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vorgarten
mx (1992)
bei diesen thiele-produktionen weiß man wirklich nie, was einen erwartet. hier haben die beiden älteren herren thiele & osser ein malcolm-x-programm bestellt, ihr toningenieur dachte dann wahrscheinlich: das lass ich jetzt mal so richtig dreckig klingen. meint: die bläserfraktion spielt scheinbar in einen metalleimer oder sowas. murray wiederum kommt mit einem etwas merkwürdigen line-up um die ecke, bobby bradford und ravi coltrane, während ja bei einer rhythm section aus hicks, hopkins und lewis nichts falsch laufen kann. tut es auch nicht. und vielleicht ist das einfach community spirit von murray: wenn thiele zahlt, dann können davon ja auch zu wenig beachtete veteranen und jungspunde am beginn ihrer karriere profitieren.
intereressanterweise geht diese aufstellung total gut auf, bradford spielt phatansievoll eigensinnige black-mystery-school-of-trumpet-players-soli und ravi glänzt auf andere weise, mit schönem ton, innerer ruhe, stimmigem gefühl für das schräge setting. wie eigenartig murray neben ihm klingt, der ton wird ganz anders hergestellt, scheint es, kommt wie von einem anderen instrument, die luft zirkuliert anders, ein teil kippt weg, der andere explodiert, irgendwo ein zittern, dann plötzlich eine große klarheit – bei ravi (wie auch bei branford im anderen duell ein jahr vorher) sitzt alles, da geht es dann tatsächlich um die linie, die figuren, die pausen.
im prinzip also ein heißes, inspiriertes, wirklich spannendes album – das aber leider klingt wie müll. vielleicht habe ich dafür auch das falsche equipment.
Und da docke ich gerne wieder an … wie Müll klingt das nicht, finde ich – die Rhythmusgruppe ist ziemlich gut aufgenommen, das Klavier in der hohen Lage etwas dünn (und passend dazu klingen die Becken von Lewis stellenweise wirklich unschön) und vielleicht überhaupt etwas zu nah. Aber Ravi Coltrane klingt manchmal wie hinter einem Vorhang. Bobby Bradford ist schon ein irre toller Musiker – er setzt hier einige Glanzlichter, wie ja eigentlich immer, wenn er irgendwo aufkreuzt (bei Murray am tollsten auf „Death of a Sideman“). Die Stimmung in „Icarus“ mit dem aktiven Bass, dem Trommelgroove von Lewis und den bittersüssen Akkorden von Hicks, ist wahnsinnig schön – Hicks kann sowas ja auch … aber auf dem Duo-Album mit Murray stand ihm wohl der Kopf nicht danach. Und wenn Bradford dann zum Solo einsteigt … Zwei, drei Töne, sofort Gänsehaut.
Den Community-Gedanken verstehe ich hier sofort, das wirkt schon so, als entstehe hier mit der zusammengewürfelten Band (sind ja ausser Ravi Coltrane doch alles Murray-Regulars – und Bradford wenn denn kein Regular immerhin ein Vorbild und Kollege aus Kaliforniens afro-amerikanischer Avantgarde-Szene, deren Produkt Murray ja irgendwie doch ist?). Dazu passt wiederum auch, dass es hier auch Momente gibt, die eher routiniert wirken: „El Hajj Malik El-Shabbazz“ zumal aber Hicks‘ Solo wird dann doch immer packender – und Bradford zeigt danach, dass es sowas wie Routine bei ihm echt nicht gibt: selbst so ein Solo, das wie ein Pastiche aus Klischees daherkommt, hat einen persönlichen Touch, eine Brüchigkeit im Ton und eine Verletzlichkeit in der ganzen Delivery, und ist damit viel mehr als Routine.
In der Mitte klingt das Album etwas müde – ob „A Dream Deferred“ und „Blues for X“ überhaupt unterschiedliche Stücke sind? Oder einfach eine halbe Idee etwas umgedreht und nochmal verwendet – „und dann spielst Du ein Break, Victor, und danach geht’s doppelt so schnell weiter und David, Du machst dein Ding, während John in die Tasten haut, und dann macht ihr irgendwie weiter und hängt einen surrealistischen Mingus-durch-die-Hornbrille-von-mirCecil-Taylor-Schluss an und wiederholt dann nochma die halbe Idee von Glenn“ (Thiele aus dem Kontrollraum, wo Osser noch rasch die Changes auf den Einkaufszettel – gefilte fish von Zabar’s – kritzelt, den seine Frau Edna ihm mitgegeben hat). Das hält die Bläser nicht von guten Soli ab – Ravi Coltrane schlägt sich hervorragend, ist eine sehr stimmige Ergänzung zum Leader, und Bradford ist wirklich super. Schade, hat er nicht häufiger die Gelegenheit gekriegt, das im Studio bei solchen grösseren Produktionen zu zeigen.
Ich hadere mit diesem Album ein wenig. Vieles wirkt schon ziemlich routiniert (auch „Hicks Time“, wo Murray am Ende alle aus dem Schlaf reissen muss, aber Lewis danach gleich wieder ein oberlangweiliges Schlagzeugsolo raushaut), das Material ist uninspiriert … aber die drei Bläser sorgen für so viele tolle Momente, dass das manches wettmacht. Immerhin gibt es mit Murrays „Harlemite“ dann nochmal einen satten Groove zum Abschluss. Riffs der Bläser, Fills vom Piano irgendwo zwischen Ramsey Lewis und Herbie Hancock (und ein paar Parlan-Tremolos), Backbeat von Lewis, alles auf dem Bass von Hopkins aufgebaut, der dann ein Solo kriegt. Das ganze ist eine Art Hard Bop Masterclass, die Combo wächst zusammen und alle erweisen sich als Meister der Dosierung, haben die „power of badness“ verstanden, die Kraft, die in der Zurückhaltung liegt. Wäre das ein Wettbewerb, hätte ihn wohl der Youngster gewonnen, der ein kurzes Solo spielt (gar nicht vorgesehen? klingt fast so, als sei Hopkins da auch schon bereit), das hintenraus zwar etwas zerfleddert, aber unglaublich souverän beginnt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #160: Barre Phillips (1934-2024) - 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba