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Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann
Bayerische Staatsoper, 30. Juli 2017Olympia: Olga Pudova
Antonia, Giulietta, Stella: Diana Damrau
Cochenille, Pitichinaccio, Frantz: Kevin Conners
Lindorf, Coppélius, Dapertutto, Miracle: Nicolas Testé
Nicklausse/Muse: Angela Brower
Stimme aus dem Grab: Okka von der Damerau
Hoffmann: Michael Spyres
Spalanzani: Ulrich Reß
Nathanaël: Dean Power
Hermann: Sean Michael Plumb
Schlémil: Christian Rieger
Wilhelm: Galeano Salas
Crespel, Luther: Peter LobertChor der Bayerischen Staatsoper (Sören Eckhoff)
Bayerisches Staatsorchester
Musikalische Leitung: Constantin TrinksInszenierung: Richard Jones
Bühne: Giles Cadle
Kostüme: Buki Shiff
Choreographie: Lucy Burge
Licht: Mimi Jordan Sherin
Dramaturgie: Rainer Karlitschek—
Ich wollte längst ein paar Zeilen zur Aufführung von Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ schreiben, die ich letzten Sonntag in München sehen konnte. Gross in die Details gehen kann ich nach fast einer Woche nicht mehr, aber soviel ist klar: die Oper ist ein phantastisches Werk – und zwar in beiden Bedeutungen dieses Wörtchens. Wie die drei Geschichten in der Geschichte sich ineinander verschachteln, wie das alles musikalisch umgesetzt ist, das überzeugt mich immer wieder – es gibt wohl keine Oper, von der ich gezielt so viele verschiedene Aufnahmen (und auch DVDs, die ich alle noch nicht angeschaut habe) zusammengetragen habe – gerade kam auch noch die von 1972 auf Westminster dazu mit Stuart Burrows, Beverly Sills, Norman Treigle etc. und dem LSO unter Julian Rudel (zwar schon mit allen Akten, aber die Giulietta- und Antonia-Geschichten verkehrt herum).
Ich sass auf Empfehlung eines mehrfachen Besuchers des Hauses in der riesigen Staatsoper zuoberst in der Galerie in der vordersten Reihe, fast in der Mitte – und der Tipp war super, denn der Klang war grossartig – ich glaube nicht, dass ich schon einmal eine Oper in so hervorragender Akustik gehört habe – ich mag ja die enge kleine Oper in Zürich (selbst wenn es bei Verdi-Opern laut wird, darf es ja auch!), aber ich war wirklich begeistert vom Raumklang in München.
Orchester und Sänger-Ensemble schienen bei dieser zweiten von zwei Aufführungen dieser 2011 eingerichteten und erstmals aufgeführten Inszenierung ziemlich gut abgestimmt, es gab nur kleine Verschiebungen und auch solche nur selten, klanglich war auch da alles astrein: keine zugedeckten Stimmen (weder von anderen Stimmen noch vom Orchester), keine Misstöne bei den Sängerinnen und Sängern. Diana Damrau sang in einer früheren Aufführung dieser gleichen Inszenierung, die ich im Fernsehen angeschaut hatte, alle vier Damenrollen, diesmal sprangen Olga Pudova und Damrau für eine erkrankte Sängerin ein, und ich fand es ganz gut, dass Damrau nicht auch noch die Olympia gab (und dadurch, dass Stella ja eh eine stumme Rolle ist, sang sie faktisch nur zwei Figuren, von denen sie mir als Antonia besser gefiel). Fast noch besser gefielen mir Angela Brower als Nicklausse und Muse sowie Michael Spyres als Hoffmann, aber auch die Bösewichte von Nicolas Testé (der ebenfalls erst kurzfristig bekanntgegeben wurde – ich weiss gar nicht, ob es für die Rollen davor eine Vakanz gegeben hatte, jedenfalls wurde nicht erwähnt, für wen er eingesprungen ist).
Alles in allem eine tolle Inszenierung (die kannte ich ja schon, hätte sie mir nicht gefallen, wäre ich auch nicht hin) und eine super Aufführung. Das Drumherum fand ich wie so oft etwas bemühend (da ist Zürich erstaunlich unkompliziert, man hat in eine paar Minuten sein kleines Bier und das kostet sogar für hiesigie Verhältnisse nicht mal so viel), aber das liegt dann wohl an der grösse des Hauses – zwei Pausen wären jedenfalls nicht notwendig gewesen (bei der langen ersten nach dem Olympia-Akt musste man allerdings den Saal verlassen, da war wohl ein Umbau nötig – aber den Rest hätte man auch Stück durchstehen können, bei Marthaler in den Kammerspielen gab’s mal wieder 2 1/4 Stunden ohne Pause, das geht schon, wenn das Gebotene gut ist).
Sehr gut ist das Programmheft, das gleich drei Aufsätze liefert zur Entstehung und Rezeption der Oper, und natürlich fehlen auch Interpretationsansätze nicht.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deAC/DC: 10 geheime Fakten
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WerbungGestern die Aufzeichnung von Mozarts La Clemenza di Tito aus Salzburg geschaut. Wird wohl nie eine Lieblingsoper, aber alles in allem doch eine phantastische Produktion mit einem hervorragenden Ensemble (die Solisten übrigens grossteils aus der südlichen Hemisphäre, was ja immer noch mehr als selten ist), Chor (wow!) und Orchester … Teodor Currentzis und Peter Sellars (war mir davor nicht mal dem Namen nach ein Begriff) haben ganze Arbeit geleistet. Musikalisch wurde die Oper u.a. durch Auszüge aus der grossen Messe und – ganz zum Schluss – die Maurerische Trauermusik ergänzt, was ebenfalls bestens passte und sehr schön ins Geschehen eingebettet wurde.
Samstagabend läuft auch die neue „Aida“ im Fernsehen – bin nach Lektüre der NZZ-Rezension so halbwegs gespannt … obwohl es anscheinend kaum Theater gibt und die Wirkung im Saal, wenn man den Gesang denn auch in Echt mitkriegt, vermutlich deutlich toller ist.
Ach so: der neuste Plan: Ende November in Mailand die neue Oper von Sciarrino!
Aber als nächstes gibt es übernächste Woche am Lucerne Festival Gardiner und seine Leute mit Monteverdis „L’Orfeo“, freue mich riesig darauf!
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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gypsy-tail-wind Samstagabend läuft auch die neue „Aida“ im Fernsehen – bin nach Lektüre der NZZ-Rezension so halbwegs gespannt …
Das hat mir die Fernsehzeitung auch gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich’s schaffe. Am meisten interessiert mich, und sehr sehr, daran, dass Shirin Neshat für die Inszenierung verantwortlich ist. Das dürfte zumindest kluge Bilder geben.
Peter Sellars ist ein wunderbarer und wunderlicher Mann. Seine Worte über die Matthäus-Passion von Bach, Du findest sie irgendwo auf youtube. Sonst kann ich gerne auch mit einem Artikel von ihm aus Lettre über die Post kommen.
Mein freundlichster Neid zu Gardiner mit „L’Orfeo“!
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clasjaz
gypsy-tail-wind Samstagabend läuft auch die neue „Aida“ im Fernsehen – bin nach Lektüre der NZZ-Rezension so halbwegs gespannt …
Das hat mir die Fernsehzeitung auch gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich’s schaffe. Am meisten interessiert mich, und sehr sehr, daran, dass Shirin Neshat für die Inszenierung verantwortlich ist. Das dürfte zumindest kluge Bilder geben.
Peter Sellars ist ein wunderbarer und wunderlicher Mann. Seine Worte über die Matthäus-Passion von Bach, Du findest sie irgendwo auf youtube. Sonst kann ich gerne auch mit einem Artikel von ihm aus Lettre über die Post kommen.
Mein freundlichster Neid zu Gardiner mit „L’Orfeo“!Nunja, anscheinend ist die Inszenierung ja völlig statisch geraten … gerettet werde das durch die Musik und die Stimmen. Die Sache zur Matthäus-Passion hattest Du mal erwähnt, hatte ich völlig vergessen, ich erinnerte ja nicht einmal, den Namen Sellars (Sellers ist ja tot, was der mit einer Oper angestellt hätte, nähme mich auch wunder) gehört zu haben.
Der „Orfeo“ wird ja wohl nur konzertant sein – Gardiner tourt mit allen drei Opern, führt sie auch in Salzburg auf – in Luzern finden sie in genau der Woche statt, in der in Mulhouse das Météo stattfindet, wo ich wegen dem „Orfeo“ den Eröffnungsabend inkl. Duo Matthew Shipp/Evan Parker sausen lasse … das ist schade, aber auf den ganzen Monteverdi verzichten mochte ich auch nicht. Umrahmt wird die Woche an beiden Sonntagen mit Konzerten von Patricia Kopatchinskaja und mehr, ebenfalls in Luzern.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Morgen geht es aus Recanati, der Heimat Beniamino Giglis, Nachhause. Viele nette Leute besonders aus der rührigen Associazone kennengelernt und viel über Bel Canto gelernt, leider auch darüber, wie eine Stadtverwaltung nicht mit dem Erbe eines der größten Tenöre überhaupt umgehen sollte. Ignoranz und Desinteresse sind hier wohl die richtigen Worte.
Gestern in Macerata habe ich in der Arena Aida in bewährter Inszenierung gesehen, der Mensch als Opfer von politischen, gesellschaftlichen und technischen Zwängen in Gestalt eines Laptops, aus dem er emporsteigt und wieder begraben wird. Sängerisch war das ganze durchwachsen, der Tenor aber gut. Das hohe b am Schluss der Romanze tatsächlich wie von Verdi komponiert wunderbar im Pianissimo gesungen. Hört man sonst in dieser Qualität nur bei Bergonzi unter Karajan!--
Ha, ich habe heute Nachmittag eine vor einiger Zeit auf arte ausgestrahlte Doku über die Tenöre der Schellack-Zeit angeschaut: Caruso, Schipa, Tauber, Schmidt, Gigli (fast hätte ich @Bgigli getippt ), Björling … irgendein Russe war auch noch dabei, zu dem Kesting was gesagt hat wie: da höre man quasi noch die Rossini-Tradition direkt (weil da ein paar Schritte in der „Übermittlung“ fehlten oder so wohl, hatte bei der Stelle gerade nicht mehr so richtig aufgepasst, das kam dann am Ende mit Björling wieder).
Die Biographie von Gigli scheint ja, wie soll man sagen, speziell gewesen zu sein? Und Kesting hatte da ein paar sehr steile Thesen (in seinem Gesang würde die „Zeit“ durchdrücken: Brüllen, Jammern, Befehlen, Heulen – die Tätigkeiten richtiger Männer in dieser heroischen Epoche halt).
Aber die Doku war allen in allem recht gut, Zucker kam auch öfter zu Wort, dazu ein paar alte Fans (auch einer aus Little Italy, der als Kind mit an den Tisch musste, weil Caruso nicht essen mochte, wenn 13 Leute um den Tisch sassen).
Ach so, war wohl 3sat (hab die Aufnahme schon längst wieder gelöscht) – und der Russe war Iwan Koslowski – mehr hier:
https://www.zdf.de/kultur/musik-und-theater/belcanto—die-tenoere-der-schelllack-zeit-100.html
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=67533Jedenfalls weiterhin schönen Urlaub!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMonteverdis L’Orfeo gibt es ja wie erwähnt demnächst live in Luzern in einer „halbszenischen“ Aufführung. Die Einspielung von Alessandrini lief deshlab heute morgen wieder einmal, und sie gefällt mir weiterhin sehr gut, ist kompakt und von grösster Einheitlichkeit – Furio Zanasi kommt aber für mein Empfinden nicht ganz an Anthony Rolfe Johnson heran, den Orfeo von Gardiners Einspielung aus den Achtzigern.
Danach guckte ich mir die gestern ausgestrahlte neue Aida aus Salzburg an – alles in allem sehr okay, gut gesungen, hervorragend musiziert (Muti war da wirklich gut, keine Frage!), schöne Bühnenbilder und Kostüme, aber die Regie halt doch ziemlich schwach bzw. sie fand eigentlich von der Ausstattung abgesehen kaum statt – und brachte obendrein ein paar fragwürdige Dinge: der Chor der Ägypter sah wie eine Ansammlung griechisch-orthodoxer Geistlicher aus, während Netrebko – oh Schreck! – tatsächlich dunkel geschminkt wurde (sie ist ja eine Äthiopierin … aber sind die Hohepriester wirklich Griechen? Oder gar Russen?) – na ja, am Ende hörte ich halt mehr, als dass ich guckte – aber nochmal: sowohl Netrebko als auch Francesco Meli (Radamès) sangen klasse. Nicht mehr richtig warm werde ich wohl mit Ekaterina Semenchuk, der Amneris dieser Aufführung (wie auch der grossen Pappano-Produktion mit Harteros und Kaufmann) – ich hörte sie ja vor etwas über einem halben Jahr auch als Eboli an der Scala und fand sie auch dort nicht komplett überzeugend (was leider auch heute wieder mit dem Akzent zu tun hat). Und nochmal zum Blackfacing: die Produktion von „Tito“ zeigte ja gerade, dass es heute diverse gute Sänger mit dunklerem Teint als bei Langnasen üblich gibt – wenn man darauf wert legt, könnte man beim Casting vielleicht auch …). Und eben: etwas mehr als ein paar Schritte da, ein paarmal Arme fuchteln dort wäre schon ganz nett gewesen.e
Noch nicht genug der Oper für heute, nein. Gestern lagen ein defektes Exemplar von „Les Contes d’Hoffmann“ unter Cambreling im Briefkasten (oxidiert oder was auch immer, hoffe das zweite bestellte Exemplar ist ok), ebenso wie La Traviata unter Meister Krips, die @soulpope hier neulich näherlegte. Vom ersten Eindruck her klappt Cotrubas hier für mich besser als in der Studio-Produktion von Kleiber (die vom Orchester her allerdings unfassbar toll ist).
Ich werde mir Cotrubas demnächst als Adina („L’elisir d’amore“ unter Pritchard) und v.a. als Gilda („Rigoletto“ unter Giulini) zu Gemüte führen müssen.
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zuletzt geändert von speed-turtle
Dabei wirken all die kleinen verstörenden und einstmals heiß diskutierten Details, vom „Drachenkampf“ mit der Kalaschnikow (Warnhinweise auf den lauten, aber per Gutachten für gesundheitlich unbedenklich befundenen Bühneneffekt hängen im ganzen Haus) über den Blowjob auf dem nachgebauten Berliner Alexanderplatz bis hin zu der dort am Ende auftauchenden siebenköpfigen Krokodilfamilie zwar angemessen abgedreht, aber im Gesamtzusammenhang viel weniger willkürlich als die selektive Auflistung vermuten lässt. Vielmehr habe ich den wahrscheinlich kurzweiligsten und zuweilen erhellendsten Wagner meines Lebens gesehen – und gehört.
In seinem unkonventionellen Rollenverständnis, seiner „totalitären“ Theatralik und dramatischen Intensität, der überwältigungsästhetischen Grandezza der monumentalen Bühnenbildkonstruktionen und nicht zuletzt in der radikalen Kapitalismuskritik erweist sich Castorf als näher am Komponisten und seinen Intentionen, in diesem Sinne „werktreuer“ als die Aufführungstradition es bisher zu erlauben schien. Von rühmlichen Ausnahmen wie Konwitschny mal abgesehen und allen historischen Verdiensten eines Chereau auf dem Weg dorthin zum Trotz.
Siegfried als isoliert aufgewachsener und entsprechend „unzivilisierter“, sozial gestörter und bindungsunfähiger Psychopath, Gunter und Gutrune mal nicht auf satte, intrigant-oberflächliche Wohlstandskinder auf der Suche nach dem nächsten Kick reduziert, sondern in ihrer komplexen menschlichen Tragik ernst genommen und dadurch plötzlich auch echte Anteilnahme weckend – das sind schon relativ ungewohnte Akzente, die auf sensible Vertiefung in den Text hindeuten und das Vorurteil widerlegen, es nur mit einer rotzigen Provokation zu tun zu haben.
Angesichts des überbordenden Bühnengeschehens mit spektakulären Lichteffekten, Drehbühnenfahrten und Parallelhandlungen, die via Handkameras auf wechselnde Projektionsflächen übertragen werden, hat Pult-Legende Marek Janowski im unsichtbaren Orchestergraben die undankbare Aufgabe, auch der musikalischen Seite zur gebührenden Aufmerksamkeit zu verhelfen. Er tut das mit unbeirrbarer Konsequenz und konzeptioneller Kompromisslosigkeit erfrischend unpathetisch – ein Glücksfall für die Gesamtwirkung. Die im Spiel-Eifer gerne ins allzu frei Deklamatorische driftenden Sänger werden zuverlässig im Zaum gehalten. Wobei das sängerische Niveau dieser Besetzung im Vergleich z.B. mit der Vorgängerproduktion unter Thielemann wirklich kaum zu wünschen übrig lässt, da ist man schon auf dem richtigen Pfad zurück zum selbst gesetzten Anspruch der Festspiele, standardmäßig die Weltspitze des Wagnergesangs zu versammeln.
Ausgerechnet im Jahr des gründlich vergeigten Opernregie-Debüts von Wim Wenders mit Bizets „Perlenfischern“ in Berlin geht nun also zu Ende, was 2013 als „Notlösung“ wegen der Wenders-Absage seinen Anfang nahm. Lediglich „Die Walküre“ wird nächstes Jahr nochmal separat gegeben – von Placido Domingo dirigiert. Ansonsten bleibt nur die Hoffnung, dass die 2016 im Pay-TV gezeigte Aufzeichnung irgendwann noch den Weg auf einen offiziellen Bildtonträger findet, und natürlich Castorfs Ankündigung, sich künftig als Ex-Intendant wieder mehr der Oper widmen zu wollen. Wenn das nur halb so kraft- und phantasievoll, maßlos, provokant, kindlich verspielt und inspirierend wird wie dieser „Ring“, darf man (bei aller anhaltenden Trauer über die verlorene Volksbühne) getrost schon mal vorfreudig begeistert ausrufen: „Zu neuen Taten, teurer Helde!“--
Musik ist nicht was sie ist, sondern was sie den Menschen bedeutet. (Simon Rattle)Danke für den schönen Bericht, @speed-turtle. Wäre dereinst wohl auch gerne mal vor Ort in Bayreuth, aber irgendwie auch nicht – aus den Gründen, die bei Dir ja durchschimmern. Selbiges gilt für Salzburg, wo es im Zeit-Bericht zur „Aida“ ein paar wunderbare Momentaufnahmen gab (sowas wie, beim Auftritt von Semenchuk/Amneris: Sie: ist das jetzt die Netrebko; Er: ja, ich glaub‘ schon – im O-Ton von Christine Lemke-Matwey kann man das hier nachlesen, so man registriert ist, was ich nicht bin)
Der leichteren Lesbarkeit zuliebe wären übrigens Leerzeilen nach den Absätzen bei so langen Beiträgen eine gute Idee, aber ich will eigentlich gar nicht nörgeln, wenn schon mal wer anderes was längeres schreibt hier!
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Hier steht morgen Abend Monteverdis „L’Orfeo“ unter Gardiner an – in Luzern, wo ich gestern war (keine Oper, Bericht hier) und wo es erfreulicherweise ziemlich normal zu und her geht, zumal wenn ein Programm wie das gestrige ansteht und keine gehypten Megastars präsent sind … mal schauen, wie das morgen Abend wird. Jedenfalls höre ich gerade zum ersten Mal diese wunderbare Einspielung der Oper:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Das Gewese um Netrebko wird mir immer unverständlicher. In Salzburg und Aida, gerade im ZDF, gibt es gespreizte Spitzentöne, mangelhaftes Passagio, matronenhaftes Singen etc. Aida ist eine Sklavin, die sich sehnt, keine fordernde Frau. Sie ist stark, aber zart. Sie ist Ponselle, Callas, Tebaldi oder Milanov. Der Tenor mit unkontrolliertem Vibrato ist als Radames ein Sänger, der vor ca. fünfzig Jahren nicht in die erweiterte Auswahl gekommen wäre! An Björling und Gigli dürfen wir nicht mal denken. Chor und Orchester sind super, Muti zeigt die kammermusikalischen Qualitäten von Verdis Partitur. Sehr schön!😊
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@Bgigli: Falls das Unverständnis in Sachen Netrebko sich auch auf meinen Bericht oben bezieht, bitte ich um eine Woche gemeinsamen Urlaubs, in dem Du mir mal all diese Feinheiten in der Gesangstechnik an Hörbeispielen erläuterst, die ja wie mir schient heute noch ungefähr die Herren Kesting, Zucker und Bgigli kennen … interessiert wäre ich daran auf jeden Fall!
Was Du aber zur Darstellung bzw. Lesart der Rolle der Aida von Netrebko bzw. Neshat betrifft, gebe ich Dir aber vollkommen recht. Und das bezieht sich auch auf die Kostüme: die Prinzessin und die Sklavin lassen sich kaum voneinander unterscheiden. Nichtsdestotrotz war mir das letzten Endes ziemlich egal, wenn man das Ganze quasi als bewegte Kegel auf einem Spielbrett betrachtet (und mehr gab Neshats Inszenierung ja sowieso nicht her), war das ganz hübsch anzuschauen.
Unabhängig davon, ein paar Zeilen zum nächsten, fast schon eine Woche zurückliegenden Opern-Ereignis, das auch wirklich ein solches war (der/die/das Event):
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Claudio Monteverdi: L’Orfeo
Favola in musica in einem Prolog und fünf AktenLuzern, KKL, 22. August
Krystian Adam – Orfeo
Hana Blažiková – La Musica, Euridice
Kangmin Justin Kim – Speranza
Anna Dennis – Ninfa
Lucile Richardot – Messaggiera
Francesca Boncompagni – Proserpina
Gianluca Buratto – Caronte, Plutone
Furio Zanasi – Apollo
und weitere SolistenEnglish Baroque Soloists
Monteverdi Choir
Sir John Eliot Gardiner – Dirigent und Regie
Elsa Rooke – RegieEine Epiphanie, nichts geringeres, war die Aufführung von Monteverdis „L’Orfeo“ unter der Leitung von John Eliot Gardiner. Phantastisch gesungen und gespielt – „halbszenisch“ war perfekt, die Sänger bewegten sich auf der leeren Bühne vor und hinter dem Orchester sowie im Mittelgang zwischen den zwei Gruppen: links Streicher und Continuo mit zwei Theorben/Chitarronen, Cello, Cembalo/Orgel und Harfe, rechts Bläser und Continuo mit zwei Theorben/Chitarronen, Cello, Bass, Fagott. Auch die leeren Sitzreihen hinter der Bühne wurden manchmal bespielt (von den Blechbläsern, von Apoll im fünften Akt), ebenso wurde – zum Aufmarsch zu Beginn, später für die Messagiera, die die traurige Nachricht vom Tod Euridicens überbringt, ebenso wie für das Echo, der Zuschauerraum (Parkett und Galerien) miteinbezogen. Das Fehlen von Bühnenbildern in Kombination mit den dezenten Kostümen und der guten Regie hatte eine grossartige Wirkung und potenzierte für mein Empfinden noch die Wirkung, weil eben tatsächlich die Musik gewissermassen nackt ins Zentrum gestellt wird, sie aber doch nicht einfach konzertant-trocken vorexerziert wurde. Im Gegenteil, gerade in dem kargen Rahmen konnte sie sich erst völlig entfalten. Die Sängerinnen und Sänger waren allesamt gut bis super, Krystian Adam ein feiner aber überzeugender Orfeo, Hana Blaziková eine sehr zarte, ebenso überzeugende Euridice – und als Musica im Prolog begleitete sie sich natürlich gleich selbst an der Harfe (einem kleinen Instrument, das wohl die „gotische“ Harfe ist, die im deutschen Wiki-Eintrag erwähnt wird).
Der Klang im KKL – ich sass wieder oben links auf Höhe der Bühnenkante – ist wirklich grossartig, wie schon bei Holliger/Kopatchinskaja schien der seitliche Platz (diesmal sass ich noch eine Etage höher in der zweiten Galerie) weit vorn überhaupt keine Nachteile zu bringen, und im Vergleich mit der Matthäuspassion, ebenfalls mit Gardiner und im KKL letztes Jahr, wo ich in der Mitte des Parketts sass, war es in der Höhe auch ordentlich laut – so gesehen war die Platzwahl ungeplant (es ging eben auch darum, rechtzeitig ein günstiges Ticket zu ergattern, was gar nicht einfach war) perfekt.
In Luzern war ich gestern gleich noch ein- bzw. zweimal bei zwei Konzerten mit Kammermusik – dazu später auch noch ein paar Zeilen im anderen Thread.
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
Beiträge: 56,509
gypsy-tail-Jedenfalls höre ich gerade zum ersten Mal diese wunderbare Einspielung der Oper:
Diese und andere Aufnahmen von Garrido aus dieser Zeit (IMO) ganz grossartig ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)soulpope
gypsy-tail-Jedenfalls höre ich gerade zum ersten Mal diese wunderbare Einspielung der Oper:
Diese und andere Aufnahmen von Garrido aus dieser Zeit (IMO) ganz grossartig ….
Ich kenne nur diese und die Marienvesper und es bleibt wohl vorderhand dabei – zuviel schon da und die neue Box kam halt etwas zu spät, brächte wieder unnötige Verdoppelungen mit sich (ein ordentliches Booklet bietet sie soweit ich weiss obendrein auch nicht – das zu „L’Orfeo“ ist auch nicht gewaltig, aber der kurze Essay ist doch ganz gut).
Andererseits habe ich gerade doch noch die Harnoncourt-Box gekauft, wegen des Berberian-Albums, das man sonst (wenigstens als ich vor einiger Zeit mal guckte) nicht so leicht kriegen kann … auch das eine Idiotie meinerseits.
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gypsy-tail-wind@bgigli: Falls das Unverständnis in Sachen Netrebko sich auch auf meinen Bericht oben bezieht, bitte ich um eine Woche gemeinsamen Urlaubs, in dem Du mir mal all diese Feinheiten in der Gesangstechnik an Hörbeispielen erläuterst, die ja wie mir schient heute noch ungefähr die Herren Kesting, Zucker und Bgigli kennen … interessiert wäre ich daran auf jeden Fall! Was Du aber zur Darstellung bzw. Lesart der Rolle der Aida von Netrebko bzw. Neshat betrifft, gebe ich Dir aber vollkommen recht. Und das bezieht sich auch auf die Kostüme: die Prinzessin und die Sklavin lassen sich kaum voneinander unterscheiden. Nichtsdestotrotz war mir das letzten Endes ziemlich egal, wenn man das Ganze quasi als bewegte Kegel auf einem Spielbrett betrachtet (und mehr gab Neshats Inszenierung ja sowieso nicht her), war das ganz hübsch anzuschauen.
Auf Deinen Bericht bezieht sich mein Post nicht. Kesting finde ich immer mehr als nur sachkundig. Zur Beurteilung von Gesangstechniken empfinde ich ihn sogar als unerlässlich, da er die Dinge wirklich plastisch darstellen kann wie kaum ein anderer. Ich bin aber nicht immer mit seinen Urteilen einverstanden. Er war von Netrebkos Aida sogar ganz angetan!
Eine Woche Urlaub mit Gesangsbeispielen ohne Ende?! Aber gern!
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Schlagwörter: Janet Baker, Klassik, Konzertberichte, Lisa della Casa, Lotte Lehmann, Maria Callas, Marian Anderson, Max Lorenz, Mozart, Oper, Puccini, Renata Tebaldi, Schoenberg, Verdi, Victoria de los Angeles, Wagner
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