Antwort auf: David Murray

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Aki Takase / David Murray – Blue Monk | Ein Album, das ich bisher nur angekratzt habe … auch beim Enja-Marathon hörte ich es nicht in Ruhe an (was daran liegt, dass ich es nicht ordentlich habe). Geht super los mit Flatterzungen-Bassklarinette und „Blue Monk“, ein krasser Gegenpunkt zum Duo mit Hicks, das so dicht ist: mit Takase und Bassklarinette wirkt das hier fast schon karg. Aber sehr klangschön – und der Groove passt zum Einstieg auch. Takase spielt oft wenig Boden, das ist hier meistens Murrays Part, sie spielt mit der rechten Hand Linien, Läufe – aber streut auch mal ein paar Stride-Takte ein. Mit „Ask Me Now“ ändert sich das alles: ordentlich Monk’sche Akkorde, ziemlich wuchtig, dazu das Tenorsax mit seinem überreichen Sound, hier mit etwas Schatten im Ton, eine Spur näher an Hawkins, Webster oder Byas als üblich. Beim ersten Original, „Presto V.H.“ (Wer ist V.H.? Er soll sich sputen!) schaltet die Pianistin dann ein paar Gänge höher, Murray fliegt in der hohen Lage davon … und rhythmisch fliegt das völlig auseinander. Das Problem, das ich auch beim Konzert dieses Duos manchmal hatte – ein fast körperlicher Schmerz beim Versuch, das im Kopf wieder zusammenzubringen. Dennoch funktioniert das irgendwie … aber ich kriege halt ein wenig den Eindruck, dass beide einfach durchrösten, in der Hoffnung, dass es dann schon gut kommen wird; ein Neben-, kein Miteinander. Das ändert sich in „Body and Soul“ wieder, wo Murray wieder den altmodischen Touch von „Ask Me Now“ auspackt. Der Klassiker wird als Walking Ballade gegeben, Takase bleibt im Tempo und – durchaus prägend! – im Hintergrund, egal wie sehr Murray verdichtet und beschleunigt … das gefällt mir dann ganz hervorragend. Mit „Ellingtonia“, einem gemeinsamen Original, endet die erste Hälfte. Murray wieder an der Bassklarinette, nach dem Intro wieder mit Bassläufen und etwas Slap-Tongue – und Takase lässt sich lange bitten, bis sie mit ihrem Stride-Piano einsteigt. Und die angesprochene rhythmische Instabilität (die andere vermutlich gar nicht als solche hören oder empfinden) stellt sich lustigerweise nicht ein, wenn Murray den Boden legt.

Teil 2 beginnt wieder mit doppeltem Monk: „Bright Mississippi“ zuerst, zunächst etwas zickig und dann doch in einen smoothen Flow geglättet, über dem Murray ein recht typisches Solo spielt, das doch recht tief in die Monk-Welt eintaucht, während die Pianistin eher darüber hinweg gleitet. „Ba-Lue Bolivar Ba-Lues“ ist von Beginn an ziemlich flüssig, Murrays Übergang vom Thema ins Solo wirkt wie ein Zitat (und manchmal höre ich hier eine gewisse Nähe zur Art, wie Bennie Wallace phrasiert, heraus … denke nicht, dass ihre Wege sich gekreuzt haben, aber die Referenzpunkte sind vermutlich sehr ähnlich, bis hin zum R & B … dass ich die Nähe hier höre, hat sicher damit zu tun, dass Murray auf dem ganzen Album einen Hauch nostalgisch klingt). In Takases Solo bin ich dann raus – und doch irgendwie fasziniert: manchmal klingt ihr Spiel fast wie eine Klavier-Rolle von Conlon Nancarrow. Mingus‘ „Mr. Jelly Roll“ öffnet als Rubato-Ballade mit seltsam klingenden Klavier … das klingt eher nachträglich verfremdet als präpariert, wie ein Synthesizer eigentlich. Wenn in der Mitte das Thema auftaucht, sind wir wieder irgendwo auf halbem Weg zwischen völlig aufgeräumtem Stride und New Orleans – eigenartig, das ist sowas wie die Salon-Musik-Facette von Murray, die fast schon zum Schunkeln einlädt. Zum Glück findet das Duo mit „Kaiso“ die Kurve auch gleich wieder, eine Ballade, in der erst Murray, dann die Komponistin das Thema liebkost. Das Stück wird im Lauf immer mehr zu einer Art Soul- oder eher Pop-Ballade, klingt wie die Instrumentalversion eines Songs – etwas repetitiv, aber sehr toll. Der Schluss, die letzten 18 Minuten hier, sind aber eh die stärksten, denn als Closer folgt die über 11 Minuten lange „Ballad for the Blackman“ von Murray, und die ist dann das grosse Highlight zum Abschluss. Das ist wirklich schön – Murray geht in die Vollen, Takase bleibt bei ihm, ihr Klavierspiel streckenweise zart, zärtlich – der Einstieg ins Solo ein Moment, in dem ich die Luft anhalte. Da bleibt die Zeit stehen. Da kann ich mich dem Bedauern von @vorgarten nur anschliessen. So offene, wunderschöne Musik wie im Closer, ist überhaut ein seltenes Glück – da hätte Horst Weber doch alles streichen und einen zweiten Tag im Studio buchen müssen (wobei: vielleicht war das ja die Aufwärmübung im Studio und danach packte das Duo die Pyrotechnik aus, wer weiss …) – jedenfalls ein sublimer Abschluss eines eher mittelprächtigen Albums.

Unterm Strich ein Album, das meine Ambivalenz in Sachen Takase nicht ändert – meine allmähliche Annäherung wurde ja gefördert durch den Enja-Faden ziemlich gefördert, und davor auch schon durch ein paar Intakt-Alben, nicht zuletzt das jüngste Duo-Album mit Murray, das mir ziemlich gut gefiel (ich hab’s verlegt, im Rahmen dieses Threads im Herbst schon mal erfolglos gesucht) … auch wenn das zugehörige Konzert dann wie erwähnt ambivalent war.

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