwann einmal ein bisschen ein Gestritt um den Jazz los geht, dann jubelt man, dass Jazz endlich wieder ein Thema ist. Aber es geht wieder allein um die Interessen der heimischen Szene. Man kann das alles nur ignorieren, Newk’s Time (stellvertretend für alles, was echt scharfe Jazz-Qualität hat) auflegen und durch …

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    #7661533  | PERMALINK

    fef

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    Beiträge: 127

    #7661535  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,529

    Du suchst aber auch die schlimmsten Auswüchse des gegenwärtigen Mainstream-Jazz hervor :lol:

    Rava hat natürlich seine Verdienste, wie Sclavis – und die Forderung nach soviel Respekt, um die Namen korrekt zu schreiben, hat mit der (Un-)Möglichlichkeit einer Diskussion selbstverständlich nur am Rande zu tun.

    Was Du uns genau sagen willst, verstehe ich allerdings noch immer nicht. Der gegenwärtige Jazz ist an vielen Ecken sehr lebendig und kreativ, wenn Dir davon keine passen (auch die von Steve Coleman nicht mehr? Da gäb’s noch Steve Lehman, Leute wie Vijay Iyer oder Rudresh Mahanthappa könnte auch gefallen … aber wie gesagt, ich verstehe nicht, was Du – von „Newks Time“ mal abgesehen – genau magst und was Dir im gegenwärtigen Jazz fehlt.

    Natürlich machen manche – gerade die noch von den untergehenden Major Labeln gehaltenen – Jazzer dämliche Musik, suchen nach Inspiration in den abwegigsten Gebieten oder geben sich für die deppertsten Marketing-Ideen her (Diana Krall im négligée – ach wie die Arme leidet!). Das Grasen ausserhalb der Weide hat allerdings von Anbeginn zum Jazz gehört, die Kunst besteht allerdings darin, das richtige Material, die passende Inspiration, zu finden und diese auf eine funktionierende Weise umzusetzen. Michael Jackson ist gewiss keine Inspirationsquelle, der ich viel zutrauen würde … ob Rava dahintersteht, ob er einfach einen lukrativen Auftrag erahlten hatte, keine Ahnung … aber ich will bitte, bitte nicht im nächsten Post Deine Auslöschung Ravas lesen, ja? Hör Dir erst mal ein paar seiner älteren Sachen an (auch unter den jüngeren gibt’s schöne).

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    #7661537  | PERMALINK

    fef

    Registriert seit: 05.04.2010

    Beiträge: 127

    Enrico Rava hat vor ein paar Jahren groß davon geredet, dass die Zukunft des Jazz in Europa stattfände und jetzt spielt er Michael Jackson nach und muss sich sogar vorwerfen lassen, dass er dabei „viel zu nah am Original“ klebt und die „Begleitband zuweilen an eine ‚Feuerwehrkapelle‘“ erinnere. Es ist ein Beispiel für jenen Ausverkauf jeder Glaubwürdigkeit, der so gut wie auf der gesamten hiesigen Jazzszene stattfindet. Jede Aussage, jede Empfehlung ist pure Werbung. Es gibt nicht einmal mehr den Versuch einer ernsthaften Jazz-Kritik. Man sah in den großen Plattenfirmen die skrupellosen Kommerzialisten, aber wenn all die kleinen Kämpfer auf dem verschwindend kleinen, hart umstrittenen Markt ihre Ware anbieten, geht es genauso um Kommerz. Qualität zählt nicht, es kommt auf die Story (z.B. Jazz-Zukunft in Europa, „Globalisierung des Jazz“), auf Gags (Oper mit Free-Jazz) und solche Dinge an. Der Markt ist komplett überflutet von Unsinn, Schrott und Eintagsfliegen und die Hörer ermahnen einander bereits selbst, man müsse mit Respekt jedem „seinen Platz“ lassen. Wenn Konsumenten jeden Plunder kaufen, kriegen sie immer mehr Plunder. Wenn Käufer kritisch sind und nur das Beste kaufen, steigt die Qualität. Es braucht meines Erachtens eine gewisse Kultur der Rezeption, ein Bewusstsein für Qualität und Leute, die das in öffentlich zugänglichen Bereichen sichtbar machen. Was davon einmal ein wenig da war, ist weg. Es gibt nur mehr Markt.

    Ich kenne Enrico Rava von der Jimmy-Lyons-Platte Give It Up (1985). Ich fand seinen Ton damals relativ wohlklingend und weich für einen Trompeter in diesem Bereich, aber er passte gut in Lyons Kammermusik-„Free“-Jazz. Rava hat mich allerdings nicht mehr beeindruckt als die anderen Bandmitglieder, zu denen auch Lyons Frau auf dem Fagott zählte. Am besten gefiel mir eben Lyons. – Später sah ich mir in mehreren YouTube-Videos an, was Rava nach seiner Rückkehr nach Europa so macht, und ich fand es – ehrlich gesagt – nicht gut. Wenn er manchmal ein paar „Free“-Reste einsetzt, so ändert das in meinen Augen nichts daran, dass sein Spiel konventionell ist und auf dieser konventionellen Ebene keineswegs besticht. Roy Hargrove bläst da alles weg: Video. Und dabei ist Hargrove sicher keine bedeutende Persönlichkeit der Jazz-Geschichte. Ich denke, Rava war in seinen besten Jahren in Amerika ein Sideman im „Free“-Bereich, nicht bedeutend, aber durchaus dabei, was für einen europäischen Musiker eine ordentliche Karriere ist. Seine „Euro-Jazz“-Geschichte danach ist für mich der Abgesang. Es ist völlig okay, keine Frage, aber es spielt nicht auf einer großen Bühne.

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    #7661539  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Was hältst Du denn von den ganzen Sachen aus Chicago? Mitchell, Bowie das Art Ensemble, Leo Smith, Braxton, Threadgill, El’Zabar, Dawkins etc. etc.? Da gibt’s auch noch eine ganze Nummer noch aktiver Leute, die nicht mal alle so alt sind (Nicole Mitchell kommt mir z.B. grad in den Sinn, oder an den Rändern auch Matana Roberts). Die können jedenfalls – schöne Formulierung! – verdammt gut tanzen!

    Den grossen Unterschied diesbezüglich zwischen Coleman, Lehman oder Iyer höre ich da eher nicht, für mich bleibt Colemans Musik ähnlich kühl, bei allem Groove. Ich glaube, Lehmans „Travail, Transformation and Flow“ finde ich aus dieser mir insgesamt nicht sehr vertrauten Ecke das tollste Album.

    Aber mich zieht es dann eben sehr viel stärker zu Threadgill, wenn diese Abschweifung erlaubt ist.

    Was Du zum Markt, den ganzen Verkaufskonzepten und Business-Plänen sagst, nehme ich in Bezug auf den Mainstream schon auch so ähnlich wahr, ganz so radikal fällt aber mein Urteil nicht aus.

    Zudem orientiere ich mich eben als Konzertgänger an den Nischen, die ziemlich frei von solchen Dingen sind, gehe zu Oliver Lake oder Christian Weber, zu Gebhard Ullmann oder Michael Moore, zu Irene Schweizer oder Craig Taborn – wenn sich die Gelegenheiten denn ergeben. Da läuft meiner Ansicht nach sehr viel, und die Qualitätsfrage muss man da nun wirklich nicht stellen. Tanzen können die meisten von ihnen auch (Du magst finden, einige vielleicht etwas arthritisch, aber so ist das Leben).

    Was ich nicht verstehe, ist Dein Rundumschlag, der ALLES zu beinhalten scheint (Steve Coleman bleibt die Ausnahme), egal ob’s in der neusten Werbemail von Jazzecho genannnt oder im randständigen Club gespielt wird. Da scheint mir eine Rage dahinterzustecken, die mir fremd ist – und die, verzeih, mich die Augen reiben lässt, wenn ich lese, dass Du Dein Radioprogramm gerne erweitern willst … das Angebot ist so reich, es geht doch darum, das zu finden, was einem gefällt und ich frage mich, ob Du überhaupt suchst oder nur abwatscht, daher meine Irritation.

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    #7661541  | PERMALINK

    fef

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    ??

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    #7661543  | PERMALINK

    tejazz

    Registriert seit: 25.08.2010

    Beiträge: 1,100

    Du suchst also letztlich nach Musik für Dein Radioprogramm und empörst Dich über vermeintliche Versprechen der Musikindustrie (im weitesten Sinne)?

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    #7661545  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    Schöner Post, danke! Ich glaub jetzt versteh ich wesentlich besser, wo Du her kommst. Vieles ist jetzt jedenfalls für mich nachvollziehbar.

    Dein Radio ist also eins, das mit einer Playlist läuft, die Du programmierst? Bowie … ich hab die erwähnten Stücken nicht im Ohr, bin nicht mal sicher, ob ich sie kenne, aber vielelicht würdest Du bei The Leaders fündig? (Hier gibt’s Samples, wähl die Albumtitel aus, um reinzuhören.)

    Was Du zum „goldenen Zeitalter“ des Jazz schreibst, ist wohl nicht falsch – aber diese eigentlich resignative Haltung schmerzt mich einfach, darum wohl treibe ich die Diskussion immer wieder fort! Ich kenne Leute, die Mühe damit haben, mit Jazz nach ca. 1965 klarzukommen, andere, die wiederum nichts Altes hören mögen. Beide Haltungen sind mir zu gleichen Teilen fremd, letzere allerdings noch mehr, denn Neues zu hören ohne zu wissen oder wenigstens ein genuines Interesse daran zu haben, es wissen zu wollen, neugierig zu sein darauf, woher es stammt, ist für mich eine unmögliche, ja undenkbare Haltung. Dass sie in der Debatte zwischen den Zwergen und den Riesen dazu führt, dass man sich gänzlich auf die Seite der Riesen schlägt, ist allerdings für mich auch ein ziemlich fremder Gedanke.

    Was nun das Coleman-Zitat betrifft … ich könnte damit leben, was er sagt, wenn es nicht so kategorisch daherkäme. Dass die grossen Figuren des Jazz so unendlich komplexe Rhythmen geschaffen haben, höre ich so jedenfalls nicht – es sei denn, man will Basie darum komplex nennen, weil es nach westlichen Methoden nicht möglich ist, zu notieren, was er rhythmisch gemacht hat … Ellington dann ist der grösste Kolorist des Jazz der Tonsetzer mit der immensesten Farbpalette, den ich aus der Welt des Jazz kenne. Die Dichotomie, die Coleman setzt, ist wohl nicht neu und taucht auch anderswo auf, aber ich würde weder dem Rhythmus (was genau „Rhythmusmelodien“ sein sollen, weiss ich nicht) noch den „Farben“ eine Vorherrschaft zugestehen wollen. Das sind doch Facetten eines Ganzen, die zusammengreifen müssen. So ist mir manches aus der M-Base Ecke eben gerade melodisch viel zu dürftig, wohingegen der Rhythmus zum Selbstzweck, zur puren Demonstration des eigenen Könnens wird – was natürlich rasch öde und ermüdend wird.

    Was Du hingegen zur Freiheit schreibst, kann ich wieder über weite Strecken unterschreiben. Oder anders gesagt: die in Deinen Sätzen abgelehnte Vorstellung der Freiheit, ist eine Vorstellung ohne Hände und Füsse, zumal wenn wir uns innerhalb des Jazz bewegen und nicht über den Tellerrand hinaus in die frei improvisierte Musik schielen wollen – da liefe die Diskussion dann wohl wieder anders. Ob Coltrane nun „frei“ gespielt hat oder nicht, ist mir am Ende völlig egal, zumal sich diese Idee der Freiheit an engen Vorstellungen von Harmonik und Melodik und Rhythmik misst, die für mich am Ende nicht mehr als manchmal hilfreiche Krücken sind. Das Zentrale ist doch, dass Coltrane in einer Tradition steht, einen Weg geht, ohne dabei Vorhergehendes zu Verleugnen. Das war bei Parker und Gillespie ja eigentlich nicht anders, bei Ayler aber auch nicht. Die Avantgarde als Phänomen ihrer Zeit hatte gewiss ihre Berechtigung und kann im Rückblick auch heute noch in mancher Hinsicht faszinieren … aber am ergiebigsten bleibt sie wohl da, wo sie sich nicht in einer Anti-Haltung erschöpft, sondern in Bezug setzt zu anderen Spielarten der Musik. Musik im luftleeren Raum ist allerdings sowieso – wie diese absolute „Freiheit“ – ein Unsinn bzw. ein Ding der Unmöglichkeit.

    Zu guter letzt: die Funktionsharmonik – doch, dass die zum Korsett wird, kann ich mir bestens vorstellen. So diffizil und differenzierbar ist sie dann eben doch nicht, Coltrane und später auch Wayne Shorter oder Herbie Hancock haben diese „Sprache“ auf die Spitze getrieben, zugleich komplexer und offener gemacht. Zudem fing das ja schon bei Beethoven (oder wohl noch früher!) an, dass die einfache Funktionsharmonik gesprengt wurde. Dass der Jazz irgendwann auch dahin kam, ist nicht weiter verwunderlich. Ob man dem nun eigene „Gerüste“ und Strukturen harmonischer Art entgegensetzt, wie Monk oder Andrew Hill es taten, oder aber mit einem immensen Wissen und Bezug auf Traditionen (nicht nur des Jazz) die Strukturen dehnte, überdehnte, aufbrach (von Mingus und Dolphy bis zu Shepp, Ayler, Taylor) – ich finde oft gerade die Leute, die sich an den Grenzen bewegen am spannendsten.

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