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schöne beschreibungen!
david murray black saint quartet, live in berlin (2007)
hier hatte ich definitiv wieder kontakt zu murray aufgenommen, ich saß nämlich bei diesem konzert im november 2007 in der zweiten reihe. eine „lange nacht des jazz“ war der rahmen, im dafür komplett ungeeigneten kulturort radialsystem V, ein ehemaliges abwasserpumpwerk mit sehr hohen decken und auch sonst viel zu großen dimensionen. ich kann mich unscharf an paolo fresu erinnern, auf rava & bollani hatte ich keinen bock, im kleinen saal war ich bei „bauer 4“ (johannes, conny, matthias & louis rastig, wenn ich mich richtig erinnere), beim murray-konzert habe ich dann nur brei gehört. die energie war spürbar, aber die drums gingen nach hinten raus, vom klavier waren keine einzeltöne zu identifizieren und an den basssound kann ich mich gar nicht mehr erinnern. es hat jetzt nochmal lange zeit gedauert, bis ich mich an das audiodokument herangewagt habe, der rbb hatte mitgeschnitten, die soundprobleme sind auch hier im mix zu hören, aber wenigstens hört man, was die vier (murray, gilchrist, shahid, drake) überhaupt gespielt haben. und das ist eine grandiose quartett-aufnahme, wie ich gerade zum ersten mal verstanden habe. eine energetische, stark aufgeladene suite aus dem material von SACRED GROUND, der vater-hommage aus der streichquartettplatte, und „murray’s steps“. lafayette gilchrist spielt unglaublich gut hier, sehr eigen, bass und schlagezug dahinter total modern (drake spielt in seinen soli einfach den groove weiter und darin ca. 200 variationen jedes einzelnen elements davon). und murray ist total inspiriert. auf dem klavier lag ein großes schwarzes buch, dass broecking in den liner notes als john hicks‘ songbook des power quartets identifiziert hat, das er vor seinem tod noch gilchrist übergeben konnte.
vor dem konzert habe ich draußen geraucht und konnte durchs fenster murray beim aufwärmen zusehen. habe mein foto gerade wiedergefunden.
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WerbungWie schön, danke für das Foto!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaishmael reed quintet fest. david murray, for all we know (2007)
eine kleine jam session ohne bass & schlagzeug, mit tenorsax (murray), flöte (roger glenn), violine (carla blank), und gitarre (chris planas), reed spielt klavier und spricht ein paar seiner texte, die aber eher auflockerungen darstellen in einem standard-programm aus songs und jazz-originalen (blue bossa, solar, naima usw.). da der leader eher ein amateurpianist ist, hat das ganze keine hohen ansprüche, die instrumentierung hat etwas zufälliges, man kann das charmant finden oder sich als nicht eingeladener gast eines informellen musikant*innentreffens fühlen. murray nimmt den freundschaftsdienst ernst, aber geht hier natürlich nicht in die vollen. am schönsten ist das letzte stück „army nurse“, reed spricht ein gedicht, murray und planas spielen dazu die rubatoballade „banished“, die murray gerade zweimal im quartett eingespielt hat. was es alles gibt…
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Ach, was soll’s, dann hör ich doch noch etwas mehr als eigentlich geplant … aus der Tube gerade JazzBaltica Ensemble Directed by David Murray JazzBaltica ’92 – Baltic Suite: Extensive Fragments. @vorgarten hat natürlich auch darüber schon geschrieben. Und tatsächlich funktioniert das alles sehr gut. Eine lange Suite mit vielen starken Soli, deren Einstieg der Chef an der Bassklarinette macht, gefolgt von Tomasz Stankos unverkennbaren Trompete und dann tatsächlich einer ersten Überraschung: Nils Landgren an der Posaune. Das ist zwar ein langer Solo-Reigen, aber es gibt Kommentare, man lässt einen Solisten auch mal ganz allein, und da und dort gibt es längere ausgeschriebene Ensemble-Passagen (die stehen in der Liste oben). Aktiv ist besonders Andreas Willers an der Gitarre, zentral für den Groove und die Stabilität des ganzen Anders Jormin am Bass, für meine Ohren nicht so toll hingegen Jukkis Uotila, der Drummer. Am Schluss wird mir das etwas zu bunt: Blues für Heberer, daraus ein Rockgitarren-Solo, dann nach dem zweiten Posaunensolo ein Wechsel zu einem James-Brown-Lick, das schnell zum Murray-Lick wird, über das Willers weiterhin ein JB-Lick spielt, während darüber Howard Johnson das tolle zweite Tubasolo spielt – dabei wieder allein gelassen wird … doch nicht ganz, denn der andere Tubaspieler stösst zum Elefanten-Duett dazu. Und so findet das doch ein versöhnliches Ende – wäre da nicht noch ein schnell ausgeblendetes boppigs Tutti, das ziemlich angeklebt wirkt. Live kann das alles sehr toll gewesen sein, keine Frage!
Und das hier läuft gerade auch noch, Deutschland im Juli 1993:
vorgarten
LIVE ’93 – acoustic octfunk (1993)
das ist dann mal wieder ein echter knaller. murray ist mit fred hopkins und andrew cyrille in deutschland unterwegs und haut einen saal (wo genau, steht nirgends) aus den socken. super live-aufnahme, uneben, improvisiert, ab und zu wird zu einem schreienden publikum geöffnet, murray pustet hinter den begleitern herum, die ihre ganz eigene sophistication zu laut im sound abgebildet bekommen. hopkins spielt walking-bass-läufe, bei denen regelmäßig was mitschnarrt, die töne abrutschen oder wegspringen, cyrille trommelt mit minimalem beckeneinsatz kreuzrhythmen und denkt zwischendurch noch darüber nach. altes material hauptsächlich, „flowers for albert“, butch morris‘ „joanne’s green satin dress“ sind vom debütalbum, „calle de estrella“ erlebt auch schon seine dritte murray-aufnahme, „mr. pc“ – alles sachen, für die sie keine absprache brauchen. etwas ungelenk dann der neue closer, der titelgebender „acoustic octfunk“, der ist so gar nicht eingespielt, aber die glamourösen soli lenken davon ab. ein happening mit sonny-rollins-euphorie – dass anfang der 90er ein saxtrio so viel anrichten kann, durfte man auch nicht unbedingt erwarten.
Da mag ich gerade gar nichts weiter dazu schreiben, ausser dass das wirklich super ist und mir gerade sehr viel Freude bereitet!
Das mit den zwischendurch aufgedrehten Saalmikrophonen ist allerdings höchst irritierend, weil obendrein auch die Musik wärmer und satter klingt, wenn die Mikrophone geöffnet sind – seltsame Produktionsstrategie … vielleicht dem japanischen Markt geschuldet, für den das Album ja exklusiv produziert wurde.
Gehört habe ich das hier:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
jazzosaurus rex & saxmen (1993)
letzter auftritt auf red baron, SAXMEN bekam die vorletzte nummer, mit john lewis‘ KANSAS CITY BREAKS war es dann vorbei mit bob thieles label. auch bei diesen aufnahmen, am 18. und 19. august 1993 aufgenommen, verstehe ich wieder einiges nicht: JAZZOSAURUS klingt mal wieder furchtbar (sofern man nicht die höhen herausdrehen kann), SAXMEN merkwürdigerweise wesentlich besser; thiele und osser haben mal wieder etwas komponiert, was ganz simple blues-themen sind (wo lag da die ambition?); und, ja, JURRASIC PARK kam im aufnahmemonat raus und setzte offenbar ein thema (der zweite thiele-song heißt „dinosaur park blues“), das genau was mit murray zu tun haben soll? egal – oder auch nicht, man kann murray, hicks, drummond und cyrille beinahe alles hinwerfen und sie machen gute musik daraus, aber diskografische höhepunkt passierten dann eher bei DIW, wo einfach anders produziert wurde.
trotzdem: es gibt tolle momente. für das dinosaurier-album hat murray ein sehr einfaches latin/swing-vehikel geschrieben, das eine große hitze erzeugt („mingus in the pokonos“, gemeint ist der sohn und sein damaliges ferienlager); cyrille spielt durchweg sehr agil und spannend; und ganz großartig ist ein unbegleitetes hicks-solo über „central park west“. ganz sicher kein höhepunkt dagegen eine kurze hommage an miles davis, geschrieben und rhythmisch vorgetragen von george hines, ein paar plattitüden und ein paar blues-licks, gut, dass miles das nicht mehr gehört hat.p.s. danke für den service der referenzversionen, @.gypsy-tail-wind. kann man für SAXMEN natürlich auch machen, aber murray macht auch hier eh wieder sein eigenes ding. (getz mit orchester mochte ich sehr.)
Ich mühe mich seit dem Aufsetzen des gestrigen Schmorgerichts mit Jazzosaurus Rex ab … da finde ich den Sound nun ebenfalls richtig nervig, aber mangels CD höre ich auf der Bluetooth-Box und da kann ich wirklich nichts regulieren. Der Track für den Sohn im Sommercamp („Mingus in the Poconos“) ist sicher ein Highlight, aber insgesamt ist das für meine Ohren die meiste Zeit – Andrew Cyrille ausgenommen, der wohl gar nicht anders als maximal eigenwillig kann – ein routiniertes Date von ein paar Profis, die sowas nun wirklich im Halbschlaf können. Solides Handwerk, wirklich gut gemacht. Hicks changiert hier für meine Ohren zwischen purer Routine und wirklich starken Momenten (auch das Solo im Mingus-Track). In den Liner Notes (der Scan mit dem grossen Line-Up ist falsch drin, der gehört zu „Lion-Hearted„) erwähnt Nat Hentoff hier Eddie „Lockjaw“ Davis als Referenz und schreibt überhaupt, wie ihn die Stimmung des Albums an früher erinnere … und ja, das ist wohl der Punkt dieser Produktion. Und ich denke auch hier unwillkürlich wieder an Bennie Wallace … interessant, dass Murray durchaus auch einen Südstaaten-Swamp-Groove könnte (ich stelle mir gerade eine Session von Dr. John und The Meters mit Murray als Gast vor). Schön finde ich auch die „Ballad for David“ von Ray Drummond, der überhaupt wie immer überzeugend aufspielt.
Für Saxmen muss ich dann wieder auf eine YT-Playliste zurückgreifen. Im Opener finde ich es einigermassen erstaunlich, dass Murray zeitenweise wirklich Lester Young (inkl. der Honks, die die Westcoast-Vorgänger, die um sein Geburtsjahr herum aktiv waren, weggelassen haben) zu channeln scheint, bevor er dann wieder in seinen typischen Murray-Stomp mit den ganzen vokalen Inflektionen und überblasenen Tönen fällt. Die Rhythmusgruppe klingt da auch gleich tighter, mehr auf den Punkt – obwohl Cyrille natürlich wieder völlig abseits aller Klischees unterwegs ist. „St. Thomas“ klingt nach der Big Band-Version etwas müde, dafür zeigt Murray dann in „Bright Mississippi“ wieder, wie gekonnt er mit Monks Stücken umzugehen weiss. „Central Park West“, am Ende der zwei Alben (die an zwei Tagen, am 18. („Jazzosaurus Rex“) und 19. („Saxmen“) August 1993 eingespielt wurden, ist auf jeden Fall nochmal ein Highlight. Das ist sowieso ein Stück, das ich total gerne mag (hätte eigentlich auch mal wer einen Text dazu schreiben können) und das unbegleitete Klaviersolo ist wirklich bezaubernd.
Eigentlich ist das alles ja schon reichlich seltsam: dass Bob Thiele mit seiner ganzen Erfahrung kein richtig gutes Album mit David Murray produzieren konnte … und dass es trotzdem so viele Alben gibt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbafor aunt louise (1993)
ich springe zurück, weil ich endlich ein exemplar dieser cd erhalten habe. und wie ich mir das erhofft habe, ist FOR AUNT LOUISE ein bisschen das FOUR AND MORE zum MY FUNNY VALENTINE von LOVE & SORROW. das ist jetzt eine jazz-nerd-insider-referenz, aber liest hier jemand anderes mit?
jedenfalls wird mir jetzt erst die tiefe und vielschichtigkeit dieser sessions bewusst, die eben ein ruhiges und ein feuriges album abwarfen – und das feuer fehlte mir bislang.
„asiatic raes“ ist der einzige, nun ja, standard hier (einer, den ich immer sehr mochte), ansonsten gibt es ältere und neuere originale von murray, hicks und vom pianisten curtis clark, das murray in den 70ern schon aufnahm. und ein einfacher blues, der hier als traditional geführt wird. was hier passiert, ist nicht ganz einfach zu beschreiben. murray ist in schwergewichtsstimmung, sucht die explosion, bewegt masse, will den furor. ein bisschen nervt das, aber man kann das auch anders hören: als erotisches spiel der herausforderung seiner unfassbar tollen begleitband, die sich nur dann ins schwitzen begibt, wenn der leader sie herumgekriegt hat. ein permanentes ansticheln, pieksen, reiben an der laszivität von muhammad also, an der eleganz von hicks und hopkins, murray will sie verführen, will den sauna-aufguss, die produktivität erhöhen. das ist faszinierend zu verfolgen, weil ja auch ohne anstrengung permanent was tolles in der rhythm section passiert – allein zwischen den beiden händen und füßen des drummers, der gleichzeitig swingt, groovt, gerade und ungerade, synkopiert und square spielt (ein nächstes projekt, habe ich heute beschlossen: rudimentär durch die karriere von muhammad hindurch, von melvin sparks bis jamie xx). und so federn sie um den bulldozer herum, machen sich einen spaß und erliegen ihm doch.
love and sorrow (1993/96)
ganze vier tage nahm sich das quartett (mit hicks, aber hopkins/muhammad statt drummond/cyrille) in new yorker sound on sound studio zeit, um material für zwei alben aufzunehmen. FOR AUNT LOUISE kenne ich noch nicht, es sollte morgen bei mir eintreffen, hat vor allem originale im angebot, LOVE AND SORROW ist dagegen nah an den thiele-projekten: balladen-standards, oft gehört: „you’d be so nice to come home to“, „old folks“, „a flower is a lovely thing“ und „you don’t know what love is“, dazu zwei jüngere stücke, die mit vergleichbaren akkordschemen arbeiten.
ganz anders als bei den thiele-projekten: der sound ist großartig, nichts wirkt gehetzt, und muhammad baut eine untergründige spannung auf, die subtile räume öffnet, vor allem für hicks. diesmal kommen doch alte meister ins spiel, allein in den themenvorstellungen hört man jeden speicheltropfen, murray sucht nicht die schnelle explosion, es dauert bis zum vierten stück, bevor er mal kurz im falsett landet. aus den 90ern kenne ich wenige standard-interpretationen, die so eng an den originalen bleiben und dabei so viel neues entdecken lassen. die schattige atmosphäre des strayhorn-songs zum beispiel, die innere dramatik, den zug, den die stücke quasi aus sich selbst entwickeln. muhammad betont oft ungewöhnlich auf 2 und 4 und tut so, als würde er in jedem chorus eine schraube andrehen. „forever i love you“ ist eine eigenartige wahl, ein stück des trompeters tex allen, das kleine figuren durch die changes führt, und vom quartett so durchdacht gespielt wird, als hätten sie es seit 20 jahren im repertoire. aber auch murrays eigener „sorrow song“ macht etwas sehr ungewöhnliches mit den standardstrukturen – ein merkwürdiger b-teil (da kippt alles ins dur?), dann eine spiritual-schraube am ende, sprungbrett für zwei meisterhafte soli von murray und hicks (überhaupt: sie sind die einzigen solisten hier, vor allem hopkins hält sich außerordentlich zurück).
ich hatte mir das album damals als nachfolger von „fast life“ gekauft und wollte mit sicherheit keine standards hören, aber es ist mir trotzdem nahe gekommen und heute finde ich es überragend.
Neu- und Altland mit den Alben, die Murray vom 14. bis 17. September 1993 für DIW eingespielt hat. For Aunt Louise höre ich behelfsmässig (dank @vorgarten), das zweite kenne ich seit vielen Jahren: es war mein erstes Leader-Album von David Murray, vermutlich ungefähr um dieselbe Zeit wie die „44th Street Suite“ von McCoy Tyner herum in die Finger gekriegt (ein Zufallsfund in der Grabbelkiste, DIW-Alben kosteten hier damals gegen 40 und das war mir schlicht zu teuer, drum hab ich einige von Murrays besten Sachen auch lange nicht gekannt).
Da steht oben schon viel Zutreffendes. Die „Four & More“-Beobachtung mache ich gerade zum ersten Mal. Die Power, die Murray hier an den Tag legt, wie er damit die Band aus der Reserve lockt, wie diese aber auch sonst klasse aufspielt … und klar doch: Idris Muhammad ist zurück, der Drummer, der im Oktober 1991 schon zweimal dabei gewesen ist („Ballads for Bass Clarinet“, „Fast Life“). Sein Spiel ist gerade ein faszinierender Kontrast zu Andrew Cyrille. Muhammad kommt aus einer ganz anderen Ecke – den Boogaloo hört man gleich im Opener von „For Aunt Louise“, „Fantasy Rainbow“ – , ist aber ein ähnlich eigenwilliger Drummer. Das wird im Swing des zweiten Stückes vielleicht noch deutlicher, aber auch in den Latin-Beats in Kenny Dorhams „Asiatic Raes“ und „Autumn of the Patriarch (For Fred Hackett)“, wo auch Hicks superb ist (der Opener kommt auch schon mit Latin-Touches daher). Das ist auch alles gut programmiert, mit dem entspannten halben Titeltrack („Fishin‘ and Missin‘ You“, mit der Widmung „For Aunt Louise“) in der Mitte, Muhammad klöppelt den 3/4 die meiste Zeit ganz leicht, dann wieder rollt er etwas wuchtiger, Murray greift zur Bassklarinette und spielt sie fast ohne „antics“ – je älter er wird, desto öfter denke ich bei den Bassklarinetten-Tracks auch mal an Eric Dolphy. Im Closer kommt alles zusammen: Latin-Beats, toller Groove der ganzen Band, die vom Leader angetrieben wird … 12 Minuten Murray in den irren Höhen, die er um den Dreh herum nicht mehr ständig anpeilt, aber immer noch mühelos erreicht, wenn er denn will.
Die zweite Runde ist dann wie gesagt vertraut: Love and Sorrow, ein Balladen-Album, auf dem zuerst je zwei alte Klassiker zu hören sind zwei Originals einrahmen: „You’d Be So Nice to Come Home To“, „Old Folks“ machen den Einstieg, am Ende stehen „A Flower Is a Lovesome Thing“ und „You Don’t Know What Love Is“. In der Mitte stehen „Forever I Love You“ vom Trompeter Tex Allen, der eine eher „spotty“ Laufbahn hatte, u.a. auf „Svengali“ von Gil Evans und einem Stück von Cecil McBees „Mutima“ zu hören ist, sowie Murrays „Sorrow Song“. Ich mag den Opener hier extrem gerne. Das ganze ergibt zwei Dreierblöcke mit jeweils einem kurzen („Forever I Love You“ und „A Flower Is a Lovesome Thing“) und zwei langen Stücken.
Die Atmosphäre ist auf dem ganzen Album toll, auch hier ist alles perfekt programmiert und auch innerhalb der Stücke ergeben sich raffinierte Abläufe und dramaturgische Kniffs. Die Beobachtung von vorgarten über das Spiel von Muhammad ist sehr zutreffend. Das ist alte Schule, im Hard Bop zumindest noch sehr oft anzutreffen: gib jedem Solisten einen eigenen Beat, und noch kleinteiliger (weil es gibt hier ja eh nur zwei Solisten): strukturiere die Performance Chorus für Chorus – Klassiker wie Rolls oder Fills am Ende von Chorussen braucht Muhammad dafür selten, aber er variiert ständig seinen Beat, baut gerade im „Sorrow Song“, wo Murray zum ersten Mal hier richtig durch die Decke geht, immer mehr Druck auf – und tut das zweimal: Wenn Murray fertig ist, nimmt er allen Druck raus für Hicks und fängt wieder von vorne an … und das kann er, ohne dass es da einen spürbaren Bruch gäbe, ohne eine Sekunde der Langeweile. Meine Highlights hier sin wohl der Opener und der Closer – gerade mit letzterem schreibt Murray sich ja auch wieder in eine Tenorsax-Linie ein: Sonny Rollins („Saxophone Colossus“), John Coltrane („Ballads“) und einige andere (Booker Ervin, Charlie Rouse … Stan Getz hat das Stück im März 1991 im Café Montmartre in Kopenhagen aufgenommen, aber herausgekommen ist die Version erst 2009) – und natürlich viele weitere: Chet Baker, Miles Davis, Eric Dolphy, Ahmad Jamal, Billie Holiday usw.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaja, ist doch erstaunlich, wieviel die qualität von alben scheinbar mit der produktion zu tun haben: quasi die gleiche band klingt auf red baron routiniert, auf diw dagegen in jedem moment inspiriert. und dass john hicks scheinbar für die quartette mit murray eigene songbooks zusammengestellt hat, fand ich auch eine interessante neue erkenntnis: wie ernst sie dieses zusammenspiel genommen haben.
da bist du jetzt an einem höhepunkt angelangt, der danach natürlich die frage aufwirft, was da noch kommen soll. dass murrays aufnahmen ab hier konzeptioneller werden, neue kontexte suchen, erscheint nachvollziehbar. ich war da lange zeit nicht neugierig genug – vielleicht, weil er live mit hicks im quartett bei mir einen solch starken eindruck hinterlassen hatte, dass ich vor allem dort nach dokumenten gesucht habe (sanders oder shepp wurden mir in diesen klassischen quartettbesetzungen ja auch nie langweilig).
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david murray and the gwo ka masters feat. taj mahal, the devil tried to kill me (2007/09)
wieder mal ein interessantes fusion-projekt, von den gwo ka masters bleiben vor allem percussion und ein bisschen gesang übrig, die grundlage ist funk (ranzell merritt ist wieder da, dazu der vielseitig einsetzbare jaribu shahid auf dem e-bass), mit taj majhal und der sängerin sista kee kommen aber auch blues- und r&b-einflüsse dazu. kee spielt außerdem ein passables spiritual-jazz-klavier. irgendwie ist dieses projekt auch kommerziell gedacht, es hat etwas leicht clubbiges, von zwei stücken gibt es radio edits. murray spielt manchmal große soli, die wie reingesampelt wirken. rasul siddik (plötzlich wieder dabei und ziemlich super) hat manchmal einen elektronischen schatten. ich finde das ein wenig unentschieden, für den club ist zuviel los und einiges (die gitarren) dann doch nicht so hip, aber ich habe doch den eindruck, dass hier alle ziemlich inspiriert sind und nicht an ein „produkt“ denken.
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jamaaladeen tacuma / david murray, rendezvous suite (2009/11)
das ist ein total spontaner jam, den tacuma, der ein bisschen zeit in paris während einer tour hatte, schnell zusammengetrommelt hat. murray lebt in paris, kommt vorbei, bringt seinen nunmehr 20jährigen sohn mingus mit, amiri baraka ist auch gerade in der stadt und kann kurz ein loblied auf barack obama rezitieren. wie der drummer ranzall merrit dazustieß, weiß ich nicht. am ende gibt tacuma die bänder noch dem soundtüftler paul urbanek mit, der elektronische und keyboard-spuren drunterlegt, meist als schatten der instrumente. das ist teilweise ziemlich super, weil murray und tacuma sofort wieder den ornette-punk-vibe haben. und auch mingus schlägt sich ziemlich gut. gekauft hat es am ende ulli blobel.
hier noch kurz eine kleine fotogalerie zu mingus murray, mit papa und mama:
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Diese „wie weiter“ Frage: ob die sich Murray, generell Kunstschaffenden, die gerade auf einem Plateau sind, gestellt hat? Wie sehr ist sowas dem Künstler im Augenblick bewusst? Wenn er die – teils ja recht verzögert veröffentlichten – Alben gar nicht anhört (halte ich eigentlich den Normalfall, aber da mag ich irren), inwiefern korreliert dann die Selbst- mit der Fremdwahrnehmung, die aktuelle mit der historischen von uns heute?
Du bist inzwischen in Territorium, das ich größtenteils nicht kenne … und wohin ich vermutlich auch nicht folgen werde. Aber ich hab auch so noch einiges zum (Wieder)Hören.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
shakill’s II (1993)
[…] so springe ich erstmal einen aufnahmemonat weiter und lande beim nachfolger von SHAKILL’S WARRIOR, mit neuer rhythm section bill white (g) und j.t.lewis (dm).
howard mandel schreibt in den liner notes: „yes, SHAKILL’S WARRIOR was an international hit, but of such an unpretentiously natural quality that it still serves as a soundtrack for the best informed jazz cognoscenti and regular folks alike“. der nachfolger gefiel mir zuletzt etwas besser als der vorläufer, weil lewis als ausgesprochener 90er-drummer härter und präziser agiert als cyrille und überhaupt keine nostalgie mehr aufkommen lässt, allerdings fand ich heute das material doch deutlich generischer, mit einfachen blues- und shuffle-nummern dazwischen, ohne dass das jetzt lieblos erscheinen muss. nach wie vor fan bin ich vom sound der aufnahme, die ist wirklich nah am fetisch. und das playing ist grandios und, ja, unprätentiös. pullen hat zwischen den aufnahmen seine erste krebs-diagnose mitgeteilt und spielte, wie er später sagte, ein bisschen unter schockeindruck. das hört man natürlich nicht.
ein ming-smith-cover wieder, wie man sieht. vielleicht, weil die produktion wieder ein paar hommagen an den gemeinsamen sohn enthält (das titelstück ist eigentlich „mingus in the poconos“, und auf der rückseite sieht man ihn im karate-trikot).
Da bin ich dann auch mal wieder … und weil ich gestern bei den Alben mit Idris Muhammad war: den hier zu hören wäre natürlich auch toll gewesen, weil das ja schon ein nostalgisches Konzept ist und auf Musik zurückgreift, wie Muhammad sie mitgeprägt hat: schon im Opener gibt es eine Art aktualisierten Boogaloo-Shuffle. Klar macht J.T. Lewis das super und ist vermutlich härter im Zugriff (bin mir gar nicht sicher, ehrlich gesagt, aber Muhammad wäre auf jeden Fall swingender, freier) … das mit dem sehr „basic“ Material stimmt schon, aber mir geht es glaub ich auch generell so, dass ich diese zweite Runde etwas lieber mag. Auch wenn’s sehr einfach ist: „Blue Somewhere“ könnte wirklich auf einer Gene Ammons-Platte von 1969 oder so zu finden sein. Wo ich den Namen ins Rund werfe, finde ich gerade Murrays Anpassungsfähigkeit wieder einmal verblüffend. Es gibt ja auch auf dem Thiele-Album mit Ravi Coltrane Phrasen, die von Murray stammen, bei denen auf den ersten Moment echt nicht klar ist, welcher der beiden jetzt spielt. Auf ganze Soli hin betrachtet besteht aber absolut keine Verwechslungsgefahr … und so ist das auch hier: der Einstieg ins Solo von Murray könnte ebenfalls von Gene Ammons stammen (und kurz davor hatter er ja auch Sonny Stitt gecovert, „The Eternal Triangle“ auf „Jazzosaurus Rex“) … aber irgendwann wuchtet er sich ins Falsett hoch und dann ist es natürlich wiederum völlig klar, dass hier ein jüngerer Musiker zu hören ist, der noch ganz andere Strömungen und Stile absorbiert hat. Gitarrist Bill White sagt mir sonst nichts, seine Credits sind ziemlich breit und durchaus beeindruckend – er changiert zwischen Single Note-Linien und bluesig-rockigen Passagen, rifft auch mal ziemlich funky … vielleicht mag ich auch ihn einfach etwas lieber als Stanley Franks auf dem ersten Album? Auch das dritte Stück, „For Cynthia“ ist ein Stück, das gerade so gut auf einer Boogaloo-Platte von 1967/68 wie mit Gesang auf einem Motown-Album ein paar Jahre später vorstellbar wäre. Geschrieben hat es William Connell, der auf einem Album debütierte (?), das hier im Forum ein paar Fürsprecher hat, „Chico Hamilton and the Players“, wo er an der Seite von Arthur Blythe anzutreffen ist und sich gut schlägt. Murray spielt hier recht verhalten, die Latin-Atmosphäre kostet er allerdings wunderbar aus, sein Saxophon singt förmlich – eine grossartige Performance. Ähnlich toll später die sehr langsame Ballade „One for the Don“ von Pullen. In der Mitte des gut einstündigen Albums (immerhin fast eine Viertelstunde weniger Überlänge als „Shakill“, glaub ich?) steht dann eine neue Version von „My Son Mingus In the Poconos“, so der Zusatz zu „Shakill’s II“. Wenn ich bis hierhin Don Pullen nicht erwähne, hat das einen Grund: Ich kriege ihn als Organisten nicht so recht zu fassen. Seine Sounds sind oft eher altmodisch, manchmal fast prä-Smith/McDuff; Howard Mandel meint in den Liner Notes, „church and roller rink, juke joint and space station“ seien alle da. Das höre ich auch so. Und irgendwie höre ich einen fast völligen Mangel an Flamboyanz, was ich bei Pullen – und bei Murray, dessen Alben das ja sind – doch irgendwie verblüffend finde. Im Titelstück gibt es durchaus andere Momente, und das ist dann auch ein grosses Highlight hier – ich beschreibe meinen Gesamteindruck: eine grosse Sachdienlichkeit, die mir insgesamt oft etwas zu verhalten bleibt. Das klingt jetzt wohl harscher als intendiert – ich mag die beiden Alben ja wirklich gerne, aber zu meinen grossen Lieblingsalben werden sie vermutlich doch nie gehören. Dennoch: ein starkes Album mit einem formidabel aufgelegten Murray … einfach wie der Vorgänger etwas zu lang – vielleicht ist hinsitzen und hören hier echt nicht der beste Weg, um sich der Musik zu nähern.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-windDiese „wie weiter“ Frage: ob die sich Murray, generell Kunstschaffenden, die gerade auf einem Plateau sind, gestellt hat? Wie sehr ist sowas dem Künstler im Augenblick bewusst? Wenn er die – teils ja recht verzögert veröffentlichten – Alben gar nicht anhört (halte ich eigentlich den Normalfall, aber da mag ich irren), inwiefern korreliert dann die Selbst- mit der Fremdwahrnehmung, die aktuelle mit der historischen von uns heute?
Du bist inzwischen in Territorium, das ich größtenteils nicht kenne … und wohin ich vermutlich auch nicht folgen werde. Aber ich hab auch so noch einiges zum (Wieder)Hören.irgendwo hatten wir doch diesen Artikel, in dem herauskam, dass Murray zumindest Mitte der 90er keinen eigenen CD Player hatte … und so vermutlich seine Alben – oder die Alben von anderen Musikern – nicht so gehört hat, wie unser einer, also: vermutlich hat er die nie angehört… auf irgendeine Art hatte Murray sicher einen Bezug zum klassischen CD-Album, er hat ja dutzende aufgenommen… aber auf irgendeine Art möglicherweise auch nicht so richtig…
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.Man kann ja einen starken Bezug haben und das fertige Produkt dann doch nicht mehr anhören … weil auf dem Weg dahin wohl ordentlich Zeit investiert wird, Takes angehört und ausgewählt werden, vielleicht noch Titel für neue Stücke gefunden werden müssen usw. (ich wäre irgendwie überrascht zu hören, wenn Murray zumindest bei den DIW-Produktionen gar nicht in den Prozess zwischen Aufnahme und Veröffentlichung involviert gewesen wäre, aber ich weiss dazu nichts) … aber wenn es fertig ist, ist es draussen und nicht mehr von Belang, weil das nächste Projekt ansteht, die nächste Tour, die nächsten neuen Sidemen, die eingearbeitet werden müssen oder was auch immer.
Schon irre, dass Murray da erst Ende 40 ist – die Diskographie wäre auch für zwei oder drei Leute beachtlich.
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murray, burrell, windward passages (1993)
eine von zwei duoaufnahmen der beiden in diesem jahr (BROTHER TO BROTHER kenne ich nicht), das programm ist eklektizistisch, geht vom „sorrow song“ über 2 versionen von „naima“ (eine davon 14 minuten lang) in ein cabaret-intermezzo, in dem burrells frau und gelegentliche ko-komponistin monica larsson einen klischee-l’amour-á-paris-text aufsagt, gefolgt von jelly roll morton, gegen ende trägt es burrell und murray in einer hommage an ihre beiden musikalischen mütter aus der form. es gibt klare highlights hier, in denen sie ganz eigene stimmungen erzeugen oder sich ungehemmt dem rasenden irrsinn hingeben, nicht selten fliegt das aber auch auf und auseinander. spannend zu hören, manchmal tut es aber auch weh.
Die letzte Runde im Duo mit Dave Burrell (8. Dezember 1993) – und die fliegt tatsächlich ein wenig auseinander. Aber dann ist da an zweiter Stelle das unglaublich tolle „It Hurts So Much to See“ von Burrell/Larsson – also mit Text wohl, aber der wird nicht gesungen, denn singen tut hier David Murray an der Bassklarinette, und das hat wieder diese unendlich schöne Gospel-Stimmung, wie sie auf „Brother to Brother“ auch anzutreffen ist. „Conversations with Our Mothers“ ist vielleicht der würdige Abschluss der Zusammenarbeit (es gibt keine weitere dokumentierte Begegnung, oder?): eine wunderschöne Ballade, in der beide völlig ausbrechen, das überdreht völlig, geht ins Surreale, findet aber den Weg zurück wieder, verliert sich dahin auch nie ganz … und danach „Naima“ (Nr. 2, die noch längere Version) ist schon perfekt platziert. Die Cabaret-Einlage, ein paar vielleicht zu irre Soli von Burrell („Naima“ Nr. 1), Jelly Roll Morton als Tango, Novelty in „Zanzibar Blue“ (Murray ist hier allerdings klasse und in seinem Solo fliegt das dann auf gute Art auseinander und doch nicht) – dieser sehr bunte Strauss und überhaupt einmal mehr zu viel Musik führen aber dazu, dass das Album nicht so gut gelingt wie die Vorgänger.
Und da vielleicht ein kleiner Exkurs, warum ich bei der Marathon-Idee in Sachen Black Saint/Soul Note bisher nicht wirklich angesprungen bin: viele der Alben wirken auf mich einfach nicht so gut produziert, und das wird beim Murray-Hören halt gerade wieder deutlich. Die liessen wohl oft einfach machen, und so manches wirkt auf mich eher wie ein Dokument, das halt im Studio und nicht im Club entstanden ist. Samuel Charters, der die Duo-Alben auf Gazell produzierte („Daybreak“ und „Brother to Brother“) hat nicht das grosse eigene Label aus dem Boden gestampft, aber er war – zumindest für das Duo hier – wohl doch der bessere Produzent. Bob Thiele verliert ja auch haushoch gegen Kazunori Sugiyama von DIW … schon interessant, dass das so deutlich wird. Das hat aber wiederum auch damit zu tun, dass Murray parallel für unterschiedliche Label aufnahm und man da halt so viele direkte Vergleichsmöglichkeiten hat, wie davor höchstens mal in den späten Fünfzigern (Leute, die als Leader oder Co-Leader auf Prestige, Savoy, Blue Note, Riverside usw. zugleich aufnahmen gab’s ja ein paar: Kenny Burrell, Johnny Griffin, Yusef Lateef, Curtis Fuller oder Art Farmer kommen mir sofort in den Sinn). Bottom line: ein paar Sachen weglassen (die Cabaret-Nummer, einen Take von „Naima“) und alles in eine schlüssigere Reihenfolge packen, und das wäre ein umwerfendes Album geworden. So, wie es ist, ist es gut. Das ist ja auch was.
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the tip (1994)
gleiche band natürlich, der sohn von lucky thompson kommt noch ein bisscher häufiger mit seinen blues-gitarren-licks zum einsatz, einmal hören wir kurz einen rapper. das album hat größere höhen und tiefer als das andere, das fängt mit einer komplett ideenlosen version von „sex machine“ an, auf denen sich murray allerdings auf 14 minuten plötzlich mächtig aufschwingt. und „kahari romare“ von el’zabar ist tatsächlich ein ganz tolles stück, eine hypnotische figur mit völlig ambivalenter struktur, über die murray ganz lässig sein ding macht. und der aufgeräumte kristalline sound hat wirklich eine eigene qualität. wenn ich nur wüsste, ob ich die mag…
vorgarten
jug-a-lug (1994)
das einzige murray-album, das ich aus dem aussortiert-stapel bergen musste. dabei ist es eigentlich kein fehlgriff. diese chicagoer sessions aus dem mai 1994, die zu zwei alben auf DIW geführt haben, haben allerdings eine bestimmte klangästhetik, die ich damals überholt fand und auch heute werde ich kein fan. murray ist hier natürlich in die verlängerung der letzten miles-phase hineingerutscht, die ich aber eben mit dem tod von miles auch mitbeerdigt fand. robert irving III, darryl jones (bevor er mitglied der rolling stones wurde) sind direkte säulen des letzten miles-band-sounds, bobby broom und drummer toby williams kommen aus der gleichen szene, dann gibt es aber auch noch eine störrische quasi-trompete von olu dara – und sogar kahil el’zabar fügt sich mit seiner leichten percussion ins funkige, funktionale gefüge ein, in denen die drums ganz flach abgenommen sind, die synths ambivalent einwabern (als wären sie von miles selbst), und auf engstem raum rhythmuswechsel, ausbrüche, crash-becken und ein ultra-trockener e-bass so integrativ ineinanderwirken, als wäre das alles eine pop-produktion. eigentlich mag ich das alles, und murray spielt ein sehr inspiriertes maskulines funksax, das man sich auch im battle mit kenny garrett vorstellen kann, aber eben, es ist 1994 und nicht mehr 1991, und nach meinem erleben lagen damals welten dazwischen. heute höre ich das als schöne, etwas fremdartige musik.
Ich dreh bei den Zitaten oben mal – nach Katalognummer und Erscheinungsjahr („The Tip“ 1994, „Jug-A-Lug“ 1995) – die Reihenfolge um … und Sly Stones (nicht JBs) Sex Machine, mit dem das alles dann los geht, dauert halt auch schon 14 Minuten, Murray nimmt das halt genau. Don Palmer schreibt in seinen Liner Notes zum ersten Album, dass es sich hierbei um eine Rückkehr zu den Wurzeln handle, „Murray’s days as a youngster, when he took in the sounds of the Bay Area’s funk and gospel musics.“ Später erwähnt Palmer auch, dass Murray stolz „Grateful Dead’s computer newsletter“ erwähne, wo er der „Jimi Hendrix des Tenorsaxophons“ genannt worden sei, nachdem er im Madison Square Garden bei den Dead eingestiegen sei. Die Hinwendung zum Funk war in der Zeit über Conjure/Kip Hanrahan (und Ishmael Reed) hinaus ein Thema, Murray arbeite mit Bob Weir und Taj Mahal an einem Musical über Satchel Paige, das den Titel „Pitchin‘ Man“, das nie zustande kam (genaueres weiss ich nicht, aber hier hat 2012 mal wer ein paar Zitate zsuammengetragen, das jüngste von 2005). Octo Funk hiess die damalige Tour-Band von Murray („I put it together last summer in Europe during the World Cup when not much was happening […] a quartet with friends from Oakland“ – das Acustic Octfunk Trio, das wir hier im Thread auch erwähnten, borgt von da wohl nur dreiviertel des Namens). Auch Kahil El’Zabar wird in den Liner Notes erwähnt, sein Ethnic Heritage Ensemble, und v.a., dass der Drummer aus Chicago Murray mit Robert Irving III zusammengebracht habe, dem ehemaligen Keyboarder von Miles Davis, mit Darryl Jones, „current Stones bassist“ (seit 1993, also auch da schon, und damit auch schon seit mehr als 30 Jahren) und den zwei Gitarristen, Bobby Broom und Daryl Thompson. Irving, Broom, Jones und Drummer Toby Williams – auch hier der Drummer, El’Zabar spielt Percussion – hatten mit Kirk Whalum 1992 auch ein Album herausgebracht.
Und damit ist die Band, die wir hören, fast komplett: Thompson ist nur Gast (dreimal auf „The Tip“ und einmal auf „Jug-A-Lug“), Olu Dara schaut vorbei (je einmal) und G’Ra spricht auf „Removen Weil“, das er mit Darryl Jones komponiert hat. Davor nach dem Opener „Sex Machine“ (mit beissender Gitarre von Thompson) noch eine Reggae-Version von „Flowers for Albert“ zu hören, Irving an der funky Orgel – da ist auch Dara zum ersten Mal dabei, als Schatten im Thema und nach Murrays phantastischem Solo mit einem verhaltenen Kontrapunkt mit Dämpfer. Murrays Spiel hier lässt mich eigentlich eher zweifeln, dass er zu der Zeit „wie weiter“-Gedanken wälzte – er haut eins ums andere seiner packenden, mitreissenden, völlig perfekt ausgestalteten Soli heraus. Auf „Kahari Romare“ finde ich die Rhythmusgruppe (Williams/Jones extrem auf den Punkt und Williams doch irgendwie ziemlich frei) und Murray phantastisch, aber ich muss mir den cheesy Synthesizer-Teppich von Irving wegdenken … der hat zwar grossen Anteil an der dunkelbitteren Stimmung hier, aber fürchterlich finde ich ihn halt trotzdem.
Das alles am Stück zu hören ist vielleicht nicht die allerbeste Idee – aber Murray ist in Form, der wie von @vorgarten erwähnt sehr trockene Bass-Sound ist toll, die Grooves oft mitreissend, und Bobby Broom steuert auch ein paar ansprechende Soli bei. El’Zabar sorgt für Farbtupfer, besonders wenn er zum Daumenklavier greift. Ich hätte nichts gegen mehr Auftritte von Olu Dara gehabt … aber das ist ja ein allgemeingültiger Satz. Auf „Jug-A-Lug“ spielt er wieder mit Dämpfer im zweiten Stück mit, „Ornette“. Ob „A.B. Lib“ for A.B. Spellman ist, weiss ich nicht – aber Murray spielt da wieder mal ein tolles Solo und die Band legt einen kargen Groove drunter – da gefällt mir auch sehr gut, wie sich der Synthesizer mit der Gitarre von Broom mischt. Und danach gibt es im „Acoustic Octo Funk“ dann auch endlich mal die Bassklarinette zu hören: Murray rifft über ein Slap-Bass-Ostinato (später gibt’s ein gutes Bass-Solo) und ein Funk-Riff von Broom, es gibt zwei Akkorde … und das ist super. Einen schönen Closer (mit Thompson) gibt es dann auch noch: eine neue Version von „Morning Song“. Unterm Strich finde ich aber beide Alben etwas lang, etwas gleichförmig – vielleicht hätte hier ein 50minütiges Kondensat (statt 66 + 61 Minuten) auch gereicht?
PS: Diese Sessions zu hören erinnert mich daran, auf dem Neuanschaffungen-Stapel im Kielwasser des Gitarren-Trio-Threads auch noch zwei Bobby Broom-Alben liegen (eins im Trio, das andere mit Sax dazu).
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Schlagwörter: David Murray, Tenorsax
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