Re: Jazz-Glossen

#7661537  | PERMALINK

fef

Registriert seit: 05.04.2010

Beiträge: 127

Enrico Rava hat vor ein paar Jahren groß davon geredet, dass die Zukunft des Jazz in Europa stattfände und jetzt spielt er Michael Jackson nach und muss sich sogar vorwerfen lassen, dass er dabei „viel zu nah am Original“ klebt und die „Begleitband zuweilen an eine ‚Feuerwehrkapelle‘“ erinnere. Es ist ein Beispiel für jenen Ausverkauf jeder Glaubwürdigkeit, der so gut wie auf der gesamten hiesigen Jazzszene stattfindet. Jede Aussage, jede Empfehlung ist pure Werbung. Es gibt nicht einmal mehr den Versuch einer ernsthaften Jazz-Kritik. Man sah in den großen Plattenfirmen die skrupellosen Kommerzialisten, aber wenn all die kleinen Kämpfer auf dem verschwindend kleinen, hart umstrittenen Markt ihre Ware anbieten, geht es genauso um Kommerz. Qualität zählt nicht, es kommt auf die Story (z.B. Jazz-Zukunft in Europa, „Globalisierung des Jazz“), auf Gags (Oper mit Free-Jazz) und solche Dinge an. Der Markt ist komplett überflutet von Unsinn, Schrott und Eintagsfliegen und die Hörer ermahnen einander bereits selbst, man müsse mit Respekt jedem „seinen Platz“ lassen. Wenn Konsumenten jeden Plunder kaufen, kriegen sie immer mehr Plunder. Wenn Käufer kritisch sind und nur das Beste kaufen, steigt die Qualität. Es braucht meines Erachtens eine gewisse Kultur der Rezeption, ein Bewusstsein für Qualität und Leute, die das in öffentlich zugänglichen Bereichen sichtbar machen. Was davon einmal ein wenig da war, ist weg. Es gibt nur mehr Markt.

Ich kenne Enrico Rava von der Jimmy-Lyons-Platte Give It Up (1985). Ich fand seinen Ton damals relativ wohlklingend und weich für einen Trompeter in diesem Bereich, aber er passte gut in Lyons Kammermusik-„Free“-Jazz. Rava hat mich allerdings nicht mehr beeindruckt als die anderen Bandmitglieder, zu denen auch Lyons Frau auf dem Fagott zählte. Am besten gefiel mir eben Lyons. – Später sah ich mir in mehreren YouTube-Videos an, was Rava nach seiner Rückkehr nach Europa so macht, und ich fand es – ehrlich gesagt – nicht gut. Wenn er manchmal ein paar „Free“-Reste einsetzt, so ändert das in meinen Augen nichts daran, dass sein Spiel konventionell ist und auf dieser konventionellen Ebene keineswegs besticht. Roy Hargrove bläst da alles weg: Video. Und dabei ist Hargrove sicher keine bedeutende Persönlichkeit der Jazz-Geschichte. Ich denke, Rava war in seinen besten Jahren in Amerika ein Sideman im „Free“-Bereich, nicht bedeutend, aber durchaus dabei, was für einen europäischen Musiker eine ordentliche Karriere ist. Seine „Euro-Jazz“-Geschichte danach ist für mich der Abgesang. Es ist völlig okay, keine Frage, aber es spielt nicht auf einer großen Bühne.

--