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vorgarten
the tip (1994)
gleiche band natürlich, der sohn von lucky thompson kommt noch ein bisscher häufiger mit seinen blues-gitarren-licks zum einsatz, einmal hören wir kurz einen rapper. das album hat größere höhen und tiefer als das andere, das fängt mit einer komplett ideenlosen version von „sex machine“ an, auf denen sich murray allerdings auf 14 minuten plötzlich mächtig aufschwingt. und „kahari romare“ von el’zabar ist tatsächlich ein ganz tolles stück, eine hypnotische figur mit völlig ambivalenter struktur, über die murray ganz lässig sein ding macht. und der aufgeräumte kristalline sound hat wirklich eine eigene qualität. wenn ich nur wüsste, ob ich die mag…
vorgarten
jug-a-lug (1994)
das einzige murray-album, das ich aus dem aussortiert-stapel bergen musste. dabei ist es eigentlich kein fehlgriff. diese chicagoer sessions aus dem mai 1994, die zu zwei alben auf DIW geführt haben, haben allerdings eine bestimmte klangästhetik, die ich damals überholt fand und auch heute werde ich kein fan. murray ist hier natürlich in die verlängerung der letzten miles-phase hineingerutscht, die ich aber eben mit dem tod von miles auch mitbeerdigt fand. robert irving III, darryl jones (bevor er mitglied der rolling stones wurde) sind direkte säulen des letzten miles-band-sounds, bobby broom und drummer toby williams kommen aus der gleichen szene, dann gibt es aber auch noch eine störrische quasi-trompete von olu dara – und sogar kahil el’zabar fügt sich mit seiner leichten percussion ins funkige, funktionale gefüge ein, in denen die drums ganz flach abgenommen sind, die synths ambivalent einwabern (als wären sie von miles selbst), und auf engstem raum rhythmuswechsel, ausbrüche, crash-becken und ein ultra-trockener e-bass so integrativ ineinanderwirken, als wäre das alles eine pop-produktion. eigentlich mag ich das alles, und murray spielt ein sehr inspiriertes maskulines funksax, das man sich auch im battle mit kenny garrett vorstellen kann, aber eben, es ist 1994 und nicht mehr 1991, und nach meinem erleben lagen damals welten dazwischen. heute höre ich das als schöne, etwas fremdartige musik.
Ich dreh bei den Zitaten oben mal – nach Katalognummer und Erscheinungsjahr („The Tip“ 1994, „Jug-A-Lug“ 1995) – die Reihenfolge um … und Sly Stones (nicht JBs) Sex Machine, mit dem das alles dann los geht, dauert halt auch schon 14 Minuten, Murray nimmt das halt genau. Don Palmer schreibt in seinen Liner Notes zum ersten Album, dass es sich hierbei um eine Rückkehr zu den Wurzeln handle, „Murray’s days as a youngster, when he took in the sounds of the Bay Area’s funk and gospel musics.“ Später erwähnt Palmer auch, dass Murray stolz „Grateful Dead’s computer newsletter“ erwähne, wo er der „Jimi Hendrix des Tenorsaxophons“ genannt worden sei, nachdem er im Madison Square Garden bei den Dead eingestiegen sei. Die Hinwendung zum Funk war in der Zeit über Conjure/Kip Hanrahan (und Ishmael Reed) hinaus ein Thema, Murray arbeite mit Bob Weir und Taj Mahal an einem Musical über Satchel Paige, das den Titel „Pitchin‘ Man“, das nie zustande kam (genaueres weiss ich nicht, aber hier hat 2012 mal wer ein paar Zitate zsuammengetragen, das jüngste von 2005). Octo Funk hiess die damalige Tour-Band von Murray („I put it together last summer in Europe during the World Cup when not much was happening […] a quartet with friends from Oakland“ – das Acustic Octfunk Trio, das wir hier im Thread auch erwähnten, borgt von da wohl nur dreiviertel des Namens). Auch Kahil El’Zabar wird in den Liner Notes erwähnt, sein Ethnic Heritage Ensemble, und v.a., dass der Drummer aus Chicago Murray mit Robert Irving III zusammengebracht habe, dem ehemaligen Keyboarder von Miles Davis, mit Darryl Jones, „current Stones bassist“ (seit 1993, also auch da schon, und damit auch schon seit mehr als 30 Jahren) und den zwei Gitarristen, Bobby Broom und Daryl Thompson. Irving, Broom, Jones und Drummer Toby Williams – auch hier der Drummer, El’Zabar spielt Percussion – hatten mit Kirk Whalum 1992 auch ein Album herausgebracht.
Und damit ist die Band, die wir hören, fast komplett: Thompson ist nur Gast (dreimal auf „The Tip“ und einmal auf „Jug-A-Lug“), Olu Dara schaut vorbei (je einmal) und G’Ra spricht auf „Removen Weil“, das er mit Darryl Jones komponiert hat. Davor nach dem Opener „Sex Machine“ (mit beissender Gitarre von Thompson) noch eine Reggae-Version von „Flowers for Albert“ zu hören, Irving an der funky Orgel – da ist auch Dara zum ersten Mal dabei, als Schatten im Thema und nach Murrays phantastischem Solo mit einem verhaltenen Kontrapunkt mit Dämpfer. Murrays Spiel hier lässt mich eigentlich eher zweifeln, dass er zu der Zeit „wie weiter“-Gedanken wälzte – er haut eins ums andere seiner packenden, mitreissenden, völlig perfekt ausgestalteten Soli heraus. Auf „Kahari Romare“ finde ich die Rhythmusgruppe (Williams/Jones extrem auf den Punkt und Williams doch irgendwie ziemlich frei) und Murray phantastisch, aber ich muss mir den cheesy Synthesizer-Teppich von Irving wegdenken … der hat zwar grossen Anteil an der dunkelbitteren Stimmung hier, aber fürchterlich finde ich ihn halt trotzdem.
Das alles am Stück zu hören ist vielleicht nicht die allerbeste Idee – aber Murray ist in Form, der wie von @vorgarten erwähnt sehr trockene Bass-Sound ist toll, die Grooves oft mitreissend, und Bobby Broom steuert auch ein paar ansprechende Soli bei. El’Zabar sorgt für Farbtupfer, besonders wenn er zum Daumenklavier greift. Ich hätte nichts gegen mehr Auftritte von Olu Dara gehabt … aber das ist ja ein allgemeingültiger Satz. Auf „Jug-A-Lug“ spielt er wieder mit Dämpfer im zweiten Stück mit, „Ornette“. Ob „A.B. Lib“ for A.B. Spellman ist, weiss ich nicht – aber Murray spielt da wieder mal ein tolles Solo und die Band legt einen kargen Groove drunter – da gefällt mir auch sehr gut, wie sich der Synthesizer mit der Gitarre von Broom mischt. Und danach gibt es im „Acoustic Octo Funk“ dann auch endlich mal die Bassklarinette zu hören: Murray rifft über ein Slap-Bass-Ostinato (später gibt’s ein gutes Bass-Solo) und ein Funk-Riff von Broom, es gibt zwei Akkorde … und das ist super. Einen schönen Closer (mit Thompson) gibt es dann auch noch: eine neue Version von „Morning Song“. Unterm Strich finde ich aber beide Alben etwas lang, etwas gleichförmig – vielleicht hätte hier ein 50minütiges Kondensat (statt 66 + 61 Minuten) auch gereicht?
PS: Diese Sessions zu hören erinnert mich daran, auf dem Neuanschaffungen-Stapel im Kielwasser des Gitarren-Trio-Threads auch noch zwei Bobby Broom-Alben liegen (eins im Trio, das andere mit Sax dazu).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba