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vorgarten
shakill’s II (1993)
[…] so springe ich erstmal einen aufnahmemonat weiter und lande beim nachfolger von SHAKILL’S WARRIOR, mit neuer rhythm section bill white (g) und j.t.lewis (dm).
howard mandel schreibt in den liner notes: „yes, SHAKILL’S WARRIOR was an international hit, but of such an unpretentiously natural quality that it still serves as a soundtrack for the best informed jazz cognoscenti and regular folks alike“. der nachfolger gefiel mir zuletzt etwas besser als der vorläufer, weil lewis als ausgesprochener 90er-drummer härter und präziser agiert als cyrille und überhaupt keine nostalgie mehr aufkommen lässt, allerdings fand ich heute das material doch deutlich generischer, mit einfachen blues- und shuffle-nummern dazwischen, ohne dass das jetzt lieblos erscheinen muss. nach wie vor fan bin ich vom sound der aufnahme, die ist wirklich nah am fetisch. und das playing ist grandios und, ja, unprätentiös. pullen hat zwischen den aufnahmen seine erste krebs-diagnose mitgeteilt und spielte, wie er später sagte, ein bisschen unter schockeindruck. das hört man natürlich nicht.
ein ming-smith-cover wieder, wie man sieht. vielleicht, weil die produktion wieder ein paar hommagen an den gemeinsamen sohn enthält (das titelstück ist eigentlich „mingus in the poconos“, und auf der rückseite sieht man ihn im karate-trikot).
Da bin ich dann auch mal wieder … und weil ich gestern bei den Alben mit Idris Muhammad war: den hier zu hören wäre natürlich auch toll gewesen, weil das ja schon ein nostalgisches Konzept ist und auf Musik zurückgreift, wie Muhammad sie mitgeprägt hat: schon im Opener gibt es eine Art aktualisierten Boogaloo-Shuffle. Klar macht J.T. Lewis das super und ist vermutlich härter im Zugriff (bin mir gar nicht sicher, ehrlich gesagt, aber Muhammad wäre auf jeden Fall swingender, freier) … das mit dem sehr „basic“ Material stimmt schon, aber mir geht es glaub ich auch generell so, dass ich diese zweite Runde etwas lieber mag. Auch wenn’s sehr einfach ist: „Blue Somewhere“ könnte wirklich auf einer Gene Ammons-Platte von 1969 oder so zu finden sein. Wo ich den Namen ins Rund werfe, finde ich gerade Murrays Anpassungsfähigkeit wieder einmal verblüffend. Es gibt ja auch auf dem Thiele-Album mit Ravi Coltrane Phrasen, die von Murray stammen, bei denen auf den ersten Moment echt nicht klar ist, welcher der beiden jetzt spielt. Auf ganze Soli hin betrachtet besteht aber absolut keine Verwechslungsgefahr … und so ist das auch hier: der Einstieg ins Solo von Murray könnte ebenfalls von Gene Ammons stammen (und kurz davor hatter er ja auch Sonny Stitt gecovert, „The Eternal Triangle“ auf „Jazzosaurus Rex“) … aber irgendwann wuchtet er sich ins Falsett hoch und dann ist es natürlich wiederum völlig klar, dass hier ein jüngerer Musiker zu hören ist, der noch ganz andere Strömungen und Stile absorbiert hat. Gitarrist Bill White sagt mir sonst nichts, seine Credits sind ziemlich breit und durchaus beeindruckend – er changiert zwischen Single Note-Linien und bluesig-rockigen Passagen, rifft auch mal ziemlich funky … vielleicht mag ich auch ihn einfach etwas lieber als Stanley Franks auf dem ersten Album? Auch das dritte Stück, „For Cynthia“ ist ein Stück, das gerade so gut auf einer Boogaloo-Platte von 1967/68 wie mit Gesang auf einem Motown-Album ein paar Jahre später vorstellbar wäre. Geschrieben hat es William Connell, der auf einem Album debütierte (?), das hier im Forum ein paar Fürsprecher hat, „Chico Hamilton and the Players“, wo er an der Seite von Arthur Blythe anzutreffen ist und sich gut schlägt. Murray spielt hier recht verhalten, die Latin-Atmosphäre kostet er allerdings wunderbar aus, sein Saxophon singt förmlich – eine grossartige Performance. Ähnlich toll später die sehr langsame Ballade „One for the Don“ von Pullen. In der Mitte des gut einstündigen Albums (immerhin fast eine Viertelstunde weniger Überlänge als „Shakill“, glaub ich?) steht dann eine neue Version von „My Son Mingus In the Poconos“, so der Zusatz zu „Shakill’s II“. Wenn ich bis hierhin Don Pullen nicht erwähne, hat das einen Grund: Ich kriege ihn als Organisten nicht so recht zu fassen. Seine Sounds sind oft eher altmodisch, manchmal fast prä-Smith/McDuff; Howard Mandel meint in den Liner Notes, „church and roller rink, juke joint and space station“ seien alle da. Das höre ich auch so. Und irgendwie höre ich einen fast völligen Mangel an Flamboyanz, was ich bei Pullen – und bei Murray, dessen Alben das ja sind – doch irgendwie verblüffend finde. Im Titelstück gibt es durchaus andere Momente, und das ist dann auch ein grosses Highlight hier – ich beschreibe meinen Gesamteindruck: eine grosse Sachdienlichkeit, die mir insgesamt oft etwas zu verhalten bleibt. Das klingt jetzt wohl harscher als intendiert – ich mag die beiden Alben ja wirklich gerne, aber zu meinen grossen Lieblingsalben werden sie vermutlich doch nie gehören. Dennoch: ein starkes Album mit einem formidabel aufgelegten Murray … einfach wie der Vorgänger etwas zu lang – vielleicht ist hinsitzen und hören hier echt nicht der beste Weg, um sich der Musik zu nähern.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba