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Auch im Oktober 1991, am 12. um genau zu sein, spielte Murray im Duo mit Dave Burrell am Festival in Victoriaville und das Konzert erschien 1992 beim zugehörigen Label, Disques Victo. Ich knüpfe natürlich wieder an:
vorgarten
david murray & dave burrell, in concert (1991)
ich springe jetzt ein bisschen in den aufnahmen aus 1991, weil das teresa-brewer-album noch unterwegs ist. und auch, weil ich gerade noch murray & takase im ohr habe. murray & burrell treffen sich nämlich ganz woanders, das wird hier von beginn an klar. free-kaskaden, dann ein pseudosimpler ragtime, ein riesenmurraysolo, bei burrell dann absturz und neu-aufbau. ein toller trip, gleich am anfang. es folgt das seit jeher zerklüftet-abstrakte „hope-scope“, das auch hier verlässlich auseinanderfliegt, dann die überschneidung mit BLUE MONK, „ballad for the black man“. tatsächlich mag ich die version mit takase lieber, weil sie zarter ist. aber hier kommt anschließend ein moment für die ewigkeit, burrells „intuitively“, eine ballade, sehr nah am kitsch gebaut, aber auch von großer melancholie, wie ein kubanisches schlaflied. burrell soliert hier nicht, sondern lässt murray unglaubliches tun, überblasene töne, nah am nicht mehr hörbaren, split sounds, das alles als ekstase über dem kitsch, das ist so wunderbar, dass ich mir allenfalls george adams als ersatzstimme denken könnte, der einen auch über hymnen zum heulen bringen kann. […]
insgesamt ist das auch die burrell-show, er hat mehr platz in einem duo, kann mehr facetten der verschroebenheit einbringen, und das sind wirklich viele bei ihm. was für ein freier geist. und wie toll und ernsthaft murray mit den angeboten umgeht…
fun fact – ich hab mal zufällig in eine live-übertragung eines murray/burrell-konzerts reingeschaltet (wahrscheinlich aus moers?), radio auf der autobahn, es fing an zu regnen, ich bin abgefahren und habe gehalten und zwei stücke durchgehört, bevor ich weitergefahren bin. da ging was kaputt und wurde wieder heil. fand ich damals ein bisschen beängstigend.
Die Fun Fact-Story glaube ich bei dem Duo sofort… das hat mich von der ersten Sekunde an! Es geht mit „Punaluu Peter“ los, das ich gerade in einer früheren Solo-Version von Burrell von einem anderen tollen Album gehört habe. Das ist völlig anders als das Duo mit Hicks: Burrell und Murray gehen viel stärker aufeinander ein – und das heisst auch: sie lassen sich gegenseitig Räume. So setzt der Pianist in „Hope Scope“ nach ein paar Minuten aus und lässt Murray eine Weile allein, nur um sein rasendes, sich überschlagendes Saxophon dann mit umso wuchtigeren Klangkaskaden vom Flügel fast zu verschlucken – und Murray danach erneut allein zu lassen. In seinem Klaviersolo reduziert Burrell dann phasenweise auf Läufe, die man mit einem Finger spielen könnte. Das alles ist eine sehr effektvolle Kunst der Ver- und Entdichtung – eine Kunst, die aber niemals nur auf den billigen Effekt aus ist.
Nach Burrell und Murray gibt es Murray und Burrell, und diese zweite Hälfte mit der „Ballad for the Black Man“ und „Intuition“ (wie so vieles von ihm mit einem Text von Monika Larsson, der im CD-Cover abgedruckt ist) ist dann der Balladenteil des Albums – aber auch der funktioniert sehr anders als beim Duo mit Hicks – zugleich offener wie auch zurückgenommener. Murray repetiert in „Intuition“ lange ähnliche Phrasen („Let’s set love into motion, let’s set love free“) lange, bevor er sich zum Solo aufmacht – in bester Gospeltradition eigentlich, ein Solo, das auf einer Motown-Platte oder einer langsamen Nummer einer Chess-Produktion ebenso perfekt gepasst hätte. Das ist unglaublich intensiv und dabei unendlich zart, dabei sehr vokal, manchmal fast schon sprechend … wirklich ein Moment für die Ewigkeit. Der Applaus danach klingt allerdings irgendwie nach Ratlosigkeit – vermutlich wurde er gekürzt? Mit dem kürzesten Stück, „Teardrops for Jimmy“, eine Burrell-Komposition, deren erster Teil ein wenig an Billy Strayhorn erinnert (der zweite ist ein Walzer in schnellerem Tempo … das klingt dann wieder nach Theater-Montage), endet das Album dann. Murray taucht hier auch im Solo in die Pastiche-Welt von Burrell ein, der das Spiel bis ans Limit treibt, den Walzer zum Umpapa-Polka werden lässt, kurz vorm Entgleisen die Kurze wieder kriegt und dann für den Abschluss ins Balladentempo zurückkehrt … Murray singt am Ende wieder fast zart, aber nach dem unfassbaren Stück davor wirkt das alles ziemlich verhalten.
Und morgen geht es mit dem Jahr 1992, mit „South of the Border“, weiter – womit ich gerade wirklich genau an dem Punkt bin, an dem ich im September abgebrochen hatte. (Das Duo mit DeJohnette hatte ich da auch schon mal bestellt, aber nicht gekriegt … stattdessen „In Concert“ und „Brother to Brother“ … „Picasso“ und ein paar andere Alben aus der Zeit bleiben Lücken.)
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