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AutorBeiträge
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david murray 4tet & strings, waltz again (2002)
das sind – man glaubt es kaum – murrays einzige aufnahmen aus dem jahr 2002. ich hatte bis zur aktuellen erstbegegnung noch nie von dem album gehört oder gelesen, so weit habe ich mich damals also von ihm entfernt. sein neues quartett ist aber eigentlich super: lafayette gilchrist, der eigenartig minimalistisch um die ecke spielt, aber sehr viele unterschiedlichen mittel einsetzt (man hört so die ecke nichols/hope, aber er sagt, dass er vom hiphop kommt), jaribu shahid und hamid drake swingen und kicken sehr dabei, hört sich auch heute noch modern an. murray sucht sich natürlich wieder herausforderungen, hier komponiert er für streicher, hohe und tiefe gegeneinander, in der ersten langen suite fühle ich mich an andrew hill erinnert, ein eigenartig loser swing, mit flächigen streicherblöcken, der solist hängt interessant dazwischen. später wird das aber auch mal lasziv ineinander arrangiert, das funktioniert weniger gut. und ganz am ende fliegt es auseinander. mein eindruck: die suite ist ein auftragswerk, dafür gab es zeit und ressourcen. und dann hat murray noch schnell was zusammengebastelt, damit eine cd daraus wird. sehr viel spaß macht allerdings das quartett, und das habe ich ja später auch live gesehen.
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WerbungAuch noch nie gesehen aber das klingt gut! Die Latin Big Band hatte mich auch bei den letzten Versuchen eher ratlos zurückgelassen, aber ich weiss nicht mehr genau warum
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david murray / marcin oleś / bartłomiej oleś, circles live in cracow (2003)murray mit dem zwillingsbrüdern oleś (bass und schlagzeug) beim era jazzu festival im april 2003. nach kürzelthemen geht es in die freie improvisation, recht inspiriert, facettenreich, vor allem schön aufgenommen (die drums!). aber obwohl murray sich nicht lumpen lässt, ist das dokument nicht zwingend, die kommunikation ist schön, aber niemand wächst über sich hinaus. als zugabe spielen sie „law years“ von ornette coleman, aber eigentlich auch nur das thema.
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david murray & the gwo-ka masters feat. pharoah sanders, gwotet (2003)
tatsächlich gerade zum ersten mal gehört. murray fusioniert zwei projekte, die guadeloupischen gwo-ka-musiker und den bläsersatz aus der latin big band, als grundlage spielen jaribu shahid (meist e-bass) und hamid drake us-amerikanischen funk. und pharoah sanders spielt auf 3 stücken… na, pharoah sanders. ganz offensichtlich funktioniert das alles. aber genauso offensichtlich lässt mich das ein bisschen kalt. es gibt tolle momente im arrangement, die grooves sitzen, und sanders ist einfach irre – er schwebt durch diese musik mit einem freigeist und einer durchgehenden interessantheit, dass murray neben ihm tatsächlich etwas verblasst. bevor sanders einsetzt, kann man sich eigentlich nicht vorstellen, was er dazu spielen wird, aber ab dem ersten ton ist alles genau richtig, er geht interessant mit den changes um, hat einen plan, produziert schöne sounds, schiebt alles energetisch eine halbe treppenstufe höher. bei murray spürt man dagegen die last des konzepts, er trägt die produktion, die kompositionen, die arrangements und das solistische spotlight, das rutscht ihm weg (wenn auch nie so richtig, alles bleibt auf hohem niveau). in der interessanten fusion zerfällt am ende vieles in einzelteile, andererseits hat man all das so auch noch nicht gehört. es gibt zu diesem album noch remixes, u.a. von osunlade, die sind auch nicht der knaller, aber ziemlich hübsch. von den soli bleiben da nur ein paar samples aus den sanders-soli übrig.
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Ich nehme dann auch wieder einen Anlauf mit David Murray – vielleicht mit ein paar David Burrell-Abstechern, weil mit den Murray-Nachkäufen im Herbst auch ein paar Burrell-CDs ohne Murray hier gelandet sind. Und auf das Duo-Album mit Jack DeJohnette warte ich gerade auch noch … gemeinsam mit dem Bootleg-Reissue von Bob Brookmeyers Alec Wilder-Album bestellt – zwei riesige „endlich“.
vorgarten
john hicks feat. david murray, sketches of tokyo (1985)
das hier geht aus anderen gründen schief. mit hicks‘ komplexer begleitung müht sich murray durch „epistrophy“, „naima“ und „god bless the child“, wechselt in hohem tempo akkorde, hängt fest, kommt nicht zum abflug. bei den originalen klappt das etwas besser, aber das ist weit davon weg, ein aufregendes date zu sein.
John Hicks/David Murray – Sketches of Tokyo | In „Epistrophy“ müht sich Murray ja höchstens zuhörend – aber was ich Hicks‘ Solo-Performance halten soll, weiss ich nicht so recht: einerseits reisst mich das total mit, andererseits ist es halt die übliche Glättung, wie sie bei praktisch allen Covern von Monk-Stücken geschieht. Der Einstieg von „Blues in the Pocket“ (hätte es sofort geglaubt, wenn mir wer gesagt hätte, das Stück sei von Butch Morris – aber es ist von Hicks) ist dann ein Taktwechsel – gerade so dicht, aber mit einem äusserst sonnigen Murray, der sich schnell in eine irres Solo steigert, das im Lauf da und dort auch etwas schattiger wird. Das bleibt auch in Hicks‘ Solo weiterhin wahnsinnig dicht – er ist das wieder im gleichen Flow wie im Opener von Monk. Für mich hört sich das aber alles wunderschön an. Hicks verfügt über eine eindrückliche Farbpalette, der Flügel ist wirklich wahnsinnig schön eingefangen … und Murray kommt irgendwie dazu, setzt sich drauf oder fügt sich auch einfach ein – besonders schön in „Naima“ – und ergänzt um noch ein paar Farben. In Murray einzigem Original „New Life“ kommt die neue Farbe dann von der Bassklarinette – zwei Highlights am Stück. Und mit „God Bless the Child“ folgt ein drittes, denn in diesen langsameren Stücken lässt vor allem Hicks viel Raum, aber auch Murray geht nicht in jedem ans Limit. Das ist gerade genau das richtige, um wieder den Fuss in die Klangwelt von David Murray zu kriegen. Auch das abschliessende Titelstück von Hicks ist eine mittelschnelle Ballade – hier wird es zwar wieder sehr dicht, aber die Stimmung bleibt getragen. Für meine Ohren ein richtig schönes Album, das sicherlich weit weg ist von der Explosivität von Murray besten Alben … aber die Kraft, die hier auch in der Ruhe steckt, gefällt mir sehr gut.
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Zwischenfrage @vorgarten: „Daybreak“ hast Du übersprungen oder hab ich Deinen Post dazu im Index nachzutragen vergessen?
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaschön, dass es auch bei dir weitergeht!
DAYBREAK ließ sich nirgends streamen, deshalb habe ich es ausgelassen.
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redbeansandrice
David Murray and Balogh Kálmán featuring Kovács Ferenc – Gipsy Cimbalon Band (2004)Was schenkt man dem, der schon alles hat? Anfang der 2000er Jahre musste David Murray der Tatsache ins Auge blicken, dass er eigentlich jedes Album, das man von ihm hätte erwarten können, bereits dutzendfach eingespielt hatte, dazu eine lange Liste an weniger erwartbaren Alben… aber noch keins mit einer ungarischen Zigeunerband… Diese Lücke versucht er mit „Gipsy Cimbalon Band“ zu schliessen. Oder so. Die Idee ist jedenfalls gar nicht so abwegig, wie sie erstmal scheint, Trauermärsche, monotone Grooves mit „Spanish Tinge“ liegen Murray schliesslich, und die traditionelle Rhythmusgruppe mit Schlagzeug und Klavier fehlt einem erst, wenn man drauf achtet… die Band ist um das „Cimbalon“ die ungarische Zither aufgebaut, mit der man Drones spielen kann, Rhythmen, aber bei Bedarf tatsächlich auch sowas wie ein Klavier emulieren kann – ein ziemlich cooles Instrument, wenn man mich fragt… daneben besteht die Band aus zwei Geigern, einem Gitarristen und einem Bassisten… Wirklich clever war es, den Trompeter Kovács Ferenc als zweiten Stargast und Jazzsolist zu bemühen… der Name wird im Verkauf nicht viel gezogen haben… Aber Kovács ist jemand, der sich sowohl im Klezmer und in der Gipsymusik auskennt als auch im Jazz – immerhin war er ab den 70ern ein vielbeschäftigter Trompeter in der osteuropäischen Dixieland-Szene. So kann er vermitteln und hat ein Gefühl dafür wie die verschiedenen Erwartungen zusammengehen können und wie die Rolle eines Jazzsolisten in so einer Band aussehen kann. Dazu gibt seine Präsenz Murray jemanden, an dem er sich abarbeiten kann, und den er übertreffen muss…
Was wirklich interessant ist, ist, wie niedrig der Jazzanteil auf dem Album in irgendeiner Weise ist, gerade weil man bewusst auf die übliche Jazzrhythmusgruppe verzichtet hat… die Musik ist auch eine Spur elegischer als man vielleicht erwarten könnte. Die Grundidee, dass ungarische Gipsymusik irgendwo zwischen Klezmer und Django Reinhardt angesiedelt ist, ist erstmal nicht falsch – aber hier wird nur sehr vereinzelt zum Tanz aufgspielt, viele Momente sind eher ruhig. Wer mich wirklich beeindruckt ist Ferenc Kovács, der das in irgendeiner Weise alles zusammenhält und sich überhaupt nicht schlecht macht neben Murray und natürlich viel mehr kann als Dixieland… das ist so eine Platte, die auch zwischen den mediterranen Alben auf Enja nicht gross aufgefallen wäre, nicht unfassbar super, aber sicher besser als erwartet.hier kann ich mal an vorarbeit anknüpfen und stimme sowohl der beschreibung, als auch der einordnung zu 100% zu. und kein wunder, dass kovács redbeans so gut gefällt, ich dachte merhfach, dass hier charles tolliver unter ungarischem pseudonym spielt… das hört sich alles viel besser an als man vorher vielleicht dachte, aber es ist jetzt auch nicht das album, nach dem man schon jahrelang gesucht hat… die sounds sind mir merkwürdig vertraut, weil ich als kind mehrfach auf der österreichischen seite des neusiedler sees urlaub machen musste, wo bands in dieser besetzung (ohne tenorsax und trompete) in jedem lokal zu hören waren – und die dazugehörige landschaft aus salzseen und steppe erscheint da sofort wieder vor dem inneren auge. murrays weltmusik-ansatz braucht solche bilder wohl nicht, er findet überall auch so rein und fügt sich hinzu. was mich am ende aber doch etwas stört, ist, dass sich die stücke nie entwickeln, wenn sie einmal die stimmung gesetzt haben.
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vorgarten
unbedingt pause machen, wenn dir nicht aufgefallen ist, wie toll SOUTH OF THE BORDER istIch bin jetzt wieder ungefähr an dem Punkt, an dem ich Ende September aufgehört habe … im gleichen Post wie die obige Bemerkung (die natürlich korrekt ist), findet sich dann auch noch die Entdeckung von Murrays Mitwirken beim Album „Love for Sale“ des florentiner Pianisten Luca Alex Flores:
vorgarten
tatsächlich bist du (genauso wie ich) mit 1991 noch nicht fertig, wie ich gerade festgestellt habe:luca alex flores, love for sale (1991/93)
ich hatte bisher nur das erscheinungsdatum gefunden, aber auf einer abgebildeten rückseite steht auch das aufnahmedatum (oktober 1991, wo murray das noch dazwischengequetscht hat, bleibt ein rätsel).
der pianist und leader war mir bislang kein begriff, in der italienischen (post)boptradition und ihren lehrer-schüler-verhältnissen war er offenbar das missing link zwischen pieranunzi und bollani, er ist allerdings keine 40 geworden (freitod 1995). ich hätte da jetzt gar nicht so genau nachgesehen, hätte mir das album nicht ausgesprochen gut gefallen. der bassist riccardo del fra ist hier wohl einigen bekannt, der drummer ist giulio cappiozzo, an der flöte hört man nicola stilo, allerdings sind auch noch (mit soli!) eine trompete, eine gitarre und ein altsax zu hören, eine sängerin singt den luigi-tenco-song „angelo“, auf der coverrückseite steht nur „and others“, eigenartig. und auf dem coverbild hier ist noch was bei den namen verrutscht, bianchi dürfte also der gitarrist sein…
murray kommt für drei stücke dazu. in „love for sale“ sprengt er mit einem selbstbewussten soli die charmante leichtigkeit des ziemlich hübschen arrangements, sie kriegen ihn auch nicht mehr eingefangen. ganz anders dann auf der großartigen version von „in a sentimental mood“, in dem flores (auf einem warmen fender rhodes) und murray ganz uneitel und gefühlvoll zusammen in die tiefe gehen. ganz am ende gibt es noch einen einfachen blues, der murray kompositorisch zugeschrieben wird, einfaches playing-material, das einfach funktioniert. der rest ohne murray ist zum teil ganz anders, flores spielt auch mal einen spacigen synthesizer, aufgenommen ist das alles sehr gut, ich entdecke in jedem stück etwas, was mir gefällt. empfehlung für @.gypsy-tail-wind, auf discogs gibt es auch eine quelle aus der schweiz, könnte mir aber auch vorstellen, dass das hier auch anderen gefällt. super blindfoldtestmaterial.Die Quelle in der Schweiz (ein längst vertrauter Anbieter) hatte ich genutzt und das Album im Oktober auch schon angetestet … und ja, das ist wirklich schön! Statt des verkorksten Bildes von Amazon im obigen Post hier die meine CD-Version, mit etwas weniger Fehlern im Layout:
Ich habe drüben bei Discogs gerade ziemlich mühselig die korrekten Details zum Line-Up nachgeführt (ich hab die CD von 1993, also genau genommen nicht jene, zu der der obige Scan gehört):
https://www.discogs.com/release/3178933-Luca-Flores-Love-For-SaleIch finde das auch ein sehr schönes Album. Es geht durch ganz unterschiedliche Stimmungen von halb orchestral (grosse Band im Stück, das bei Discogs „It A Uno“ heisst, aber das A ist eigentlich auch ein O, quasi ineinander oder eher halb übereinander geschoben) mit Background-Sängerinnen und Synthesizer zum Fusion von „Waltz for a Sad Day (2)“, von Monk („Ask Me Now“, schönes Trompetensolo von Fabio Morgera) zum Post-Bop … „In a Sentimental Mood“ mit Murray ist wirklich ein Highlight hier, auf „Toy Town“ darf die Trompeterin Hilaria Kramer (aus der Ostschweiz, hier aber italianisiert als „Ilaria“) glänzen … und am Ende gibt es den erwähnten Throwaway-Blues mit Murray, mit der Basisband von drei seiner vier Tracks (Flores-p, Del Fra-b und Giulio Capiozzo-d).
Vielleicht kann man dem Album vorwerfen, zuviel aufs Mal zu wollen? Man kann es aber auch einfach als eine schöne Werkschau eines begabten Pianisten betrachten, dessen Leben nach schwierigen Jahren (mittendrin entstehen diese Aufnahmen) ein viel zu frühes, trauriges Ende nahm. Wie der Kontakt zu Murray zustande kam, würde mich dabei echt wundernehmen.
(Falls Murray in „Sophia“ wirklich mitspielt, dann nur in den Begleit-Riffs im Thema – gut möglich, dass das wirklich zwei Saxophone sind … solistisch sind hier Stilo und der Leader zu hören und die Band ist eine andere als die auf den drei Stücken mit Murray … vielleicht ist das auch ein Fehler und die Sax-Riffs kommen von Fulvio Sisti … eine Trompete ist hier auch nicht zu hören – aber Discogs verlangt ja strikt, dass Fehler vom Cover auch in den Einträgen wiederholt werden, und so hab ich das jetzt halt mal eingegeben.)
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vorgarten
john hicks feat. david murray, sketches of tokyo (1985) das hier geht aus anderen gründen schief. mit hicks‘ komplexer begleitung müht sich murray durch „epistrophy“, „naima“ und „god bless the child“, wechselt in hohem tempo akkorde, hängt fest, kommt nicht zum abflug. bei den originalen klappt das etwas besser, aber das ist weit davon weg, ein aufregendes date zu sein.
John Hicks/David Murray – Sketches of Tokyo | In „Epistrophy“ müht sich Murray ja höchstens zuhörend – aber was ich Hicks‘ Solo-Performance halten soll, weiss ich nicht so recht: einerseits reisst mich das total mit, andererseits ist es halt die übliche Glättung, wie sie bei praktisch allen Covern von Monk-Stücken geschieht. Der Einstieg von „Blues in the Pocket“ (hätte es sofort geglaubt, wenn mir wer gesagt hätte, das Stück sei von Butch Morris – aber es ist von Hicks) ist dann ein Taktwechsel – gerade so dicht, aber mit einem äusserst sonnigen Murray, der sich schnell in eine irres Solo steigert, das im Lauf da und dort auch etwas schattiger wird. Das bleibt auch in Hicks‘ Solo weiterhin wahnsinnig dicht – er ist das wieder im gleichen Flow wie im Opener von Monk. Für mich hört sich das aber alles wunderschön an. Hicks verfügt über eine eindrückliche Farbpalette, der Flügel ist wirklich wahnsinnig schön eingefangen … und Murray kommt irgendwie dazu, setzt sich drauf oder fügt sich auch einfach ein – besonders schön in „Naima“ – und ergänzt um noch ein paar Farben. In Murray einzigem Original „New Life“ kommt die neue Farbe dann von der Bassklarinette – zwei Highlights am Stück. Und mit „God Bless the Child“ folgt ein drittes, denn in diesen langsameren Stücken lässt vor allem Hicks viel Raum, aber auch Murray geht nicht in jedem ans Limit. Das ist gerade genau das richtige, um wieder den Fuss in die Klangwelt von David Murray zu kriegen. Auch das abschliessende Titelstück von Hicks ist eine mittelschnelle Ballade – hier wird es zwar wieder sehr dicht, aber die Stimmung bleibt getragen. Für meine Ohren ein richtig schönes Album, das sicherlich weit weg ist von der Explosivität von Murray besten Alben … aber die Kraft, die hier auch in der Ruhe steckt, gefällt mir sehr gut. — Zwischenfrage @vorgarten: „Daybreak“ hast Du übersprungen oder hab ich Deinen Post dazu im Index nachzutragen vergessen?
….ich kann mich gypsys ausführungen im großen und ganzen anschließen, liegt vielleicht auch an meiner vorliebe für murray an der bassklarinette und auch den weniger explosiven momenten am saxophon, von mir aus dürfte er häufiger in ruhigere fahrwasser geraten, was aber nicht heißt, dass ich den explodierenden murray nicht mag…..
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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!schön, dass du die korrekten infos bei discogs nachgetragen hast! dass das album zu viel will, kann man sicherlich so hören.
ich habe zwei alben übersprungen – ein live-dokument des henry grimes trios (LIVE AT THE KERAVA JAZZ FESTIVAL, mit murray & drake, 2004, bei ayler erschienen) und das dritte von drei conjure-alben, von kip hanrahan für sein american-clavé-label 2005 produziert, wie die anderen um texte von ishmael reed gebaut, mit einem kurzen gastauftritt von murray, titel: BAD MOUTH).
reed hat danach zwei texte für cassandra wilson und auch die liner notes für das nächste murray-leader-album geschrieben:
david murray black saint quartet fest. cassandra wilson, sacred ground (2006)john hicks war ein halbes jahr vor diesen aufnahmen gestorben, sein schüler lafayette gilchrist ersetzt ihn in diesem quartet, das ansonsten das gleiche ist wie auf LIKE A KISS THAT NEVER ENDS (2000; drummond & cyrille), aber natürlich anders heißt. der ursprung dieser aufnahmen liegt in einem score von murray für den dokumentarfilm BANISHED von marco williams über die vertreibung von schwarzen aus dem süden der usa nach dem ende des bürgerkriegs. außerdem sind auch noch die bilder aus louisiana nach katrina präsent, zeit also, mal wieder ein statement gegen den strukturellen rassismus im land zu setzen.
die kompositionen dürften jetzt nicht zu den allerbesten von murray gehören, aber das album hat trotzdem große kohärenz und überzeugungskraft. cyrille fügt sich besser ein (auch, weil die musik nicht so auf die tube drückt), der etwas schlanker (schwächer?) spielende murray reißt sich zu ein paar großen soli auf, gilchrist, der ganz anders als hicks spielt, ist eine interessante neue stimme, und cassandra wilson ist auch super (reed hat ihr tatsächlich einen song über die mythische kassandra geschrieben, „prophet of doom“). und es gibt ein unglaublich tolles solo von cyrille, das man als eigene erzählung ausschneiden könnte.
ich habe das album damals gehört und so kurz wieder kontakt zu murray aufgenommen, aber so richtig hat es nicht geklickt (eigentlich erst im letzten jahr wieder). heute höre ich das als schlüssige, ziemlich typische murray-quartett-aufnahme.
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Auch im Oktober 1991, am 12. um genau zu sein, spielte Murray im Duo mit Dave Burrell am Festival in Victoriaville und das Konzert erschien 1992 beim zugehörigen Label, Disques Victo. Ich knüpfe natürlich wieder an:
vorgarten
david murray & dave burrell, in concert (1991)
ich springe jetzt ein bisschen in den aufnahmen aus 1991, weil das teresa-brewer-album noch unterwegs ist. und auch, weil ich gerade noch murray & takase im ohr habe. murray & burrell treffen sich nämlich ganz woanders, das wird hier von beginn an klar. free-kaskaden, dann ein pseudosimpler ragtime, ein riesenmurraysolo, bei burrell dann absturz und neu-aufbau. ein toller trip, gleich am anfang. es folgt das seit jeher zerklüftet-abstrakte „hope-scope“, das auch hier verlässlich auseinanderfliegt, dann die überschneidung mit BLUE MONK, „ballad for the black man“. tatsächlich mag ich die version mit takase lieber, weil sie zarter ist. aber hier kommt anschließend ein moment für die ewigkeit, burrells „intuitively“, eine ballade, sehr nah am kitsch gebaut, aber auch von großer melancholie, wie ein kubanisches schlaflied. burrell soliert hier nicht, sondern lässt murray unglaubliches tun, überblasene töne, nah am nicht mehr hörbaren, split sounds, das alles als ekstase über dem kitsch, das ist so wunderbar, dass ich mir allenfalls george adams als ersatzstimme denken könnte, der einen auch über hymnen zum heulen bringen kann. […]
insgesamt ist das auch die burrell-show, er hat mehr platz in einem duo, kann mehr facetten der verschroebenheit einbringen, und das sind wirklich viele bei ihm. was für ein freier geist. und wie toll und ernsthaft murray mit den angeboten umgeht…
fun fact – ich hab mal zufällig in eine live-übertragung eines murray/burrell-konzerts reingeschaltet (wahrscheinlich aus moers?), radio auf der autobahn, es fing an zu regnen, ich bin abgefahren und habe gehalten und zwei stücke durchgehört, bevor ich weitergefahren bin. da ging was kaputt und wurde wieder heil. fand ich damals ein bisschen beängstigend.
Die Fun Fact-Story glaube ich bei dem Duo sofort… das hat mich von der ersten Sekunde an! Es geht mit „Punaluu Peter“ los, das ich gerade in einer früheren Solo-Version von Burrell von einem anderen tollen Album gehört habe. Das ist völlig anders als das Duo mit Hicks: Burrell und Murray gehen viel stärker aufeinander ein – und das heisst auch: sie lassen sich gegenseitig Räume. So setzt der Pianist in „Hope Scope“ nach ein paar Minuten aus und lässt Murray eine Weile allein, nur um sein rasendes, sich überschlagendes Saxophon dann mit umso wuchtigeren Klangkaskaden vom Flügel fast zu verschlucken – und Murray danach erneut allein zu lassen. In seinem Klaviersolo reduziert Burrell dann phasenweise auf Läufe, die man mit einem Finger spielen könnte. Das alles ist eine sehr effektvolle Kunst der Ver- und Entdichtung – eine Kunst, die aber niemals nur auf den billigen Effekt aus ist.
Nach Burrell und Murray gibt es Murray und Burrell, und diese zweite Hälfte mit der „Ballad for the Black Man“ und „Intuition“ (wie so vieles von ihm mit einem Text von Monika Larsson, der im CD-Cover abgedruckt ist) ist dann der Balladenteil des Albums – aber auch der funktioniert sehr anders als beim Duo mit Hicks – zugleich offener wie auch zurückgenommener. Murray repetiert in „Intuition“ lange ähnliche Phrasen („Let’s set love into motion, let’s set love free“) lange, bevor er sich zum Solo aufmacht – in bester Gospeltradition eigentlich, ein Solo, das auf einer Motown-Platte oder einer langsamen Nummer einer Chess-Produktion ebenso perfekt gepasst hätte. Das ist unglaublich intensiv und dabei unendlich zart, dabei sehr vokal, manchmal fast schon sprechend … wirklich ein Moment für die Ewigkeit. Der Applaus danach klingt allerdings irgendwie nach Ratlosigkeit – vermutlich wurde er gekürzt? Mit dem kürzesten Stück, „Teardrops for Jimmy“, eine Burrell-Komposition, deren erster Teil ein wenig an Billy Strayhorn erinnert (der zweite ist ein Walzer in schnellerem Tempo … das klingt dann wieder nach Theater-Montage), endet das Album dann. Murray taucht hier auch im Solo in die Pastiche-Welt von Burrell ein, der das Spiel bis ans Limit treibt, den Walzer zum Umpapa-Polka werden lässt, kurz vorm Entgleisen die Kurze wieder kriegt und dann für den Abschluss ins Balladentempo zurückkehrt … Murray singt am Ende wieder fast zart, aber nach dem unfassbaren Stück davor wirkt das alles ziemlich verhalten.
Und morgen geht es mit dem Jahr 1992, mit „South of the Border“, weiter – womit ich gerade wirklich genau an dem Punkt bin, an dem ich im September abgebrochen hatte. (Das Duo mit DeJohnette hatte ich da auch schon mal bestellt, aber nicht gekriegt … stattdessen „In Concert“ und „Brother to Brother“ … „Picasso“ und ein paar andere Alben aus der Zeit bleiben Lücken.)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDavid Murray Big Band – South of the Border | Drei Tage im Studio im Mai 1992 – und die Big Band ist on fire!
Ich docke dann mal wieder an – bin jetzt zurück an dem Punkt, an dem ich war (hab aber grad noch eine 1991er entdeckt, zu der ich gleich komme – siehe unten). Das ist wirklich super – und natürlich schrieb @vorgarten schon dazu, u.a. diese Zeilen:
vorgarten
[…] und vom ersten ton an sitzen die arrangement messerscharf, so, als wollten sie es allen kritikern zeigen (die ja doch wussten, dass man die murray-big-band 1992 besser nicht verpasst). die glasklare funky rhythm section aus sonelius smith, fred hopkins und tani tabbal bildet den grundstock, dazu kommt die effektvolle percussion von larry macdonald – der rest ist einfach super in spiellaune, und die arrangements werden zwischen murray, wayne francis, sonelius smith, butch morris und craig harris aufgeteilt, die auch die kompositionen beisteuern (bis auf „st. thomas“, das arragement übernimmt francis). ich weiß gar nicht, worüber ich hier nicht schwärmen soll – die energie ist da, die arrangement sind wirklich fantastisch, jedes solo gut (james spaulding!), und jedes stück bringt neue facetten. wenig personelle veränderungen seit der letzten aufnahme (bob stewart fehlt, die gäste auch, sonst ist mir nichts aufgefallen), zwei einzelfeatures gibt es: murray über morris‘ „fling“ (lieblingskomposition), und graham haynes schwingt sich über smiths „world of children“ auf. ich könnte jetzt wieder in den dissens mit gypsy über don byron gehen (saubere intonation ist ja nicht alles), aber das lasse ich mal lieber. dass ich jetzt auch noch fan der big band werde, wundert mich selbst.Das kann ich unterschreiben – ganz besonders was James Spaulding angeht, der hier echt eine Freude zu hören ist! Im Opener kriegt er gleich das erste Solo und setzt eine Marke, an der sich danach Frank Lacy und Don Byron messen (und letzteren finde ich hier wirklich toll!), bevor der Leader dran ist (im Duett mit Patience Higgins, auch am Tenorsax). Im zweiten Stück ist Vincent Chancey der erste Solist – auch er super. Wir kriegen auch die Trompeter zu Ohren (James Zoller im Duett mit dem Posaunisten Al Patterson, Rasul Siddik, Graham Haynes (Kornett, um Genau zu sein – und neben dem Leader kriegt er das einzige grosse Feature, wie vorgarten schon erwähnte) und Hugh Ragin im schliessenden „Flowers for Albert“. Higgins kriegt noch ein Solo, sonst sind Byron und Spaulding neben Murray die Sax-Solisten, aus der Posaunensection kriegt natürlich auch Craig Harris einen Spot (Lacy deren zwei). Im Satz auch noch dabei sind Kahlil Henry (fl) und John Purcell (as) – und die Rhythmusgruppe, aus der nicht mal Sonelius Smith hier ein Solo kriegt. Aber das macht nichts, denn die sind wirklich äusserst präsent und tatsächlich glasklar – egal ob in Latin-Romps wie dem tollen „St. Thomas“-Groove zum Einstieg, im schnelleren Tempo oder auch im langsamen „Awakening Ancestors“ von Harris mit Spaulding an der Flöte, die fast wie aus dem Jenseits herüberklingt, und später wieder Don Byron … eine mysteriöse Stimmung, ein langsamer Rumba, der Bass zwischen Orgelpunkt und Riff … das ist hypnotisierend! In der Mitte wird mit „Cale Estrella“ ein brasilianischer Gegenpart zu „St. Thomas“ geboten, nicht ganz so fröhlich aber ebenso mitreissend – und wieder mit Spaulding als erstem Solisten – Frank Lacy scheint später auch was aus „Orpheo negro“ oder sonst einem Klassiker zu zitieren? Murray, der Leader, fügt sich hier mit seinen Soli ziemlich organisch ein, ohne dass er sich zurückzuhalten braucht – auch das sagt etwas über die schiere Power dieser Band aus. Sein grosses Feature über Morris‘ „Fling“ ist dann aber schon ein grosses Highlight hier. Es folgt direkt auf Haynes‘ Feature, das ebenfalls toll ist – auch was das Material von Sonelius Smith angeht. Mit der abschliessenden Version von „Flowers for Albert“ schliesst sich der Bogen: fröhliche Stimmung, eine Reihe starker Soli über einen packenden Groove. Das ist ein wunderbares ALbum, sehr klar, irgendwie auch etwas gar aufgeräumt (das liegt wohl v.a. am Sound), aber voller musikalicher Höherpunkte.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaAki Takase / David Murray – Blue Monk | Ein Album, das ich bisher nur angekratzt habe … auch beim Enja-Marathon hörte ich es nicht in Ruhe an (was daran liegt, dass ich es nicht ordentlich habe). Geht super los mit Flatterzungen-Bassklarinette und „Blue Monk“, ein krasser Gegenpunkt zum Duo mit Hicks, das so dicht ist: mit Takase und Bassklarinette wirkt das hier fast schon karg. Aber sehr klangschön – und der Groove passt zum Einstieg auch. Takase spielt oft wenig Boden, das ist hier meistens Murrays Part, sie spielt mit der rechten Hand Linien, Läufe – aber streut auch mal ein paar Stride-Takte ein. Mit „Ask Me Now“ ändert sich das alles: ordentlich Monk’sche Akkorde, ziemlich wuchtig, dazu das Tenorsax mit seinem überreichen Sound, hier mit etwas Schatten im Ton, eine Spur näher an Hawkins, Webster oder Byas als üblich. Beim ersten Original, „Presto V.H.“ (Wer ist V.H.? Er soll sich sputen!) schaltet die Pianistin dann ein paar Gänge höher, Murray fliegt in der hohen Lage davon … und rhythmisch fliegt das völlig auseinander. Das Problem, das ich auch beim Konzert dieses Duos manchmal hatte – ein fast körperlicher Schmerz beim Versuch, das im Kopf wieder zusammenzubringen. Dennoch funktioniert das irgendwie … aber ich kriege halt ein wenig den Eindruck, dass beide einfach durchrösten, in der Hoffnung, dass es dann schon gut kommen wird; ein Neben-, kein Miteinander. Das ändert sich in „Body and Soul“ wieder, wo Murray wieder den altmodischen Touch von „Ask Me Now“ auspackt. Der Klassiker wird als Walking Ballade gegeben, Takase bleibt im Tempo und – durchaus prägend! – im Hintergrund, egal wie sehr Murray verdichtet und beschleunigt … das gefällt mir dann ganz hervorragend. Mit „Ellingtonia“, einem gemeinsamen Original, endet die erste Hälfte. Murray wieder an der Bassklarinette, nach dem Intro wieder mit Bassläufen und etwas Slap-Tongue – und Takase lässt sich lange bitten, bis sie mit ihrem Stride-Piano einsteigt. Und die angesprochene rhythmische Instabilität (die andere vermutlich gar nicht als solche hören oder empfinden) stellt sich lustigerweise nicht ein, wenn Murray den Boden legt.
Teil 2 beginnt wieder mit doppeltem Monk: „Bright Mississippi“ zuerst, zunächst etwas zickig und dann doch in einen smoothen Flow geglättet, über dem Murray ein recht typisches Solo spielt, das doch recht tief in die Monk-Welt eintaucht, während die Pianistin eher darüber hinweg gleitet. „Ba-Lue Bolivar Ba-Lues“ ist von Beginn an ziemlich flüssig, Murrays Übergang vom Thema ins Solo wirkt wie ein Zitat (und manchmal höre ich hier eine gewisse Nähe zur Art, wie Bennie Wallace phrasiert, heraus … denke nicht, dass ihre Wege sich gekreuzt haben, aber die Referenzpunkte sind vermutlich sehr ähnlich, bis hin zum R & B … dass ich die Nähe hier höre, hat sicher damit zu tun, dass Murray auf dem ganzen Album einen Hauch nostalgisch klingt). In Takases Solo bin ich dann raus – und doch irgendwie fasziniert: manchmal klingt ihr Spiel fast wie eine Klavier-Rolle von Conlon Nancarrow. Mingus‘ „Mr. Jelly Roll“ öffnet als Rubato-Ballade mit seltsam klingenden Klavier … das klingt eher nachträglich verfremdet als präpariert, wie ein Synthesizer eigentlich. Wenn in der Mitte das Thema auftaucht, sind wir wieder irgendwo auf halbem Weg zwischen völlig aufgeräumtem Stride und New Orleans – eigenartig, das ist sowas wie die Salon-Musik-Facette von Murray, die fast schon zum Schunkeln einlädt. Zum Glück findet das Duo mit „Kaiso“ die Kurve auch gleich wieder, eine Ballade, in der erst Murray, dann die Komponistin das Thema liebkost. Das Stück wird im Lauf immer mehr zu einer Art Soul- oder eher Pop-Ballade, klingt wie die Instrumentalversion eines Songs – etwas repetitiv, aber sehr toll. Der Schluss, die letzten 18 Minuten hier, sind aber eh die stärksten, denn als Closer folgt die über 11 Minuten lange „Ballad for the Blackman“ von Murray, und die ist dann das grosse Highlight zum Abschluss. Das ist wirklich schön – Murray geht in die Vollen, Takase bleibt bei ihm, ihr Klavierspiel streckenweise zart, zärtlich – der Einstieg ins Solo ein Moment, in dem ich die Luft anhalte. Da bleibt die Zeit stehen. Da kann ich mich dem Bedauern von @vorgarten nur anschliessen. So offene, wunderschöne Musik wie im Closer, ist überhaut ein seltenes Glück – da hätte Horst Weber doch alles streichen und einen zweiten Tag im Studio buchen müssen (wobei: vielleicht war das ja die Aufwärmübung im Studio und danach packte das Duo die Pyrotechnik aus, wer weiss …) – jedenfalls ein sublimer Abschluss eines eher mittelprächtigen Albums.
Unterm Strich ein Album, das meine Ambivalenz in Sachen Takase nicht ändert – meine allmähliche Annäherung wurde ja gefördert durch den Enja-Faden ziemlich gefördert, und davor auch schon durch ein paar Intakt-Alben, nicht zuletzt das jüngste Duo-Album mit Murray, das mir ziemlich gut gefiel (ich hab’s verlegt, im Rahmen dieses Threads im Herbst schon mal erfolglos gesucht) … auch wenn das zugehörige Konzert dann wie erwähnt ambivalent war.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
mx (1992)
bei diesen thiele-produktionen weiß man wirklich nie, was einen erwartet. hier haben die beiden älteren herren thiele & osser ein malcolm-x-programm bestellt, ihr toningenieur dachte dann wahrscheinlich: das lass ich jetzt mal so richtig dreckig klingen. meint: die bläserfraktion spielt scheinbar in einen metalleimer oder sowas. murray wiederum kommt mit einem etwas merkwürdigen line-up um die ecke, bobby bradford und ravi coltrane, während ja bei einer rhythm section aus hicks, hopkins und lewis nichts falsch laufen kann. tut es auch nicht. und vielleicht ist das einfach community spirit von murray: wenn thiele zahlt, dann können davon ja auch zu wenig beachtete veteranen und jungspunde am beginn ihrer karriere profitieren.
intereressanterweise geht diese aufstellung total gut auf, bradford spielt phatansievoll eigensinnige black-mystery-school-of-trumpet-players-soli und ravi glänzt auf andere weise, mit schönem ton, innerer ruhe, stimmigem gefühl für das schräge setting. wie eigenartig murray neben ihm klingt, der ton wird ganz anders hergestellt, scheint es, kommt wie von einem anderen instrument, die luft zirkuliert anders, ein teil kippt weg, der andere explodiert, irgendwo ein zittern, dann plötzlich eine große klarheit – bei ravi (wie auch bei branford im anderen duell ein jahr vorher) sitzt alles, da geht es dann tatsächlich um die linie, die figuren, die pausen.
im prinzip also ein heißes, inspiriertes, wirklich spannendes album – das aber leider klingt wie müll. vielleicht habe ich dafür auch das falsche equipment.
Und da docke ich gerne wieder an … wie Müll klingt das nicht, finde ich – die Rhythmusgruppe ist ziemlich gut aufgenommen, das Klavier in der hohen Lage etwas dünn (und passend dazu klingen die Becken von Lewis stellenweise wirklich unschön) und vielleicht überhaupt etwas zu nah. Aber Ravi Coltrane klingt manchmal wie hinter einem Vorhang. Bobby Bradford ist schon ein irre toller Musiker – er setzt hier einige Glanzlichter, wie ja eigentlich immer, wenn er irgendwo aufkreuzt (bei Murray am tollsten auf „Death of a Sideman“). Die Stimmung in „Icarus“ mit dem aktiven Bass, dem Trommelgroove von Lewis und den bittersüssen Akkorden von Hicks, ist wahnsinnig schön – Hicks kann sowas ja auch … aber auf dem Duo-Album mit Murray stand ihm wohl der Kopf nicht danach. Und wenn Bradford dann zum Solo einsteigt … Zwei, drei Töne, sofort Gänsehaut.
Den Community-Gedanken verstehe ich hier sofort, das wirkt schon so, als entstehe hier mit der zusammengewürfelten Band (sind ja ausser Ravi Coltrane doch alles Murray-Regulars – und Bradford wenn denn kein Regular immerhin ein Vorbild und Kollege aus Kaliforniens afro-amerikanischer Avantgarde-Szene, deren Produkt Murray ja irgendwie doch ist?). Dazu passt wiederum auch, dass es hier auch Momente gibt, die eher routiniert wirken: „El Hajj Malik El-Shabbazz“ zumal aber Hicks‘ Solo wird dann doch immer packender – und Bradford zeigt danach, dass es sowas wie Routine bei ihm echt nicht gibt: selbst so ein Solo, das wie ein Pastiche aus Klischees daherkommt, hat einen persönlichen Touch, eine Brüchigkeit im Ton und eine Verletzlichkeit in der ganzen Delivery, und ist damit viel mehr als Routine.
In der Mitte klingt das Album etwas müde – ob „A Dream Deferred“ und „Blues for X“ überhaupt unterschiedliche Stücke sind? Oder einfach eine halbe Idee etwas umgedreht und nochmal verwendet – „und dann spielst Du ein Break, Victor, und danach geht’s doppelt so schnell weiter und David, Du machst dein Ding, während John in die Tasten haut, und dann macht ihr irgendwie weiter und hängt einen surrealistischen Mingus-durch-die-Hornbrille-von-
mirCecil-Taylor-Schluss an und wiederholt dann nochma die halbe Idee von Glenn“ (Thiele aus dem Kontrollraum, wo Osser noch rasch die Changes auf den Einkaufszettel – gefilte fish von Zabar’s – kritzelt, den seine Frau Edna ihm mitgegeben hat). Das hält die Bläser nicht von guten Soli ab – Ravi Coltrane schlägt sich hervorragend, ist eine sehr stimmige Ergänzung zum Leader, und Bradford ist wirklich super. Schade, hat er nicht häufiger die Gelegenheit gekriegt, das im Studio bei solchen grösseren Produktionen zu zeigen.Ich hadere mit diesem Album ein wenig. Vieles wirkt schon ziemlich routiniert (auch „Hicks Time“, wo Murray am Ende alle aus dem Schlaf reissen muss, aber Lewis danach gleich wieder ein oberlangweiliges Schlagzeugsolo raushaut), das Material ist uninspiriert … aber die drei Bläser sorgen für so viele tolle Momente, dass das manches wettmacht. Immerhin gibt es mit Murrays „Harlemite“ dann nochmal einen satten Groove zum Abschluss. Riffs der Bläser, Fills vom Piano irgendwo zwischen Ramsey Lewis und Herbie Hancock (und ein paar Parlan-Tremolos), Backbeat von Lewis, alles auf dem Bass von Hopkins aufgebaut, der dann ein Solo kriegt. Das ganze ist eine Art Hard Bop Masterclass, die Combo wächst zusammen und alle erweisen sich als Meister der Dosierung, haben die „power of badness“ verstanden, die Kraft, die in der Zurückhaltung liegt. Wäre das ein Wettbewerb, hätte ihn wohl der Youngster gewonnen, der ein kurzes Solo spielt (gar nicht vorgesehen? klingt fast so, als sei Hopkins da auch schon bereit), das hintenraus zwar etwas zerfleddert, aber unglaublich souverän beginnt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDave Burrell & David Murray – Brother to Brother | Nächste Runde im Duo – wieder mit Dave Burrell, und der ist für Murray in Sachen Klavierpartner schlicht und ergreifend perfekt, egal ob im Duo oder mit ganzer Rhythmusgruppe. Aufgenommen wurde das Album gemäss Bruyninckx am 3. Dezember 1992 – das Studio steht auf dem Rückcover der CD: Morning Star Studio, Spring House, PA. Es gibt sechs Stücke, vier von Burrell (zwei mit Lyrics von Monica Larsson, die im Booklet abgedruckt sind), den „New Orleans Blues“ von Jelly Roll Morton, und als Highlight – wie schon @vorgarten herausstrich – gleich nochmal „Icarus“ von David Murray. Das steht an zweiter telle, dauert fast 9 Minuten, der Leader dieses Mal an der Bassklarinette, das ganze eine Studie in Sachen Reduktion: die zwei schaffen eine wahnsinnig schöne, sehr konzentrierte, fast stille Stimmung – und bleiben darin, egal wie schnell und kantig ihre Läufe und Arpeggi werden. Die Musik dieses Duos öffnet sich überhaupt in alle möglichen Richtungen – aber die zwei brauchen gar nicht an all die Orte zu gehen, die Stile abzuklappern: eine Andeutung hier, ein Schlenker dort, und alles ist da, ohne wirklich da zu sein. Das ist the gospel of Dave and David. Am Ende des Albums stehen die zwei Burrell/Larsson-Stücke, das Titelstück ziemlich frei, der Closer „What It Means to Be a Woman“ das mit über 10 Minuten längste Stück des Albums und eine wunderschöne Ballade. Reduktion, Repetition, Fokus auf das Wesentliche, eine immense Wärme. Mir sind die Duo-Alben von Murray noch nicht sehr vertraut, aber das hier dürfte das schönste von ihnen sein.
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PS: „Picasso“, ein weiteres 1992 mit dem Oktett aufgenommenes Album, fehlt mir.
Bei „Body and Soul“ von 1993 war ich ja schon (klick) – das läuft zwar gerade, aber ich schreibe nicht nochmal drüber.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: David Murray, Tenorsax
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